Egoismus
Ein Mann.
Anzug, Schuhe mit Lederabsätzen.
,Es ist nie zu spät' sagt er.
Eine Frau.
Perlenkette. Überschlagene Beine.
,Das sagen alle' sagt sie.
Warum ist sie so, denkt er. Die Kälte in ihrer Antwort lässt ihn für später nichts erkennen.
Wieso kommen so bald alle damit, denkt sie und spürt nicht die Wärme in seiner Stimme.
Der Wind macht sich über die Kastanienbäume her. Bei jeder Bö ein Geprassel.
Der Gastgarten ist sonst leer. Die Stühle sind an die Tischkanten gekippt.
Herbst ist schon. Blätter liegen im Kies.
Wenn der Winter da ist, frag ich sie noch einmal. Alles braucht Zeit, denkt er und fährt mit dem Daumen über den Bierschaumrest am Glasrand.
Der Herbst, denkt sie. Die Zeit, die den Sommer stiehlt.
Was blieb vom Sommer? Von den Jahren zwischen den Sommern? Ich hatte Möglichkeiten, denkt sie. Ihn hatte ich auch und die Möglichkeiten gingen vorbei. Jetzt sitzt er da. Er quält mich. Warum, denkt sie.
Alles sollte vorbei sein.
Seine Lederabsätze scharren im Kies.
Sie rührt im Kaffee.
Ein Rosenverkäufer. Ausgerechnet Rosen, denkt sie.
Als ich ihr Rosen mitgebracht habe, damals, denkt er, hat sie nur gefragt: Verbirgst du etwas vor mir?
Kein Dank. Er hat nie darüber nachgedacht und was sich dahinter verbergen könnte.
Der Wind. Kastanien poltern gegen Tischplatten, rollen unter die gekippten Stühle.
,Ich kann mir das gut vorstellen' sagt er und fühlt sich wie ein Bettler.
,Das reicht nicht' sagt sie, und ,Ich kann dir nicht vertrauen.'
Warum gehe ich nicht, denkt er. Wenn ich jetzt aufstehe, was dann?
Wenn er aufsteht und geht, laufe ich ihm nicht hinterher, denkt sie.
Ein Fahrrad fällt krachend gegen die Kante des Gehsteiges. Ein Mädchen weint.
Frauen beschimpfen einen Jungen. Ein Spaniel leckt dem Mädchen die Hand.
,Du kannst dir dafür jederzeit eine Andere suchen' sagt sie. ,Ich hatte das schon.'
Das Bier schmeckt schal. Er ist sich nicht mehr sicher, ob er noch will, was er sie fragte.
Alles ist weg nach ihren Worten und der Himmel darüber grau wie Schiefer.
Sie spielt mit der Perlenkette. Es ist kühl geworden.
Er. Sie.
Sie spielt auch mit ihm.
Das Scharren seiner Absätze im Kies.
Sie rührt im Kaffee.
Der Rosenverkäufer lehnt am Stamm einer Kastanie. Er betrachtet die überschlagenen Beine der Frau.
Der Spaniel hat mit dem Lecken aufgehört. Das Mädchen lacht wieder.
,Bist du böse auf mich?' fragt sie und lässt die Perlenkette zwischen den Fingern auf und ab gleiten.
,Nein' sagt er und weiß, dass er verloren hat.
Ihr Sohn wird dreizehn, denkt er, vielleicht ist es mein Egoismus. Vielleicht hat sie recht.
,Wollen wir Wein trinken?' fragt sie und zieht sich die Lippen nach.
Er bestellt ein frisches Bier.