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Efy
Innenstadt. Nacht herrschte. Die Nacht herrschte und irgendwo bellte wer und nur ein paar düstere Kneipen waren noch wach und blickten in die dunklen Plätze hinein. Solche wie der „Höhlenbaum“, in dem eine junge Frau mit weißem Blümchenkleid, sternenschönen Augen allbekannte Liebeslieder sang. Schwarz und seicht waren ihre Haare.
Bier warf sich in wenige, müde Kehlen, ganz schwaches Licht gähnte zur Bühne. Sie sang mehr gut als schlecht; bis auf 2 Herren schaute niemand hin, gab niemand Applaus. Doch diese waren wirklich interessiert.
Der eine, der Dichter Roman, war mit ihr in einem Vorort aufgewachsen. Doch erfolgreich dichtete er nicht. Seine Lyrik erschien dann und wann in kleinen Zeitschriften und war lebhaft, aber nichtig, talentfrei. Er mochte sie auch selbst kaum leiden. Markus war sein mitgebrachter Freund. Der Sängerin fielen sofort seine stechenden Augen auf.
Nch der Vorstellung schritt sie, Sängerin Efy, sanft zum Tisch der beiden. „Ganz kraftvoll, ganz schwingend! Ich vibriere!“, lobte Markus und auch Roman fand nette Worte.
Ein Gespräch floss hin.
Sie erfuhr, dass Markus Theaterstücke schrieb und aufführte. Sie dachte:“A!“ und sagte:“O!“. Efy erzählte, sie wäre gerne Schauspielerin:“ Auf der Bühne stehen, die Leute versinnen, gefeiert werden!“ Ihre Träume sprühten.
Am nächsten Tag besuchte Markus sie in ihrer Mietstube und brachte Text seines aktuellen Stückes „Das freche Maschinengewehr“ mit.
Die Luft hing parfümiert und träumeleicht im Raum. Alles war ganz mädchenhaft, aber spartanisch und halbfertig, da sie erst vor kurzem ihr Elternhaus verließ.
Sie lachte begrüßend mit sonnigen Augen und er wies auf den Text; eine Sterbeszene, die sie ihm vorspielen sollte. Efy spielte. Sie sprach brechend, kreiselte, ihr Haar schlug Wellen, Efy klang und hauchzte darnieder.
„Eindrücklich!“, entlud er aufgeregt,“Das ist sterben! Wir sollten alle so viel sterben!“ Markus umarmte Efy und kuschelte freudig mit ihrer Wange. Sein Temperament war so packend und schüttelnd, dass ihr etwas schwindelte. Sie war ganz eingenommen. Er sah ihr blitzend in die Augen, die sie gefangen nahmen, strich ihr übers Haar, ganz langsam und lieb, dann küsste er sie innig. Sie zerfielen ineinander. Es wurden große und übergroße Küsse!
Als Efy am nächsten Tag, wie häufig, Roman im Park traf, lag über ihrem Tag grünes Glück. Es war ein bemühter Sommer. Hitze strudelte in luftigen Wellen zum Himmel. Auf den breiten Wiesen spielten Blumen mit Bienen und die Sonne sah wie Honig aus. Efys Augen sangen und ihr Mund war rosenrot. Süße Efy!
Markus sei wunderbar, erzählte sie Roman, sie wären nun ein Paar, sie schaue sich heute abend sein Stück im Theater an, wäre unheimlich aufgeregt und bekäme vielleicht eine Rolle. Roman schwieg. Sie wusste nicht, dass er innerlich tränte. Wie toll hoffte er doch, ganz heimlich, auf ihre Liebe! Und war doch von der Aussichtslosigkeit eines Annäherungsversuches überzeugt und konnte sich folglich nie dazu überwinden. Leise malte er nun ein brennendes Gedicht in sein Hirn, versank und hörte sie gar nicht mehr, während sie immer noch schwärmte. Er dachte an ihre zarten Augen. Er dachte ans Ungeküsstsein. Seine dunkelblonden Haare warfen sich in den frohen Wind und seine Augen sprachen Betrübung.
Abends das Bühnenwerk in einem kleinen, überwarmen Saal. Efy und nur wenige andere Leiber zierten die traurigen Stuhlreihen. Roman wollte nicht mit. Markus hielt, wie immer, eine einführende Rede. Sein Werk sei mehr als ein Rausch, schrie er hell und groß, es glühe vor Religiösität, ein Kelch des Metaphysischen sei es; das Wasser, das Licht, das Vergehen! Er werde es auch bald im „Waldsteinturm“, einer Hinrichtungsstätte des 17. Jahrhunderts, aufführen. „Da wurden früher Leute gehängt! Hoch und höher!“
Endlich begann das Stück. Markus ergriff die Heldenrolle und ein wütend-süffisantes Maschinengewehr mimte den Rivalen. Sie überschaute die Handlung nicht wirklich. Es war alles obskur und Fragezeichen füllten ihren Kopf. Dennoch war der Eindruck ungeheuer mächtig. Scherben, Blut, ein wüstes Gefleische! Sie dachte hin und her, welchen Part sie wohl übernehmen dürfte. So glitten die Stunden hin.
Nach dem Stück folgte sie Markus in die Nacht der Straßen und gab sich ihm in einer hechelnden Ecke hin.
Mit Roman ging sie wenige Stunden später im Park spazieren. Er hatte sich gefasst und plauderte von anstehenden Dichtungen, las sein neuestes Gedicht „Mondtrauer“ vor: “Der Mond vertrauert jede Nacht...“ Von Markus war diesmal, das freute ihn, nicht die Rede.
Efy kratzte sich, als hätte sie sich Wochen nicht waschen können. Ihr Haar war strähnig und glatt. Und wie Roman da so sprach, kam er ihr wie das reine Leben vor und Markus wie eine Kanalratte.
Seelenlieb schlenderten sie durch die warme Luft. Er kaufte ihr ein Eis, sagte eine süße Nettigkeit ihre Augen betreffend und sie und das Eis schmolzen hinweg. Ihre Lippen wurden erdbeerrot und plötzlich küsste sie ihn leidenschaftlich. Sie küssten! Sie küssten und küssten, sie küssten bis in den Abend hinein! Sie küsste seine Seele rund und er küsste ihr Wesen leck. Seine Augen sprachen Liebe!
Doch kurz vor der abendlichen Theatervorstellung beichtete sie Markus alles und gab an zu bereuen. Er antwortete nicht. Seine Augen sahen aus, als wären sie erstmals weich und gut.
Vorstellung. Der winzige, überheizte Saal war nicht mal halb gefüllt und sie wäre am liebsten davongerannt. Markus sprach sie großen, einführenden Worte wie ein schwebender Engel. Der Tod sei das Schönste, das Intensivste, das Umarmendste, dass ein Mensch erleben könne. Der Tod sei keine Reise, er sei der Abschluss derselben: Endstation Wohl, Glück, Paradies. Der Tod!
Das Leben sei mit all seinen Entbehrungen und Entsetzlichkeiten nur eine Ablenkung, eine Verlockung des Bösen. Die Sätze flogen belehrend von seinen Zähnen.
Er ließ das Schauspiel beginnen und seine Freundin schwitzte in der ersten Reihe.
Dritter Aufzug. Markus. Der starke, einsame Monolog des starken, einsamen Helden. Wut. Dann Einkehr. Dann Urteil des großen Mannes. Markus ganz und gar Gefühl:“ Dir Maschinengewehr, die prophezeie ich elende Rache der Götter! Dir, Welt, schwöre ich....- nichts als Abschied!“ Holprig und unangenehm taumelten die letzten Worte aus ihn heraus. War es eine Textänderung? Sie hatte keine Einsicht; das Maschinengewehr schaute ganz verdutzt. Markus zog schließlich ein wütendes Messer gierig aus der Hose und hielt es sich seinem ängstlichen Bauch entgegen. Allgemeine Blässe hielt Einzug im Saal und bemächtigte sich der Gesichter. Markus weitete die milchig und nebelhaft gewordenen Augen und ritzte sich tief durch das Hemd in das rosige Fleisch. Halb stöhnend, halb winkend sank er und dumpfte matt zu Boden. Entsetzen, Chaos, Bühnensturm und Saalflucht, Blut. Efy rannte zu ihm hinauf, kreischend, sah seine wässrigen Augen, die noch zu reden schienen, sah ihn schließlich vergehen. Ihre Haare badeten im Blut. Er hatte sich der Welt entledigt.
Für den nächsten Abend hatte Efy den ahnungslosen Roman zu sich in die Bude eingeladen. Sie selbst war gar nicht da, sie sang im „Höhlenbaum“, hatte aber die Tür offen gelassen. Er trat ein.
Währenddessen sang sie äußerst frivol, sodass ihr die Aufmerksamkeit aller verbierten und verschnapsten Männerkörper sicher war. Der Wirt brachte ihr Klaren um Klaren und aufreizend trällerte sie mit schwarz umränderten Augen:“ Ich möchte der Welt eine Hure sein. Ich möchte gewähren und dabei schrei´n!“ Ihre Haare lockten und ihr weißes Blümchenkleid war durchsichtiger denn je. Sinnliche Efy!
Sie jubelte die letzten Töne hin und rannte zur Hintertür hinaus. Der schmutzige Applaus verfolgte sie noch straßenweit.
Zeitgleich fand Roman einen hinterlassenen Brief und las:“ Die Nacht ist mir lieber als der Abend!“ Ihre Leiche fand man wenig später in einer Gossenecke.
Die Beerdigung fand in dem süßen Vorort statt, in dem Efy aufgewachsen war.
Überall schliefen hellblaue und zuckergelbe Häuschen mit ihren Gärten. Birnbäume, Hecken und Graureiher raschelten, rauschten und flogen. Der Pfarrer hielt den Anwesenden eine liebe Rede vor dem aufgebahrten Sarg. Jeder weinte tief und erschüttert aus sich heraus. Dann war irgendwann Zeit, die Kapelle zu verlassen und nach draussen zum empfangsbereiten Grab zu schreiten. Roman hielt sich verborgen.
Die Sargträger keuchten, die Trauergäste murmelten Gebete, der Pfarrer schaute sich gelangweilte Schmetterlinge an und dachte:“ Leben!“
Man trauerte Blümchen zum hinuntergelassenen Sarg hinunter. Dann verließen alle den Ort und gingen schmausen; Bedienstete schütteten den Sarg mit Erde zu.
Von innen behört klang jede Schippe wie ein kleiner Salut.
Roman kicherte leise und kuschelte sich eng an Efy ran.
Als die Arbeiten endeten, hatten sie Frieden. Er freute sich diebisch über sein Bubenstück, sich in den Sarg deckelschließend hinein zu schmuggeln und freute sich schon auf den langen, lieben Schlaf mit ihr.