Mitglied
- Beitritt
- 23.03.2018
- Beiträge
- 4
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 5
Efeu
Efeu
Ich bin ein draußen-Mensch.
Sommer wie Winter muss ich raus an die frische Luft und mich bewegen. Einzig die Dunkelheit des Winters kann mich zu frühem Aufenthalt im Haus bewegen. Einer meiner Spazierwege führt mich oft in eine rotgepflasterte Strasse mit kleinen Eigenheimen. Gepflegte Vorgärten,Carport,selbstgeschmiedete Kunstwerke auf kleinem Rasenstück.
Besonders aber fällt in der rotgepflasterten Strasse ein einzelnes Haus auf. Ein bisschen geduckt steht es da, die Ziegelsteine dunkel vom Alter, und das Dach macht einen undichten Eindruck.
Die zwei großen Fenster zur Straßenseite sind geschlossen und starren vor Schmutz. Staubige,halbtote hohe Kakteen stehen auf den Fensterbrettern. Dahinter hängen schmutzige, wohl ehemals weiße, altmodische Gardinen.Dazwischen schimmert zaghaft das gelbe Licht eines Aquariums hindurch.
Das ganze Haus ist überwuchert von einer struppigen graugrünen Efeumatte. Sogar die Fenster sind halb zugewachsen. Links neben dem Haus steht auf einer Schotterfläche ein altes Auto. Es ist ebenso eingehüllt in dichte Efeuwolken. Nicht besser ergeht es dem Eingang auf der rechten Seite. Mit leisem Schaudern denke ich an all die Krabbeltiere in dem undurchdringlichen Wuchs.
So oft ich hier auch vorbeigehe, noch nie habe ich eine Bewegung hinter den Scheiben gesehen. Und doch muss hier jemand wohnen:das Aquarium leuchtet wie zur Bestätigung sanft vor sich hin.
Heute bin ich doch tatsächlich stehengeblieben und versuche, von der anderen Straßenseite, durch die verschmutzten Fensterscheiben zu spähen.
Wer lebt hier nur?
In der nächsten Zeit bin ich zu beschäftigt, um darüber nachzudenken. Erst nach einigen Tagen führt mich mein Weg wieder zu dem Efeuhaus. Ich versuche, diesmal nicht hinzuschauen, aber da sehe ich in dem überwachsenen Eingang eine Gestalt. Nur undeutlich und halb verborgen im Schatten steht sie da und winkt mich zu sich.
Ich soll näherkommen?
Fast will ich weiter gehen, da packt mich die Neugier. Was kann schon geschehen? Ich überquere die rotgepflasterte Straße und gehe zögernd auf die Gestalt zu, doch bevor ich sie ansprechen kann, ist sie schon wieder im Haus verschwunden. Die Tür ist nur angelehnt.Ich rufe "hallo", und klopfe zaghaft an die verwitterte ehemals grüne Holztür. Sie öffnet sich durch die Berührung etwas weiter und ein Geruch nach Erde steigt mir in die Nase. Jetzt oder nie,denke ich-und trete vollends in das Haus ein.
Durch einen engen Flur komme ich in ein Zimmer, nur durch spärliches Licht erhellt. Und da steht sie, die Gestalt. Nicht sehr groß und etwas gebeugt, die Arme scheinen seltsam verdreht. Auf dem Kopf sitzt etwas wie eine Wollmütze, und darunter lugen einzelne braune Blättchen hervor. Das Gesicht ist faltig, und unter den buschigen Brauen schauen zwei große, runde grüne Augen hervor. Augen von einem solch dunklen Grün, das man noch nicht einmal eine Pupille erkennen kann.
Alles an diesem Wesen scheint grün und braun zu sein. Nun sieht es mich an. Langsam streckt es einen knorrigen Arm aus und weist dann mit dem Finger auf das Aquarium. Das Becken ist nur zu einem Drittel gefüllt, Fische kann ich darin nicht entdecken.
Die Gestalt schaut zwischen dem Aquarium und mir hin und her. Ich beginne zu verstehen. Im Raum nebenan steht ein Eimer neben der Spüle. Das Wesen nickt zur Bestätigung und läßt mich den Eimer füllen. Vorsichtig gieße ich das Wasser in das Aquarium und stelle den leeren Eimer wieder ab. Als ich mich aufrichten will, fällt mein Blick auf die Füße des Wesens. Durch das alte Leder der Schuhe hindurch sind Efeuranken heraus gewachsen, die sich über den Fußboden schlängeln und irgendwo im Mauerwerk verschwinden. Ich sehe knubbelige braune Knie durch den dünnen grauen Hosenstoff und einen grünblättrigen Bauch. Die runzligen Hände mit den Luftwurzeln an den Fingerspitzen hängen im frischen Wasser des Aquariums. Aus den runden grünen Augen trifft mich ein dankbarer Blick.
Nächste Woche werde ich wiederkommen!