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Edgar und die Enten

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19.03.2002
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Edgar und die Enten

Edgar und die Enten

Es war der erste Sommertag und die Sonne steckte schon alle Kraft in ihre Strahlen, so dass einige Leute sich schon Sonnencreme auf die Nase schmieren mussten.
Überall waren Leute mit Fahrrädern unterwegs, saßen in den Straßencafes und Biergärten oder ließen sich auf den Wiesen die Sonne ins Gesicht scheinen.
Der Sommer war da, und all die Schönheit, die er mitbrachte war endlich zu genießen.
Wie jeden Sommer saß Edgar im Park, auf seiner Lieblingsbank direkt vor dem Ententeich. Auch auf ihn schien die Sonne herab, doch sie erfreute ihn nicht. Er saß einfach da, hinter ihm fuhren Kinder auf Rollschuhen vorbei und Pärchen machten ein Picknick auf der Wiese, aber all das ging an ihm vorbei. Die fröhlichen Stimmen im Hintergrund erreichten ihn nicht, es war als hätte er seine Sinne ausgeschaltet.
Die Sonne schien durch die Flasche in seiner Hand und es bildeten sich kleine Lichtspielchen auf dem Wasser. Er starrte in die Flasche, die fast leer war und er starrte auf den Teich. Er sah sein verschwommenes Spiegelbild auf der Wasseroberfläche hin und her flackern und er dachte nach, ob es überhaupt jemals stillgestanden hatte. Das auf dem Wasser war er, verschwommen, unklar und zerrissen. Er war sich nicht mehr sicher, ob er existierte oder sein Leben eine Einbildung war. Edgar griff in seine Brusttasche und holte ein Päckchen Tabak heraus, drehte sich eine Zigarette und zündete sie an.
Bei dem ersten Zug musste er husten, und er gab seiner Lunge noch eine Chance und warf die Zigarette weg. Lange genug hatte er diese Angewohnheit seinen Körper zerfressen lassen, er wollte viel lieber das Leben einatmen.
Doch leider war das schwerer als eine Zigarette anzuzünden, da er fand, dass er kein Leben mehr habe, nachdem sie ihm alles nahmen. Nur noch die Fotos in seiner Brieftasche waren geblieben, und ein paar staubige Erinnerungen an Tage, an denen er sich glücklich nannte. Edgar vermisste seine Frau, seine Kinder und das Gefühl ein Ziel zu haben, etwas wofür es sich zu leben lohnt.
Alle sahen in ihm nur einen alten Mann, mit einer Flasche in der Hand, der auf der Straße lebte, doch wer schaute hinter die Fassade, wer wollte es überhaupt?
Wen interessierte, dass er studiert hatte und damals in seiner Freizeit Opern schrieb, Obdachlose waren ja bloß dumme Säufer, ein dicker Fleck auf der sauberen Tischdecke der Gesellschaft.
Er fing an zu weinen, er hasste den Sommer und all die Freude die er mitbrachte.
Nicht dass er es den Menschen nicht gönnte vergnügt zu sein, es lähmte ihn einfach, weil er nicht zufrieden war, er wollte auch lachen und grinsen, doch nicht ohne einen Grund haben. Was hatte er davon sich alles schönzureden, wenn der Schmerz alles Hässliche wieder zum Vorschein brachte.
Edgar öffnete seine Tasche, in der er den Rest seines kleinen Lebens mit sich herumtrug. Darin befand sich seine Brieftasche, eine Flasche Schnaps, ein Zeitungsartikel über seine erste Oper aus alten Zeiten und ein großes Weißbrot, was er immer für die Enten kaufte. Sie waren seine einzigen Verbündeten, dachte er sich, denn wer verstand sie schon? Sie redeten nicht und hingen bloß immer rum, und sie nahmen Spenden von den Menschen an, genau wie er.
Oft saß er den ganzen Tag dort auf der Bank und sah ihnen zu, zählte sie , gab ihnen Namen und malte sich kleine Geschichten über sie aus.
Die Enten waren für ihn eine kleine Familie, die auf dem Teich lebte und ein Programm unterstützte, was „Helft den Menschen“ hieß. Sie leisteten ihnen Gesellschaft und vollbrachten so eine gute Tat. Das machte die Enten glücklich,
denn sie hatten ein Ziel. Die Entenfamilie nahm eigentlich nicht gerne das Brot an, weil sie gerne bei den Menschen waren und nicht dafür bezahlt werden wollten.
Ja, so sah er die Enten, seine einzigen Freunde.
Er brach die Scheiben in kleine Stücke und warf sie in den Teich, worauf die Enten, um die Wette schwammen um die meisten Krumen zu ergattern.
Edgar zog sich seinen Hut ins Gesicht, da die Sonne jetzt direkt auf seine Nase strahlte und er leicht Sonnenbrand bekam. Er lehnte sich zurück und machte die Augen zu und schlief langsam ein.
Er träumte von einer Oper die er auf die Beine gestellt hatte, mitten im Park.
Alle Leute waren anwesend und die Enten auch. Er trug einen wunderschönen Frack und war glattrasiert und hatte glänzende Lackschuhe an seinen Füßen.
Die Leute applaudierten ihm und klopften ihm auf die Schulter.
Alle Obdachlosen der Stadt waren gekommen, und er hatte sie neu eingekleidet und ein riesiges Buffet vorbereitet, mit allen Köstlichleiten die man sich vorstellen konnte. Seine Frau war da und seine Kinder auch, sie fielen ihm in die Arme und küssten ihn.
Er war glücklich, und er hatte die Chance andere glücklich zu machen, er hatte ein Ziel.
Er hatte nur geträumt.
Als er aufwachte lag er vor dem Park, eine Parkaufsicht hatte ihn rausgetragen,
nachdem sich ein paar Besucher über einen alten obdachlosen Säufer beim Ententeich beschwert hatten.
Doch er würde morgen wiederkommen und vielleicht wieder diesen Traum haben, und vielleicht gar nicht mehr aufwachen und ewig feiern und mit den Enten wegschwimmen.

 

Hallo Elliott!

Hast Du eine Kurzgeschichtenfabrik gebaut? Wenn ja, was kostet die? Zwei Holz, dreimal Erz und zweimal Wolle?

Scherz weg.

Betrachtungen eines Obdachlosen, kein schlechtes Thema, wenn auch vielleicht nicht ganz nahe an der Realität (einige Leute haben mich bereits 'Penner' genannt, ich kenne mich also aus...), aber welche Rolle spielt das bei einer Geschichte.

Eine Sache muß ich jedoch herausgreifen: Zigarettenschachtel wäre ungewöhnlich, Tabak besser, vielleicht so etwas wie 'Jean Barth', oder eine von den billigen (und superschlechten) Lidl-Sorten (ich glaube einer von denen heißt Nelson, vielleicht erwähnst Du die Marke, das gibt schon früh einen recht subtilen Hinweis auf die finanziellen Umstände).

Ich denke, die Geschichte soll anrühren, diese Wirkung entfaltet sie leider noch nicht vollständig, mehr Informationen über den Erzähler täten meiner Ansicht nach not: er hat sich (vermutlich) als Künstler versucht, ist gescheitert und hat dann seinen Antrieb verloren? Seine Frau und Kinder sind wo? Warum hat er keinen Brotjob ergriffen, um sich über Wasser zu halten?

Soviel erstmal. Freue mich auf Deine Antwort.

Claus.

Und noch einige Kleinigkeiten, die mir aufgefallen sind.

Absatz 3: 'keine Wirkung' -> 'keine Kraft'?

dito: 'unbetroffen' Meinst Du 'unbeeindruckt'?

Absatz 5: 'ließ seiner Lunge noch eine Chance' halte ich für etwas zu lapidar. Auch führt der Satz den Leser auf eine falsche Fährte, vielleicht hattest Du das ja auch beabsichtigt, vielleicht nicht: ich hatte zuerst vermutet, der Protagonist sei an Krebs erkrankt.

 

Hi,

danke für Deine Kritik, der ich in einigen Punkten zustimmen kann.
Das mit dem Tabak ist gut, obwohl die Marke zu nennen ein wenig zu viel ist, aber ich habe das gleich geändert. Die Sache mit seiner Lunge ist beabsichtigt, da man sich ja denken kann, wie du es dir auch gedacht hast, daß es mit seiner Gesundheit nicht ganz so gut steht, genau wie all die anderen Punkte zu seiner Person, die deiner Meinung nach nicht genug ausgebaut sind. Der Leser soll Anhaltspunkte über seine Lage bekommen, zu genaue Beschreibungen fände ich eher unangebracht. Hauptsache ist doch, daß daraus hervorgeht wie es um ihn steht, ohne dies zu übertrieben darzustellen. Außerdem finde ich es schön, wenn man beim Lesen die Fantasie noch etwas spielen lassen kann, sonst macht Lesen doch keinen richtigen Spaß.
Die Kleinigkeiten, die Du angemerkt hast, habe ich auch geändert, gefällt mir jetzt auch besser so.

Gruß, ELLIOTT

 

Eine sehr gute Geschichte! Ich hab ihn so richtig dasitzen sehen... Auf seiner Parkbank... Der Teich vor ihm... Ach, schön! Und schön tragisch!

Ich hab's auch immer mit Pennern. Irgendwie... Und sie alle haben eines gemeinsam; sie haben ALLE eine Geschichte zu erzählen...

Gruß
stephy

 

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