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Eden ist verbrannt

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01.09.2002
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Eden ist verbrannt

Die Tanzfläche war vergleichsweise voll beim Abschlußfest des „1. Internationalen Friedenscamps gegen Nachrüstung, Ozonloch, Kernkraft, Militarismus und Brandrodung im Regenwald“. Der Junge fuchtelte mit den Armen in der Luft, als gelte es, einen ganzen Moskitoschwarm mit einer einzigen Handbewegung zur Strecke zu bringen. „Neue MännerInnen braucht das Land“, sang eine zu Allem entschlossene Frauenstimme aus den in allen vier Ecken aufgehängten Boxen.

„Was ich am meisten hasse, ist der verschlafene Routine-Fick“, sagte der Junge, „rauf auf‘s Hochbett, hinlegen, das höchste der Gefühle ist sie oben, ich unten, und auch das wird immer seltener.“

Das Mädchen nickte. Es hoppelte andächtig um den Jungen herum. Der schwere Strick-Pullover mit dem Finnen-Muster und das darunter sichtbare Trikot-Unterhemd waren vor lauter Hingabe verrutscht und ließen ein Paar formloser Brüste erkennen. Der „Hopp, hopp, hopp – Tierversuche stop!“-Button hatte sich vom Pullover gelöst und war achtlos auf den Boden geglitten. Der Folklore-Rock ringelte sich in einer dicken Wurst um seine Beine und die dicken Kreppsohlen seiner gegerbten Schweinsleder-Stiefel bearbeiteten den Boden wie eine Dampframme ein soeben erneuertes Kopfsteinpflaster.

„Manchmal frage ich mich wirklich, wozu man eigentlich noch in einer Zweierbeziehung lebt“, fuhr der Junge fort, „montags ist Kiez-Treffen, dienstags und donnerstags hat sie Therapie, da ist sie hinterher sowieso immer wie erschlagen, mittwochs ist Randgruppenarbeit, freitags Vollversammlung im Seminar, sonnabends Beratung bei der Mieter-Initiative und sonntags muß das Katzenklo gereinigt werden. Nein, wirklich, manchmal habe ich die Schnauze so voll, daß ich am liebsten alles hinschmeißen würde“.

Das Mädchen hatte die Augen halb geschlossen. Seine Nickelbrille war nach hinten gerutscht und hatte sich mit einem der runden Drahtbügel in seinem vollen Kraushaar verfangen, das in ungeordneten Strähnen unter dem Kopftuch hervorquoll. Seine geröteten Wangen zeigten an, daß es sich in einem Stadium höchst sensibilisierter Emotionalität befand, und mit dem Nagel des rechten Zeigefingers puhlte es angelegentlich zärtlich einen der zahlreichen Pickel im Nacken des Jungen auf und drückte ihn aus.

„Aber was das Schlimmste ist“, sagte der Junge gerade, „das ist, daß wir kaum noch miteinander kommunizieren können. Neulich gerade kam sie erst wieder um elf nach Hause, weil sich das Die-In bei den Politologen so lange hingezogen hatte und die Basis-Gruppen hinterher noch zu einer Fahrrad-Fete eingeladen hatten. Und nicht nur das – danach schleppt sie dann auch noch das halbe Institut bei uns an. Den ganzen geschmuggelten Retsina haben sie uns weggesoffen, und als um halb fünf der letzte in seine WG abdampfte, da war sie natürlich auch schon wieder zu müde“.

„Ich glaube, ihr solltet mal offen über eure Berührungsängste reden“, sagte das Mädchen und schob sich mit behäbiger Beharrlichkeit gegen seine mageren Lenden, „man darf Konflikten nicht dauernd aus dem Weg gehen, man muß sie offen austragen“.

„Ach“, sagte der Junge, während er seine rechte Hand auf ihre Brust legte, „was meinst du, wie oft ich das schon versucht habe. Tagelang habe ich ununterbrochen Fromm gelesen, um ‚Psychoanalyse und Zen-Buddhismus‘ durchzukriegen, aber als ich dann mit ihr darüber reden wollte, hat sie mich einfach abgeblockt. Fromm ist überholt, hat sie gesagt und mich total auflaufen lassen. Nein, das Problem ist, daß sie ja selbst so labil ist. Sie ist immer abhängig von dem, was andere zu ihr sagen. Sagt die eine aus der Frauengruppe, man trägt Henna, dann hat sie am nächsten Tag rote Haare, liest sie morgens in der ‚Gegenstimme‘, daß orange in ist, dann kommt sie abends bunt wie eine Apfelsine nach Hause. Nein, echt, oft bin ich den ganzen Tag so gefrustet, daß ich ununterbrochen kotzen könnte.“

Das Mädchen hatte sich soeben schon wieder bewegt. „Voll inhaltlich versteh‘ ich dich“, hauchte es zärtlich.

„Ja“, sagte der Junge und ließ sich erneut und etwas heftiger gegen sie fallen, „das ist es ja auch, was mir so lange gefehlt hat. Nicht, daß ich übermäßig viel Zuwendung und Solidarität brauche. Aber dann und wann muß man doch einfach mal jemanden haben, mit dem man quatschen kann. Und auf dieses ewige Grundsatz-Gerede im Besetzerrat habe ich so langsam echt keine Böcke mehr. Die warten doch alle bloß darauf, daß du was von dir erzählst, um dich dann mit ihren eigenen Problemen vollzulabern. Nein, echt, in den letzten Monaten bin ich immer mehr dazu gekommen, einfach die Brücken hinter mir abzubrechen, Beziehungskiste Beziehungskiste sein zu lassen und irgendwo ganz von vorne anzufangen, sich ’ner Öko-Gruppe in Westdeutschland anschließen, ’ne Mitfahrzentrale in der Toscana gründen oder ’nen Bauernhof auf Kreta kaufen oder was weiß ich.“

Der Wasserstrahl in seinem Rücken traf ihn wie ein Peitschenhieb, und jeder einzelne Tropfen brannte auf seiner dünnen Haut wie Tausende von glühenden Nadeln. Der Junge sprang herum und schleuderte einen Stein mit voller Wucht gegen die Gitterverkleidung des Wasserwerfers. „Scheiß-Bullen“, schrie er wütend, „Schweine-Bande, faschistische. Es wird Zeit, daß wir dieses ganze Schweine-System endlich wegkanten.“ Dann beugte er sich zu dem Mädchen, das verstört an seiner Sonnenblumenkern-Kette nestelte, faßte es an beiden Händen und zog es von der Tanzfläche hinter die Saft-Bar. „Komm“, sagte er, „es geht los. Zieh‘ den Rock runter und bleib‘ immer dicht hinter mir, dann kann dir nichts passieren.“

 

Irgendwie versteh ich den Sinn dieser Geschichte nicht. Da quatschen einige (Alt)Hippies über Grundsätze und Gefühlsduseleien auf einem Friedenscamp und am Ende wird das Zusammentreffen von der Polizei gesprengt. Und weiter?

 

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