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Eddy stirbt

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02.02.2018
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Eddy stirbt

Eddy stirbt

“Ich sterbe!”, sagt Eddy. Das klingt nicht traurig, sondern eher überrascht.

“Quatsch, du stirbst nicht!” Melanie schaut noch nicht einmal von ihrem Eisbecher auf. Genüsslich fischt sie nach einer Amarenakirsche.

“Ich sterbe!”, wiederholt Eddy. Er hat seinen Eisbecher schon geleert und überlegt gerade und parallel zur größten aller philosophischen Fragen, ob er sich nicht noch zwei Kugeln Eis bestellen soll. Pistazie und Zitrone vielleicht.

“Man stirbt nicht an MS!” Melanie ist nun doch etwas beunruhigt. “Die Therapie hat super angeschlagen, du hast keine Entzündung mehr. Wenn du Glück hast, merkst du in deinem ganzen Leben nie wieder etwas von der multiplen Sklerose.” Melanie spricht mit Nachdruck und Fachwissen. Sie ist Arzthelferin bei Eddys Hausarzt und hat sich ausführlich informiert.

“Ich mein ja auch nicht wegen der MS. Es ist einfach so, dass ich das komische Gefühl habe, dass ich sterbe. Genau jetzt.”

“Eddy!” Melanie klingt leicht gereizt. Sie kennt ihren Eddy und weiß, dass er hin und wieder zu ziemlich absurden Ideen neigt. “Eddy, eines Tages müssen wir alle sterben. Aber nicht heute. Heute gehen wir zum Endspiel!”
Sie hat zwei Eintrittskarten für das Endspiel der Fighting Farmers. Nach dem Eis essen wollen sie ins Stadion gehen. Das ist der Plan für diesen Samstag. Ein Gespräch übers Sterben kann einem doch die ganze gute Laune verderben.

“Wie meinst du das: eines Tages? Das Sterben kann viel länger dauern als nur einen Tag?” Eddy ist jetzt ziemlich konzentriert. “Bei meiner Oma hat es fast drei Jahre gedauert.”

“Das kann gar nicht sein.” Melanie ist jetzt sehr beunruhigt.

“Weißt du noch, sie hatte Darmkrebs und war im Krankenhaus. Es war nichts mehr zu machen. Und Oma wollte unbedingt zuhause sterben. Die ganze Familie war besorgt. Aber es hat über drei Jahre gedauert, bis sie tot war. Wir haben sie dauernd besucht, weil sie ja im Sterben lag.”
Eddy ist immer noch etwas traurig. Er hat Oma sehr gemocht.
“Bei ihr hat das Sterben drei Jahre gedauert. Und vielleicht hat es viel früher begonnen. Wir haben es nur nicht bemerkt.”, sinniert er.

“Also weißt du, das ist doch wirklich Blödsinn! Sie ist nicht drei Jahre gestorben sondern hat noch drei Jahre gelebt. Das ist doch wirklich was ganz Anderes.” Melanie schüttelt den Kopf und fragt sich insgeheim, ob das wirklich so ein großer Unterschied für Eddys Oma gewesen ist.

“Also, nur mal so als Frage, wenn man drei Jahre sterben kann, dann kann man doch auch vier Jahre sterben oder zehn?” Eddy führt seinen Gedanken weiter, ohne auf Melanies Einwand einzugehen.

“Unsinn. Man stirbt und dann ist man tot!” Melanie beginnt, wirklich genervt zu sein.

“Ja eben, das meine ich. Tod ist ein Zustand aber Sterben ist eine Tätigkeit. Wie laufen, Fußball spielen oder Bus fahren. Es gibt einen Anfang und ein Ende. Das Ende vom Sterben ist der Tod. Aber wann beginnt es?” Eddy läßt sich nicht aus der Spur bringen.

“Also dich hat´s ja richtig erwischt.” Aber ein wenig interessiert ist sie jetzt doch. “Aber eigentlich lebst du ja dann noch. Du stirbst und lebst noch. Irgendwie passiert das zusammen.” Melanie beginnt sich richtig auf das Gespräch einzulassen.

“Stell dir vor, das Leben ist der Eisbecher, den ich gegessen habe.” Eddy kichert, er weiß nicht wohin das führt, aber irgendwie ist es eine lustige Vorstellung. “Ich bestelle ihn, das ist die Empfängnis. Der Becher wird zubereitet, Schwangerschaft. Toni bringt mir den Becher, Geburt.” Beide lachen prustend! “Okay weiter”, sagt Eddy.
“Ich beginne zu essen, das ist quasi das Leben. Erst die Sahne” - so machte Eddy das immer, die Sahne zuerst. “Dann die Kugel Schockoeis, dann Vanille, zum Schluss Banane.”

“Und schon ist das Eis tod.”, kichert Melanie.

“Aber wann beginnt es zu sterben? Wenn ich die bei der Kugel Bananeneis angekommen bin? Oder schon bei Vanille?”

“Eigentlich schon bei der Sahne”, meint Melanie etwas betroffen.

“Ja, der Becher stirbt, sobald ich anfange, zu essen.”

“Armer Eisbecher,” seufzte Melanie. “Aber du kannst doch nicht ernsthaft behaupten, wir sterben mit der Geburt.”

“Und warum nicht?”

“Na, da sind wir ja Babys und wachsen doch erst noch. Wir sind nicht fertig wie dein Eisbecher.” Sie freut sich, ihn doch noch erwischt zu haben.

“Also du meinst, das Sterben beginnt, wenn man Erwachsen ist, also so mit 20 Jahren.”, hakt Eddy nach.

“Manche werden nie erwachsen,” lacht Melanie “die könnten dann ja überhaupt nicht sterben.” Sie merkt, dass irgendetwas am dem Bild nicht stimmt.

“Und wie war das mit Frau Schreiber?”, fragt Eddy. Ihr Baby war mit drei Monaten an plötzlichem Kindstod verstorben. “Wann hat das Baby begonnen, zu sterben?”

“Okay, akzeptiert. Wir fangen an zu sterben, sobald wir auf die Welt kommen.” Sie sagt das nur, um Eddy am Weiterreden zu hindern. Ihr wird es allmählich zu mulmig. Das ganze Gespräch ist viel zu unbequem und nervt.
“So ein idiotisches Gespräch.”, mault sie.
“Lass uns ins Stadion gehen!”, drängt sie.

Eddy hat ihr nicht richtig zugehört. Aber den einen Satz hört er deutlich: wir beginnen zu sterben sobald wir geboren werden. Irgendwie tröstet ihn die Vorstellung. Er hat eine unheimliche Krankheit, verborgen, nicht heilbar und daher auch immer präsent. Zu wissen, dass jeder Mensch von Geburt an stirbt, ist irgendwie wichtig. Ich sterbe seit meiner Geburt, sagt er sich. Daran ist nichts zu ändern, Krankheit hin oder her. Aber ich lebe auch bis zu meinem Tod. Auch daran ändert meine MS nichts! Eddy fühlt sich leichter, irgendwie jünger, gesünder. Während er aufstand kam ihm noch ein kleiner Gedanke, so leise, dass er in der Vorfreude auf das Spiel sofort wieder unterging: und wenn das Sterben schon mit der Bestellung beginnt?

“Klar, los, auf ins Stadion!” Eddy springt auf. Sie würden einen Haufen Spaß haben.

 

Hallo Heike,

ein schönes Gedankenexperiment. Ich muss allerdings zugeben, dass mir am Ende irgendwas fehlt, eine Einsicht, Auflösung? Du deutest eine an, nämlich, dass Eddy sich schon besser fühlt, weil wir alle sterben, fortwährend, aber das ist irgendwie nur ein Nebensatz. Das könntest du deutlicher machen.

Ein paar Anmerkungen:

Sie ist Arzthelferin bei Eddy´s Hausarzt und hat sich ausführlich informiert.
Ich würde "Eddys" schreiben.

“Ich mein ja auch nicht wegen der MS. Es ist einfach so, dass ich das komische Gefühl habe, das ich sterbe. Genau jetzt.”
dass ich sterbe

Sie hat zwei Eintrittskarten für das Endspiel der Fighting Farmers. Nach dem Eis essen wollen sie ins Station gehen.
Stadion

Aber es hat über drei Jahre gedauert, bis sie Tod war.
tot

“Bei ihr hat das Sterben drei Jahre gedauert. Und vielleicht hat es viel früher begonnen. Wir haben es nur nicht bemerkt.”, sinniert er.
ohne Punkt hinter bemerkt

Melanie schüttelt den Kopf und fragt sich insgeheim, ob das wirklich so ein große Unterschied für Eddy´s Oma gewesen ist.
hier würde ich wieder "Eddys" schreiben und großer Unterschied

“Also nur mal so als Frage, [...]
Ich neige zu einem Komma nach Also

“Unsinn. Man stirbt und dann ist man Tod!”
tot

“Ja eben, das meine ich. Tod ist ein Zustand aber Sterben ist eine Tätigkeit. Wie laufen, Fußball spielen oder Bus fahren.
Hier passt für mich "Tot sein" besser als "Tod", aber falsch ist es wohl nicht.

Melanie beginnt sich richtig auf das Gespräch einzulassen.
Das merke ich. Das kannst du eigentlich weglassen

“Stell dir vor, das Leben ist der Eisbecher den ich gegessen haben.”
Komma nach dem Eisbecher


“Ich bestelle ihn, das ist die Empfängnis. Der Becher wird zubereitet, Schwangerschaft. Toni bringt mir den Becher, Geburt.!” Beide lachen prustend! “Okay weiter”, sagt Eddy.
Nach Geburt entweder Punkt oder Ausrufezeichen. Außerhalb der wörtlichen Rede würde ich das Ausrufezeichen lassen.

“Ich beginne zu essen, das ist quasi das Leben. Erst die Sahne” - so machte Eddy das immer, die Sahne zuerst.
Komma nach beginne. "so macht Eddy das immer" oder "so hat Eddy das schon immer gemacht"

“Und schon ist das Eis tod.”, kichert Melanie.
tot und den Punkt in den Anführungszeichen weg

“Aber wann beginnt es zu sterben? Wenn ich die bei der Kugel Bananeneis angekommen bin?
das "die" ist zu viel

“Armer Eisbecher,” seufzte Melanie.
seufzt

Wir sind nicht fertig wie dein Eisbecher.
Komma vor wie

“Manche werden nie erwachsen,” lachte Melanie
lacht

Sie merkt, das irgendetwas am dem Bild nicht stimmt.
dass

Sie sagt das nur, um Eddy am weiterreden zu hindern.
am Weiterreden

“So ein idiotisches Gespräch.”, maunzt sie.
maunzen finde ich hier unglücklich. Lass sie maulen. ;)

Wie gesagt, ein schönes Gedankenspiel, das am Ende etwas mehr Wumms verträgt. ;)
Gefällt dennoch.

Liebe Grüße
Joyce

 

Hi Heike Hatzmann,

Einen spannenden Gedankengang hast du da, das scheint durch, allerdings finde ich, dass er nicht all zu gut verpackt ist.

Charaktere in Kurzgeschichten müssen nicht ins Detail ausgefeilt sein, aber in gewisser Weise umrissen dann doch. Ich kann mir von Anfang an kein Bild von Eddy und Melanie machen. Wie alt sind sie? In welchem Verhältnis stehen zu einander? Dazu habe ich einfach gar keine Vorstellung, deshalb wird alles, was sie sagen, uninteressanter, verhallt im luftleeren Raum. Bitte formuliere hier noch ein paar Sätze, um sich die Figuren zumindest im Ansatz vorstellen zu können.

Natürlich aber geht es darum, was die Figuren sagen. Dass Eddys Vergleich mit dem Eisbecher hängt, ist ob der Spontanität nachvollziehbar und macht auch seinen Charme aus. Das gefällt mir gut.

Ansonsten musst du unbedingt noch einmal über deine Interpunktion schauen, hier haben sich einige Fehler eingeschlichen, bzw. es fehlen einige Kommas. Beispielsweise schon im ersten Satz fehlt ein Komma vor "sondern".

Was unglaublich störend ist, und wohl auch von Anfang meine Objektivität zu deiner Geschichte negativ getrübt hat, ist, dass das Adjektiv "tot" geschrieben wird, nicht "tod".
Der Tod. Jemand ist tot.

Nur aus reinem Interesse: Warum hast du so viele freie Zeilen gemacht, anstatt nur in die nächste Zeile zu springen? Ich habe keine Meinung dazu, bin aber neugierig, warum du das so gemacht hast.

Alles in allem steckt in der Geschichte ein gute Idee, die für mich im Text nicht ganz durchdringt.

Soviel von mir, keep going!
Salomon

 

Guten Morgen joycec,
klasse und danke für deine Kommentare und die ausführliche Rechtscheibprüfung. Ich habe direkt alles umgesetzt. Ich habe keine Ahnung, wie sich immer wieder so viele Fehler einschleichen können. Ich lese Text mindesten fünf bis sechs Mal und nutze die Rechtschreibprüfung. Gibt es noch weitere Tipps, wie ich sicher stellen kann, dass meine Texte fehlerfreier werden.
Allerbesten Dank
Heike

 

Hallo Heike,

Gibt es noch weitere Tipps, wie ich sicher stellen kann, dass meine Texte fehlerfreier werden.
Heike

Ich wünschte, ich hätte einen. ;) Ich lese meine Texte bestimmt zehnmal und dann zeigt jemand mal eben mit dem Finger auf fehlende Kommata und solch Zeug. Also: willkommen im Club. :lol:
Kommt vielleicht mit der Zeit ... hoffen wir es.

Liebe Grüße
Joyce

 

Einen sonnigen guten Morgen Salomon,
danke für deinen freundlichen und hilfreichen Kommentar. Ich habe die Personen absichtlich nicht stärker gezeichnet, weil sie hier nur die Transporteure einer Idee sind. Ob man das so machen kann, ist mir unklar, ich lerne ja noch. Daher habe ich mir vor einer Antwort an dich noch einmal ein paar Kurzgeschichten angesehen. Und ja, ich glaube, ich bleibe dabei. Keine emotionale Bindung an die beiden Personen. Die Frage nach Leben und Tod soll den Leser beschäftigen.
Und zur Frage der Absätze. Mir wurde hier von anderen Mitgliedern gesagt, ich solle bei direkter Rede jedem Redner einen Absatz gönnen. Das würde den Dialog lesbarer machen. Ich beobachte aber gerade beim Lesen anderer Beiträge, dass hier unter Absatz wohl eher ein Zeilenumbruch gemeint ist. Für mich ist ein Absatz: Zeilenumbruch und Leerzeile. Hm, ich werde weiter beobachten, ausprobieren und studieren, bis es besser wird.
Liebe Grüße
Heike

 

Hallo, Heike,

Herzlichst hier, bei den Wortkriegern, und danke für deinen Beitrag!

Laut einer gewissen Frau Elisabeth Kübler-Ross gibt es/durchläuft man während der Bewältigung des eigenen bevorstehenden Todes fünf Sterbephasen:

1. Phase: Nicht-wahrhaben-Wollen und Isolierung
2. Phase: Zorn und Ärger.
3. Phase: Verhandeln
4. Phase: Depressive Phase
5. Phase: Zustimmung.

Das kannst Du selbst erproben. Stell Dir vor, Du wirst jetzt in fünf Minuten leider sterben müssen. Was empfindest Du dabei? Also, bei deinem zentralen Protagonisten sehe ich keine Anzeichen von irgendeiner Phase. Überraschung nur... Okay, Überraschung ist auch eine Form des kontrafaktischen Bewältigungsgeschehens. Aber von Zorn und Ärger etc. keine Spur. Also, dein Eddy ist mental nach Meinung von Frau Elisabeth Kübler-Ross und Tausenden Psychologen auf dieser Erde meilenweit davon entfernt zu sterben.

Es ist aber auch egal. Es ist nicht wichtig, was Du dem Leser etwas verkaufen willst, sondern "wie du etwas anbietest".

Das, was wir in deiner Geschichte haben, ist ziemlich eindeutig, zu gradelinig. Der Erzähler schiebt dem Leser alles in den Arsch. Die einzige Aufgabe des Lesers ist, diesem GEspräch zu lauschen und es zu schlucken. Der Erzähler baut die Story - in Form eines DIalogs - so auf, dass dabei für den Leser nichts unerwähnt bleibt. Es wird zwei mal angegeben, was für eine Erkrankung die zentrale "handelnde" Person hat. Das ist zwei mal zu viel. In Wirklichkeit ist es nun egal, woran man stirbt, ob an AIDS, Typhus oder Meerschweinchenhaarallergie. In deiner fiktiven Welt ist es von einer Bedeutung? Muss es unbedingt MS sein? Klar, bei Merrschweinchenallergie leidet man vielleicht mehr. Also, hättest Du da ein Geheimnis daraus gemacht, wäre es für den Leser interessanter gewesen zu lesen. Du hättest kleine INdizien im Text verstreuen können, die dem Leser die Lösung hätten bescheren können. Das hast Du nicht gemacht. Du bietest dem Leser eine fertige "Maggi-Schnell-Gericht-Mischung" zu futtern an. Also, gut: MS? Dann machen wir es weiter mit MS. Dein Dialogaufbau ist unnatürlich. Eddy und seine Geliebte wissen bereits seit einer gewissen Zeit Bescheid, was für eine DIagnose Eddy hat. Deswegen ist es höchst unwahrscheindlich, dass sie diese Diagnose/Dieses Wort wortwährend die ganze Zeit in den Mund nehmen: "Eddy, schade, dass Du MS hast..." "Ja, meine Liebe, ich habe MS". Macht es so, wie bei Harry Potter: "Den Namen, den du nicht nennen darfst"... Also, lass deinen Erzähler/Protagonisten nicht die Sachen bei ihrem Namen nennen. Es wirkt natürlicher...

Beim Lesen stellte ich fest, dass die Sprechenden und die Erzählerinstanz versuchen, mit offenene Karten zu spielen. Dabei sit der Sieg eindeutig auf der Leserseite. Man ist bestens informiert. Aber dieses leicht gewonnene KArtenspiel macht dem Gewinner keinen Spass.

Nach diesem Satzbau mit vollen Sätzen (ordentlich, naiv, unwissend etc), ausführlichen Antworten, Dialogen begann ich ab Mitte des Story zu denken, dass dieser Eddy einfach ein kleines Kind ist. Ein Kind, das noch nicth so ganz genau weiß, was MS ist, geschweige denn von Tod, weil er keine Lebenserfahrung ist. Ein kleiner Träumer, der über seine Großmutter erzählt, anstatt wie ein Erwachsene zu weinen oder zu schreien: "ich bin noch zu jung, um zu sterben!"

Die Beispiele, wie "“Ja, der Becher stirbt, sobald ich anfange, zu essen.” können auf den Leser zu infantil wirken und bestätigen meine o.e. Vermutung.

Du könntest deine Story etwas verfeinert, wenn Du tatsächlich die Krankheit nicht bei ihrem Namen nennst und wenn es sich später herausstellen sollte, dass dein Eddy noch ein kleiner Bub ist. Andererseits überzeugen mich die dargestellten Figuren deines ERzählers, sowie dein Erzähler selbst, leider nicht.

Lass Dich nicht von meinem Kommentar nicht entmutigen.

Sei herzlichst gegrüßt von
Herr Schuster

 

Hui Herr Schuster,
das ist ja mal eine Ansage. Danke für die ausführliche Betrachtung. Ich gebe dir recht, die MS könnte man ersatzlos streichen. Allerdings ist dieses kleine Gedankenexperiment für eben dieses Zielpublikum geschrieben. Und ja, man könnte es sicher viel eleganter anbringen. Es sollte eine Lehrgeschichte werden, vom Typ "Meister und Schüler". Der simple Plot und der naive Ton sind dabei gewollt. Aber scheinbar nicht gelungen. Und es geht eigentlich nicht um die Bewältigung des eigenen Todes sondern des eigenen Lebens. Auch das scheint nicht angekommen zu sein. Das gibt mir gewaltig zu denken und dafür danke ich sehr!
Liebe Grüße
Heike

 

Hi, Heike,

ich habe nicht gesagt, dass es nicht angekommen ist, dass es hier um die Bewältigung des eigenen Lebens geht (im Gegenteil), zu dem letztendlich auch das Sterben gehört. Sterben ist nur eine Erkenntnis, wie Schwangerschaft oder Umzug in das benachbarte Dorf. Wir bewältigen fortwährend unsere Entscheidungen, unser Leben. All das ist gut lesbar im Text. Dennoch ist es deine Aufgabe, die Aufmerksamkeit des Lesers zu steuern und ihn mit kleinen Leckerles zu füttern, wie einen Hund, damit wir uns vor Dir nicht zu weit entfernen und "Sitz machen".

Du hast einfach andere Akzente gesetzt. Die Form dieser Darstellung ist so gewählt worden von Dir, dass man lieber auf etwas anderes schaut, als auf das, was Du sagen willst.

Und diese Fragen von Eddy, als würde er zum ersten Mal überhaupt über dieses Thema sprechen, wie ein kleiner Junge, der gerade seine Schildkröte beerdigt hat und, da er keine eigene Meinung dazu hat, seine Mutter fragt, ob die Schildkröte in den Himmel kommt.

Dieser Eddy hat offensichtlich noch nie einen toten Menschen gesehen oder sich gefragt, was der Tod ist.

Entweder ist er ein kleiner Junge (dazu, wie gesagt, tendiere ich) oder er ist ein großer Junge, der gerade versucht, den Schock seines Lebens zu verarbeiten. :-)

Viele Grüße
Herr Schuster

 

Guten Morgen Herr Schuster,

du hast mich total und vollständig missverstanden, das macht mir zu schaffen.

ich habe nicht gesagt, dass es nicht angekommen ist, dass es hier um die Bewältigung des eigenen Lebens geht (im Gegenteil), zu dem letztendlich auch das Sterben gehört
genau darum geht es NICHT in meiner Geschichte. Ich will es gerne erklären:
Eddy hat eine MS, das ist eine Autoimmunerkrankung. Wie bei allen Autoimmunerkrankten hat sein Unterbewusstsein schon lange beschlossen, dass Eddy tot sein will. Wie meine Geschichte zeigt, vielleicht schon seit der Zeugung (da sind sich die Gelehrten allerdings noch nicht sicher, ich aber wohl). Und um das möglichst sicher zu erledigen, bedient sich das Unterbewusstsein des Immunsystems von Eddy. Das, was den Körper eigentlich vor äußeren, eventuell Tod bringenden Angreifern schützen soll, nutzt das Unterbewusstsein auf ganz infame Weise und wendet es gegen den eigenen Körper. Das heißt Aufstand und Vernichtung durch die eigene Schutztruppen. Eine Autoimmunerkrankung ist ein Selbstmord auf Raten. Und was Frau Kübler-Ross so Kluges von sich gibt, da lacht das Unterbewusstsein, bis ihm die Tränen kommen. Das ist Kindergartenkram, Sandkastenspiele. Längst abgearbeitet. Der Tod ist sein einziges Ziel. Das Dumme ist nur, der Verstand hat davon gar nichts mitbekommen. Er hängt, wie immer, ziemlich hinter her. Die allermeisten Autoimmunerkrankten sind sich absolut sicher, dass sie leben wollen.

Was also tun? Eddy ist ein Selbstmörder, der vollkommen ohne Tabletten, Autobahnbrücke oder Messer auskommt. Man kann ihm daher nichts abnehmen und ihn damit vor dem Selbstmord schützen.
Es gibt nur einen einzigen Weg, man muss sein Unterbewusstsein/UB davon überzeugen, das es leben will. Das ist wahrlich nicht leicht. Selbst wenn der Verstand sagt "Ich will doch leben, ich lebe gerne" heißt das noch lange nicht, dass das UB da mitmacht. Bei 5 cm Verstand auf 11 km Unterbewusstsein (so die Psychologen) ist das eine extrem schwere Arbeit. Erfolg absolut nicht garantiert.
Eddy hat den ersten, zentralen, den wichtigsten Schritt überhaupt gemacht. In seinem Verstand ist angekommen, dass er stirbt und zwar ununterbrochen. Er weiß natürlich nicht, dass sein UB der Strippenzieher dafür ist. Aber er tut etwas sehr richtiges. Er sendet seinem UB eine Botschaft. Die Kommunikation mit dem UB gilt als außerordentlich schwierig. Wir wissen eigentlich so gut wie gar nichts darüber. Aber scheinbar hört das UB besser auf einfache Bilder als auf komplexe Logik. In der Therapie ist es daher wichtig ein einfaches, Freude auslösendes Bild zu finden, das langsam aber sicher ins UB sickert. Ein Bild, dem man immer wieder bewusst oder - und das ist der Knaller - unterbewusst, begegnet. Immer, wenn Eddy jetzt jemanden ein Eis essen sieht, geht eine Minibotschaft ans UB "Ich lebe!". Die Botschaft ans UB sollte auserdem nicht zu viele, besser gar keine Negationen enthalten.

Mir geht es nicht darum, den Verstand zu entertainen und ihn mit ein paar Goodies dazu zu bringen, Männchen zu machen. Der Verstand interessiert mich nicht. Sapere aude! Ich würde gerne Geschichten erzählen, die es schaffen, bis ins UB vorzudringen. Das heißt auch, das man den Verstand austricksen muss. In dem Moment, wo ich dem Verstand zu viel Futter gebe in Form einer spannenden, komplexen, dichten, emotional aufgeladenen Story, stürzt er sich darauf, wie ein Zombie auf Blut. Und frisst alles auf. Da kommt in der Regel nichts mehr im UB an.

Das ist wohl auch einer der Gründe, warum die "Meister-Schüler-Geschichten" so gut wirken. Sie bieten keine zusätzlichen Goodies wie Atmosphäre, Aussehen, Szene, Dichtigkeit etc. Sie kommen ganz leise und naiv daher. Eigentlich Geschichten für Kinder, denkt man. Man liest sie und denkt, okay, so what. Nett. Aber wenn es gute Geschichten waren, wirken sie und sinken immer stärker ins UB. Und man ertappt sich dabei, dass man genau diese naive Kindergeschichte erzählt, wenn man jemanden trösten will (nur so als Beispiel). Und vielleicht schmunzelst du ja beim nächsten Eis. Dann ist meine Geschichte angekommen und wirkt.

Das ich genau diese Geschichten erzählen will, lieber Herr Schuster, ist mir erst durch deinen Beitrag bewußt geworden. Dafür herzlichsten Dank.

 
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Guten Abend, Heike,


Sigmund Freud hat einmal gesagt oder mindestens einmal in seinem Unterbewusstsein gedacht (ohne Gewähr): Alle Menschen werden in drei Gruppen aufgeteilt: Die Menschen, die "Die Brüder Karamasow" von Dostojewskij gelesen haben", die Menschen, die "die Brüder Karamasow" noch nicht gelesen haben, aber diesen Roman lesen werden" und die Menschen, die "Die Brüder Karamasow" nie im Leben lesen werden. Ich hoffe nicht, dass Du zu den ersten zwei Gruppen gehörst. Wenn Du aber etwas über das (literarische) Unterbewusstsein lesen willst, dann lies "Den Doppelgänger" oder "die Brüder Karamasows" von Dostojevskij. Seine Psychoanalyse hatte Freud aus den ROmanen von Dostojewskij. Der "Doppelgänger" ist meineserachtens eines der größten verkannten Meisterwerke aller Zeiten. 90-100 Seiten - Lesegenuss pur. Dein Thema - Unterbewusstsein!

Dann gehen wir gleich zum anderen russischen Klassiker - Leo Tolstoj. Sein Werk "Anna Karenina" (Nobelpreisträchtig, Tolstoj hat aber den NObelpreis dankend "abgelehnt) ist laut "New York Times" Roman Nr 1 aller Zeiten. Dieser Roman hat zu seiner Zeit die damalige Gesellschaft so gespaltet, wie noch kein literarisches Werk zuvor. Viele Leser schrieben den Autor an und baten, bestimmte Passagen/Stellen/Motive zu erläutern. Worauf Tolstoj schrieb (in etwa): wenn ich all das, was ich in meinem Buch sagen wollte, erklären werde, dann werde ich nochmal zwei ähnliche "Anna Karenina" schreiben". Er ist nie auf diese Bitten eingegangen und hat sein Werk dem Leser zum Ausschlachten überlassen.

Es ist eine Regel, dass das, was der AUtor sagen will, nicht unbedingt mit einem einhergeht, was der Leser letztendlich versteht. Du hast eine Story geschrieben, ich habe diese Story gelesen und meine Schlüsse daraus - dank meiner seelischen geistigen usw. Verfassung/Erfahrung gezogen. Das heißt aber nicht, dass Du deine GEschichte jetzt an meine Vorstellungen, WÜnsche anpassen muss.

Ich bitte, versucht nächstes Mal nicht deine Geschichte zu erklären. Bleib "cool", wie Tolstoj und überlass sie dem Leser zum "Ausschlachten" ;-)

Viele Grüße,
Herr Schuster

 

Ich bitte, versucht nächstes Mal nicht deine Geschichte zu erklären. Bleib "cool", wie Tolstoj und überlass sie dem Leser zum "Ausschlachten" ;-)

Mir fehlte "Der Idiot", einer meiner Lieblinge, nebenbei.
Mir scheint das gerade einer der hilfreichsten Kommentare aller Zeiten zu sein, auch wenn er nicht mir gilt.
Das ist aber leider auch gleichzeitig so schwer!
Das ist wie die Geduld der Herausgeber, die deinen Dreiteiler in nicht auszuhaltenden Abständen veröffentlichen.

Herr Schuster, das war trefflich gesprochen! Insbesondere in diese Richtung!
LG
Joyce

 

Hallo Herr Schuster,
oje. Was für Giganten bringst du da in Stellung: Freud, Tolstoj; Dostojevskij! Um mir dann zu sagen: bleib cool. Den möchte ich sehen, der das könnte. Aber ich werde fleißig üben und lesen. :read:
Liebe Grüße
Heike

 

Hi Heike Hatzmann,

für ein Lehrgespräch finde ich deine Geschichte sogar noch recht unterhaltsam - allerdings auch wenig erhellend. Dass man schon bei der Geburt nicht unsterblich ist - das soll jetzt die Botschaft sein? Das ist nicht viel. Wenn ich deine Erklärungen dazu anschaue, frage ich mich, ob das eine Art Therapie-Text sein soll, dann wäre ja nicht wichtig, ob die Botschaft interessant ist, sondern ob er eine heilende Wirkung haben kann. Ich sag mal so: Das würde mich wundern, aber Überraschungen gibt es überall.

Für eine Geschichte klingt mir das Gespräch jedenfalls zu absichtsvoll. Ich höre ständig heraus, was ich als Leser denken soll, z.B. - aber nicht nur - hier:

Melanie beginnt sich richtig auf das Gespräch einzulassen.
Wenn du Glück hast, lässt sich der Leser irgendwann auf das Gespräch ein. Und wenn du Pech hast, turnt ihn das Echo der Erzählstimme wieder ab.

Oder so was hier:

Also weißt du, das ist doch wirklich Blödsinn! Sie ist nicht drei Jahre gestorben sondern hat noch drei Jahre gelebt.
Ich meine, so vernagelt kann man doch nicht sein, dass man nicht versteht, was Eddy gemeint hat, oder?

Hübsch finde ich ja, dass Eddys Stimmung gerade in die andere Richtung geht als man erwartet. Das finde ich dann eben an dem Gespräch wohl auch unterhaltsam. Daraus könnte man sicher was machen ...

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 
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Hallo erdbeerschorsch,
danke für deinen Kommentar. Ich muss richtig daran arbeiten, dass meine Geschichten, die ich bisher immer nur in meinen Gedanken entwickelt habe, gelesen und kritisch kommentiert werden. Und jeder liest etwas anderes. Die Botschaft bestimmt der Empfänger, heißt es ja. Aber wie schwer ist es, das auszuhalten. Und mit jedem Kommentar scheine ich ein Stück zu wachsen, überdenke meine Geschichte noch einmal, wäge die Argumente ab. Und meine Geschichte verändert sich. Auch eine interessant und extrem hilfreiche Erfahrung. Fokussierung, sich darüber klar werden, was man eigentlich tatsächlich erzählen will. Was steckt hinter den eigenen Bildern, die man ja so gut kennt, dass man nicht hinterfragt, ob auch ein Leser die gleichen Muster hat. Den internen Code erkennen und aufbrechen zugunsten archetypischer Codes. Oder zumindest allgemein verständlicher. Danke dir herzlich für deine Unterstützung, die mich ein Stück weitergebracht hat.

Liebe Grüße
Heike

 

Hallo Heike,

ich finde die Diskussion hier äußerst anregend und besonders wenn jemand Dostojewskij erwähnt, da kann ich nicht anders als die Ohren zu spitzen.

Wenn ich an meine Jugend denke, so sehe ich immer Dostojewskij vor mir. Damals habe ich nur Dank seiner Bücher überlebt und mit zwanzig muss ich die Karamasows mindestens drei Mal gelesen haben. Ich kann Dir nicht sagen, wie oft ich das Gefühl hatte, in den Russen einen Mentor gefunden zu haben, wie oft ich mir vorgestellt habe, so schreiben zu können wie er wäre das Coolste überhaupt.
Ein Jahrzent später war das alles anders. Es kam schleichend und ich merkte erst dann, dass es nicht mehr das Gleiche war, als ich einem Freund Dostojewskij empfahl. Er war nicht der Erste, der diese Empfehlung bekam, seit Jahren hatte ich mich tüchtig ins Zeug gelegt und seine Bücher oft verschenkt. "Nee, den mag' ich nicht", hatte der Freund gesagt und das zu hören hatte mich stutzig gemacht. 'Wie kann man nur Dostojewskij nicht mögen?', habe ich mich gefragt.
Ich griff nach den Karamasows und blätterte darin. Viele Passagen waren unterstrichen, verschiedene Stifte zu verschiedenen Zeiten. Lange hatte ich nicht mehr darin gelesen, manche Sätze daraus kannte ich aber immer noch auswendig. Seit ich das letzte Mal das Buch aufgeschlagen hatte waren einige Jahre vergangen, ich hatte in der Zwischenzeit mehr dazugelernt. Auch war das Leben nachsichtiger und freundlicher zu mir geworden, zugegeben, zwar nur für eine kurze Zeit, aber dennoch, die Wut und die Ressentiments waren nicht mehr wirklich da. Und da stellte ich mit Entsetzen fest, dass ich Dostojewskij auch nicht mehr mochte. Es war mir, als hätte mir jemand etwas Wichtiges geraubt, ich wusste aber nicht mit Sicherheit zu sagen, was da verloren gegangen war. Ich zwang mich zu lesen, nach kurzer Zeit gab ich's aber auf. Dann versuchte ich's nach einigen Tagen wieder und auch diesmal kam ich nicht weiter.

Wie konnte das nur geschehen? Ich ließ meine Interessen REvue passieren, glich meine Vorlieben und Ideale mit meinem einstigen Ich ab. Es hatte sich nicht viel geändert, Dostojewskijs Themen waren immer noch ein wichtiger Teil meiner Persönlichkeit, damit konnte ich mich weiterhin problemlos identifizieren. Aber etwas mißfiel mir jetzt, etwas, was mich früher an Dostojewskij überhaupt nicht gestört hatte. Ich konnte es nur nicht nennen, konnte den Finger nicht darauf legen, war nur enttäuscht, dass mir etwas Wertvolles einfach so abhanden gekommen war.
Dann fiel mir ein was es war und es traf mich wie der Schlag: es war die permanete Destruktivität, die sich wie ein roter Faden durch Dostojewskijs Leben und Werk zieht. Seine Spielsucht, seine Krankheit und die immerwährenden Schulden und als Ausgleich dafür die religiöse Extase, die unerfüllte Liebe, sein schriftstellerisches Schaffen. Ständig Extremen ausloten, ständig einer Anspannung und Gereiztheit ohnegleichen ausgesetzt zu sein, all das behagte mir nicht mehr. Vielleicht sprach ausnahmsweise mein Unterbewußtsein zu mir, denn ich hörte: 'Das bist du nicht, das warst du nie und das sollst du auch nicht werden. Es ist lehrreich in jungen Jahren dich damit zu beschäftigen, doch jetzt bist du ein Mann. Sei nur bescheiden, sei du und wenn du kannst, sei einfach gut.'
Und dann war das gar nicht mehr so schlimm, den Russen vom Podest gestossen zu haben. Jetzt steht das Podest leer und wenn manchmal einer draufsteigt und für eine kurze Zeit dort verweilt, dann ist es meist eine stille Stimme, eine Stimme, die mir sagen kann, wie ich gut und wie ich bescheiden werden kann. Ich weiss, dass auch Dostojewskij so was öfters sagt, nur sehe ich es jetzt als Geständins eines Gefolterten, als Wahrheit, die unter dem Druck einer Daumenpresse in die Welt kam. Jetzt wage ich es zu bezweifeln, ob er das Gute weiterhin verkünden würde, hätte man ihm damals die Destruktivität abgenommen und wenn er selbst versucht hätte, einfach nur ein bescheidener, guter Mensch zu sein.

Dies alles fiel mir ein, als ich Dein Kommentar las, liebe Heike. Ich war Zeuge, wie jemand der mir nahe stand an MS erkrankte (aka Heinrich Zimmer, der nach diesen Freund konzipiert ist. Ich schrieb diese GEschichte für ihn, denn das Leben hinter sich zu lassen und in der Natur zu verschwinden war für mich die einzige Lösung seines Problems). Auch ich war unfreiwillig Zeuge, wie sehr die innere Stimme da eine Rolle spielte und wie man aber im Krankenhaus nur mit Arzneien auf die Schübe reagierte und man sich dort relativ wenig dem seelischen Aspekt zuwandte. Deine Beobachtung ist treffend und definitiv wert ausgearbeitet zu werden und dafür kann ich Dir nur Lob aussprechen.
Es fällt mir auf, dass von den vier GEschichten, die du hier gepostet hast, dies die einzige ist, die ohne "ich" auskommt und eine andere Perspektive einnimmt. Vielleicht ist es deswegen, weshalb die Intention nicht mit dem Ergebnis übereinstimmt, weil Du diese Art zu erzählen noch nicht beherrscht. Ich denke aber, dass sie richtig ist und richtig ist es auch, dass Du Dich hierin versuchst. Sie ist (meiner dilettantischen Auffassung nach) der Ich-Erzählung weit überlegen und gibt dir als Autor die Möglichkeit, objektiv zu sein. Auch wenn es mit Eddy nicht geklappt hat, es hindert Dich nichts daran die SAche neu anzupacken und Eddy eine neue Verkleidung zu verpassen. Wie schon gesagt, die Abischt dahinter ist treffend und wert erzählt zu werden. Auch ohne Dostojewskij kann man das schaffen, nur keine Sorge.

Liebe Grüße

Tanghai

 
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Mensch, Tanghai,
jetzt ist aber eine dicke Umarmung fällig. Du antwortest mit einer kompletten, wunderbaren Kurzgeschichte. Danke. Und das Tollste ist, ich habe beim Lesen vergessen, dass die Antwort Eddy gilt. Ich wechselte die Geschichte und landete bei meinem Schmetterling und dem noch nicht fertig ausgereiften Thema: Unbehagen an dem Vater. In der Geschichte nenne ich es Vaterhass. Tatsächlich ist das "Mißbrauch" durch den Vater in unglaublich vielen sozialen Foren und Selbsthilfegruppen Thema. Besonders verwirrend wird es, wenn z.b. in Gruppen, in denen es um Hochsensibilität geht, das Thema Mißbrauch fast 30 Prozent der Diskussion ausmacht. Und keiner kann sich an irgendeinen Mißbrauch tatsächlich erinnern. Aber auffällig ist, dass die Väter oft traurige, versteckt depressive Typen sind. Um es extrem zu verkürzen: Menschen, die nie ihr Leben gefunden haben, die nie hinaus in die Welt konnten, die das Abenteuer ihres Lebens nicht entdeckt haben. Und die sich alle Mühe gegeben haben, ihre Kindern für ein besseres Leben vorzubereiten. Und dabei oft ihre eigenen Sehnsüchte auf ihre Kinder übertragen. Ihre oft sehr sensiblen und intelligenten Kinder haben die versteckt oder offen gelebte Traurigkeit (Alkohol) versucht zu heilen. Und dazu mehrer Strategien entwickelt. Anfangs, indem sie dem Vater komplett folgen (Hobbys, was er sagt und tut), große Phase der Bewunderung. Und der Vater benutzt sie. Ihre Leichtigkeit, ihre positive Ausstrahlung, ihre Lebensfreude, ihr Vertrauen gibt ihm Auftrieb. Später spüren die Kinder Unbehagen, fangen an, die Nähe zu meiden, fangen an, sich vor dem Vater zu ekeln. Und müssen ihn irgendwann vom Sockel stoßen. Und energetisch gesehen, oder psychisch gesehen, ist es völlig egal, ob es sich dabei um einen realen oder projezierten Vater handelt. Der vom Sockel gestoßene Vater bereitet Probleme, ist er doch ein armes Schwein, dem man nicht helfen konnte. Und das alles ist eigentlich total trivial, weil es die immer gleiche Geschichte der Menschwerdung ist. Und dennoch so ungeheuer spannend, weil es die eigene Geschichte ist, in tausend Facetten und immer neu. Und spannend, wenn es um die Beziehung Mütter / Söhne oder Mütter / Töchter geht ist seit Freud (Ödipus) viel geforscht worden. Der Vater ist eher im Schatten.
In der Geschichte um Eddy geht es mir um den Perspektivwechsel: wie gelingt es, aus einer depressiven Sicht auf das eigene Sein eine lebensbejahende Sicht zu machen. Das ist natürlich nicht gelungen. Aber beim Schreiben und durch die Kommentare hier ist das Thema klar geworden. Ich dachte zunächst, es handelt sich um einen kleinen, trivialen Vorgang, Kurzgeschichte eben. Tatsächlich ist es ein zentrales Problem. Und ich arbeite weiter daran, zumindest virtuell. Ob daraus auch eine Geschichte wird, die ich erzählen kann, keine Ahnung. Ich habe das Thema total unterschätzt.
Tausend Dank für deinen Kommentar
PS: Ich habe "die Russen" auch geliebt. "Oblomowerei" war mein Thema. Und ist es scheinbar noch immer.
Heike

 

Hallo Heike,


Ich habe versucht zu verstehen, was du sagtest, und obwohl ich mit meinem Verstand dem nicht unbedingt folgen konnte, gefühlsmäßig pflichte ich dir definitiv bei. Da Schreiben so mühselig ist, wird denke ich, auch vieles ungesagt auf der Strecke bleiben, dennoch, vielleicht wird das Eine oder Andere ankommen und dir eine Hilfe sein.

Zunächst einmal scheint das Schreiben für dich ein Mittel zu sein, um Schmerz/Not etc. zu verarbeiten. Du sprichst von der TRivialität dieser GEfühle und dass sie dennoch Beachtung verdienen und da stimme ich dir bei. Nur - und das ist ein wichtiger Unterschied - ist gutes Schreiben nicht das, gut zu schreiben bedeutet, du kannst Alternativen anbieten. Die TRivialität setzt voraus, dass deine Leser diese GEfühle kennen, dass sie aber im Dunkeln tappen, dass sie nicht wissen wo es langgeht. Als Autorin solltest du auch bereit sein zu lügen und selbst wenn du deine Probleme nicht überwunden hast, in das was du schreibst musst du einen Weg finden, der jeden aus seiner trivialen Misäre hervorhebt.

Es gibt einen einfachen Weg dahin: Liebe. Du musst in deiner Erzählung eine bedingungslose Liebe einbauen und diese Liebe ist nichts anderes als die neutestamentarische Liebe, die ewig verzeihende Liebe einer (fiktiven oder nicht, das ist nicht von Belang) höheren Intelligenz. Ich habe bei den Chinesen den Spruch gehört "Der Himmel macht kein Unterschied, es nährt alle auf gleicher Weise, gute wie schlechte Menschen." Der Himmel ist in ihrer Auffassung so etwas wie unser semitischer Gott und wenn man in der Welt herumschaut, sieht man tasächlich, dass auch die Monster liebevoll aufgezogen werden, dass auch sie gedeihen und sich prächtig vermehren und dass der Himmel ohne Vorwurf und ohne Strafe einfach sein Ding durchzieht.

Da ich keine Therapien in Anspruch genommen habe, kann ich schlecht nachvollziehen, wie solche Sachen funktionieren. Ich habe darüber natürlich gelsen, was aber wichtiger ist, ich habe die Menschen um mich herum beobachtet, die derartige Formen der Heilung in Anspruch genommen haben. Und was mir dabei aufgefallen ist, ist dass die meisten davon eine Fixierung auf das eigene Ich erfahren, dass sie das GEschehen in Täter/Opfer einteilen und alle in der Hoffnung leben, eines Tages würden sie ihr Leid überwinden. Vielleicht fühlst du dich verpflichtet mich eines Besseren zu belehren, mir zu sagen, dass das eine grobe Etiquettierung ist. Ich will dich aber nur auf die vielen TExte hier verweisen und darauf, dass meisten mit "ICH" geschrieben sind. Fast alle sind so mühsam zu lesen, weil man das Schreiben für den verarbeitenden Prozess hält. Zugegeben, in einer Therapie mag das von Nutzen sein, aber Kunst ist das auf keinen Fall. Nichts davon spring über, denn ich als Leser bin mit den gleichen Scheiss konfrontiert. Autor und Leser tappen beide im Dunkeln und ausser Selbstmitleid kann da nichts Gescheites rauskommen.

Daher, lieber zurück auf die Liebe. Es ist dir bestimmt aufgefallen, wie die eigenen Probleme dahinschmelzen, sobald du dich verliebst, nicht wahr? Oder wenn du die Liebe zu einem Kind entdeckst, wie schnell du frei von deiner Not bist. Das ist ein probates Mittel um den Schmerz zu entkommen und das machen Menschen ständig, sie verlieben sich permanent, wünschen sich Kinder, gründen Familien. Was du als Autorin von hier mitnehmen kannst ist, dass du die gleiche Liebe deiner Leser geben musst.

Andererseits ist es so, dass eben die gleichen, die sich der Liebe zuwenden, es selten in einer Beziehung aushalten. Bald sind sie von ihrer Hingabe enttäuscht und dann bleiben sie leer zurück. Warum das ist, ist außschließlich darauf zurückzuführen, dass sie dabei selbstsüchtig gehandelt haben, dass sie die Liebe gesucht haben wie ein schönes Kleidungsstück. Die Liebe aber, die funktioniert nur wenn man selbstlos ist, nur wenn man bereit ist mehr zu geben als zu empfangen. All das besitzt eine kosmische Dimension, man kann das problemlos auf das ganze Universum projizieren. Und was ist für gute Kunst lehrreicher als diesem Prozess nachzueifern, das "Ich" in Zaum zu halten und seine Energie für die Schöpfung bedingungslos zur Verfügung zu stellen.

LAss uns also konkreter werden und überlegen, wie du das umsetzen kannst. Zunächst würde ich vorschlagen, dass bevor du schreibst, du dich emotionell mit bedingungslose Liebe auflädst. Das leere Blatt vor dir ist dein Universum, du bist die Schöpferin und die REgeln des GEschehens entnimmst du deiner eigenen Welt. Kein Charakter verdient es eindimensional beschrieben zu werden. Möchtest du ein Monster zeigen, sprich nicht von seine Missetaten, vielmehr darüber, was für gute Eigenschaften es besitzt. Und wie nebenher lass die Eigenschaften sickern, die ungeübte Autoren dir sofort ins GEsicht werfen würden, die Not, der Hass, die Depression. Es ist ein süsser Schmerz der dann entsteht und deine Leser hast du sofort gefangen. Du hast an ihre Herzen appeliert und sie werden es dir danken.

Es ist auch sehr hilfreich (zumindest am Anfang), keinen Plan zu besitzen, worüber du schreibst. Das heisst, deine Charaktere darfst du nicht in einem Korsett zwingen, sie müssen nicht dies und das tun, nur weil deine Erzählung es von ihnen abverlangt. Lass sie frei und beobachte sie, was für Typen das sind. So funktioniert die echte Liebe auch, du suchst dir dann die Eigenschaften heraus, die es wert sind gefördert zu werden und ganz sanft bringst du sie dazu, dass sie diese Eigenschaften weiter entwickeln. All das machst du selbstverständlich aus Liebe, weil du dich daran erfreust, in deinem Universum das Gute zu fördern. Auch das spüren die Leser, auch dafür werden sie dir unbewusst danken. Langsam wirst du merken, dass da eine Handlung zustande gekommen ist und dann kannst du dir GEdanken darüber machen, wohin die GEschichte geht. Du bist jetzt mittendrin und alles andere ist kinderleicht. (es sei denn, die GRammatik oder die richtige Endung oder bestimmte Artikel dir ein Stock zwischen die Beine werfen und du daran verzweifelst, welche Endung die richtige ist und deine kosmische Liebe im Nu sich in Frust verwandelt)

Ich hoffe, du kannst damit etwas anfangen. Ich hätte gerne noch über das Monster schlechthin gesprochen, Adolf Hitler. Unlängst hatte ich im Fernsehen ein Bericht über seine frühe Kindheit gesehen. Ausnahmsweise hat man sich die Mühe gemacht, sein Umfeld adäquat zu beschreiben, seine Beziehung zu seiner Mutter und den herrschsüchtigen Vater, doch auch das einengende, bürgerlich-bäuerliche Millieu wurde sehr treffend dargestellt. Da hatten wir das blasse Kind, Adolf, seine innige Bindung zu seiner Mutter, sein Schmerz und Leid vor Augen, seine Zuflucht zur Kunst und sein Scheitern in jeder Situation. Überall begegnete das Kind Härte, GEhorsam und Dummheit. Und wie anders wäre alles gekommen, wenn man ihm wohlwollend begegnet wäre, wenn man ihm die bedingungslose Liebe gegeben hätte, die seiner Mutter ihm gab. Es war so rührend, dass mir dabei fast die Tränen gekommen sind. Und das alles, obwohl mir sehr wohl bekannt ist, dass er später zu einem Monster wurde. Soviel nur zu bedingungslose, kosmische Liebe.

Liebe Grüße

Tanghai

 

Hallo Tanghai,
ja ich habe eine ziemlich triviale Geschichte geschrieben. Trivial, kindlich - wie ein anderer Kommentator schreibt - und blass. Geschichten, in denen keine Liebe fließt, wie du schreibst. Du gibst mir gute und sehr gut gemeinte Ratschläge. Ja, da kann man was daraus machen. Schade, dass ich mich nicht verständlich machen konnte. Denn ich beschreibe die größt mögliche Liebe überhaupt: die Liebe zum Leben. Das ist es ja, was man unter bedingungsloser Liebe versteht. Die Eddy (und mit ihm alle Depressiven, Autoimmunerkrankten, Selbstmordgefährdeten, Burnoutler und damit fast 40 % der westlichen Bevölkerung) nicht kennt. Denn er weiß nur und erlebt nur, dass er stirbt. Von Geburt an und unerbitterlich stirbt. Warum sollte man sich dann bemühen - um irgendetwas. Macht doch eh keinen Sinn. Aber dann tut Eddy etwas, was so trivial daher kommt, was aber so ungeheuer schwer ist, dass ein Milliarden Markt an Psychopharmaka-Produzenten, Therapeuten, Ärzten und Kliniken davon profitieren und in der Regel total versagen. Eddy gelingt es, die Perspektive zu wechseln. Zu erkennen, dass man die Wahl hat und dass die andere Perspektive -nämlich "Ich Lebe" Liebe, Freude und Gesundheit bedeuten kann. Leben, was könnte es für eine größere Liebe geben?
Scheinbar scheint eine solche Trivialität nicht wirklich mitteilenswert zu sein. Du bist ja nicht der Einzige, der mein Bild nicht sieht. Also, da muss ich noch gewaltig arbeiten. Entweder an der Botschaft oder an der Zubereitung, besser an Beidem.
Danke herzlich fürs Lesen und Kommentieren. Es hat mir sehr geholfen.
Heike

 

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