Was ist neu

Echtes Leben

Seniors
Beitritt
01.09.2005
Beiträge
1.142
Zuletzt bearbeitet:

Echtes Leben

Wenn man nirgendwo mehr hingehen konnte, um vier Uhr morgens mit Kotze auf der Jacke oder so was, dann ging man in die Klause. Obenrum war Mark sauber, aber er glaubte, Scheiße zu riechen. Als er seine Schuhe überprüfte, setzte Breuer sich neben ihn.
Mark trank gerade das dritte Bier in der Klause. Jedenfalls ging er davon aus. Auf den Abend gerechnet musste es etwa das sechzehnte sein. Er war bei Rocho gewesen und gemeinsam hatten sie sich vor dem Fernseher wegen des zumindest in dieser Höhe vermeidbaren 0:3-Untergangs ihrer Mannschaft geschämt. Rocho hatte sogar seinen Fanschal in den Papierkorb geschmissen, später aber wieder herausgeholt.
Nach dieser Demütigung hatten sie noch einen Film über Bergsteiger gesehen, mit bösen und guten Bergsteigern und zum Schluss müssen alle wegen eines Schneesturms zusammenhalten oder so. Rocho war danach ins Bett gegangen, weil er am nächsten Tag seine Eltern in Köln besuchen wollte, und Mark war allein weiter ins Heide Witzka, wo er nur noch den Bühnenabbau irgendeiner Bluesband mitbekam.
In regelmäßigen Abständen war er zur Theke und wieder zurück zur Wand gestolpert, damit er sich anlehnen konnte. Blicke trafen ihn, als hätte er einen Fleck im Schritt gehabt, und als ihm die Augen zufielen und das Kinn auf die Brust sackte und ihm schließlich im Sekundenschlaf das Bier aus der Hand fiel, da stand plötzlich ein lächerlich schmalbrüstiger Türsteher vor ihm und sagte irgendwas, das endete mit Deshalb würde ich Sie bitten, jetzt zu gehen.
Aber ihm war nicht nach zu Hause, noch nicht. Er hatte auch vergessen, Bier zu kaufen. Im Kühlschrank lagen Fleischwurst und Peperoni. Da blieb nur die Klause.
Besoffen, wie er war, geriet er mit dem Thekenhocker ins Wanken, als er seinen Schuh untersuchte. Breuer fing ihn auf.
„Junger Freund!“, rief er. Von der anderen Seite der Theke schielte der Wirt misstrauisch zu ihnen rüber. Breuer gab ihm ein Zeichen: Ich habe das hier unter Kontrolle. „Das wäre ja fast was gewesen!“ Breuer lachte.
„Entschuldigung“, sagte Mark. „Hab was getrunken.“
„Merkt man nicht“, sagte Breuer und gab ihm einen Klaps auf den Rücken. Mark lächelte. Ein Kraftakt. Breuer orderte zwei Ouzo.
„Auf den Schrecken“, sagte er. Mark nickte. Sie stießen an. Heiße Lakritze brannte in seinem Hals.
„Alles in Ordnung?“, fragte Breuer.
„Alles gut“, sagte Mark.
Breuer zupfte an den Stoppeln seines graumelierten Sechs-Tage-Barts. „So richtig glaube ich dir nicht.“ Er schob Mark einen neuen Ouzo vor die Nase und hob sein Glas. Sie stießen an und tranken. Diesmal musste Mark würgen.
„Du bist zu jung, um dich allein an der Theke volllaufen zu lassen“, sagte Breuer. „Da stimmt was nicht.“
„Ich bin fast dreißig“, sagte Mark.
„Zu jung“, erwiderte Breuer. Er legte eine Hand auf Marks Schenkel. „Finde ich.“
Auch wegen der Uhr an Breuers Handgelenk widerstand Mark dem Reflex, seinen Schenkel zurückzuziehen. Die ins Gold eingelassenen Edelsteine reflektierten das warme, gelbe Thekenlicht. Mark hatte keine Ahnung von Uhren und das Ding mochte eine gefälschte Wasauchimmer sein. Aber sie schien zu dem SLK zu passen, den er draußen gesehen hatte. Der war auf jeden Fall echt.
„Was ist los?“, fragte Breuer.
Mark beobachtete den Wirt drei Gläser lang beim Spülen. „Hab einen kranken Vater zu Hause“, sagte er schließlich.
„Oh“, sagte Breuer. Sein Mund fror kurz ein in der Position für diesen Laut. „Richtig krank?“
Mark entfuhr ein Laut, irgendwo zwischen Lachen, Krächzen und Husten. Sein Hals war trocken. Sie saßen in dichtem Nebel. Die Klause würde das Recht, drinnen zu rauchen, notfalls mit Waffengewalt gegen diesen Staat verteidigen.
„Kann man wohl sagen.“ Mark räusperte sich. „ALS.“
Breuers Augen verengten sich zu Schlitzen.
„Wie Stephen Hawking“, sagte Mark.
„Bitte?“
„Der Wissenschaftler. Schwarze Löcher und der Kram. Im Rollstuhl der, mit der Roboterstimme."
"Ach ja."
"Ist jetzt tot.“
„Wer?“
„Der Hawking.“
Breuer griff seinen Hals, als wollte er sich selbst würgen. „Ach, du Scheiße“, sagte er und kniff in Marks Schenkel.
Mark nickte. „Das haben wir auch gedacht, nach der Diagnose. Wenn du im Internet liest, steht da, der Hawking hat abnormal lang mit dem Kram gelebt. Eigentlich geht das schneller. Mein Vater hat es jetzt vier Jahre und da passiert nicht mehr viel. Nicht allein aufs Klo, gar nichts." Er zeigte auf seinen Bauch. "Hat so einen Schlauch hier, fürs Essen. Machen meine Schwester und ich. Und der Pflegedienst. Meine Mutter ist weg, als er in den Rollstuhl musste. Da wurde es ihr zu krass.“
Breuer streichelte Marks Bein. „Oh, Junge“, sagte er.
Mark sah von der Uhr zu seinem fast leeren Bier. „Weißt du, was das Schlimmste ist?“, fragte er.
Breuer schüttelte den Kopf.
„Wir waren früher im Sommer ein paar Mal an der Nordsee“, sagte Mark. „Da haben wir Videos von. Mein Vater heult sich die Augen aus dem Kopf, wenn wir sie gucken, aber er will sie immer wieder sehen. Der Typ vom Pflegedienst sagt, wir sollen das lassen, wegen Depressionen, aber dann machen wir sie doch immer wieder an, die Videos, weil er es sagt und weil er unser Vater ist.“
Breuer nahm die Hand von Marks Bein. „Junge“, sagte er. Er schüttelte sich, als wäre ihm kalt. „Meine Güte. Du hast alles Recht der Welt, dich allein an der Theke zu besaufen.“
Mark nickte. „Danke.“ Wieder ging sein Blick zu Breuers Uhr. „Weißt du, meine Schwester und ich, wir würden gern mit ihm hochfahren, an die See, aber im Grunde brauchst du dafür einen Bus. Ein behindertengerechtes Hotel. Ein Pfleger muss auch mit.“
Breuer verstand den Sinn dieser nachgereichten Information nicht. Mark sah es in seinen Augen. „Kannst du vergessen“, half er ihm auf die Sprünge. „Kostet alles ein Schweinegeld. Meine Schwester hat das Studium abgebrochen, damit sie sich um ihn kümmern kann. Er hat sich dagegen gewehrt. Ich bin bei Edeka im Lager. Da wirst du auch nicht reich von.“
„Was hat sie studiert?“
„Meine Schwester?“
Breuer nickte.
„Medizin.“
„Wow.“ Breuer, der ebenso eingefallen auf dem Hocker saß wie Mark, streckte anerkennend den Rücken durch.
„Sie ist schlau“, sagte Mark. „Ich nicht.“ Er lächelte schief. „Und ausgerechnet ich muss jetzt die Kohle ranschaffen. Reicht natürlich vorne und hinten nicht.“
Die Worte hingen nicht in der Luft, sie saßen auf den Rauchschwaden zwischen ihnen. Breuer studierte sie eine Weile.
„Was meinst du denn, was kostet so eine Reise?“, fragte er schließlich.
Jetzt nicht zu hastig. Mark zuckte die Schultern. „Zwei-, dreitausend Euro, wenn du jemanden wie meinen Vater dabei hast. Ich meine, damit du wirklich entspannen kannst und keine Schnürsenkel zum Abendbrot essen musst. Vielleicht vier.“
Breuer dachte darüber nach. Er nahm eines der leeren Ouzogläser und klopfte damit einen Takt auf seinen unteren Schneidezähnen. „Ich gebe dir zehn“, sagte er und stellte das Glas wieder ab.
Nüchtern wäre Mark beim Gedanken an so viele Hunderter schwindelig geworden, aber die Welt drehte sich ja bereits. Trotzdem war er kurz sprachlos. Zehntausend Euro, um Gottes Willen. Ein Hunderter war der größte Schein, den er jemals selbst in der Hand gehalten hatte, deshalb stellte er sich Hunderter vor. Hundert Stück. So ein Stapel war sicher ein paar Millimeter dick. Richtig was in der Hand. Er schüttelte den Kopf. Leine geben.
„Das kann ich nicht annehmen“, sagte er. Breuers Finger fanden den Weg zurück auf seinen Schenkel. „Du bist ein guter Kerl“, sagte er.
„Meinst du?“
Breuer nickte etwas zu heftig. „Ein guter Kerl, ein stolzer Kerl. Ich will dir das Geld auch nicht schenken. Du sollst mir dafür einen Gefallen tun.“
Er will hinten rein, dachte Mark. Eine populäre Losung aus Teenagertagen schoss ihm durch den Kopf. Mein Arsch bleibt Jungfrau, hatte man sich da gegenseitig versichert. Niemand wollte eine Schwuchtel sein. Aber jenseits von achtzehn wurde das Leben nun mal komplizierter.
Zehntausend Euro. Mindestens. Dazu all das, was in einem Haus herumliegen mochte, in dem jemand wie Breuer wohnte. Vielleicht hatte das Ding an seinem Handgelenk Kumpels, jeder einzelne davon mehr wert als zehntausend Euro. Und wenn er ansatzweise so besoffen ist wie ich, dachte Mark, kriegt er eh keinen mehr hoch.
„Was denn für einen Gefallen?“, fragte er.
Breuer zwinkerte ihm zu und legte auch die andere Hand auf Marks Schenkel.

Der SLK schwebte durch die Nacht. Mark fühlte sich wie in einem Raumschiff, mit den dezent grün und orange leuchtenden Anzeigen, Sprit, Geschwindigkeit, Radio, ein GPS, alles gedimmt, damit es nicht so blendete. Er wäre eingeschlafen, getragen ins Traumland auf einer Sänfte aus leise aus dem Radio säuselnden Chansons, aber der Gedanke an zehntausend Euro und den bevorstehenden Arschfick hielten ihn wach. Alles hatte seinen Preis. Zehntausend Euro. Menge Holz.
Breuers Fahrweise schien sicher und Mark fragte sich, wie viel weniger als er der geile Bock getrunken haben mochte. Niemand in der Klause hatte ihm dazu geraten, das Auto stehen zu lassen und sich ein Taxi zu rufen. Allerdings war die Klause auch kein Ort, an dem die Leute aufeinander aufpassten.
Die Kurven wurden mehr. Breuer wohnte dort, wohin die Geldsäcke sich zurückgezogen hatten, am Waldrand mit Blick auf den Fluss, hoch gelegen. Um dort hin zu gelangen, mussten sie ein Stück durch Serpentinen fahren. „Je ne regrette rien“, sang Breuer leise mit.
„Das kenne ich“, lallte Mark.
Breuer lachte. „Das kennt jeder.“
Dann waren die ersten Häuser zu sehen. Die Dächer zumindest und die obersten Stockwerke. Der Rest lag versteckt hinter hohen Zäunen. Um überhaupt auf den Hof zu gelangen, mussten Besucher an Sprechanlagen vorstellig werden.
„Wie sind die Nachbarn?“, fragte Mark. „Wer Bekanntes dabei?“
Breuer zuckte die Schultern. „Kann sein“, sagte er. „Kenne ich nicht. Nur mal Hallo. Ich bin lieber in der Klause und höre da den Leuten zu. Wie man zu Geld kommt, weiß ich ja selbst.“
Ach?, dachte Mark.
„Da gibt es auch nicht viel zu erzählen“, sagte Breuer. „Im richtigen Moment rein und im richtigen Moment wieder raus. Mehr ist es im Grunde nicht. Da habe ich das Gefühl für, schon immer gehabt.“
Breuers Haus war das letzte an der Straße. Zwischen den Anwesen wäre Platz gewesen für drei oder vier Häuser von Leuten, die das nicht so im Gefühl hatten mit den Momenten. Die Nachbarschaft legte trotz aller Kameras, die Mark auf dem Weg hierher gesehen hatte, offenbar Wert auf Privatsphäre.
Breuer fummelte eine kleine Fernbedienung aus der Hemdtasche hervor. Das Tor öffnete sich wie das einer Burg, nur nicht von oben nach unten, sondern von links nach rechts. Mark stellte sich Elfenkinder in Ketten vor, die tief unter der Erde nach Breuers Knopfdruck einen Stromstoß versetzt bekamen, sodass sie vor Anstrengung stöhnend den Mechanismus aus riesigen Zahnrädern in Gang setzten, mit dem das Tor geöffnet und geschlossen wurde.
„Was grinst du so?“, fragte Breuer.
Mark winkte ab. „Nichts.“
„Hast dir selbst einen Witz erzählt, was? Ich bewundere ja Leute, die das können.“
Der Mond schien auf blaue Dachpfannen. Darunter lagen die zwei Stockwerke eines strahlend weißen Domizils. Mark kannte solche Häuser nur aus Actionfilmen. Der Böse lebte darin, hatte seine vier Wände mit Drogengeld oder Waffenlieferungen an Terroristen bezahlt.
„Wohnst du hier allein?“, fragte er Breuer.
„Im Grunde ja.“
„Im Grunde?“
Breuer parkte den Mercedes neben einem stillstehenden Brunnen, den vier nackte Bogenschützen aus Bronze bewachten. Sie spannten ihre Waffen und zielten nach oben in die vier Himmelsrichtungen.
„Ich habe ihn nie laufen lassen“, sagte Breuer. „Der Architekt hat drauf bestanden. Ich fand es kitschig, aber ich dachte, was soll's. Jetzt steht das Ding da und ich nehme mir schon ewig vor, es wegreißen zu lassen, komme aber nicht dazu.“
„Verstehe“, sagte Mark, so als müsse jeder sich in seinem Leben mal mit diesem Thema auseinandersetzen. Dass einem der Brunnen nicht mehr gefällt, zu dem man sich von seinem Architekten hat überreden lassen.

Innen war das Haus weniger pompös, fast eine Enttäuschung. Das Wohnzimmer war größer als die Klause und es roch besser darin, es gab einen Kamin und einen Fernseher, hinter dem der größte Teil der Wand verschwand, aber keine Tafelrunde, keine Ritterrüstungen und keine Porträts, die Breuer oder seine Ahnen zeigten. Stattdessen ein Filmplakat von Fritz Langs Die Frau im Mond, gerahmt. Mark blieb davor stehen.
„Ist original“, sagte Breuer. Mark nickte anerkennend, aber seine Gedanken waren woanders. Der Gang durch die frische Luft vom Auto zur Haustür und gut eine Dreiviertelstunde ohne Bier ließen ihn wieder klarer sehen. War er wirklich bereit für Sex mit einem Mann, wegen zehntausend Euro? Fick doch Fritz Lang. Und sich die Taschen vollzumachen, wenn Breuer eingeschlafen war? Er würde nicht zum ersten Mal jemanden bestehlen, aber sich davonzuschleichen, durch den Wald? Die Strecke zurück musste zu Fuß zwei oder drei Stunden dauern. Große Scheiße. Ein Hoch auf die Ideen, die früh morgens kamen, besoffen.
„Willst du was trinken?“, fragte Breuer. Er hielt seinem Gast ein Bier hin, das er geholt hatte, während Mark in Gedanken versunken gewesen war.
„Oh, Mann“, sagte Mark und nahm es. Breuer grinste.
„Setz dich.“ Er zeigte auf ein schwarzes Ledersofa. Mark nahm Platz und stellte sein Bier auf dem Glastisch davor ab. Breuer ließ sich in gehörigem Abstand auf das Sofa sinken, was Mark überraschte.
„Schön, dass du hier bist.“ Er prostete Mark zu, nahm einen Schluck Bier und stellte seine Flasche ebenfalls auf dem Tisch ab. „Was denkst du, warum ich dich eingeladen habe?“
Mark schluckte unwillkürlich. „Du hattest keinen Bock, allein noch ein Bier zu trinken?“
Breuer schüttelte den Kopf, als wäre die Antwort ernst gemeint gewesen.
„Sondern?“, fragte Mark. Ficken, dachte er. Für zehntausend Euro, also stell dich nicht so an.
Breuer sah zur Decke. „Deine Geschichte“, sagte er. Er blickte wieder zu Mark. „Das hat mich berührt.“
Mark überlegte. „Ja“, sagte er nach kurzem Zögern. „Ist krass.“
Breuer hatte Gespür für die richtigen Momente und Rocho konnte Melodien rülpsen, auch wenn er sie nur einmal gehört hatte. Das Lügen war schon immer Marks größtes Talent gewesen. Oft tat er es nicht mal bewusst. Die Lügen kamen ihm hoch wie ein Schluckauf, waren schneller draußen als die Wahrheit. Manchmal vergaß er den Quatsch, den er erzählte, auch genauso schnell wieder, insbesondere, wenn er trank. Er hatte keine Schwester und seinem Vater ging es gut, mal abgesehen von Sorgen um den Sohn ohne Schulabschluss oder Ausbildung und die Leute, mit denen er sich herumtrieb. Die Geschichte mit Bruder und Schwester und ALS hatte er irgendwo im Netz gelesen. Eine von diesen Seiten, Zeilen, die mitten ins Herz treffen, etwas in der Art. Seine Mutter war weg, der Teil stimmte. Ein Fahrradunfall, als er vier gewesen war. Als noch kaum jemand einen Helm trug, außer Rennradfahrern. Die Kante des Bürgersteigs hatte ihren Kopf geknackt wie eine Walnuss. Der Job bei Edeka war nicht echt, Gott sei Dank.
„Es ist eine Tragödie“, sagte Breuer. „Liebe Güte, es tut richtig weh beim Zuhören.“ Er trank einen Schluck Bier. „Umso schöner, dass das Schicksal uns zusammengebracht hat, damit wir beide was voneinander haben.“ Er machte die obersten Knöpfe seines Hemdes auf. Schwarzes Kraushaar mit ein paar grauen Ausreißern darin kam zum Vorschein.
„Ja“, sagte Mark. Zehntausend Euro, dachte er. Du frisst Schwanz, aber danach bist du reich.
„Ich habe auch eine Schwester“, sagte Breuer. „Sie wohnt hier mit mir.“
Im Grunde ja. Mark sah sich um. „Ich denke, du lebst allein?“
Breuer atmete tief ein und wieder aus, als wäre er beim Yoga. „Es ist nicht ganz so einfach.“ Er stellte sein Bier ab. „Und es ist jetzt auch nicht wichtig.“
In Marks Kopfkino lief nicht die Frau im Mond. Stattdessen schlurfte da eine andere Frau verschlafen ins Wohnzimmer, während ihr Bruder gerade mit einem zwanzig Jahre jüngeren Kerl in Fahrt kam, den er in einer Spelunke aufgegabelt hatte. Nicht wichtig. Vermutlich wäre der Anblick für sie also nichts Neues gewesen.
„Wichtig ist, meine Schwester liebt Geschichten“, sagte Breuer. „Und deine, die ist Wahnsinn. Das hat sie unheimlich berührt.“
Mark nickte. „Du meinst, die wird sie berühren.“
„Was hatte ich hier schon für Leute“, sagte Breuer. „Tolle Erzähler. Kennst du Hans Nimmer? Diesen Lokalautor, der die Krimis geschrieben hat mit dem Bauern, der immer die Mordfälle löst? Den habe ich übrigens auch in der Klause getroffen.“
Mark war kein Leser, aber er kannte Nimmer wegen der Schlagzeilen vor ein paar Jahren. Der Autor war spurlos verschwunden. Kleine, feine Eiskristalle pieksten in Marks Nacken.
„Das Problem ist“, fuhr Breuer fort, „und es hat eine Weile gedauert, bis ich das verstanden habe: Jutta will echte Geschichten. Echtes Leben. Es ist ja nun mal nicht so einfach für sie, daran teilzunehmen, und so nimmt sie teil.“
„Jutta?“
„Ach so, entschuldigung.“ Breuer nickte. „Jutta. Meine Schwester.“
Mark rieb sich nervös die Hände. „Hör mal ...“, sagte er. „Ich weiß nicht, ob das hier so eine gute Idee gewesen ist. Vielleicht sollte ich einfach los. Brauchst mir auch kein Geld zu geben.“
„Es war eine gute Idee“, erwiderte Breuer. „Die beste. Und du bist jeden Cent wert. Ich habe Jutta noch nie so zufrieden erlebt.“
Er hat die Haustür abgeschlossen, oder? „Wenn du meinst.“
„Meine ich!“ Breuer klatschte in die Hände. Dann senkte er den Kopf. „Eigentlich hätte ich es schon viel früher ahnen können“, sagte er. „Das hätte ...“, er rieb sich die Stirn, „... insgesamt einfach zu weniger Unglück geführt.“
Mark sah ihn fragend an. Breuer blickte im Raum umher, als hätte er die Antwort verlegt wie Autoschüssel. Plötzlich schnipste er mit den Fingern und zeigte auf das Frau im Mond-Plakat. „Ich liebe Filme“, erklärte er. „Jutta hasst sie. Egal, wie gut sie sind. Sie mag auch nicht, wenn ich ihr was vorlese. Weil das alles gelogen ist.“
Breuer knüpfte sein Hemd weiter auf, doch die Nähte blieben übereinander und bedeckten den Bauch. Eine kleine Schlange kroch unter dem Stoff hervor.
Marks Finger schlossen sich fester um sein Bier. Die Schlange verharrte kurz, so als hätte sie sich genauso erschreckt wie er. Als sie sich wieder bewegte, erkannte Mark, dass es keine Schlange war, sondern ein Arm, etwa so dick wie der eines Babys, aber nicht so fein, nicht so unberührt. Flaum wuchs auf der faltigen Haut.
Der Kopf dessen, was er zunächst für eine Schlange gehalten hatte, war eine Hand, eine unfertige kleine Hand ohne eigenes Gelenk. Zwei Finger vom Durchmesser eines Kugelschreibers zogen Breuers Hemd zur Seite wie einen Vorhang.
Der Schlitz in einer Vertiefung, die Mark zuerst für den Bauchnabel hielt, öffnete sich. Ein kleiner, grauweißer Ball mit einem schwarzen Punkt in der Mitte lag dahinter. Der Ball drehte sich wild in alle Richtungen, bis der schwarze Punkt schließlich auf Mark zeigte. Der machte einen Laut, als hätte ihn jemand in den Unterleib geboxt.
„Ganz ruhig“, sagte Breuer. „Jutta tut niemandem was. Außer mir natürlich.“
„Jutta?“ Mark rückte von Breuer weg, bis die Lehne seiner Flucht ein Ende setzte.
„Sie kann mir wehtun, da machst du dir keine Vorstellung von“, sagte Breuer. „Und so mache ich dann Sachen, die ich gar nicht machen will. Teile von ihr hängen an meiner Prostata.“
„Was?“
„Im Mutterleib habe ich noch geübt“, sagte Breuer. „Im richtigen Moment rein, aber ich habe sie nie wieder raus bekommen.“ Er hustete. „Nein, tut mir leid, natürlich ist das nicht witzig.“
Breuers Bauch war voller Narben, so als hätten sie ihm nicht einen, sondern diverse Blindarme entfernt. Wie er Mark ansah, schien er dessen Aufregung nicht zu verstehen. „Es wird sich nicht wiederholen“, versprach er. „Die anderen waren Lügner. Alles nur erfunden. Wie die Filme. Und Nimmer. Netter Kerl eigentlich, aber, na ja. Früher oder später merkt Jutta das immer. Dann ist sie enttäuscht und wird wütend. “
Breuer legte die Hand auf den Schoß. Liebevoll griff seine Schwester danach. Er küsste ihren Unterarm
„Völlig egal“, sagte Breuer. „Denn du bist anders. Du erzählst vom echten Leben. Von deinem Vater. Und von deiner Schwester. Und vor allem von dir.“
Mark rechnete seine Chancen aus. Er fühlte sich nüchtern vor Angst, aber natürlich war er noch immer betrunken, unendlich viel betrunkener als Breuer. Vielleicht waren die Ouzo sogar dessen einziger Alkohol an diesem Abend gewesen. Mark wollte nicht da enden, wo Nimmer jetzt war. Er wollte nicht herausfinden, wie viele Nimmers es gegeben hatte und was mit ihnen passiert war. Mit all den Lügnern. Die beste Chance, die er hatte, war, der beste Lügner von allen zu sein. Der König der Lügner. Dafür hatte Gott ihm diese Gabe gegeben: Für diesen frühen Morgen auf dem Sofa, besoffen.
„Also, mein Vater hat selbst nur Volksschule und wollte immer, dass aus mir und meiner Schwester was wird“, begann er. Danach kam es einfach so aus ihm heraus, eigentlich wie immer, so wie das Bier nun mal rausfließt, wenn man die Flasche auf den Kopf stellt. Mark log sein Leben daher. Juttas Blick hing an seinen Lippen. Sie verschlang jedes Wort.

 

Hallo @Proof,
deine irre Story erinnerte mich an Scheherazade, die Nacht für Nacht Geschichten erzählen muss, damit der persische König sie nicht köpft. Da ist der arme Mark jetzt in einer fiesen Bredouille, wäre er mal nicht so gierig gewesen! Du hast Horror getagt, aber seltsam würde es für mich fast besser treffen, da der Horror so subtil ist und im Kleid des Suspense um die Ecke kommt. Ich als Leser spüre, dass etwas mit Breuer nicht stimmt. Ich bekomme jedoch nicht gezeigt, was das ist. Die Auflösung arbeitet wie der Rest der Story mit Unsicherheit. Ich als Leser sehe nur einen weißen Ball und was Handähnliches, bekomme nicht zu sehen, was den Lügnern widerfährt, dennoch weiß ich es genau, weil es sich aus der Logik deiner Figuren heraus ergibt. Das ist sehr geschickt gemacht und zieht die Story unglaublich nach vorne. Sehr gerne gelesen.

Eine Kleinigkeit:

Isst durch einen Schlauch in der Nase.
Die Magensonde durch Nase wird oft nur als kurzfristige Lösung angewandt. Da der Vater schon vier Jahre ALS hat, wird er wahrscheinlicher eine sogenannte PEG-Sonde durch die Bauchdecke gelegt bekommen haben, da der Schlauch, der durch den Hals läuft, beim Essen und Sprechen Nachteile bringt.
Peace, linktofink

 

Hallo @Proof ,

mein Kommentar wird jetzt total unproduktiv, aber es muss doch gesagt werden: Ich finde Deine Story wirklich gut, wie sie beginnt und endet oder auch nicht endet. Du zeichnest glaubwürdige Personen nach und lange zweifelt man, warum die Geschichte unter dem Tag „Horror“ steht. Die Auflösung kommt dann abrupt, aber meines Erachtens passt das so. Sprachlich habe ich nichts einzuwenden. Du hast Dein Werkzeug im Griff!

Liebe Grüße
Mae

 

Moin,

@linktofink:

Du hast Horror getagt, aber seltsam würde es für mich fast besser treffen

Das hatte ich unter einer früheren Geschichte auch schon. Anders als Horror ist ja Seltsam keine wirkliche Genrebezeichnung, mehr so ein Hilfskonstrukt für Geschichten, die phantastische Elemente in sich haben aber weder Horror noch Science Fiction noch Fantasy sind. Eine absorbierte Zwillingsschwester, die ihren Bruder zum Morden zwingt, wenn er ihre Bedürfnisse nicht erfüllt, da ist mir Seltsam ehrlich gesagt nicht genug. Seltsam heißt für mich: Meine Ex-Freundin hat eine Waschmaschine, aus der hörst du immer sonntags die Gespräche in einer Offenbacher Kneipe.

Der Hinweis mit der Magensonde klingt nach Fachwissen. Ich ändere das mal, auch wenn es ein absichtlich eingebauter Hinweis sein könnte (ist es nicht), dass Mark Mist erzählt.


@Jjomm:

Mir ist die Geschichte insgesamt zu lang.

Da kann ich so wenig zu sagen. Welche Stellen warum?


Beim Einstiegssatz meinst du wahrscheinlich "hingehen konnte, OHNE...", oder?

???


Lange war mir nicht klar, warum Mark sich fürchtete

Furcht/Angst ist vor der Enthüllung von Jutta wohl auch zu viel. Wird aber auch nicht behauptet. Du hast einen Typen, der besoffen eine gute Idee hat und sich später, etwas weniger besoffen, fragt, wie gut die Idee denn nun wirklich war.


@Maedy:

und lange zweifelt man, warum die Geschichte unter dem Tag „Horror“ steht.

Unter anderem bin ich Fan von Sachen, die sich mittendrin plötzlich drehen. Vielleicht sogar so, dass man sich sagt: Ach stimmt, ist ja eine Horrorgeschichte, ganz vergessen.


Euch allen vielen Dank für eure Kommentare!


Grüße
Proof (Einzelkind)

 

Hallo @AWM,

kenne ich natürlich beides und "Müll und Leichenwagen" gehört zu meinen absoluten Lieblingsfolgen, weil sie auch den Stil der EC Comics so auf den Punkt bringt: Die unsympathischen Prots, derbe Gewalt, schwarzer Humor, fantastico. Hatte ich aber zumindest nicht bewusst im Kopf beim Schreiben. Es gibt ja noch diverse andere Beispiele, Imprint aus den Masters of Horror fällt mir ein und eine ziemlich geile Story aus den alten Gespenster Geschichten von Bastei Lübbe, der siamesische Zwilling ist ja fast sowas wie der Vampir oder der Werwolf. Die Sachen haken sich natürlich im Unterbewusstsein fest. Ich hab mal eine Geschichte in einer Anthologie untergebracht und zwei oder drei Jahre später noch einmal Jerusalem's Lot von King gelesen, die ich mir davor zuletzt als Jugendlicher reingetan hatte. Mann, ich habe mich richtig verjagt wegen der Parallelen. Wäre es mir bewusst gewesen, hätte ich es geändert. War es aber nicht.

Das hier war eine komplett andere Geschichte, als ich mich ans Überarbeiten gemacht habe. Mark war ein junger Unternehmensberater und Breuer sein Senior-Chef. Die beiden saufen auf einen besonders gelungenen Auftrag in Breuers krasser Villa, und dann lockt Breuer Mark in den Keller, wo er einen tollwütigen Schimpansen eingesperrt hat. Durch den Kampf will Breuer herausfinden, ob Mark wirklich das Zeug dazu hat, auf die nächste Stufe zu steigen.

Zurück zu Erde eins. Ich mochte das Bild von der Hand, die das Hemd zur Seite zieht wie einen Vorhang und ich mochte die Narben auf dem Bauch als Hinweis auf die Operationen, die Breuer über sich hat ergehen lassen. Vielleicht ein Versuch, Jutta zumindest von seiner Prostata abzuklemmen? Aber du hast Recht, sieht man den Bauch, sieht man Jutta. Ich dachte halt aufgeknöpft, aber die Nähte noch übereinander, allerdings klar, dann kann man natürlich den Bauch nicht sehen. Ich packe ihn mal nach späterdings.

Den Punkt mit der Schlange verstehe ich nicht ganz, ich muss nochmal schauen.

Vielen Dank für deine Kritik!

Grüße
JC

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber @Proof

Och menno, da schreib ich endlich einen Kommentar und dann kommt @maria.meerhaba vorne rein und erzählt das gleiche, aber mit soviel glühendem Enthusiasmus, dass ich erblasse und nur noch eifrig nachnicken kann und ich bin total bei ihr, wie sie den Text in flammender Rede bespricht, aber dann - ha - der Knick: Der Schluss eine Katastrophe? Mitnichten, der passt für mich perfekt, da will ich gar keine Auflösung, denn es gibt keine, "und no a Mass und no a Mass ... und da sitzt er heit no", und das ist gut so.

Fazit: Genau nach meinem Geschmack, gute Länge, hat Fahrt und einen schönen Twist, der ein böses Ende erahnen, aber doch angenehm offen lässt.

Erinnerte mich an eine Story von Roald Dahl, jetzt nicht von der Story her, aber vom Aufbau, irgendwas mit einer Hummel. Na egal, du führst Mark sehr schön ein, ein richtiger Charmbolzen, spätestensbereits bei der Kotze auf der Jacke wird er einem so richtig "sympatisch". Du nimmst mich beinahe beiläufig auf Marks Reise durch die Nacht, die in Breuers Schicksals-Villa und einem auswegslosen "Langzeit-Auftrag" endet.

Mir hat es echt Spass gemacht, zu wissen, dass mit Breuer was nicht stimmt, wie Mark so ziemlich auf dem Holzweg torkelt und war richtig gespannt, was genau Breuers Intention war, Mark abzuschleppen. Und ja, das Ende ist konsequent, na dann, mögen ihm viele gute Episoden aus seinem Leben einfallen, ohne dass er sich widerspricht. Ich gebe ihm max. 3 Monate, hr, hr.

Knickknacks

„Meine Fresse. Du hast alles Recht der Welt, dich allein an der Theke zu besaufen.“
Irgendwie passt das nicht zu Breuer. Meine Güte, Mein Gott, o.ä. fände ich besser, als Kontrast zu Mark.

Es war der größte Schein, den er jemals selbst in der Hand gehalten hatte
Ein Zehntausender-Schein ist, wie @maria.meerhaba auch schon erwähnte, ziemlich fictional - und es warf mich kurz aus der Geschichte.

Dazu die Dinge, die in einem Haus herumliegen mochten, in dem jemand wie Breuer wohnte. Vielleicht hatte das Ding an seinem Handgelenk Kumpels,
unschöne WW

leuchtenden Anzeigen, Sprit, Öl,
ich weiss, pingelig, aber Ölanzeige? Da gibts doch nur ne Warnlampe für.

Das Tor öffnete sich wie das einer Burg, nur nicht von unten nach oben, sondern von links nach rechts.
Burgen lassen doch die Tore von oben nach unten runter, das ergibt dann meistens auch gleich die Brücke über den Graben.

Breuer hatte Gespür für die richtigen Momente und Rocho konnte Melodien rülpsen, auch wenn er sie nur einmal gehört hatte. Lügen war schon immer Marks größtes Talent gewesen.
Hier stimmt für mich der Sound nicht. Breuers Stärke waren die Richtigen Moment, Rochos das Melodienrülpsen und Marks, das Lügen. Somit klingt der 2. Satz in meine Ohren falsch. Wie wenn er auf den forderen Bezug nehemn würde, wie soll ich es ausdrücken: Und Marks Talent war [das] Lügen. Irgendwie so. Schwierig, Rhabarberer Rhabarber ...

„Liebe Scheiße, es tut richtig weh beim Zuhören.“
Auch hier wieder, Marks speech.
"Mein lieber Schwan, ..." für mehr Kontrast.

da machst du dir keine Vorstellung von“,
wieder eher Marks Speech. -> davon

„Jutta ist deine Schwester?“
Der einzige Moment, bei dem ich nicht ganz mitkam. Diese Rückfrage, ob Jutta seine Schwester sei, kommt mir aus der Luft, da der Name Jutta hier das erste Mal auftaucht.
Einfach nur "Jutta?" fänd ich besser.

sondern diverse Bliddarme entfernt.
Neues Organ? :p


Ein paar Highlights

... da stand plötzlich ein lächerlich schmalbrüstiger Türsteher vor ihm und sagte irgendwas, das endete mit Deshalb würde ich Sie bitten, jetzt zu gehen.
bin überrascht, wie bloss durch den Kniff, "Deshalb" gross zu schreiben, das ganze flüssig zu lesen ist. Muss ich mir merken.

Heiße Lakritze brannte in seinem Hals.
starkes Bild. (Obwohl ich Anis ja nicht ausstehen kann ;))

„Wie Stephen Hawking“, sagte Mark.
„Bitte?“
„Der Wissenschaftler. Schwarze Löcher und der Kram. Im Rollstuhl der, mit der Roboterstimme. Ist jetzt tot.“
„Wer?“
„Der Hawking.“
:lol: Klasse, authentisch, symptomatisch für alle Dialoge.

Er nahm eines der leeren Ouzogläser und klopfte damit einen Takt auf seinen unteren Schneidezähnen.
Man sieht in förmlich nachdenken, sehr gut gezeichnet!

Er will hinten rein, dachte Mark. Eine populäre Losung aus Teenagertagen schoss ihm durch den Kopf. Mein Arsch bleibt Jungfrau, hatte man sich da gegenseitig versichert. Niemand wollte eine Schwuchtel sein. Aber jenseits von achtzehn wurde das Leben nun mal komplizierter.
:D

„Je ne regrette rien“, sang Breuer leise mit.
„Das kenne ich“, lallte Mark.
Breuer lachte. „Das kennt jeder.“
yep, so schön zweideutig.

„Was grinst du so?“, fragte Breuer.
Mark winkte ab. „Nichts.“
„Hast dir selbst einen Witz erzählt, was? Ich bewundere ja Leute, die das können.“
Herrlich, das wirkt so - plastisch, irgendwie.

„Wohnst du hier allein?“, fragte er Breuer.
„Im Grunde ja.“
„Im Grunde?“
Subtile Spannungssteigerung, sehr gut.

Kennst du Hans Nimmer?
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans Nimmermehr, ha ha.

„Und so mache ich dann Sachen, die ich gar nicht machen will. Teile von ihr hängen an meiner Prostata.“
Krass! Aber jetzt hör ich auf zu zitieren, sonst steht hier am Ende noch der ganze Rest der Geschichte. :D

Ich habe mich sehr gut unterhalten gefühlt, danke Proof.
Liebe Grüsse,
dot

 

Hi @Proof,

schaun wir direkt in den Text:

Wenn man nirgendwo mehr hingehen konnte, um vier Uhr morgens mit Kotze auf der Jacke oder so was, dann ging man in die Klause.
„Oder so was“ kann weg.

Obenrum war Mark sauber, aber er glaubte, Scheiße zu riechen.
Ah, okay, das steht da weil Mark eben keine Kotze auf der Jacke hat. Etwas umständlich oder?
Warum nicht einfach: Mark glaubte, Scheiße zu riechen, und überprüfte seine Schuhsohlen, als Breuer sich neben ihn setzte.

Irgendwie habe ich am Anfang etwas Probleme bei der Verortung. Mark sitzt also schon da, an einem Tisch, an der Bar?
Durch den ersten Satz war ich aber gerade noch beim Türsteher, oder wenns den nicht gibt, im Eingangsbereich. Mark steht und schaut unter seiner Schuhe. Und dann setzt sich Breuer neben ihn, verwirrend, da Mark für mich noch steht.

Den ganzen Abschnitt mit Rocho und dem Fussballspiel finde ich ziemlich unnötig. Überhaupt, warum dieser ganze Rückblick mit dem Heide Witzka? Mir ist das alles zu viel, nur um zu zeigen, dass der gute Mark schon ziemlich knülle ist.

Das Gespräch zwischen Breuer und Mark ist spannend und macht neugierig.

Auch wegen der Uhr an Breuers Handgelenk widerstand Mark dem Reflex, seinen Schenkel zurückzuziehen. Die ins Gold eingelassenen Edelsteine reflektierten das warme, gelbe Thekenlicht.
Das macht irgendwie keinen Sinn. Er zuckt nicht zurück, weil die Uhr teuer aussieht? Damit er sie länger betrachten kann? Damit er den reichen Gönner nicht beleidigt?

„Was ist los?“, fragte Breuer.
Mark beobachtete den Wirt drei Gläser lang beim Spülen. „Hab einen kranken Vater zu Hause“, sagte er schließlich.
Das find ich super. :D Breuer dachte wahrscheinlich schon das Gespräch sei vorbei.

Sein Mund fror kurz ein in der Position für diesen Laut.
Das ist aber umständlich. Die erste Hälfte tuts auch.

„Der Wissenschaftler. Schwarze Löcher und der Kram. Im Rollstuhl der, mit der Roboterstimme. Ist jetzt tot.“
„Wer?“
„Der Hawking.“
Verstehe ich nicht. Warum kennt der Breuer Hawking nicht?

Hat so einen Schlauch her, fürs Essen.
Hier und nicht her, oder?

Ich frag mich ja woher die beiden sich kennen. Besonders gut scheint es ja nicht zu sein. Trotzdem wird Breuer ja direkt aufdringlich. Und Mark hat sofort das Geld im Sinn und lässt sich deswegen begrapschen?

Breuer zwinkerte ihm zu und legte auch die andere Hand auf Marks Schenkel.
Beide Hänge nebeneinander auf dem Oberschenkel? Krieg ich irgendwie nicht hin, das Bild.

Er hatte keine Schwester und seinem Vater ging es gut, mal abgesehen von Sorgen um den Sohn ohne Schulabschluss oder Ausbildung und die Leute, mit denen er sich herumtrieb. Die Geschichte mit Bruder und Schwester und ALS hatte er irgendwo im Netz gelesen.
Das hatte ich nicht erwartet. Gut gemacht.

Der Autor war spurlos verschwunden. Kleine, feine Eiskristalle pieksten in Marks Nacken.
Uuuuuuhhh.

Brauchst mir auch kein Geld zu geben.
Komma hinter brauchst?

Liebevoll griff seine Schwester danach. Er küsste ihren Unterarm
Warum ist das Liebevoll in ner anderen Schrift?

Mark log sein Leben daher. Juttas Blick hing an seinen Lippen. Sie verschlang jedes Wort.
Hmm. So viel Vorarbeit und dann ist alles so schnell vorbei. Irgendwie ist mir das am Ende dann etwas wenig. Ich finde es nicht wirklich schlimm, dass das Ende offen ist. Aber diesen Grusel da im Haus – da hättest du doch mehr draus machen können. Die Katze, bzw. die Jutta, ist schnell aus dem Sack und dann lügt Mark los. Wie hat Jutta denn die anderen getötet? Kann der kleine Arm besondere Dinge? Oder zwingt sie ihren Bruder alles für sie zu erledigen? Warum versucht Mark nicht abzuhauen? Oder sich durch eine Lüge daraus zu winden? Ist er immer noch so scharf auf das Geld?

Die Idee finde ich cool, aber ich hab das Gefühl die Gesichte hat zu viel Gewicht an den falschen Stellen. Der Anfang könnte gekürzt werden. Auch die Fahrt zu Breuers Haus ist sehr ausführlich.
Die Szene im Haus selbst ist dann etwas kurz geraten.

Liebe Grüße,
NGK

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Proof,

mir geht es ähnlich wie „dotslash“. Den Kommentar zu deiner Story habe ich nun hin und her geschoben, aber jetzt poste ihn:

Menschliche Chimären...
https://www.welt.de/wissenschaft/article160310216/Die-menschliche-Chimaere.html
Solche Anomalien, mit denen uns das wahre Leben mitunter konfrontiert, als Hobbyschreiber zu toppen, verlangt schon eine reichliche Portion an Recherche und Fantasie, egal, ob nun als Horror- oder Seltsam- oder Sonstwas-Story konzipiert.

In „Ein echtes Leben“ mit reichlich 3418 Wörtern trifft ein schräger, etwas versoffener Typ namens Mark auf Breuer aus der finanziellen Oberschicht. Breuers innenliegende Zwillingsschwester will traurig-schaurige, aber wahre Schicksale hören. Ihr Bruder führt ihr immer wieder Geschichtenerzähler aus recht zweifelhaften Kneipen zu. Diese werden von der Schwester gewöhnlich recht schnell als Lügner entlarvt und müssen sterben. Ob der Prota aber, der ja auch eine faustdicke Lügengeschichte zum Besten gibt, so wie Schehrazade überlebt oder wegen Alkoholgehirnweiche oder Entzugserscheinungen den Faden verliert, bleibt offen. Ich vermute: Er stirbt!
Soweit der Horror als echtes Leben. Wer sich gruselt, ist selber schuld!
(irgendwie denke ich, dass, wenn wegen mieser Storys gestorben wird, du auch solche Geschichten/Autoren hier im Forum im Visier hattest)
Auf einige handwerkliche Besonderheiten in der Geschichte möchte ich gerne aus meiner Sicht näher eingehen.

„Er war bei Rocho gewesen und gemeinsam hatten sie sich vor dem Fernseher wegen des zumindest in dieser Höhe vermeidbaren 0:3-Untergangs ihrer Mannschaft geschämt. Rocho hatte sogar seinen Fanschal in den Papierkorb geschmissen, später aber wieder herausgeholt.
Nach dieser Demütigung hatten sie noch einen Film über Bergsteiger gesehen, mit bösen und guten Bergsteigern und zum Schluss müssen alle wegen eines Schneesturms zusammenhalten oder so. Rocho war danach ins Bett gegangen, weil er am nächsten Tag seine Eltern in Köln besuchen wollte, und Mark war allein weiter ins Heide Witzka, wo er nur noch den Bühnenabbau irgendeiner Bluesband mitbekam.
In regelmäßigen Abständen war er zur Theke und wieder zurück zur Wand gestolpert, damit er sich anlehnen konnte. Blicke trafen ihn, als hätte er einen Fleck im Schritt gehabt, und als ihm die Augen zufielen und das Kinn auf die Brust sackte und ihm schließlich im Sekundenschlaf das Bier aus der Hand fiel, da stand plötzlich ein lächerlich schmalbrüstiger Türsteher vor ihm und sagte irgendwas, das endete mit Deshalb würde ich Sie bitten, jetzt zu gehen. Aber ihm war nicht nach zu Hause, noch nicht. Er hatte auch vergessen, Bier zu kaufen. Im Kühlschrank lagen Fleischwurst und Peperoni. Da blieb nur die Klause.“

Diese Rückblende kommt mir sehr überflüssig vor, weil ich gar keine Funktion darin sehe, wie dadurch Spannung aufgebaut und so die Story vorangetrieben werden soll. Wahrscheinlich stammt der Teil noch vom »Warmschreiben« und dann der Autor das „Kill your darlings“ während der Überarbeitung übersah. Von der Sorte habe ich noch einiges mehr aufgespürt:

„Der SLK schwebte durch die Nacht. Mark fühlte sich wie in einem Raumschiff, mit den dezent grün und orange leuchtenden Anzeigen, Sprit, Öl, Geschwindigkeit, Radio, ein GPS, alles gedimmt, damit es nicht so blendete. Er wäre eingeschlafen, getragen ins Traumland auf einer Sänfte aus leise aus dem Radio säuselnden Chansons, aber der Gedanke an zehntausend Euro und den bevorstehenden Arschfick hielten ihn wach. Alles hatte seinen Preis. Zehntausend Euro. Menge Holz.
Breuers Fahrweise schien sicher und Mark fragte sich, wie viel weniger als er der geile Bock getrunken haben mochte. Niemand in der Klause hatte ihm dazu geraten, das Auto stehen zu lassen und sich ein Taxi zu rufen. Allerdings war die Klause auch kein Ort, an dem die Leute aufeinander aufpassten.“

„Zwischen den Anwesen wäre Platz gewesen für drei oder vier Häuser von Leuten, die das nicht so im Gefühl hatten mit den Momenten. Die Nachbarschaft legte trotz aller Kameras, die Mark auf dem Weg hierher gesehen hatte, offenbar Wert auf Privatsphäre.“

„Breuer fummelte eine kleine Fernbedienung aus der Hemdtasche hervor. Das Tor öffnete sich wie das einer Burg, nur nicht von unten nach oben, sondern von links nach rechts. Mark stellte sich Elfenkinder in Ketten vor, die tief unter der Erde nach Breuers Knopfdruck einen Stromstoß versetzt bekamen, sodass sie vor Anstrengung stöhnend den Mechanismus aus riesigen Zahnrädern in Gang setzten, mit dem das Tor geöffnet und geschlossen wurde.“

„Was grinst du so?“, fragte Breuer.
Mark winkte ab. „Nichts.“
„Hast dir selbst einen Witz erzählt, was? Ich bewundere ja Leute, die das können.“

Irgendein Kommentator schrieb mal zu solchen Plotabzweigungen, glaube ich: „Bla, bla,bla“. Für mich sind das typische Infodumps.

Einige Dialoge sind m.M. ganz gut gelungen. Sie charakterisieren sehr gut die Eigenschaften der Figuren:

„Junger Freund!“, rief er. Von der anderen Seite der Theke schielte der Wirt misstrauisch zu ihnen rüber. Breuer gab ihm ein Zeichen: Ich habe das hier unter Kontrolle. „Das wäre ja fast was gewesen!“ Breuer lachte.
„Entschuldigung“, sagte Mark. „Hab was getrunken.“
„Merkt man nicht“, sagte Breuer und gab ihm einen Klaps auf den Rücken. Mark lächelte. Ein Kraftakt. Breuer orderte zwei Ouzo.
„Auf den Schrecken“, sagte er. Mark nickte. Sie stießen an. Heiße Lakritze brannte in seinem Hals.
„Alles in Ordnung?“, fragte Breuer.
„Alles gut“, sagte Mark.
Breuer zupfte an den Stoppeln seines graumelierten Sechs-Tage-Barts. „So richtig glaube ich dir nicht.“ Er schob Mark einen neuen Ouzo vor die Nase und hob sein Glas. Sie stießen an und tranken. Diesmal musste Mark würgen.
„Du bist zu jung, um dich allein an der Theke volllaufen zu lassen“, sagte Breuer. „Da stimmt was nicht.“
„Ich bin fast dreißig“, sagte Mark.
„Zu jung“, erwiderte Breuer. Er legte eine Hand auf Marks Schenkel. „Finde ich.“

Allerdings bin ich nicht dahinter gestiegen, warum du ab und zu einige Sätzen kursiv gesetzt hast. Ein System innerhalb der Story kann ich leider nicht erkennen, z.B.:

„endete mit Deshalb würde ich Sie bitten, jetzt zu gehen.“
Warum hier nicht einfach wörtliche Rede anwenden?

„Jetzt nicht zu hastig.
Mark zuckte die Schultern“
Hier schwenkt der Erzähler um zum „Allwissenden“.

Beim nächsten Kursivsatz wird das noch deutlicher:

„…jeder einzelne davon mehr wert als zehntausend Euro. Und wenn er ansatzweise so besoffen ist wie ich, dachte Mark, kriegt er eh keinen mehr hoch.“

Die folgenden Kursivsätze sollen was(?) bezwecken:
„Dass einem der Brunnen nicht mehr gefällt, zu dem man sich von seinem Architekten hat überreden lassen.“
„Stattdessen ein Filmplakat von Fritz Langs Die Frau im Mond, gerahmt. Mark blieb davor stehen.“

Noch ein paar Bemerkungen zum Schreibstil:
Irgendwie beißen sich die Ausdrucksweisen des Erzählers, von Mark und auch von Breuer im Laufe des Geschehens von „Unterstes Niveau“ bis sauberes Hochdeutsch, nicht nur wenn Gedanken geäußert werden, wo man das noch akzeptieren könnte. Zwei ExtremBeispiele:

„Wenn man nirgendwo mehr hingehen konnte, um vier Uhr morgens mit Kotze auf der Jacke oder so was, dann ging man in die Klause. Obenrum war Mark sauber, aber er glaubte, Scheiße zu riechen.“

Hier spricht der Erzähler in sogenannter »Güllesprache«. Und an anderer Stelle fällt er plötzlich ins reine Hochdeutsch:

„Um überhaupt auf den Hof zu gelangen, mussten Besucher an Sprechanlagen vorstellig werden.“
Das nennt man Stilbruch! Passiert allerdings ständig, nicht nur dem Erzähler, sondern auch den beiden Protas.
Der Leser zweifelt …und glaubt vielleicht, alle drei hätten einen Zwilling im Körper, welche sich ab und zu Gehör verschaffen.;)


Mein Resümee:
Handwerklich ist die Story ganz gut geschrieben, obwohl mir hier bei dem Thema der Spannungsbogen etwas flach gehalten wurde. Das „unter dem Tisch am Bein fummeln“, beispielsweise, könnte ausgeprägter sein, sodass der Leser am Ende meint: „Aha! Dort hatte schon die Schwester ihre Hand im Spiel!“
Die Geschichte verliert nach und nach immer mehr an Fahrt. Abschweifungen vom Plot reißen den Leser oft weg vom Geschehen. Irgendwie ist dann die Luft raus.
Beim Horrorthema mit „Menschliche Chimären“ hätte ich mir mehr Aktion und am Ende einen gewaltigen Paukenschlag gewünscht.

Gruß
Petriso2

 
Zuletzt bearbeitet:

So Freunde,

@maria.meerhaba:

bei Satz zwei und drei bleibe ich plötzlich hängen

Warum?


Mit dem Zehntausender fand ich, das war klar, weil ja im selben Satz noch der Hunderter kommt. Ich mache es mal eindeutiger.


Das offene Ende. Immer, wenn ich ein offenes Ende habe, schreibt mindestens einer drunter: Warum hört 'n das mittendrin auf, hast du keinen Bock mehr gehabt?

Gibt es eigentlich Kriterien für legitime und illegitime offene Enden, abgesehen vom persönlichen Empfinden oder meinem Wunsch, die Geschichte möge weitergehen, weil ich gerade so schön dabei war?

Illegitim wäre für mich ein Abbruch bei der Autofahrt. Während der Mercedes durch die Dunkelheit schwebt, denkt Mark sich: Mal schauen, was die Nacht noch so bringt. Ende. Diverse Fäden ausgelegt, aber nicht zusammengeführt.

Ein für meinen Geschmack sehr gutes offenes Ende habe ich mal bei Clemens Meyer gelesen. Ich bin gerade zu faul, den Namen der Geschichte zu googeln. Der Prot ist pleite wie fast alle bei Meyer und er will auf der Rennbahn das Geld zusammenspielen, um sich die OP für seinen Hund leisten zu können. Gegen die Wahrscheinlichkeiten klappt das. Auch mal Glück gehabt im Leben. Gut drauf verlässt er die Rennbahn. So gut, dass er die drei Typen nicht bemerkt, die hinter ihm herkommen. Ende.

Vielleicht empfinde ich das auch das deshalb als offenes Ende, das klargeht, weil es gar nicht offen ist. Die drei Typen hauen dem Prot was vor die Mappe und nehmen ihm die Kohle wieder ab. Wie gewonnen, so Hund tot. Das könnte man ausformulieren, aber dadurch würde die Geschichte definitiv was einbüßen.

Was ist denn jetzt bei mir so offen, dass du dir das Ende selbst schreiben musst? Wenn er nicht gestorben ist, erzählt er da bis heute seinen Blödsinn. Genau. Ist das wirklich eine ernstgemeinte Option? Nach allem, was bis hierher passiert ist? Nachdem wir wissen, wer Jutta Scheiße erzählt, kommt in den Ausguss und nachdem wir wissen, Mark verliert insbesondere besoffen schon mal den Überblick bei seiner Lügerei, wird sich also zwangsläufig früher oder später in Widersprüche verstricken? Gibt es wirklich so unendlich viele Wege, die die Geschichte ab hier noch beschreiten könnte und ich bin einfach zu faul, mich für einen davon zu entscheiden und es aufzuschreiben? Ich lasse das mal offen.

Aber Total Recall – gut erkannt!


@dotslash:

Das mit Breuers Sprache ist so ein Punkt. Ich wollte ihn nicht noch mehr zu so einer Reicher-Mann-Karikatur degenerieren lassen, als ich das vielleicht sowieso schon getan habe. Es stimmt ja auch nicht. Die Welt von Kaufen und Verkaufen ist laut und vulgär und so reden die Leute auch häufig. Auf der anderen Seite ist er natürlich nicht so das typische Salesfloor-Frontschwein. Muss ich nochmal drüber nachdenken.


ich weiss, pingelig, aber Ölanzeige?

Jo, mit dem Öl stimmt.


Burgen lassen doch die Tore von oben nach unten runter,

Ich hatte eine andere Art von Burgtor vor Augen, vertikal nach oben, kein Graben. Wahrscheinlich ist das andere gängiger.


Mit dem Artikel vor dem Lügen klingt es glaube ich wirklich flüssiger.

Einfach nur "Jutta?" fänd ich besser.

Ich glaube, ich auch. Und dann ein Nicken. „Meine Schwester.“


Hans Nimmer … ist mir gar nicht aufgefallen.


@Nichtgeburtstagskind:

Das „oder so was“ ist ein recht bewusst gesetztes umgangssprachliches Element. Da jemand vorher etwas in der Art schrieb: Mark hat keine Kotze auf der Jacke. Die Klause ist der Laden, in den man noch gehen kann, wenn man zum Beispiel Kotze auf der Jacke hat. Oder so was.

Also, diese Sachen da am Anfang, für mich erschließen die sich alle recht logisch. Da steht nichts von einem Eingang oder dass Mark irgendwo steht. Stattdessen recht früh, im dritten Satz, dass sich jemand neben ihn setzt, demnach muss er wohl sitzen.


Den ganzen Abschnitt mit Rocho und dem Fussballspiel finde ich ziemlich unnötig.

Klar, ich könnte mich bis Breuer auch kürzer fassen. Tatsählich hatte ich kurz überlegt, hier zu beginnen: „Besoffen, wie er war, geriet er mit dem Thekenhocker ins Wanken, als er seinen Schuh untersuchte. Breuer fing ihn auf.“ Finde aber, dass ich Mark da schon ein bisschen zeichne – er kommt mir insgesamt nicht vor wie jemand, den man gemeinhin so als Gewinnertypen bezeichnen würde -, und nicht nur schreibe, dass er gesoffen hat, weil ich das eben gleich noch brauche, dass er besoffen ist.


Damit er den reichen Gönner nicht beleidigt?

Du hast manchmal so eine Art, Fragen zu stellen, die die Antwort mit beinhalten, so dass man sich fragt, warum du die Frage stellst.


Bei Hawking würde ich sagen, es interessiert sich nicht jeder für alles. Aber du hast schon Recht, er hat so einen Superstarstatus. Es ist, als würde man Michael Jackson nicht kennen. Ich schreibe es mal ein bisschen um.


Ich frag mich ja woher die beiden sich kennen.

Tun sie nicht, steht ja auch nirgends. Was mir aber durch die Bemerkung aufgefallen ist: Sie stellen sich einander gar nicht vor und sprechen sich beide nicht ein Mal mit Namen an.


Trotzdem wird Breuer ja direkt aufdringlich.

Uhrzeit, Alkohol.


Und Mark hat sofort das Geld im Sinn und lässt sich deswegen begrapschen?

Diese Fragen halt.


Beide Hänge nebeneinander auf dem Oberschenkel? Krieg ich irgendwie nicht hin, das Bild.

Wo ist das Problem? Der durchschnittliche Oberschenkel ist schon länger als zwei Handbreit.


Komma hinter brauchst?

Häh?


Liebevoll: Formatierungsfehler.


Oder zwingt sie ihren Bruder alles für sie zu erledigen?

„Und so mache ich dann Sachen, die ich gar nicht machen will. Teile von ihr hängen an meiner Prostata.“


Warum versucht Mark nicht abzuhauen?

Er hat die Haustür abgeschlossen, oder?


Oder sich durch eine Lüge daraus zu winden?

Die beste Chance, die er hatte, war, der beste Lügner von allen zu sein. Der König der Lügner. Dafür hatte Gott ihm diese Gabe gegeben: Für diesen frühen Morgen auf dem Sofa, besoffen.


Ist er immer noch so scharf auf das Geld?

„Ich weiß nicht, ob das hier so eine gute Idee gewesen ist. Vielleicht sollte ich einfach los. Brauchst mir auch kein Geld zu geben.“


@Petriso2:

mir geht es ähnlich wie „dotslash“.

Tief drin sind wir alle wie dotslash.


Diese Rückblende kommt mir sehr überflüssig vor, weil ich gar keine Funktion darin sehe,

Er ist sehr betrunken und da steht, wie es dazu kam. Ich könnte auch einfach schreiben: Er war betrunken, aber ich find's so besser.


Irgendein Kommentator schrieb mal zu solchen Plotabzweigungen, glaube ich: „Bla, bla,bla“. Für mich sind das typische Infodumps.

Beide Begriffe sind falsch benutzt. Eine Plotabzweigung wäre, wenn ich auf die bevorstehende Scheidung des Wirtes einginge, wie es dazu kam, wegen der Affäre nach dem Sommerfest, und dann verlassen sie die Kneipe und der Wirt, genau wie in dieser vorliegenden Version der Geschichte, spielt überhaupt keine Rolle mehr.

Auch ein Infodump bezeichnet ja etwas sehr Spezielles. Wenn ich einen Science-Fiction-Krimi habe, zwei Cops ermitteln in einem Mordfall, und das Setting ist, wir haben 2078 und 2022 wurde die Erde von Außerirdischen erobert, die genau wie die Römer die bereits etablierte Kultur nicht einfach plattgemacht, sondern sie sich einverleibt haben, und dann sitzen die beiden Cops in ihrem Gleiter und machen Mittagspause, und anstatt einen natürlichen Dialog zu führen wie: „Kann ich deinen Senf haben? Der ist dir eh zu scharf mit deinem Magengeschwür.“, sagt der eine: „Neulich habe ich wieder darüber nachgedacht, wie das gewesen sein muss damals, 2022, als die Erde von Außerirdischen erobert wurde, die genau wie die Römer die bereits etablierte Kultur nicht einfach plattgemacht, sondern sie sich einverleibt haben.“, und dann sagt der andere: „Ja, das muss was gewesen sein. Kann ich deinen Senf haben?“ Ein unnatürlicher Dialog also, aus dem man heraushört, dass der Autor da Infos rüberbringen will und sie deshalb völlig deplatziert einer Figur in den Mund legt, sie da einfach reindumpt – das ist ein Infodump (Man kann Infos z.B. über eine Figur natürlich auch einfach so in den Text dumpen, aber das ist dann noch platter). Du meinst vielleicht, dass dir alles zu lange dauert, und kürzen geht, klar, immer, aber das sind schon alles Teile der Geschichte.


Ein System innerhalb der Story kann ich leider nicht erkennen

Kursiv stehen bei mir: Titel von Filmen, Büchern, Songs etc., Gedanken und Dinge, die ich mit einer besonderen Betonung hervorheben möchte (von seinem Architekten = WTF???). Das machen bestimmt nicht alle so, aber schon viele, ich habe mir das nicht ausgedacht.


Das nennt man Stilbruch!

Also, so gewaltig finde ich den Abstand zwischen „oder so“ und „vorstellig werden“ jetzt nicht. Ist ja nicht „Ich ward vom Regen durch die Gassen getrieben“ vs. „Hurenwetter, Alter!“


Vielen Dank für eure Kommentare, Kritiken, Korrekturen und Leseeindrücke!


Glückliche Geburt
Proof

 

Hi @Proof

ich bin spät dran, so dass da nicht mehr viel an Textkram übrigbleibt.

Die Klause würde das Recht, drinnen zu rauchen, notfalls mit Waffengewalt gegen diesen Staat verteidigen.
Das sagt alles. Eine sehr gute Beschreibung dieser Kneipe.

„Wie Stephen Hawking“, sagte Mark.
„Bitte?“
„Der Wissenschaftler. Schwarze Löcher und der Kram. Im Rollstuhl der, mit der Roboterstimme."
"Ach ja."
"Ist jetzt tot.“
„Wer?“
„Der Hawking.“
Starker Dialog.

Er zeigte auf seinen Bauch. "Hat so einen Schlauch her, fürs Essen.
her = hier

Breuer verstand den Sinn dieser nachgereichten Information nicht. Mark sah es in seinen Augen.
Hehe, falsch gedacht.

„Das kann ich nicht annehmen“, sagte er. Breuers Finger fanden den Weg zurück auf seinen Schenkel. „Du bist ein guter Kerl“, sagte er.
Oh, oh. Man ahnt langsam, was da abgeht.

Dazu all das, was in einem Haus herumliegen mochten, in dem jemand wie Breuer wohnte.
mochten = mochte

Das Lügen war schon immer Marks größtes Talent gewesen.
Eine der vielen Wendungen. Prima!

Er hatte keine Schwester und seinem Vater ging es gut, mal abgesehen von Sorgen um den Sohn ohne Schulabschluss oder Ausbildung und die Leute, mit denen er sich herumtrieb.
Das könnte man gut und gerne weglassen, diese Erklärung.

Als sie sich wieder bewegte, erkannte Mark, dass es keine Schlange war, sondern ein Arm, etwa so dick wie der eines Babys, aber nicht so fein, nicht so unberührt. Flaum wuchs auf der faltigen Haut.
Igitt.

„Ganz ruhig“, sagte Breuer. „Jutta tut niemandem was. Außer mir natürlich.“
„Jutta?“
Der Name Jutta passt super.

„Die anderen waren Lügner. Alles nur erfunden. Wie die Filme. Und Nimmer. Netter Kerl eigentlich, aber, na ja. Früher oder später merkt Jutta das immer. Dann ist sie enttäuscht und wird wütend.(kein Leerzeichen)
Man ahnt schon wieder, was da geschehen mag. Ich als Leser mache mir echt Sorgen um Mark.

Er küsste ihren Unterarm (Punkt)
Abgefahren.

Eine Wendung folgt der nächsten.
Hat mir sehr gut gefallen.
Handwerklich 1A.

Viele Grüße,
GoMusic

 

Hallo @GoMusic,

vielen Dank für deine Verbesserungen. Den her/hier hatte glaube ich schon wer, ich habe ihn blöderweise vergessen.

Die Kürzung, die du vorschlägst, ich weiß nicht, ob die nicht mehr schaden als nutzen würde. Einige Leser sind sicher ganz dankbar für diese Ausformulierung, zumal sie ja auch was über Mark sagt, was für ein Halodri das ist und wie dreist der sein kann, sich so eine fiese Sache einfach zu eigen zu machen. I mag net schneiden, auch auf die Gefahr hin, dass andere als die oben Erwähnten die Augen rollen.

Hat mir sehr gut gefallen.
Danke!

Viele Grüße
JC

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom