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Ebbe und Flut

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27.05.2016
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Ebbe und Flut

Der Süden Schottlands mag zum Verweilen einladen. Ob das auch für meine Heimatstadt gilt, wage ich zu bezweifeln, lehrte mich Stranraer in meinen zwanzig Lebensjahren doch eines Besseren. Nun stehe ich zwar nicht in Kontakt zu den Bewohnern und darf mir deshalb nur schwerlich ein Urteil erlauben. Dennoch befürchte ich, dass hier lediglich diejenigen wohnen, die bereits angekommen sind oder sich gar nicht erst auf die Suche gemacht haben. Ich kenne niemanden, mit dem ich mich über meine kulturellen Interessen austauschen könnte. Ebenso wenig kann ich mir die depressiven, mitunter schon suizidalen Gedanken von der Seele reden. Dass es kein Theater gibt, - geschenkt. Der Therapeut hingegen fehlt mir sehr. Gleiches gilt für das Arbeitsamt. Es scheint niemanden zu interessieren, was ich getrieben habe, seit ich vor fünf Jahren von der Schule abgegangen bin. Nichts, außer meinen Niedergang voranzutreiben. Und zum Bahnhof zu gehen.
Die eintreffenden Züge interessieren mich nicht. Ich glaube, es sind zwei pro Tag. Endstation Tristesse. Wer Stranraer verlassen möchte, ist auf den Zug angewiesen, der stets um 12:50 Uhr gen Glasgow aufbricht. Mit Ausnahme des Ruhetages, den der Fahrer wohl im Kreise seiner Liebsten verbringt.
An jedem dieser sechs Tage stehe ich dort und wünsche mir nichts sehnlicher, als meinen Willen in die Tat umzusetzen. Ich möchte einsteigen. Seit nunmehr zwei Jahren scheitere ich an dem Versuch, mein altes Leben aufzugeben. Nichts hält mich hier, und obwohl die Luft Stranraers klarer ist als die in Glasgow, so sagt man, schnürt mir jeder weitere Atemzug die Kehle zu.
Die Landstraße, die von dem Fährhafen nach Stranraer führt, verliert mit den ersten Reihenhäusern das Hoffnungsvolle. Die Fassade meines Hauses ist grauer als die Straße selbst. Die triste Atmosphäre steigert sich mit jedem Schritt in Richtung Stadtleben. "Leben". Die Steinplattform am Meer ist davon ausgenommen. Ich schreite die Stufen hinab, um dort zu pausieren, wenn ich ernüchtert vom Bahnhof zurückkehre. Ich setze mich, warte, bis die Ebbe einsetzt - für gewöhnlich dauert das drei Stunden -, hebe einen rötlichen Stein auf und kratze damit meinen Wunsch in den Beton.
Trüge mich die Flut doch bloß auf das offene Meer. Raus aus dem falschen Schutz, den diese Bucht bietet. Stranraer ist mein Hafen, an dem ich zwar sicher bin, jedoch Tag für Tag mehr einroste, um schließlich unterzugehen.

Es ist mir nicht möglich, mein tägliches Pensum abzuspulen. An meinem Stammplatz sitzt ein junger Mann; ein großer Wanderrucksack verdeckt seinen Rücken. Offenbar ein Ledertourist.
Da ich sein Gesicht nicht sehe, ist es wohl der Lebensstil, den ich bewundere. Ich fühle mich von ihm angezogen. Das rotschwarze Holzfällerhemd fängt die Strahlen der Sonne auf. Der Wind wirbelt das karierte Oberteil einige Zentimeter nach oben, sodass im Hüftbereich blanke Haut zum Vorschein kommt, von der ich meinen Blick erst abwenden kann, als der Geruch des Mannes die Treppe hinaufgeweht wird. Er riecht nach grenzenloser Freiheit, samt einer Prise Geborgenheit.
Ich möchte ihm Gesellschaft leisten, fragen, ob er die Versprechen seiner Duftnote halten kann. Seine Präsenz noch intensiver zu spüren, wäre befriedigend genug und Schweigen folglich angenehmer. Zumindest vorerst.
Aber was soll er mit einem gebrochenen Mädchen wie mir? Ballast. Genauso gut könnte er sein Gepäck mit Steinen füllen. Nicht die bunten Geschenke des Meeres, eher Ziegelsteine.

Wie es scheint, kann man auch in Stranraer zwei Züge an einem Tag verpassen.

Wenn ich scheitere, mein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, und dann nach Hause komme, fühlt es sich an, als hätte jemand das Licht ausgeschaltet. Dunkel ist es immer, nun umgibt mich ein pechschwarzer Mantel.
An Glasgow werde ich mir morgen erneut die Zähne ausbeißen, aber was ist mit dem Mann vom Ufer? Mittlerweile dürfte das Meer dem Watt gewichen sein. Was er wohl mit den farbenfrohen Steinen verbindet?
Bis ich endlich einschlafe, vergehen Stunden. Ich versuche, mich in eine andere Welt zu träumen, und ende bei dem Wunsch, nicht wieder aufzuwachen. Fern von jeglichen Träumen.

Eine knappe halbe Stunde, nachdem die Uhr meines verstorbenen Vaters zwölfmal geschlagen hat, erreiche ich den Tiefpunkt meiner Feigheit. Obwohl mich Beine, Herz und Hirn zur rechten Seite der Straße ziehen, von welcher ich auf den Platz sehen könnte, an dem der Mann von gestern saß, ist es mir unmöglich, das Kopfsteinpflaster zu überqueren.
Vater, den ich nur bei seinem Namen nennen durfte, würde sich im Grab umdrehen, sähe er, was aus mir geworden ist. Sofern Ryan denn je etwas für mich empfunden hat. Wahrscheinlich selbst dann nicht. Nach sechs Jahren, neun Monaten und einundzwanzig Tagen dürfte nicht mehr allzu viel von ihm übrig sein. Seine Überreste teilen sich den Sarg mit grenzenloser Leere. Welch Sinnbild meines Inneren.

Natürlich bin ich auch heute nicht eingestiegen. Alte Männer und junge Mädchen – niemand ziert sich, nach Glasgow zu fahren. Möglicherweise steigen sie in Ayr aus, vielleicht verfolgt keiner die Intention, ein neues Leben zu beginnen, doch im Gegensatz zu mir, lassen sie Stranraer hinter sich. Ob kurz- oder langfristig, sei dahingestellt. Ein jeder von ihnen lässt mehr zurück, als ich je besessen habe.

Ich möchte auf den linken Bürgersteig wechseln, sehe mich aber nicht in der Lage dazu. Trotz der Straße, die zwischen uns liegt, dringen peitschende Wellenschläge in mein Ohr. Eines Tages hat ein gelbschwarzes Schild davor gewarnt, dass Brecher dieser Art ganz unerwartet eintreten können, beispielsweise wenn große Schiffe die Bucht verlassen. Ebenso kann der Wind das Salz in die Höhe schnellen lassen.
Eine Böe trägt den lieblichen Geruch des Mannes erneut zu mir. Er duftet nach Leben.
Erst als es windstill wird, kann ich mich von der Wurzel lösen, die meine Beine umschlingt. Ich gehe. Ich schlurfe. Ich krieche. Nach Hause.

Weder hat Alkohol eine wärmende Wirkung, noch lässt er mich vergessen. Sich Mut antrinken? Funktioniert nicht. Ich trinke um des Trinkens Willen, wobei das ziemlich paradox ist, da ich keinen Gefallen an dem Konsum finde. Jeder Schluck schwächt meine geschundenen Lebensgeister.

Sollte das bloß ein Traum gewesen sein, wird dieser meinem eigenen Bild von mir gerecht. Geschah Folgendes tatsächlich, wäre mein Verhalten keine allzu große Überraschung.
Ich saß auf der schmalen Mauer, die Straße und Steinplattform voneinander trennt. Es dämmerte bereits. Ich schloss die Augen und wähnte mich neben ihm.
Mein Kopf lag auf seinem Schoß, seine Lippen flüsterten meiner Seele neues Leben ein, und er versprach, mir die Welt zu zeigen; unwissend, dass ich ihn bereits zu meinem Universum erklärt hatte, denn noch bevor das ausgesprochen werden konnte, stürzte ich.
Keine Ahnung, ob er sich umgedreht hat. Scham, die lauter als mein Aufschrei war, nahm meine Beine in die Hand und binnen weniger Sekunden stolperte ich die Treppe hoch und verschwand aus seinem möglichen Blickfeld.
Den blauen Flecken zufolge fand dieses Trauerspiel statt. Die Schmach dröhnt schlimmer als mein Kopf.

Ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Womöglich ist das gut so, denn all die Produkte meiner bisherigen Überlegungen waren zum Scheitern verurteilt.
Im wahrsten Sinne des Wortes lasse ich den Bahnhof links liegen, steige die Treppe hinab, setze mich mit einem gewissen Abstand neben den Mann, und der laute Pfeifton verrät mir, dass ich niemals in Glasgow ankommen werde. Ohne Groll nehme ich das zur Kenntnis.

Als die Ebbe einsetzt, gute dreieinhalb Stunden später, riskiere ich den ersten Blick zur linken Seite. Ist das ein Lächeln? Er sieht ziemlich dünn aus. Beinahe abgemagert, aber glücklich. Zufrieden. Als wüsste er, was die Welt im Innersten zusammenhält.
Ich versuche, das Lächeln meines Herzens zu visualisieren. Keine Reaktion. Eine stotternde Begrüßung erfordert meinen ganzen Mut. Keine Reaktion. Ich taste mich in seine Richtung vor, greife nach der dürren Hand, und obwohl sie mich wärmt, spüre ich ihre Kälte. Ich halte seine Hand noch eine Weile.

Die Ebbe lässt es zu, bis zum Ende der offenen Bucht zu gehen. Dort warte ich auf die Flut.

 

Hallo JackOve,

wir hatten noch nicht das Vergnügen, daher zunächst ein herzliches Willkommen hier. :shy:

Voller Vorfreude habe ich mich auf deine Story gestürzt, mag ich ja Geschichten über Schottland, wo ich selber erst vorheriges Jahr dort war …

Dann beginnt der Text aber leider wie ein Wikipedia-Eintrag:

Stranraer ist eine Kleinstadt im Süden Schottlands. Es gibt einen Bahnhof, dessen einziger Zug stets um 12:50 Uhr gen Glasgow aufbricht. Täglich, außer sonntags.
Gerade der Satz muss gut, sehr gut sein, um die Leser zu packen. Ich finde, hier vergibst du viel Potenzial.

Da ich in einem der ersten Reihenhäuser dieser in Tristesse erstickenden Stadt wohne, kann ich mich während dem Spießrutenlauf zum Bahnhof wenigstens an dem Meer erfreuen.
Erste Reihenhäuser? Waren da bisher nur Cottons und dann wurden Reihenhäuser gebaut oder wohnt er in den Reihenhäusern die am nahesten zum Bahnhof liegen?
Da sind außerdem viel zu viele Informationen im Satz. Wo er wohnt, wo die Häuser sind, dass die Stadt tristes ist, dass man auf dem Weg am Meer vorbei kommt …
Lass dir Zeit für die Beschreibung.

Für gewöhnlich nehme ich auf der Steinplattform platz, warte drei Stunden, bis die Ebbe einsetzt, und kratze meinen Wunsch in den Beton.
Ein Satz, mit dem ich zwei Probleme habe:
Wartet er auf die Ebbe oder auf den Zug, wie ich erst dachte? Seit wann kann man in Beton was (mit den Fingern oder womit?) einkratzen?

Die Möglichkeit, mein tägliches Pensum wie immer abzuspulen, wird mir nicht verwehrt, ich beraube mich ihrer selbst.
Von welchem täglichen Pensum sprichst du? Ich verstehe nur Bahnhof.

An meinem Stammplatz sitzt ein junger Mann; ein großer Wanderrucksack verdeckt seinen Rücken.
Das heißt, der Prota sieht den Mann von hinten. Wie kann er wissen, dass er jung ist?

Die schwarzen Vierecke auf dem roten Holzfällerhemd lassen der Sonne keine andere Wahl, als die Wolken beiseite zu schieben.
Oh Mann. Das finde ich zu bemüht kitschig. :Pfeif:

Der Wind wirbelt das karierte Oberteil einige Zentimeter nach oben, sodass im Hüftbereich blanke Haut zum Vorschein kommt, von der ich meinen Blick erst abwenden kann, als der Geruch des Mannes die Treppe hinaufgeweht wird.
Treppe? Welche Treppe? Vielleicht hättest du vorher schreiben können, der Mann sitzt treppabwärts oder ähnlich ...

Ich höre hier Mal auf, da ich über fast jeden zweiten Satz stolpere. :hmm:

Du hast die Bilder deiner Story im Kopf, schaffst es aber nicht, mir sie zu vermitteln.
Mal sehen, was andere Kommentatoren hier noch sagen. Mich überzeugt der Text leider nicht.

Eines fiel mir noch beim Überfliegen auf:

Aber was soll er mit einem gebrochenen Mädchen wie mir?
Hier war ich überrascht, hatte ich doch einen Mann als Prota erwartet.

Wünsche dir noch viel Spaß hier.
Und: Nehme die Kritik nicht persönlich. Vielleicht kannst du damit ja was anfangen. Würde mich freuen.

Liebe Grüße,
GoMusic

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo GoMusic,

danke für das Willkommen heißen. Ich fühle mich sehr wohl bei den Wortkriegern.
Deine Kritik nehme ich nicht persönlich, freue mich vielmehr über deine Anmerkungen, auf die ich gleich eingehen möchte. Allerdings trifft es mich doch sehr, dass du über die Hälfte der Sätze stolperst, da ich das, um ehrlich zu sein, nicht wirklich nachvollziehen kann. Außerdem wüsste ich gerne, was du von der Geschichte selbst hältst. Ob beziehungsweise wie du sie verstanden hast.

Nun, wenn meine einleitenden Sätze dich nicht gepackt haben, lockten sie dich doch wenigstens an. Aber du hast natürlich recht; das ist ausbaufähig. Allzu große Änderungen werde ich an der Einleitung jedoch nicht vornehmen, sie wohl lediglich hübscher formulieren. Ich finde sie nämlich recht aussagekräftig. Kleinstadt, nur ein Zug pro Tag - die Tristesse ist greifbar.
Wenn ich diese in die Einleitung einbaue, kann ich eine Information aus dem zu "voll gepackten Satz" streichen.
Vor den Reihenhäusern sind tatsächlich keine anderen Bauten. Ungefähr 10 Kilometer von Stranraer entfernt liegt ein Fährhafen. Zwischen diesem und der Kleinstadt ist nichts außer einer schmalen Landstraße, Weiden und Meer. An dieser Strecke habe ich mich im vergangenen Jahr nach einem Aufenthalt in dem noch tristeren Belfast erfreut.

Bei deinem folgenden Punkt habe ich mich absolut missverständlich ausgedrückt. Sie geht erst zum Bahnhof, dann, auf dem Rückweg, setzt sie sich ans Meer.
Nicht mit den Fingern, aber mit einem Stein oder Scherben kann durchaus Spuren in Beton hinterlassen.

Tägliches Pensum... Nun, das ist sehr wichtig für meine Geschichte, da es gar nicht existiert beziehungsweise so dürftig ist, dass es sich dafür kaum zu leben lohnt. Ihre Tage bestehen ausschließlich aus dem Gang zum Bahnhof und dem Aufenthalt auf der Steinplattform. Furchtbar, oder? Ihre depressive Stimmung hängt damit zusammen.
Thomas Mann hat mal gesagt: "Arbeit ist schwer, ist oft genug ein freudloses und mühseliges Stochern; aber nicht arbeiten - das ist die Hölle."
Ich lasse mir etwas einfallen, um das verständlicher zu beschreiben.

Richtig, da hat sich ein logischer Fehler eingeschlichen. Meine Protagonistin kann im Prinzip nicht wissen, dass der Mann jung ist. Intuition? Werde ich überarbeiten!

Haha, klingt wirklich äußerst kitschig. Würde mir das jemand vorlesen, würde ich mich gewiss daran stören. Beim Schreiben war ich davon noch überzeugt, nun zweifle auch ich. Ein bisschen zumindest. Mal schauen, was ich damit machen werde.

Dass die Steinplattform nicht auf der gleichen Höhe wie die Straße liegt, finde ich persönlich logisch, aber danke für den Tipp, vielleicht werde ich einen Hinweis in die Überarbeitung einbauen.

Wie kommt's, dass du mit einem Mann als Protagonisten gerechnet hast? Hatte die unerwartete Erkenntnis, dass es sich um eine junge Frau handelt, negative Auswirkungen auf dein Gesamtbild von meiner Geschichte?

Danke für deine Zeit.

Liebe Grüße,
JackOve


Liebe Kanji,

mich würde sehr interessieren, ob du bei dieser Geschichte etwas von der Psyche meiner Protagonistin "merkst".

Liebe Grüße

 

Na gut, JackOve, dann habe ich deine Geschichte eben gelesen ;) und mein Augenmerk auf die "Verfassung" deiner Protagonistin gelegt.

Auf mich macht sie weniger den Eindruck einer deprimierten als vielmehr einer einsamen Frau.
In weiten Teilen ist ja noch erfreut.

Da ich in einem der ersten Reihenhäuser dieser in Tristesse erstickenden Stadt wohne, kann ich mich während dem Spießrutenlauf zum Bahnhof wenigstens an dem Meer erfreuen.

Außerdem ist sie äußerst aktiv, geht zum Strand, an den Bahnhof, beobachtet einen Mann ... sie redet mit sich selbst, analysiert ihre Gedanken und Gefühle, stellt sich Fragen.

Ich denke, sie hat noch genügend Energie, ihr Leben zu ändern. :)

Freundlicher Gruß, Kanji

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo JackOve,
die melancholische Stimmung deines Textes hat mir gut gefallen. Leider habe auch ich mich an der gestelzten Sprache gestört. Ohne, dass es einen inhaltlichen Grund gibt, wird an vielen Stellen der Lesefluss gestoppt. Du benutzt viele Floskeln oder versuchst, sie bemüht zu vermeiden. Viele deiner langen Sätze würde ich trennen. Ich bin blutiger Anfänger, aber selbst mir sind so einige Stellen aufgefallen. Wahrscheinlich hauptsächlich deshalb, weil man erkennt, was da noch ginge, wenn du die Sätze weniger „konstruieren“ würdest.

Ich hatte ein paar Schwierigkeiten mit dem Namen der Stadt. Du schreibst, du warst schon dort, sie existiert tatsächlich, also kannst du nichts daran ändern. Aber mich persönlich hat „Stranraer“ abgelenkt, weil ich die ganze Zeit überlegt habe, wie man das wohl korrekt ausspricht. Schotten haben ja eine ziemlich „spannende“ Aussprache. Ich weiß, es gibt deutlich kompliziertere Namen. Vermutlich nur meine ganz eigene Macke… ;)

Nachdem ich mich mit dem Namen abgefunden hatte, die nächste Irritation: Wer hat denn bloß jeden einzelnen Tag Zeit, um 12:50 Uhr am Bahnhof zu stehen? :confused: Vielleicht könntest du am Rande erwähnen, dass sie arbeitslos / krank oder was auch immer ist? Ich kann auch keinen wirklichen Hinweis darauf finden, wie alt deine Protagonistin ist, eine Rentnerin hätte vielleicht so viel Zeit. Aber da sie sich von einem jungen „Ledertouristen“ angezogen fühlt, vermute ich, sie ist jünger. By the way: was ist denn ein „Ledertourist“?
Ach ja, der einzige Zug geht nach Glasgow – wie kommen die Leute zurück? :confused: Oder fährt der Zug im Kreis?

Stranraer ist eine Kleinstadt im Süden Schottlands. Es gibt einen Bahnhof, dessen einziger Zug stets um 12:50 Uhr gen Glasgow aufbricht.
Besonders „ist eine Kleinstadt“ klingt wirklich sehr nach Wiki / Reisebericht.

kann ich mich während dem Spießrutenlauf zum Bahnhof wenigstens an dem Meer erfreuen. Für gewöhnlich nehme ich auf der Steinplattform p [P] latz, warte drei Stunden, bis die Ebbe einsetzt, und kratze meinen Wunsch in den Beton.
Also auch für mich setzt sie sich auf dem Weg zum Bahnhof ans Meer. Was aber bedeuten würde, dass sie schon um zehn aufbricht. Übrigens könntest du beim Kratzen die bunten Steine einbauen, die du ja an anderer Stelle erwähnst. So würdest du auch die Frage nach seinem Bezug zu den Steinen aufgreifen.

Kann mich die Flut nicht schon vorher auf das offene Meer tragen?
Vorher? Vor was? Deutet für mich auch daraufhin, dass es deutlich vor 12:50 Uhr ist

Die Möglichkeit, mein tägliches Pensum wie immer abzuspulen, wird mir nicht verwehrt, ich beraube mich ihrer selbst.
„wie immer“ würde ich streichen, „tägliches Pensum“ sagt das schon aus.

An meinem Stammplatz sitzt ein junger Mann; ein großer Wanderrucksack verdeckt seinen Rücken.
Das heißt, der Prota sieht den Mann von hinten. Wie kann er wissen, dass er jung ist?
Sehe ich nicht so, GoMusic. Statur, Körperhaltung, Haare, Frisur, Kleidung – ich finde, man kann, zumindest grob, auch von hinten das Alter erahnen, oder? Kann m.E. drin bleiben.

Die schwarzen Vierecke auf dem roten Holzfällerhemd lassen der Sonne keine andere Wahl, als die Wolken beiseite zu schieben.
Dito, GoMusic, es trieft.

Liebend gerne würde ich mich neben ihn setzen.
Bin mir da nicht ganz sicher, aber „Liebend gerne“ klingt hier nicht passend, Floskel. Der Wunsch ist glaube ich auch größer.

Genauso gut könnten wir sein Gepäck mit Steinen füllen.
Wenn sie gemeinsam den Rucksack packen würden, wäre die Distanz schon weg. Besser: füllte er.

Wenn ich nach einer verpassten Chance, [mein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen,] nach Hause komme, fühlt es sich an, als hätte jemand das Licht ausgeschaltet.
Hm, irgendwie doppelt und holprig. Kann der geklammerte Teil weg?

Ich versuche, mich in eine andere Welt zu träumen, ende aber meist bei dem Wunsch, nicht wieder aufzuwachen.
Das Ziel ist es, sich wegzuträumen, warum dann „aber“?

Papa, den ich nur bei seinem Namen nennen durfte
Absichtlich das Wort „Papa“ oder nur um die Wiederholung zu vermeiden? Wenn sie ihn nur beim Namen nenne durfte, woher kommt dann das „Papa“? Klingt zu vertraut. Vielleicht besser: Mein Vater?

würde sich im Grab umdrehen, sähe er, was aus mir geworden ist. Wenn Ryan denn überhaupt je etwas für mich empfunden hat. Wahrscheinlich auch dann nicht.
Verstehe ich nicht. Was ist mit „auch dann“ gemeint?

Welch Sinnbild meines Inneren.
Sehr schwülstig. :Pfeif:

Nun ist es der linke Bürgersteig, von dem ein wissenschaftlich nicht belegbarer Magnetismus ausgeht.
Für meinen Geschmack eine sehr bemühte Umschreibung.

Trotz der Straße, die zwischen uns liegt, dringen peitschende Wellenschläge in mein Ohr. Eines Tages hat ein gelbschwarzes Schild davor gewarnt, dass diese ganz unerwartet eintreten können, zum Beispiel wenn große Schiffe die Bucht verlassen. Ebenso kann der Wind das Salz in die Höhe schnellen lassen.
Dieser trägt den lieblichen Geruch des nach Leben duftenden Mannes erneut zu mir.
Diesen Absatz habe ich mehrmals lesen müssen, weil mir unklar war, worauf sich „diese“ und „dieser“ beziehen. Die Sätze sind sehr lang und umständlich.

Ich schlürfe.
Vielleicht ist das geographisch bedingt, aber für mich schlürft man ein Getränk. Du meinst schlurfen, oder?

So, nun mal zum Inhalt. Sehnsucht, Einsamkeit, Trauer, alles klar. Aus dem Ende werde ich aber nicht ganz schlau. Sie spürt die Kälte seiner Hand: klingt nach Tod, oder Illusion, er existiert nicht. Dann geht sie allein (?) zum Meer, wohl um ihr Leben zu beenden? Oder ist das endlich der Aufbruch? Hm, ich bin mir nicht sicher. :hmm: Vielleicht stehe ich gerade auf dem Schlauch, aber so recht weiß ich nicht, worauf du hinaus willst. Oder hat er sie abgewiesen, daher die Kälte? Dann hätte er die Berührung aber gar nicht zugelassen, oder?
Aber vielleicht ist es auch egal, ob ich es verstehe. Es ist ein trauriges Ende, das zum traurigen Rest passt und daher keine Überraschung ist. Ich mag melancholische Geschichten und trotz der bemühten Sprache, konnte ich ein wenig abtauchen.
Vielleicht magst du verraten, was du mit dem Ende aussagen wolltest?
Ach ja, der Vater kommt nur sehr kurz vor. Soll er die Gemütslage erklären? Für meinen Geschmack brauchts ihn nicht.

Grüße,
Rotmeise

 

Liebe Kanji,

bitte entschuldige, dass ich dich zum Lesen "gezwungen" habe. In den meisten meiner Texte spielt die angeschlagene Psyche meiner Protagonisten eine große Rolle. Mir liegt daran, den Leser diesen Knacks spüren zu lassen. Da ich dieses Ziel mit dem "Irish Pub" bei dir verfehlt habe, habe ich mir auf diesem Wege eine zweite Chance erschlichen.
Danke für deine Einschätzung! Schön, dass du dieser traurigen Geschichte mit dem eigentlich noch traurigeren Ende etwas Positives entnimmst und meiner Protagonistin einen Lebenswandel zutraust. Ein Hoch auf den Deutungsspielraum des geschriebenen Wortes!

Ganz liebe Grüße,
JackOve

***

Hallo Rotmeise,

wow! Ich danke dir ganz herzlich! So einen fundierten Kommentar wünscht sich jeder Wortkrieger.

Es freut mich sehr, dass dich die melancholische Stimmung erreicht und dir gefallen hat. Tatsächlich kannst du mir kein größeres Kompliment machen.

Mit der gestelzten Sprache scheine ich wirklich ein Problem zu haben, darauf wurde ich mehrfach hingewiesen. Das werde ich bei der Bearbeitung und auch künftig überdenken. Vielleicht sollte ich einfach mal weniger denken. Stichwort "konstruieren".

Zu Stranraer kann ich dir lediglich sagen, dass der schottische Akzent in der Tat "spannend" ist. Kaum auszuhalten, aber interessant.

Du hast ja selbst erkannt, warum meine Protagonistin die Zeit findet, Tag für Tag zum Bahnhof zu gehen und stundenlang am Meer zu sitzen. Krankheitsbedingte Arbeitslosigkeit. Das gehört in den Text, werde ich definitiv einbauen. Ebenso wie einen Hinweis auf ihr Alter.

Einem meiner liebsten Filme zufolge, "Into The Wild", ist ein Ledertourist jemand, der zu Fuß unterwegs ist, also ohne fahrbaren Untersatz. Sogar die Autokorrektur kennt diese Bezeichnung.

Der einzige Zug, mit dem man Stranraer als Fahrgast verlassen kann, fährt wie beschrieben. Allerdings treffen täglich mindestens zwei Züge ein. Endstation Tristesse.

Zu der Einleitung werde ich mir Gedanken machen. Auch das zeitliche Missverständnis bezüglich Bahnhof und Meer wird beseitigt. Mir gefällt deine Idee, die bunten Steine schon vorab einzubauen.

Das "tägliche Pensum" reicht natürlich. Die sinnlose Doppelung ist mir nicht aufgefallen. Bis jetzt. Gleiches gilt für die kitschige Passage und für "liebend gerne". Letzteres reicht nämlich nicht aus, um die Dringlichkeit des Bedürfnisses auszudrücken. Klingt eher wie: "Schön wär's, aber sei's drum."

Richtig, nur "er" sollte seinen Rucksack füllen und aus "Papa" muss "Vater" werden. Meine ursprünglichen Formulierungen lassen die Distanz nicht glaubwürdig erscheinen.

Das den Traum betreffende "aber" werde ich nicht ändern. Das bezieht sich nämlich nicht auf den Wunsch, in einer Traumwelt zu leben, was ihr ja ohnehin nicht gelingt. Meine Protagonistin möchte nicht nicht - oh, wie unschön - aus dem Traum erwachen, sondern gar nicht mehr aufwachen. Ein Schrei nach Erlösung, einem Ende, dem Tod.

Ryan dreht sich "auch dann" nicht im Grab um, weil der Prozess der Verwesung / Zersetzung schon relativ weit fortgeschritten ist.
Klingt blöd, wenn ich das so erkläre, werde den Satz aber wahrscheinlich unverändert lassen, da man so einen Einblick in das düstere Innere meiner Protagonistin erhält. Zumindest ich.

Das Sinnbild finde ich ehrlich gesagt in Ordnung. Der "Magnetismus" ist grenzwertig. Habe vor der Veröffentlichung länger darüber nachgedacht und mich nur dafür entschieden, um eine Dopplung zu vermeiden. Beim nächsten Mal wiege ich die Entscheidung genauer ab.

Mir erschließt sich der Bezug von "diese" und "dieser", was wohl der Tatsache geschuldet ist, dass ich ein Faible für aufeinander basierende Schachtelsätze habe. Gucke ich mir trotzdem nochmal an.

Um Gottes Willen!!! Habe mir mit der Hand gegen die Stirn geschlagen. Selbstverständlich meine ich "schlurfen". Würde diese Peinlichkeit gerne auf die Autokorrektur schieben, reinen Gewissens ist das allerdings nicht möglich.

Schön, dass du nochmals explizit auf den Inhalt eingehst. Dein erster Tipp, das Ende so offensichtlich zu deuten, wie es ist, trifft ins Schwarze. Er ist verstorben, und sie ist gewillt, es ihm gleichzutun.
Die anderen Ansätze gefallen mir. Ihr theoretischer Aufbruch und, noch besser, die Kälte, die du darauf zurückführst, dass er sie abweist. Vielleicht wäre das sogar ein schlimmerer Gnadenstoß für meine Protagonistin als der, auf den meine Wahl gefallen ist.

Den Vater braucht es. Einen Großteil ihrer psychischen Probleme hat sie Ryan zu verdanken. Bevor ich ihn streiche, integriere ich ihn eher mehr in die Geschichte.


Ein riesiges Dankeschön an dich, liebe Rotmeise!!!

Herzliche Grüße
JackOve

 

Hallo JackOve,
freut mich sehr, dass du mit meinem Feedback was anfangen konntest. Bei deinem Text hatte ich den Eindruck, dass es sich lohnt.
Außerdem ist es ja auch nicht ganz uneigennützig. :Pfeif: Man kann wirklich eine Menge auch für sich selbst mitnehmen.

Zu den Ledertouristen: Ich habe den Film „Into the Wild“ selbst mit Begeisterung gesehen, allerdings ist es wohl zu lange her, denn an den Begriff kann ich mich nicht erinnern. Noch ein guter Grund, mir den Film mal wieder anzusehen. Tatsächlich habe ich den Begriff gegoogelt, bevor ich meinen Kommentar geschrieben habe (wollte ja auch keine Bildungslücke offenbaren ;) ). Das Ergebnis: Ein ganzer Haufen Wanderschuhe und ein Text der Wortkrieger mit dem Titel „Ebbe und Flut“. Na ja, wieder etwas dazu gelernt.

So ganz habe ich das mit dem Bahnhof immer noch nicht verstanden. Ist es ein Sackbahnhof? Die Züge, die dort eintreffen, fahren doch danach auch irgendwo hin, oder? Dein Text liest sich, als würde jeden Tag nur ein einziger Zug den Bahnhof passieren. Nun sind es aber drei. :confused: Aber ich will auch nicht pingelig sein.

Über das Wort „Papa“ habe ich nochmal nachgedacht. Grundsätzlich ist es ja eine einseitige Distanz, sie hätte sich eine engere Beziehung gewünscht. Ich habe mich gefragt: denkt man nur den Namen, den man auch ausspricht, oder verwendet man in Gedanken einen anderen? Gemeine Spitznamen benutzt man ja auch nur im Kopf oder in Abwesenheit des Betreffenden. Durchaus möglich, dass es für sie „Papa“ ist, auch wenn er es nicht hören will. Daher könnte man das Wort schon benutzen. Aber nicht in dem Satz. Vielleicht an anderer Stelle?

Der Tourist stirbt also. Das ist sicher ein herber Schlag für deine Protagonistin und dann ist auch der Vater wichtig. Dem solltest du in diesem Fall wirklich mehr Raum geben.

Gruß,
Rotmeise

 
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Hallo JackOve, gleich nachdem ich deinen Text das erste Mal gelesen hatte, habe ich mir vorgenommen, einen Kommentar dazu zu schreiben. Jetzt komme ich endlich dazu ;)

Mir gefällt dein Text sehr gut, du schaffst es wunderbar, diese trostlose Atmosphäre der Stadt und die trostlose Einstellung der Protagonistin darzustellen.

Stranraer ist eine Kleinstadt im Süden Schottlands. Es gibt einen Bahnhof, dessen einziger Zug stets um 12:50 Uhr gen Glasgow aufbricht. Täglich, außer sonntags.

Ich empfinde dies nicht als Reiseführer-Beschreibung, sondern bei mir hat es genau das ausgelöst, was du vermutlich auch auslösen wolltest - ich hatte schon im ersten Moment einen Eindruck davon, was für ein jämmerliches Kaff das ist. Vielleicht kein super spannender, fesselnder Einstieg, aber ich würde ihn dennoch so lassen.

während dem Spießrutenlauf zum Bahnhof
Für mich passt der "Spießrutenlauf" da irgendwie nicht rein... vielleicht weil das Wort für mich semantisch anders besetzt ist als für dich, ich weiß es nicht.
Aber wenn schon, dann müsste es wohl 'während des Spießrutenlaufes' heißen, oder nicht?

Für gewöhnlich nehme ich auf der Steinplattform platz,
*Platz

und kratze meinen Wunsch in den Beton.
Ich versteh was gemeint ist, würde aber evtl noch kurz anfügen, womit der Wunsch eingekratzt wird

Die Möglichkeit, mein tägliches Pensum wie immer abzuspulen, wird mir nicht verwehrt, ich beraube mich ihrer selbst.
Ob nun die Formulierung "tägliches Pensum" das gemeinte wirklich trifft... ich weiß nicht so recht. Mir würde an dieser Stelle sowas wie "Routine" besser gefallen.
Auch abspulen klingt so mechanisch. Dass sie es routiniert macht, ist zwar klar, aber abspulen... das klingt als würde sie es machen müssen, obwohl sie es nicht mag. Aber ich verstehe sie so, dass das momentan ihr Lebensinhalt ist und sie das irgendwie auch nicht ganz furchtbar findet, selbst wenn sie jeden Abend frustriert ist, dass sie doch nicht gefahren ist, oder?
Und dann erschließt sich mir das "ich beraube mich ihrer selbst" nicht ganz. Der Typ sitzt da ja an ihrem Platz, es ist ja nicht ihre komplett freie Entscheidung, sich da nicht hinzusetzen, sondern sie traut sich nicht, weil er da sitzt. Also beraubt er ihr die Möglichkeit, ihr Pensum abzuspulen, aber doch nicht sie sich selbst?

Die schwarzen Vierecke auf dem roten Holzfällerhemd lassen der Sonne keine andere Wahl, als die Wolken beiseite zu schieben.
das karierte Oberteil

Ich finde "schwarze Vierecke" eine eher unglückliche Formulierung für "Kariert". Bei schwarzen Vierecken stelle ich mir sofort tiefschwarze Quadratblöcke auf rotem Grund vor ;)

Genauso gut könnten wir sein Gepäck mit Steinen füllen. Nicht die bunten Geschenke des Meeres, eher Ziegelsteine.
Den Satz mag ich sehr gerne :)

Eine knappe halbe Stunde nachdem die Uhr meines verstorbenen Vaters zwölfmal geschlagen hat, erreiche ich den Tiefpunkt meiner Feigheit.
Den auch :)

Ein jeder von ihnen lässt mehr zurück, als ich je besessen habe.
Das versteh ich nun wieder nicht ganz, die lassen doch gar nix wirklich zurück? Vielleicht versteht man das erst, wenn man den Hintergrund der Protagonistin besser kennt...

So, genug der peniblen Anmerkungen, die kennst du ja schon von mir.
Diese sollen aber nicht den Gesamteindruck schmälern, denn der ist bei mir durchweg positiv. Die Geschichte hat mich sehr berührt, merkt man vielleicht daran, dass ich sie über eine Woche später wieder raussuche um noch kommentieren zu können ;)

Liebe Grüße,
Sommerdieb

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Sommerdieb,

ich danke dir ganz herzlich für deinen wohlwollenden und hilfreichen Kommentar. Hat mich sehr gefreut!
Wie schön, dass die trostlose Atmosphäre der Stadt zu dir vorgedrungen ist. Als ich deinen Kommentar gelesen habe, hatte ich den Einstieg in meine Geschichte bereits überarbeitet. Weniger aufgrund des Hinweises von GoMusic als meiner eigenen Intention zuliebe, die ich gegenüber Kanji zu erklären versucht habe. Ich schreibe über ein Mädchen, das kreuzunglücklich ist, vielleicht sogar an einer Depression leidet. Der Leser soll das spüren. Darum wurde aus dem langweiligen Zweizeiler ein ganzer Absatz, der im Kern auf die Tristesse Stranraers und die malträtierte Psyche meiner Protagonistin schließen lassen soll. Ebenso verrate ich dort ihr Alter und erkläre, warum es ihr möglich ist, tagtäglich den Bahnhof und das Meer aufzusuchen, liebe Rotmeise.

Ich glaube, die zeitlichen Missverständnisse beseitigt zu haben. Auch die Fingernägel kratzen sich keinen Bruch mehr an dem Beton.

Deine Bemerkung zu dem "Abspulen" des "täglichen Pensums", Sommerdieb, hat mich zum Nachdenken angeregt. Ich habe mich in meine Protagonistin hineinversetzt und bin zu dem Schluss gekommen, dass es sich für sie tatsächlich so mechanisch anfühlt, wie du es liest. Ja, die Stunden am Bahnhof und am Meer sind ihr Lebensinhalt, aber die Hoffnung, die sie mit den Aufenthalten dort verbindet ist längst nicht mehr die gleiche wie noch vor zwei Jahren. Ich glaube, mittlerweile findet sie es tatsächlich nur noch "furchtbar".

Dein Hinweis zu "ich beraube mich ihrer selbst" hat mir sehr geholfen, wenn auch anders, als du es dir vielleicht vorgestellt hast. Ich habe das nämlich gestrichen. Sätze wie dieser passen nicht zu dem Bild, das man vor einer verzweifelten Zwanzigjährigen hat, die ihr Kaff noch nie verlassen hat. Das fällt wahrscheinlich auch in die Kategorie der "konstruierten Sätze", auf die mich Rotmeise hingewiesen hat.

Der Kitsch (abgesehen von dem schwülstigen "Sinnbild") ist übrigens ebenso wie der "Magnetismus", der sich im Nachhinein wirklich albern gelesen hat, aus meiner Geschichte geflogen. Mittlerweile sehe ich es genauso wie du, dass man das Alter des jungen Mannes zumindest grob vermuten kann."Papa" habe ich durch "Vater" ersetzt. An dieser Stelle auch nochmal danke für deinen Nachtrag, Rotmeise. Ich habe mich letztlich dafür entschieden, lediglich dieses Wort zu ändern. Streichen wollte ich Ryan nicht, ihm aber auch nicht mehr Raum geben, als es nötig ist. Die Andeutung, dass das Leiden meiner Protagonistin mit ihm zusammenhängt, reicht mir.

Abschließend nochmal zu dir, Sommerdieb. Ich habe den Spießrutenlauf gestrichen. Nicht, um meinen Fauxpas des fehlenden Genitivs zu kaschieren. Du liegst richtig, das passt an dieser Stelle nicht. Beim Schreiben fragte ich mich, wie ein zurückgezogen lebender Mensch auf die Blicke von Menschen, vielleicht gar mehreren, reagiert. Ich kann mir vorstellen, dass man sich da schnell eingeengt und unwohl fühlt. Dennoch: Passt nicht, also raus damit.


Ihr Lieben, mein Kommentar ist im Vergleich zu euren geordneten, säuberlich zitierten Anregungen eine einzige Zumutung. Seht mir das bitte nach.
Ich wollte euch informieren, dass ihr mir bei der Überarbeitung sehr geholfen habt. Ich danke euch allen ganz herzlich, speziell der Rotmeise und dem Sommerdieb.

Herzliche Grüße,
JackOve

 

Hallo JackOve, es freut mich, dass du mit meiner Kritik etwas anfangen konntest :)

Ich habe mir deinen Text nochmals durchgelesen und finde ihn nun sehr gelungen, alles in allem ein runder, geschlossener Text, sehr melancholisch, sehr still, sehr schön :)

Ein ganz bisschen was zu kritteln hätte ich dennoch:

Vater, den ich nur bei seinem Namen nennen durfte, würde sich im Grab umdrehen, sähe er, was aus mir geworden ist. Sofern Ryan denn je etwas für mich empfunden hat. Wahrscheinlich auch dann nicht.

Ich glaube jetzt weiß ich, was ich an den Sätzen schon beim ersten Lesen komisch fand. Er würde sich im Grab umdrehen, aber eigentlich nur, wenn er etwas für sie empfunden hätte, und selbst wenn er das getan hätte, könnte er das jetzt sowieso nicht mehr, weil er schon längst verwest ist. Das 'auch' passt da nicht. Das würde ja voraussetzen, dass er sich auch vorher/dann nicht im Grab umgedreht hätte, aber wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, dann hätte er das ja sehr wohl getan... ähm. Es ist spät. Ich kann mir gerade selbst nicht ganz folgen, ich hoffe das ist einleuchtend?

Tippfehler:

Den blauen (Folgen) Flecken zufolge fand dieses Trauerspiel statt.

Ich kann keinen klaren Gedanken fassen. (Wohlmöglich) Womöglich ist das gut so, denn all die Produkte meiner bisherigen Überlegungen waren zum Scheitern verurteilt.

Das wars auch schon :)

Liebe Grüße,
Sommerdieb

 

Hallo Jack,

ich habe mir den überarbeiteten Anfang angeschaut. Er ist nun wesentlich besser. Gefällt mir sehr gut. Nur habe ich mich gefragt, warum die Zwanzigjährige nicht von ihren Eltern spricht. Aber gut, das soll so sein und hält den Leser an der Leine.

Wer Stranraer verlassen möchte, ist auf den Zug angewiesen, der stets um 12:50 Uhr gen Glasgow aufbricht.
Autos? Busse?

Die Fassade meines Hauses ist grauer als die Straße selbst. Die triste Atmosphäre steigert sich mit jedem Schritt in Richtung Stadtleben.
Sehr schön.

Stranraer ist mein Hafen, an dem ich zwar sicher bin, jedoch Tag für Tag mehr einroste, um schließlich unterzugehen.
Auch sehr gut.

Die Überarbeitung hat sich gelohnt. Ich finde viel schneller, bzw. jetzt überhaupt in den Text rein.
Gut gemacht! :thumbsup:

Liebe Grüße,
GoMusic

 

Hallo Sommerdieb,

vielen Dank für das Lob! Die beiden Tippfehler habe ich beseitigt. Wenn man einen Text mehrmals Korrektur liest, überfliegt man irgendwann nur noch und hat keinen Blick mehr für das Offensichtliche. So geht es zumindest mir. Schön, dass du mich darauf aufmerksam gemacht hast.
Erst durch den Vorschlag "selbst", den ich gerne übernommen habe, wird mir klar, was dich an dem "auch" gestört hat. Merci.

***

Hallo GoMusic,

ich freue mich, dass du dich erneut mit meiner Geschichte auseinandergesetzt hast. Es stimmt mich glücklich, dass du die Überarbeitung für gelungen befindest. Hab vielen Dank für die Rückmeldung.

Liebe Grüße,
JackOve

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo JackOve,

da ist dir aber eine sehr gute Überarbeitung gelungen. Deine Geschichte liest sich nun flüssig und insgesamt stimmig, wirklich gut geworden.

Der erste Absatz ist jetzt deutlich „einladender“, gefällt mir gut und passt besser zum Rest. Einen winzigen Kritikpunkt hätte ich noch, aber das sind jetzt wirklich nur noch Feinheiten:

Ebenso[ ]wenig kann ich mir die depressiven, mitunter schon suizidalen Gedanken von der Seele reden.
Du erwähnst den fehlenden Therapeuten, generell wird im ganzen Text sehr deutlich, dass deine Protagonistin depressiv und sehr wahrscheinlich auch suizidal ist (vor allem, wenn man an das Ende denkt). Ich würde es hier also nicht so deutlich ausschreiben, weil es offensichtlich ist. Richtig, in meinem ersten Kommentar hatte ich angemerkt, dass die viele Freizeit mir Rätsel aufgegeben hat. Aber der Rest erklärt mittlerweile eigentlich alles.

Hat Spaß gemacht, deine Geschichte nochmal zu lesen. :thumbsup:

Viele Grüße,
Rotmeise

 

Liebe Rotmeise,

dein Interesse an meiner Geschichte und dein Lob bereiten mir große Freude. Das bedeutet mir wirklich viel. Ich danke dir ganz herzlich.

"Ebensowenig" bringe ich auf den Stand der neuen Rechtschreibung, und über deine schlüssige Anmerkung werde ich noch ein Weilchen nachdenken.

Ganz liebe Grüße,
JackOve

 

Hallo JackOve,

hab ich doch gern gemacht, wirklich. Bei der Entwicklung deiner Geschichte mitzufiebern und ein kleines bisschen daran mitzuwirken, hat wirklich Spaß gemacht.

Ich bin schon gespannt auf deine nächste Geschichte.

Viele Grüße,
Rotmeise

 
Zuletzt bearbeitet:

„So viel Vorgeschmack auf die Hölle.
So wenig Nachgeschmack vom Paradies.“
Botho Strauss: Die Fehler des Kopisten​

Und dann das

Nach sechs Jahren, neun Monaten und einundzwanzig Tagen dürfte nicht mehr allzu viel von ihm übrig sein
auch noch Salman-Rushdieverehrer … maßmut ich mal,

lieber JackOve -

und damit erst einmal herzlich willkommen hierorts,

weit weg von allen schottischen Küsten und um so näher am sommerlich stinkenden Wattenmeer der Friesen, die vielleicht sogar was von der gälischen Endung -phris gemein haben (mehr als den Klang), immerhin hat das keltische Amt heute noch Bestand in teutscher Bürokratie und Ehren-Ämptern.

Vorweg: Ich sehe nicht die Aufgabe des Kommentators darin, eine Geschichte nachzuerzählen – sie soll schließlich gelesen und nicht vorweg stigmatisiert und in eine Richtung gedrängt werden durch meine Sicht der Dinge. Nacherzählungen überlass ich Gustav Schwab und den Schulen. Aber – Du merkst es vielleicht am Aufwand, den ich betreib – das Stück erscheint mir scheiße gut, und außer zwo Flusen hätt' ich bestenfalls noch einige Anregungen zu geben.

Seine Präsenz noch intensiver zu spüren[,] wäre befriedigend genug und Schweigen folglich angenehmer.
(Infinitivgruppe hängt von Substantiv ab, dass ein Komma sich nicht umgehen lässt. Siehe K 117 Rechtschreibduden, § 75 II der amtlichen Regelung der deutschen Rechtschreibung)

Eine knappe halbe Stunde[,] nachdem die Uhr meines verstorbenen Vaters zwölfmal geschlagen hat, erreiche ich den Tiefpunkt meiner Feigheit.
Die Konjunktion „nachdem“ entbindet entgegen anderen Konjunktionen nicht vom Komma (ebd. K 111 bis 113 bzw. § 71 ff.), was Dich nicht einschränken soll, neig ich doch selbst zum Regelbruch ... der ja erst gut wird, wenn man bewusst die Untat begeht und - sofern möglich - vollendet.

Einige Dinge, die ich mal nur so in den Raum stell, weil's da an sich nix zu meckern gibt – insbesondere bzgl. des Konjunktivs II, dem Meisterstück deutscher Sprache, das Du m. E. nahezu perfekt beherrscht.

Würde mich die Flut doch bloß auf das offene Meer tragen.
Warum das umgangssprachliche „würde“, wenn ein „trüge“ kürzer und zugleich an den (Selbst-)Trug erinnerte?

Hier find ich's in Ordnung, aber es wird doch nicht der Prozess („geworden ist“), sondern das Produkt des Prozesses am Ende der Ent-wickelung - die ja auch in eine andere Richtung hätte gehen können - bewertet: Was aus ihm, pardon, in dem Fall ihr (= mir) wurde.

Vater, den ich nur bei seinem Namen nennen durfte, würde sich im Grab umdrehen, sähe er, was aus mir geworden ist.

Obwohl mich Beine, Herz und Hirn zur rechten Seite der Straße ziehen, von welcher ich auf den Platz sehen könnte, an dem der Mann von gestern saß, ist es mir unmöglich, das Kopfsteinpflaster zu überqueren.
Warum Beine, wenn singular Bein zugleich die Knochen (Ge-Bein) einbezieht, dies ich ja nicht ausschließen lassen bei diesem Drang, äh, Zug.

Bei manchen Dingen hab ich die Brille abgesetzt. Kurzsichtig halt - und seit dieser gloriösen Jahrtausendwende auch noch altersweitsichtig, dem keineswegs jegliche Art von Altersweisheit korrespondieret ...

Friedel

Welch Sinnbild meines Inneren.

 

Hallo Friedrichard,

da hast du aber ein schönes Zitat von Botho rausgesucht. Passt hervorragend zu meiner Geschichte!

Um ganz ehrlich zu sein, hatte ich anfänglich einen Verriss befürchtet ... Aufgrund der "Hölle" im Zusammenhang mit "und dann das" und "auch noch".
Ich bin sehr froh, dass dem scheinbar (?) nicht so ist!

Du mutmaßt falsch. Tatsächlich habe ich noch keines seiner Werke gelesen. "Des Mauren letzter Seufzer" liegt leicht verstaubt in einem meiner Regale. Wenn mir Botho zu Kopf steigt, was durchaus vorkommen kann, schaue ich mal rein.

Danke für den Aufwand, den du betrieben hast.
"das Stück erscheint mir scheiße gut"
-> Wow! Was ein Brett von Kompliment. Gehört fast schon eingerahmt. Auch über dein Kompliment zu meiner Sprache habe ich mich wirklich sehr gefreut.

Schön, dass du mich auf die fehlenden Kommas aufmerksam machst. Deine beigelegten Begründungen sollten wir uns vielleicht alle angewöhnen.
Das erste Komma ist klar. Habe ich wohl übersehen. Beim Zweiten war ich davon überzeugt, keines setzen zu müssen, da sonst die "knappe halbe Stunde" so einsam, zur Eigenständigkeit unfähig und auch mit dem Satzende nicht vereinbar, gestanden hätte.

"trüge" übernehme ich dankend! Über das "Produkt des Prozesses" und das "Bein" denke ich noch ein Weilchen nach.


Liebe Grüße aus dem hohen Norden,
JackOve

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich bin sehr froh, dass dem scheinbar (?) nicht so ist!
Scheinbar und Fragezeichen kannstu getrost streichen,

lieber JackOve,

aber des "Mauren letzter Seufzer" ist auf alle Fälle lesenswert. Einfach mal versuchen.

Der neue Titel "Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte" ist Bollywood, tat und tu ich mich schwer. Gleichwohl ergibt der Titel natürlich Tausend und eine Nacht. Bei Deinen sechs Jahren, neun Monaten und einundzwanzig Tagen - die mich zur Mutmaßung verführten - komm ich auf 2.488 (in Buchstaben: zweitausendvierhunderachtundachtzig) Tage *

Gruß

Friedel

* (6 x 365) + (9 x 30) + 21 + 2 Schallttage + 5 (für jeden Monat mit 31 Tagen und dem Februar).

Kleine Auflockerungsübung halt

 

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