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Durst
»Die Köpfe runter, niemand bewegt sich! Wer uns ansieht, kriegt ’ne Kugel verpasst!«
Onkel Buraks Bariton klingt gedämpft durch die Wollmaske, noch tiefer als sonst.
Ich zwinge mich, ruhig zu atmen; der Herzschlag fühlt sich an, als wolle die Pumpe durch den Brustkorb ausbrechen wie das Monster in diesem uralten Film. Die Maske juckt und meine Kehle ist so trocken wie die Pussy einer frigiden Betschwester. Natürlich ist es hier drinnen kühl, ich spüre den Schweiß auf meinen vernarbten Händen. Wie gerne würde ich mir die Klamotten vom Leib reißen. Ich blinzle feine Perlen aus den Augenwinkeln, versuche klarzukommen.
Buraks Ansage zeigt Wirkung, das Dutzend der Reichen und Schönen sowie die handvoll Angestellten liegen am Boden. Die Hände über den Köpfen verschränkt, mit den Nasen auf dem grauen Kurzflorteppich. Keiner von ihnen rührt sich, doch ich kann die aufsteigende Panik förmlich riechen. Angstschweiß, vermischt mit sündhaft teurem Sunblocker.
Zu meinen Füßen wimmert eine zierliche Frau im blauen Seidenkleid. Sie ging als eine der ersten in die Knie, als wir im Foyer die Waffen zogen. Die Augen weit aufgerissen, der Mund formte ein stummes ›O‹. Ich brauchte nicht mal mit der Pistole drohen, da fiel sie bereits. Insgeheim bin ich heilfroh, dass ich ihr nicht wehtun musste.
Auf den zahlreichen Kristallstelen läuft noch immer das Werbeprogramm, als hätte unser Überfall nie stattgefunden: Drohnenaufnahmen von sattgrünen Wäldern blenden sanft über zu einem glitzernden Sprühregen und sprudelndem Nass: »Sichern Sie sich noch heute ein Stück vom Paradies! Werden Sie Anteilseigner der letzten artesischen Quelle auf Erden und genießen auch Sie den Luxus des wahrscheinlich wichtigsten Privilegs unserer Zeit. Fiji. Weil Reinheit alles ist.«
Beim Anblick der garantiert gefälschten Bilder kommt mir die Kotze hoch. Solch einen Ort gibt es nicht mehr. Das ist unmöglich. Aus den finsteren Tiefen meines Bewusstseins flüstert ein unsicheres, doch mir nur allzu bekanntes Stimmchen: »Was ist, wenn doch?« Gerade laut genug, um meine Überzeugung ins Wanken zu bringen.
»Hey, Kleiner? Kommst du klar?« Onkel Burak sucht meinen Blick, nickt mir zu.
Ich schlucke den Knoten aus Anspannung hinunter und nicke zurück. Wir haben es bis hierher geschafft. So weit, so gut.
»Amir?«, ruft Burak über die Liegenden hinweg, in Richtung des Eingangs.
»Zehn Sekunden!« Der Fettsack schlingt ein weiteres Bügelschloss um die stählernen Türgriffe, verschließt es und rüttelt probehalber an seinem Werk. Er dreht sich um und reckt die gewaltige Pranke nebst Daumen in die Höhe. Ich glaube in seinem gehetzten Blick ein Leuchten zu erkennen, nun, da es losgeht. Vielleicht ist es aber auch bloß der ›Sternenstaub‹, den Amir sich vor wenigen Minuten im Truck geballert hat. Die Dosis hätte mich komplett gekillt. Ich kann verstehen, dass er seinen Geist betäuben will, wer denkt in diesen Zeiten nicht daran? Amirs gesamte Familie kam beim großen Beben ’78 ums Leben. Manchmal denke ich, er wäre gerne mit ihnen gegangen. Onkel Burak hat mir im Vertrauen erzählt, dass bei Amir der Hautkrebs zurück ist. Er weiß nicht, dass ich es weiß und das kann auch so bleiben. Ich mag Amir nicht besonders, er ist mir unheimlich, mit seiner brutalen Art.
»Plag’n Roll«, murmelt Onkel Burak. Er hebt die kurzläufige Pumpgun wie ein Richter den Hammer und schaut auf die Geiseln herab: »Herhörn! Euer Wasser ist versichert, also keine Heldentaten, klar? Wenn ihr tut, was wir euch sagen, geschieht euch nichts. Drückt eure getünchten Nasen einfach weiter auf den Boden, und zum Abendessen könnt ihr bei einem Glas neunfach Gefiltertem der nervtötenden Familie eine irre Geschichte erzählen!«
Niemand bewegt sich, geschweige denn antwortet. Sie liegen bloß da, ergeben, dem Recht des Stärkeren.
Mein Puls beruhigt sich und bei Onkel Buraks Worten verspüre ich grimmige Genugtuung. So stelle ich mir Nebel vor, wie er kühl in meinem Innern aufwallt und kalt an den Gedärmen entlang wabert, sie schließlich umhüllt und meine Seele erfrischt. Wie sie zurechtgestutzt daliegen, in ihren übertrieben teuren Designerstücken und Maßanzügen. Onkel Burak hatte recht, das hier fühlt sich richtig an. Jetzt sind wir am Drücker, ihr wohlsituierten, allzeit hydrierten, blassbleichen, regimetreuen Fotz... ich merke wie meine Kiefer mahlen, fasse die Glock fester und versuche, die Anzugträger unter den Geiseln auszumachen.
Burak nickt zufrieden. »Kommen wir zum Geschäft. Wer von euch ist Posner?«
Verängstigte Stille, vereinzeltes Wimmern.
Er legt die Schrotflinte auf der Schulter ab, schreitet zwischen den Körpern umher und wird laut: »Samuel Ruben Posner! Geboren am 15. Januar 2038, verheiratet mit Eileen Posner, geborene van der Haag, Vater von zwei zehnjährigen Töchtern … und Filialleiter dieser verschissenen Wasserbank!«
Zahlreiche Kunden schluchzen hörbar, ich habe Posner derweil ausgemacht. Der graue Dreiteiler, hinten links, in der Nähe der Schaltertür. Als Onkel Burak die beiden Töchter erwähnte, hat er kurz aufgesehen. Murmelnd teile ich meine Entdeckung mit.
»Amir!« Burak schnippt mit den Fingern, zeigt auf das Ziel und sein fetter Kampfhund stapft über am Boden liegende Körper zum Filialleiter, zieht ihn unsanft auf die Beine und schubst ihn in unsere Richtung.
Sollten Posner die Nerven flattern, verbirgt er es gut. Möglicherweise wurde er darauf trainiert, solche Situationen auszuhalten. Onkel Burak sagt immer, in relevante Diener des Regimes werden Unsummen investiert. Posners Augen huschen von Burak zu mir und wieder zurück. Der Mittvierziger trägt den Sunblocker dick aufgetragen, wie es sein Stand verlangt, der blasser Teint vereint die Mimik zu einer Maske der Verachtung.
»Gib mir den Tresorcode«, sagt Burak ruhig.
Posner schluckt, dann reckt er das Kinn vor: »Ich gebe euch Staubfressern gar nichts. Denkt ihr, ihr kommt damit durch? Schafft es lebendig hier raus?« Seine Mundwinkel zucken. »Es wird mir eine Ehre sein, eurer Verbrennung beizuwohnen!«
Onkel Buraks Augen fixieren den Filialleiter, er rückt nahe an ihn heran, beschnuppert ihn beinahe. Schließlich fährt er sanft mit dem Zeigefinger über Posners rechte Schläfe, verschmiert die Sonnenmilch. Darunter schimmert ein filigranes Stück Chrom. Buraks Stimme ist nicht mehr als ein Flüstern: »Glaubst du? Lass mich raten. Weil deine Schnittstelle bei unserem Auftritt die Vollstrecker gerufen hat? Und die sind mit ihren Todesdrohnen schon auf dem Weg hierher?« Burak umrundet sein Opfer jetzt.
Posner hält still, doch ein einzelner Schweißtropfen läuft über das Implantat die Wange hinunter und verschwindet als milchiger Rest in seinem Hemdkragen.
»Ich weiß etwas, das du nicht weißt«, haucht Burak dem Bankangestellten verspielt entgegen, greift in die Innentasche der eigenen Jacke und zieht eine flache AiO-Techbox der vorletzten Generation hervor. Er entsperrt das Display und drückt eine Taste.
Ich weiß, wen er anruft. Ich wünschte mir, ich wüsste es nicht.
Buraks Tonfall normalisiert sich: »Ich bins.«
»…«
»Entspann dich. Alles läuft nach Plan. Dein Störsender funktioniert. Wie geht’s den Dreien?«
»…«
»Gut. Hör zu, wir aktivieren jetzt Plan B.«
»…«
»Ich weiß, ich weiß. Aber darüber hatten wir gesprochen. Du bekommst einen Bonus.«
»…«
»Ist gut. Dann leg jetzt los, starte den Stream und warte auf mein Zeichen«, sagt Burak, senkt die Techbox und bedeutet Posner mit einem Fingerzeig, auf die Werbestelen zu schauen.
Die Kristallschirme flackern auf, das Angebot einer Anteilseignerschaft an der Fiji-Wasserquelle erlischt und stattdessen erscheint das verwackelte Kamerabild eines schummrigen Kellers. Die einzigen Lichtquellen sind zwei senkrechte, glühende Schlitze in der rückwärtigen Wand, hinter der die Sonne unbarmherzig brennt. Mittig im Raum sitzt Posners Ehefrau, Eileen, zwischen ihren beiden Töchtern auf wackeligen Plastikstühlen, alle drei tragen bloß Unterwäsche, Schweiß glänzt auf der nackten Haut.
Posners Fassade bröckelt beim Anblick der gefesselten und geknebelten Familie, ihm entfährt ein unkontrolliertes Keuchen. Sie winden sich und stöhnen, wie ich weiß, hat Said hinter der Kamera ihre Aufmerksamkeit.
»Gib mir den Code«, sagt Burak ruhig.
Posner reagiert nicht, er starrt gebannt auf das Geschehen. Das Bild wird kurz unscharf, als Said hinter der Kamera hervortritt. Wie ich, Burak und Amir trägt auch er eine schwarze Wollmaske. In der Hand hält er einen Benzinkanister.
»Weißt du«, sagt Burak zu Posner; und seine Stimme erschallt mit einem Mal von den zahlreichen Bildschirmen. Said muss den Lautsprecher aktiviert haben, sodass auch die Frauen im Keller ihn hören können. »Meine Schwester, die Mutter vom Kleinen hier«, der Kopf nickt in meine Richtung, »war eine Schönheit … so wie deine Frau.«
Posner reagiert nicht.
Tu es nicht, Onkel, denke ich. Sprich nicht weiter, ich bitte dich. Doch er verweigert mir den Wunsch.
»Ihre Tochter - sie war im Alter deiner Kinder – bedeutete die Welt für sie.«
Der Gedanke an Mama und Pinar fühlt sich so an, als steche mir jemand eine glühende Nadel in die Brust. Noch immer. Würde ich sie wieder sehen, wenn ich die Augen schließe? Gebunden an Richtpfähle, der heiße Wind treibt den Gestank ihrer verkohlten Leiber herüber, während das Fleisch in schwarzen Flocken von den Knochen weht. Ich wage es nicht, die Lider zu senken.
»Plünderer hatten ihr wie vielen anderen im Block die gesetzlichen Rationen geklaut, während sie auf der Arbeit im unterirdischen Komplex für Verbrecher wie dich schufteten. Weißt du, was passiert ist, als sie es wagte, aufgrund des Diebstahls beim Bezirkskommandanten eine Extraration für ihre Tochter und die Nachbarn zu erbitten?«
Ganz langsam wendet Posner den Blick von seiner gefesselten Familie und schaut Burak an, bleibt jedoch stumm.
»Das Regime hat sie allesamt festgenommen und angeklagt. Schuldig befunden der Aufwiegelei und des Verrats. Zum Tode verurteilt, durch die Flammen des gerechten Feuers«, tönt Onkel Buraks Stimme aus den Bildschirmen. Direkt neben mir schaut er Posner ernst ins Gesicht.
Unter der Maske fährt meine Zunge über die spröden Lippen. Gott, ich bin so unfassbar durstig.
»Gib mir den Code. Gib ihn mir jetzt oder ich verbrenne das, was du liebst.«
Auf den Monitoren gießt Said das Benzin über die drei Geiseln. Sie winden sich stärker und scheinen unter den Knebeln noch lauter zu schreien als zuvor. Said wirft den entleerten Kanister unwirsch hinter die Kamera. Er tritt wenige Schritte zurück und greift in die Hosentasche. Ein silbernes Sturmfeuerzeug erscheint in seiner Hand, es knackt metallisch, als der Deckel aufspringt.
»Letzte Chance«, murmelt Burak.
»Jetzt geben Sie ihm endlich, was er will, Mann!«, schreit einer der Anzugträger mit schriller Stimme. Mir wird bewusst, dass einige der Geiseln verstohlen die Bildschirme beobachten. Im Gesicht der Frau im Seidenkleid sehe ich Streifen von Salz, wo Tränen das weiße Gesicht berührten.
Onkel Burak hebt die Techbox an den Mund: »Tu es. Jetzt.«
Auf den Bildschirmen befolgt Said den Befehl, eine kleine Flamme erwacht im Feuerzeug. Said macht einen Schritt.
»Nicht!«, kreischt Posner.
Said hebt den Arm zum Wurf. Ich schließe die Augen jetzt doch. Es ist egal, was ich tue, die Flammen erscheinen so oder so. Onkel Burak hat uns gesagt, dass es hässlich werden kann.
»Ich nenne den Code!« Posners Stimme überschlägt sich.
»Stopp!«, befiehlt Burak, an Said gerichtet. Dieser hält in der Bewegung inne. Erwartungsvoll sieht Burak sein Opfer an.
»2082-Proteus-Ex-17!«, ruft der Filialleiter. »Und jetzt lassen Sie sie gehen!«
»Das war’s, verschwinde von dort!«, befiehlt Onkel Burak Said am anderen Ende der Leitung. Eileen und die Töchter bleiben im Bild zurück. Dann wackelt die Kamera, das Bild erlischt. Übertragung beendet.
»Kluge Entscheidung«, sagt Burak zu Posner und fügt ein einfaches »Amir?« hinzu.
Der Fette holt mit dem Gewehrkolben aus und donnert ihn gegen Posners Schläfe. Der Filialleiter klappt zusammen.
Onkel Burak grunzt zufrieden. »An die Arbeit. Wir haben es gleich.«
»...-Ex-17«, murmelt Burak. Er steht an der Eingabekonsole im Tresorraum. Posner sitzt zusammengesackt in der Ecke und lehnt bewusstlos an der Wand. Nachdem wir seine Fingerabdrücke und die Retina nicht mehr brauchen, ist er für uns uninteressant. Amir bewacht im Foyer die Geiseln. Ob das eine gute Idee ist, habe ich den Onkel im Flüsterton gefragt. Ich solle dem Plan vertrauen, antwortete er.
Burak drückt eine letzte Taste, tritt vom Display zurück und an meine Seite.
Gebannt starre ich auf die riesige Tresortür. Das gewaltige Kugelschott strahlt durch die mattschwarze Lackierung etwas Stumpfes auf mich aus, eine Art roher Brutalität. Wie ein lidloses Auge wirkt dieses Portal, das uns im Stummen verhöhnt: ›Ich werde mich niemals für euch Staubfresser öffnen‹.
Da erwacht die Tür zum Leben, es knackt und fiept im Inneren, dann ein letztes, lautes Dröhnen und … es öffnet sich, gibt den Blick frei auf das, was dahinter verborgen liegt. Mein Herz rast jetzt, ich merke, wie ich in den letzten Sekunden die Luft angehalten habe. Mir entfährt ein Keuchen. In meinen Träumen hatte ich mir diesen Moment ersehnt, doch die Realität übertrifft alle geistigen Konstrukte. Neben mir stößt Onkel Burak einen Freudenschrei aus.
Wasser. Säuberlich aneinandergereiht liegen die Flaschen auf Edelstahl hinter beleuchteten Termofrost-Türen, kristallklar und eisgekühlt. So viel, dass es für zwei Leben reicht. In scheinbar endlosen Reihen verlaufen die Vorratsschränke zu beiden Seiten des Raumes entlang.
Burak schreit erneut vor Glück, rennt hinein und direkt zum ersten Schrank links. Er reißt sich die Maske vom Gesicht, holt eine Literflasche aus dem Regal, wobei er scheinbar unkontrollierte, schluchzende Geräusche von sich gibt. Gierig setzt er das Wasser an und trinkt, stoppt, lacht. Mit geschlossenen Augen gießt er sich den Rest über das von zerstochenen Brandblasen gezeichnete, sonnengegerbte Gesicht.
Ich tue es ihm gleich, die Kühle des Raums trifft mich, wie ich es sonst nur von chemikalischen Drogen kenne. So muss es sich im Paradies anfühlen.
Burak lacht und wirft mir eine Flasche zu. Beinahe lasse ich sie fallen, so kalt ist sie.
Ich öffne den Verschluss und trinke, es gibt kein vergleichbares Gefühl.
Burak holt die Techbox hervor, wählt eine Nummer. Sein Grinsen ist ansteckend, hier und jetzt fühlt es sich an, als könnte ich es mit dem gesamten Regime aufnehmen.
»Ja, ich bins«, sagt Burak zum Piloten am anderen Ende der Leitung. »Wir sind drin. Schick die Drohne auf den Weg, wir …«
Eine dumpfe Explosion erschüttert das Gebäude, lässt die Glasflaschen im offenen Frostschrank klirren, gefolgt von knatternden Schüssen, aus dem Foyer.
»Scheiße!« Onkel Burak sprintet aus dem Tresorraum, ich hinter ihm her.
Eine Staubwolke wallt in den Gang, der zu den Geiseln führt und lässt absolut nichts erkennen. Burak hält die Schrotflinte im Anschlag. »Amir!«, ruft er und tritt vorsichtig in den Durchgang. Vollautomatisches Mündungsfeuer hinter dem Staub, die großkalibrige Salve trifft Onkel Burak in Brust und Hals. Fleischbröckchen und Blut spritzen empor, die Einschläge drehen ihn um die eigene Achse und er fällt mit dem Gesicht nach unten zu Boden.
Ich presse mich an die Wand des Gangs, unfähig, einen Gedanken zu fassen.
Im Foyer höre ich Amirs Gewehr, es feuert sein Stakkato auf den Feind, dann sehe ich Schemen im Staub aufstehen, Designerstücke und Maßanzüge. Erneut röhrt das Großkaliber, die Schemen werden wie Burak in Stücke zerfetzt.
Ich taste mich rückwärts an der Wand entlang in Richtung Tresor, Schreie und Schüsse dringen an mein Ohr. Eine weitere Salve der schweren Waffe, dann schweigt auch Amirs Gewehr und es herrscht Stille.
Die Kälte des Tresorraums trocknet den Angstschweiß augenblicklich und mich überkommt eine Gänsehaut. Ich betätigte den Verriegelungsmechanismus der Tür und das Letzte, was ich sehe, ist die klobige Silhouette einer Todesdrohne des Regimes, wie sie auf zwei Beinen durch die Staubwolke in den Gang stapft. Dann schließt sich das Schott und das Licht im Tresorraum erlischt. Dunkelheit im Paradies, zum Tode verurteilt. Es hätte schlimmer enden können.
Später am Abend eilen die Diener lautlos durch das dunkel getäfelte, angenehm temperierte Esszimmer. Der Tisch ist gedeckt, die Familie tritt ein. Die Wahl des Ehemanns fällt zur Feier des Tages auf eine Flasche ›Kona Nigari‹. Neunfach gefiltert. Beinahe silbern perlt die Flüssigkeit in den Gläsern, dann zieht sich die Dienerschaft diskret zurück.
»Hattest du große Angst, Mama?«, fragt einer der Söhne die Mutter.
»Ja, mein Kind. Die hatte ich«, antwortet sie. Anstelle des blaues Seidenkleids trägt sie nun ein schlichtes, schwarzes Kostüm. Sie greift zur Gabel, doch ihre Hand zittert noch immer und so legt sie die Hände in den Schoß.
»Dachtest du, dass du stirbst?«, fragt Sohn Nummer zwei.
»Schluss damit!« Der herrische Ton des Vaters lässt die Kinder augenblicklich verstummen. »Eure Mutter ist eine Heldin, und Heldinnen sterben nicht. Sie hat gehandelt, während alle anderen bloß tatenlos herumgelegen haben.« Er sieht ihr in die Augen, spießt einen weiteren Bissen auf, kaut, schluckt. »Und du sagst noch, die Schnittstelle wäre zu teuer und der Prototyp würde dir Kopfschmerzen bereiten. Hah!« Er gluckst zufrieden, trinkt einen großzügigen Schluck des eiskalten Mineralwassers und betrachtet die aufsteigenden Bläschen. »Ich denke, ich mache nächste Woche einen Termin in der Klinik, wir sollten bei dir über weitere Maßnahmen nachdenken.« Er isst weiter, an die Kinder gerichtet fährt er fort: »Wenn eure Mutter nicht über ihr spezielles Gehirnimplantat die Vollstrecker gerufen hätte, wer weiß, vermutlich hätten die Bankräuber am Ende alle Geiseln umgebracht. So haben sie nur ein gutes Dutzend getötet. Eure Mutter ist eine Heldin des Regimes, das steht fest.«
Die Kinder sehen sie mit leuchtenden Augen an, trinken ihr Wasser und essen gehorsam auf. »Ich bin stolz auf dich, Mama«, sagt der eine.
»Ich bin auch stolz auf dich«, sagt der andere. Und an den Vater gewandt: »Wenn ich mal groß bin, will ich auch ein Vollstrecker werden, dann kann ich uns vor den dreckigen Staubfressern beschützen.«
Der Vater lacht und leert sein Glas. Ein Diener füllt es umgehend auf. »Sehr gut, mein Sohn, das ist die richtige Einstellung!« Dann fällt sein Blick auf die Ehefrau. »Meine Liebe, du trinkst ja gar nichts. Bist du nicht dustig?«