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Durch Türen gehen
An das Team von Transport-Project 17: Bitte vollständig in Versuchseinrichtung 5-B erscheinen! Jegliche unautorisierten Personen werden angehalten, sich sofort von dort zu entfernen! Wiederhole unautorisierte Personen haben sich sofort zu entfernen!
Die elektronisch verfremdete Frauenstimme hallte durch die Gänge der Uranus Orbit- Forschungsraumstation der WCU. Rege bewegte sich alles zwischen den metallen verkleideten Wände zu den Liften, welche zu den anderen Ebenen führten. Alle ohne nötige Autorisierung taten wie geheißen. Einer, von nur Zweien, die jetzt noch in die andere Richtung gingen, bewegte mühelos gegen den, nicht unerheblichen, Strom des Personals. Für einen Moment blieb er stehen und blickte über die Schulter.
„Jonathan, beeil dich lieber! Nicht jeder Student kann bei so etwas dabei sein!“
„Tut mir leid, Dr. Schneider! Ich tue was ich kann!“
Hinter ihm versuchte ein junger Mann, gegen Strom, einen Weg durch das Gedränge zu finden, was ihm aber erst gelang, als die meisten schon vorbeigezogen waren. Bevor er vollständig zum Doktor aufschließen konnte, stand dieser schon vor einem Panzertor auf dem in weiß 5-B stand. Mit amüsiertem Lächeln schüttelte er den Kopf über seinen Schützling, bevor er sich nach vorne beugte um am Netzhautscanner die Tür zu öffnen. Nach nur wenigen Sekunden wechselte die kleine LED-Leuchte an der Apparatur von rot auf grün und unter dem Tönen mechanisch-hydraulischer Kräfte schob sich das Tor gerade weit genug auf, dass ein Mann bequem hindurchgehen konnte. Dahinter erstreckte sich ein Raum von der etwa 1,5-fachen Größe eines Fußballfeldes, nur auch etwas breiter. Er war reserviert für die platzintensivsten Projekte. Und die gefährlichsten. Darum wusste Dr. Schneider, wie alle dort, doch wussten sie ebenso um die enorme Bedeutung, die Transport-Project 17 zukam. Aus eben jenen Gründen waren Tor und Raum nicht nur mit doppelten Wänden gepanzert, einmal eine Titanlegierung, einmal Blei, sondern waren auch umringt von einer Zahl Strahlenschutzgeneratoren.
Fasziniert hefteten die Blicke des Studenten am Versuchsaufbau in der Mitte des Raumes, doch war ihr Ziel der ausgelagerte Kontrollraum links von ihnen. Dessen Maße bildeten einen Kontrast zur restlichen Einrichtung. Zwar zog er sich auf einiger Länge an der Wand entlang, hatte aber nur eine Breite von 2,5 Metern, Kopffreiheit gab es keine zwanzig Zentimeter. Wie der enge, dunkle Gang eines Ameisenbaus für Wissenschaftler. Jonathan, als normalgewachsener Mann, war in diesem Moment froh, dass Übergewichtige, aufgrund der großen Strapazen, welche die Transitflüge mit sich brachten, ungeeignet waren für Projekte im All waren. Andernfalls hätte er sich wohl gar nicht mehr, dem Doktor folgend und an sich anderen Wissenschaftlern vorbeischiebend, durch dieses enge Loch bewegen können, bis zur für Schneider vorgesehenen, freien Konsole an der mit Sichtfenstern versehenen Seite. Der Doktor nahm auf einem sehr unbequem aussehenden Stuhl platz.
„Tsss, tsss, deutsche Pünktlichkeit! Schön das du auch mal kommst!“ Ein an der Nachbarkonsole Sitzender hatte sich zu ihnen umgedreht und grinste, in nicht ganz ernst gemeintem Spott. Auch Schneider konnte sich ein Grinsen bei seiner Antwort nicht verkneifen: „Hör doch mal damit auf, wie oft muss ich dir denn noch sagen, dass ich Schweizer bin. Wir lassen uns halt nicht in unnötige Hektik treiben!“ Jonathan kannte den Mann aus diversen Fachartikel und von vorangegangenen Versuchen. Er hieß Dr. Samuel White, ein hoch angesehener Physiker aus dem Vereinigten Königreich und guter Freund seines Mentors.
Unterbrochen wurden die kleinen Sticheleien der Freunde von einer Lautsprecherdurchsage eines leicht nervös klingenden Kommunikationstechnikers:
Wir haben gerade die Bestätigung der Mars Experimental Station 3 reinbekommen! Ihre „Tür“ ist offen und alle weiteren Vorbereitungen sind ebenfalls abgeschlossen.
White klatsche und rieb erwartungsvoll die Handflächen aneinander: „Dann wollen wir mal!“
In einer fast gemeinsamen Bewegung zogen sich die Männer und Frauen an den Konsolen Headsets über, während die Blicke des Studenten wieder an den Aufbau in der Mitte des Raumes gefesselt waren. Zwei hohe, senkrecht stehende Metallträger, dazwischen zwei kleinere, zylindrische Geräte, welche schräg nach Innen gerichtet waren. Die gleichen Objekte hingen auch an den Enden der Träger, nur waren die schräg nach unten gerichtet. Die Enden aller vier bildeten ein Quadrat. Direkt daran anschließend und darauf ausgerichtet war eine Rampe. Und darauf stand es, das, was diesen Versuch von den vorherigen unterscheiden würde. Hier nannten es alle nur das „Vehikel“, Zwecks Geheimhaltung des Herstellers. Die vollen Informationen hatten nur höchste Mitarbeiter, wie Dr. Schneider, und WCU- Administration. Dieser unbestimmte Name wurde dieser hochkomplexen Maschine, welche in ihrer Entwicklung Millionen an Forschungsgeldern der WCU verschlugen hatte und den Erfolg von Transport-Project 17 bestätigen sollte, aber dennoch nicht gerecht.
Die Form ließ sich grob als vierseitige Pyramide, die auf einer ihrer Seitenflächen lag, beschreiben. Auf der Oberseite ließ sich von Jonathans Position nur schwer die Kanzel ausmachen, da das „Vehikel“ mit der Rückseite zu ihnen stand.
Hydraulisches Zischen riss ihn von dem Anblick los. Nach rechts schauend sah er, wie sich der Eingang des Anbaus, durch den er mit Dr. Schneider eingetreten war, durch eine schwere Tür verschlossen wurde, nötig, da die Wissenschaftler und anderen qualifizierten Mitarbeiter innerhalb, in Gegensatz zu jenen, welche in direkter des Versuchaufbaus in restlichen Raum arbeiteten, keine Strahlenschutzanzüge trugen.
„Hey, ähh... Jonathan! Mal sehen, ob du deine Hausaufgaben gemacht hast! Wenn du deinen Master darüber schreiben willst, dann solltest du es ja wohl auch zusammenfassen können!“ Das war Dr. White, er lächelte zu Jonathan, der immer noch stehen musste, hoch.
Jonathan atmete kurz durch und überlegte kurz, wie er anfangen sollte, schließlich war der Mann eins seiner Vorbilder und er wollte sich nicht blamieren.
„Man öffnet das, was immer nur als das ‚Tür’ bezeichnet wird. Durch sie erhält man Zugang zu einer Art Zwischenraum, zwischen jeder Position in unserem Raum. Wird nun woanders eine zweite ‚Tür’ geöffnet, kann man durch die erste, über den Zwischenraum, beliebige Distanzen in kürzester Zeit zurücklegen, im Zwischenraum existiert Raum, in dem Sinne, gar nicht und die Dauer wird lediglich durch den Zeitaufwand bestimmt, der nötig ist um die Energie aufzubauen, welche man braucht um die zweite ‚Tür’ zu ... ‚durchschreiten’.“
White wirkte zufrieden. Er drehte zu seinem Freund um: „Der hat’s drauf.“
Ein kurzer, durchdringender Ton kündigte eine neue Durchsage an:
Alle Mitarbeiter auf ihre Plätze. Wir beginnen nach den Einstieg mit der „Öffnung“.
Mit eingeübter Schnelligkeit nahmen die Projekt-Mitarbeiter ihre Plätze ein. Von der Seite des Raumes draußen kam ein Mann her. Sein Anzug unterschied sich deutlich von den Strahlenschutzanzüge der anderen dort, wenn auch er wohl nicht minder schwer war. Dabei handelte es sich um den Pilotenanzug, einen existenziellen Teil der Lebenserhaltungssysteme im „Vehikel“. An diesem hatte man bereits die Kanzel geöffnet und man half dem Piloten beim Einstieg, was sich relativ umständlichen gestaltete und allein schon vier Minuten in Anspruch nahm, bis er richtig saß und alle Systeme an den Anzug angeschlossen waren. Nachdem die Kanzel wieder geschlossen war, eilten die Helfer zurück an ihre Plätze.
Achtung, wir beginnen jetzt mit der Öffnung! Wiederhole: Wir beginnen jetzt mit der Öffnung!
Die vier Geräte fingen an zu summen, es steigerte sich zu einem tiefen Dröhnen. Dünne elektrische Ladungen zuckten zwischen ihnen und Luft begann zu fluoreszieren. Nach knapp einer Minute hatte sich zwischen ihnen eine annährend quadratische, hell leuchtende Fläche gebildet, wenn auch die Ränder nicht klar abgetrennt waren, mehr als hätte man von einer Papierserviette die Ränder abgerupft.
Im Kontrollanbau machten sich die Wissenschaftler daran, die Instrumente abzulesen und gaben ihre Ergebnisse weiter.
„Temperatur in Peripherie von 5 Metern auf 328 K hoch.“
„Strahlung auf exaktem Niveau der vorherigen Tests.“
„Energiefluss konstant. Dr. Schneider, Freigabe?“
Schneider überblickte die Messergebnisse noch einmal kurz.
„Freigabe! Pilot alle Systeme in Ordnung?“
„Alles bereit.“
„Gut, dann los!“
Die Rollen an der Rampe bewegten sich und schoben das „Vehikel“ durch das Licht, die ‚Tür’. Dr. White beugte sich vor und tat seine Aufgabe, las die Daten die das „Vehikel“ sendete, sowie biometrischen Werte des Piloten.
„First Lieutenant Kingman, können sie mich hören? Hier Kontrollraum Uranus, bitte um Antwort.“
„Hier First Lieutenant Kingman, alles OK! Nehme Kontakt zu Mars auf und beginne mit dem Energieaufbau für den Übertritt.“
Es vergingen zwei Minuten, nachdem man die Bestätigung vom Mars hatte, ehe White plötzlich nervös wurde.
„Kingman, etwas stimmt mit ihrem Energiegenerator nicht. Ich nehme eine deutliche Abfall wahr!“
„Ich seh’s das Drecksding überhitzt! Scheiße!!!“
„Beeilen sie sich und schalten sie die Notkühlung ein!“
„Dazu ist es schon zu heiß, es würde mir Ohren fliegen! Ich schalte es ab!“
„Nein, das so geht nicht, dann explodiert die Scheiße erst re...“
Er hörte abrupt auf zu sprechen. Die Anzeigen auf seiner Konsole standen alle bei Null.
„Kingman?“
Nichts.
„Kingman, antworten sie!!!“
Jonathan war vorsichtshalber einen Schritt zurückgetreten, denn das Chaos ließ nicht lange auf sich warten. Völlig in Rage war Dr. Schneider aufgesprungen, hatte seinen Stuhl zertreten und schrie herum: „Ich hab’s ihnen gesagt!!! Hundert mal!!! ‚Lasst die es bauen, die auch das für die Ratten und den Schimpansen gebaut haben, die waren perfekt!’ Aber NEIN!!! Dreckslobbyisten!“ Unterdessen war White in einem Zustand zwischen Apathie und Verzweiflung gefangen, immer weiter stammelte er seine Bitte um Antwort in das Mikrofon. Um sie herum schnatterten die restlichen Wissenschaftler, riefen sich zu, dass sie nichts mehr messen konnten, als ob das nicht jedem klar gewesen wäre.
Ein Mann war tot und das Projekt hatte einen Rückschlag erlitten, von dem es sich vielleicht nicht mehr erholen würde.
In der sich ausbreitenden Panik ging das Rauschen der Lautsprecher unter. Erst Minuten später verschaffte der Kommunikationstechniker sich mit einem durchdringenden, fast schmerzhaften Ton Gehör:
Mars hat sich gemeldet, fragt was passiert ist. Sie haben nur vordere Hälfte vom „Vehikel“ halbwegs heil bekommen, der Rest sind Trümmer und Schlacke. Kingman ist schwer verletzt, ein Metallstück hat sich durch einen Lungenflügel gebohrt. Man hat ihn mittlerweile auf die Krankenstation gebracht.
Panik wich Konfusion, Schneider schwieg nun, ebenso wie White. Erst Jonathan brach die Stille. Er lächelte leicht, ob seiner Erkenntnis, zu der keiner der noch ziemlich verstörten Wissenschaftler fähig war:
„Die Explosionsenergie bei dieser Art von Antrieb, zusammen mit der Hitze, hat gereicht... Genug Energie für den Übertritt.“