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Durch die Wand
... Nase juckte. Er war der Mann mit der eisernen Maske. Er rannte kräftig mit dem Gesicht gegen die Wand. Es half nicht. Er kam nicht hindurch. Folglich erdrosselte er seinen Mitgefangenen und ritzte ihm eine Nachricht in den Rücken. Mit den Fingernägeln. Natürlich nicht mit seinen eigenen. Und natürlich verschlüsselte er die Nachricht. Jeder, der den Rücken der Leiche sähe, würde sich nur fragen, was die ganzen Zahlen sollen. Den geheimen Schlüssel kannte nur der Mann mit der eisernen Maske. Und sein Freund Victor, der irgendwo draußen in der Freiheit auf Nachricht von ihm wartete.
Ach, die Freiheit!
Sie lag direkt hinter jener Mauer, er musste nur hindurch gleiten ... leider war ihm das bisher noch nicht gelungen. Ohne seine Maske hätte er sich längst die Nase platt gerannt. So aber zeugten nur einige Kratzer und Dellen im Metall seines Gesichtsschutzes von den erfolglosen Versuchen, durch die Wand zu gehen.
Die Tür war weniger hart. Und ging genau in diesem Moment sogar auf.
Der Mann mit der Maske lachte und tanzte auf die Tür zu. Bis die Kette um sein Fußgelenk ihn stoppte.
»Unft«, machte er.
Ein Soldat kam herein, grummelte sowas wie »immer ich« und schleifte die Leiche hinaus. Während der Mann mit der Maske ein fröhliches Liedchen über das lustige Leben der Spatzen anstimmte, wurde ein anderer Häftling hinein gestoßen.
Der Mann mit der Maske unterbrach seinen Gesang. »Ah, ein neuer Zellenkamerad, wie schön.«
»Er hat es sich redlich verdient, hier zu sein«, entgegnete der Soldat, bevor er die Tür zu knallte.
Freundlich lächelnd trat der neue Häftling näher. »Mein Name ist Armand. Und wie heißen Sie?«
»Nenne er mich...«, sprach der Mann mit der Maske, »Bertrand.«
»Bertrand!«
»Oder... Olivier.«
»Wie?«
»Oder vielleicht... Luc!«
»Ach was, ich werde dich einfach Mann mit der Maske nennen.«
»Das tun alle anderen auch.«
»Erstaunlich. Eine Frage, Maskenmann.«
»Ja?«
»Was ist mit der Leiche pass ...«
Ohne zu zögern sprang der Mann mit der Maske auf Armand zu und legte ihm die Hände um den Hals. Bis der andere ihn mit einem kräftigen Tritt gegen die Wand schleuderte, die leider so undurchlässig war wie immer.
»Klong-Unf«, machte der Mann mit der Maske. Armand wartete geduldig, bis er sich aufgerappelt hatte. »Ich denke, ich werde dich Igor nennen«, sagte er dann. »Igor, du wirst mich nicht im Schlaf erwürgen.«
»Natürlich nicht«, stöhnte Igor und versuchte, Armands Füße zu küssen.
»Vielleicht«, ergänzte Armand freundlich, »erwürge ich dich, wenn du schläfst.«
»Bitte nicht, mein Herr«, säuselte Igor und drückte sich flach auf den Boden. Das tat er sonst nie. Höchstens, um sich die Käfer von unten anzuschauen.
»Hm ... sagen wir, ich überlege es mir.«
»Zu gütig.« Der Maskenmann wischte sich Schmutz vom Körper, straffte sich und stolzierte in seine Ecke. »Und jetzt entschuldigen Sie mich. Ich muss eine neue Geheimschrift entwickeln.«
Damit begann der Mann mit der Maske, Strohhalme auf einem freien Stück Boden zu sortieren. Ärgerlicherweise fand er auf Anhieb keinen, den er als W nehmen konnte.
»Was wird das, wenn es fertig ist?«, fragte Armand.
»Eine neue Geheimschrift, sagte ich doch.« Der Maskenmann war belustigt ob der Ahnungslosigkeit seines Mitgefangenen. Von Geheimschrift hatte der keine Ahnung.
»Igor«, grinste Armand, »was willst du denn damit schreiben, und wer soll es lesen?«
»Das ist mein Geheimnis.«
»Weißt du was?«
Der Mann mit der Maske sah nebenbei auf. »Was?«
»Du gehst mir auf die Nerven. Ich suche mir eine andere Zelle. Lass mich durch, Wand!« Indem er es sprach, ging er auf die Wand zu und trat hindurch, als wäre sie aus Luft.
Mit einem Schrei rannte der Mann mit der eisernen Maske auf die Wand zu, die in die Freiheit führte. Seine Nase juckte nicht mehr.