Was ist neu

Durch die Wand

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15.04.2002
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Durch die Wand

... Nase juckte. Er war der Mann mit der eisernen Maske. Er rannte kräftig mit dem Gesicht gegen die Wand. Es half nicht. Er kam nicht hindurch. Folglich erdrosselte er seinen Mitgefangenen und ritzte ihm eine Nachricht in den Rücken. Mit den Fingernägeln. Natürlich nicht mit seinen eigenen. Und natürlich verschlüsselte er die Nachricht. Jeder, der den Rücken der Leiche sähe, würde sich nur fragen, was die ganzen Zahlen sollen. Den geheimen Schlüssel kannte nur der Mann mit der eisernen Maske. Und sein Freund Victor, der irgendwo draußen in der Freiheit auf Nachricht von ihm wartete.
Ach, die Freiheit!
Sie lag direkt hinter jener Mauer, er musste nur hindurch gleiten ... leider war ihm das bisher noch nicht gelungen. Ohne seine Maske hätte er sich längst die Nase platt gerannt. So aber zeugten nur einige Kratzer und Dellen im Metall seines Gesichtsschutzes von den erfolglosen Versuchen, durch die Wand zu gehen.
Die Tür war weniger hart. Und ging genau in diesem Moment sogar auf.
Der Mann mit der Maske lachte und tanzte auf die Tür zu. Bis die Kette um sein Fußgelenk ihn stoppte.
»Unft«, machte er.
Ein Soldat kam herein, grummelte sowas wie »immer ich« und schleifte die Leiche hinaus. Während der Mann mit der Maske ein fröhliches Liedchen über das lustige Leben der Spatzen anstimmte, wurde ein anderer Häftling hinein gestoßen.
Der Mann mit der Maske unterbrach seinen Gesang. »Ah, ein neuer Zellenkamerad, wie schön.«
»Er hat es sich redlich verdient, hier zu sein«, entgegnete der Soldat, bevor er die Tür zu knallte.
Freundlich lächelnd trat der neue Häftling näher. »Mein Name ist Armand. Und wie heißen Sie?«
»Nenne er mich...«, sprach der Mann mit der Maske, »Bertrand.«
»Bertrand!«
»Oder... Olivier.«
»Wie?«
»Oder vielleicht... Luc!«
»Ach was, ich werde dich einfach Mann mit der Maske nennen.«
»Das tun alle anderen auch.«
»Erstaunlich. Eine Frage, Maskenmann.«
»Ja?«
»Was ist mit der Leiche pass ...«
Ohne zu zögern sprang der Mann mit der Maske auf Armand zu und legte ihm die Hände um den Hals. Bis der andere ihn mit einem kräftigen Tritt gegen die Wand schleuderte, die leider so undurchlässig war wie immer.
»Klong-Unf«, machte der Mann mit der Maske. Armand wartete geduldig, bis er sich aufgerappelt hatte. »Ich denke, ich werde dich Igor nennen«, sagte er dann. »Igor, du wirst mich nicht im Schlaf erwürgen.«
»Natürlich nicht«, stöhnte Igor und versuchte, Armands Füße zu küssen.
»Vielleicht«, ergänzte Armand freundlich, »erwürge ich dich, wenn du schläfst.«
»Bitte nicht, mein Herr«, säuselte Igor und drückte sich flach auf den Boden. Das tat er sonst nie. Höchstens, um sich die Käfer von unten anzuschauen.
»Hm ... sagen wir, ich überlege es mir.«
»Zu gütig.« Der Maskenmann wischte sich Schmutz vom Körper, straffte sich und stolzierte in seine Ecke. »Und jetzt entschuldigen Sie mich. Ich muss eine neue Geheimschrift entwickeln.«
Damit begann der Mann mit der Maske, Strohhalme auf einem freien Stück Boden zu sortieren. Ärgerlicherweise fand er auf Anhieb keinen, den er als W nehmen konnte.
»Was wird das, wenn es fertig ist?«, fragte Armand.
»Eine neue Geheimschrift, sagte ich doch.« Der Maskenmann war belustigt ob der Ahnungslosigkeit seines Mitgefangenen. Von Geheimschrift hatte der keine Ahnung.
»Igor«, grinste Armand, »was willst du denn damit schreiben, und wer soll es lesen?«
»Das ist mein Geheimnis.«
»Weißt du was?«
Der Mann mit der Maske sah nebenbei auf. »Was?«
»Du gehst mir auf die Nerven. Ich suche mir eine andere Zelle. Lass mich durch, Wand!« Indem er es sprach, ging er auf die Wand zu und trat hindurch, als wäre sie aus Luft.
Mit einem Schrei rannte der Mann mit der eisernen Maske auf die Wand zu, die in die Freiheit führte. Seine Nase juckte nicht mehr.

 

Hi Uwe Post,

die Geschichte liest sich sehr unterhaltsam. Aber mir fehlt der Zugang. Habe null Ahnung, wie ich den Text verstehen (interpretieren?) soll. Vielleicht hilft mir jemand?

ein etwas ratloser querkopp

 

Hm ... wirklich so unverständlich? Ein Tipp: Stell Dir vor, dass Du in einer ausweglosen Situation bist. Was tun? Mit dem Kopf durch die Wand?

Uwe

 

Tach, Post! :bounce:

Abgesehen davon, dass dein Prot ´nen gehörigen Sprung in der Maske, äh... Schüssel hat, fand ich das doch recht witzig. Zwar irgendwie sinnlos (teilweise), aber witzig. Schön, wie du den Wahnsinn beschreibst, den man wohl zwangsläufig bekommt, wenn man (seit Jahren?) eingesperrt ist.

Schöne Dialoge, absurd, grotesk, gefällt mir.

»Du gehst mir auf die Nerven. Ich suche mir eine andere Zelle. Lass mich durch, Wand!« Indem er es sprach, ging er auf die Wand zu und trat hindurch, als wäre sie aus Luft.
Da konnte ich mir die Szenerie prima vorstellen.

Gruß,
Ponch

 

Hallo Uwe
Deine Geschichte ist fehlerfrei geschrieben und stilistisch unbfehlbar.
Das wars für mich aber leider schon.
ich kenn mich nämlich nicht aus.
Soll das eine Anlehnung an Dumas Mann mit der eisernen Maske sein?
Wenn ja, was hat dann Magie darin verloren?
Was soll dieser ständige Namenstausch, der nur irritiert?
Wie gesagt. ich kenn mich nicht aus.
Wäre froh wenn du meine Fragen beantworten könntest.

 

Hi Uwe,


coole Story.

Meine einzige Frage ist:

Gabs den anderen Gefangenen überhaupt oder gehörte das zum Wahnsinn des Prot.?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich Wächter einen Spass draus machen, neue Gefangene in die Zelle eines gemeingefährlichen Irren zu verlegen.
Vor allem, wenn sie nicht draufstehen, nachher aufzuräumen...

Henry Bienek

 

@Henna:
Anlehnung: ja, durchaus, ich bediene mich des relativ bekannten Motivs, um das zugehörige Ambiente im Kopf des Lesers zu aktivieren.
Magie? Von Magie ist keine Rede. Die Geschichte ist etwas surreal, daher geht der Mitgefangene durch die Wand. Es ist keine Magie, sondern eine Metapher.
Der Namenstausch ist kein Tausch in dem Sinne, sondern der Gefangene mit der Maske hat, wie Poncher korrekt festgestellt hat, einen Sprung in der Schüssel und nennt daher verkehrte Namen. Es sind natürlich alles Nicknames, äh, falsche Decknamen, die er sich in dem Moment ausdenkt, in dem er sie nennt. Er hat ja so einen Geheimkram-Fimmel.

@Henry:
Ich denke schon, dass es den zweiten Gefangenen tatsächlich gibt, denn Halluzinationen gehören eigentlich nicht zu den diversen Schäden des Manns mit der Maske.
Zu der anderen Frage: Unter Umständen finden die Wächter sogar, dass es eine hervorragende Idee ist, bestimmte Gefangene mit einem gemeingefährlichen Irren zusammen einzusperren ...

Uwe

 

hey uwe post,

hast du nicht mitbekommen, dass sich das thema im challenge geändert hat? heisst nicht mehr: ´surreales´ sondern ist auf lateinisch geschrieben und bedeutet mit sicherheit was anderes :D

musste beim lesen zuerst an den mann mit der maske denken, dann an einen uralten heinz rühmann film, bei dem er durch die wand geht. so betrachtet ist die idee, die du da präsentierst nicht neu sondern nur eine kombination aus mehreren geschichten.

aber trotz allem hat sie mir gut gefallen. absurd und zum schmunzeln.

 

Hallo Uwe,

Deine Geschichte wirkt auf mich unentschieden: Surrealismus, Horror, Satire? Manchmal ist so eine Mischung ganz gut, aber hier fehlt mir der Schwerpunkt.
Gefallen hat mir der Gegensatz des `mit dem Kopf durch die Wand Rennens´ zum `einfach durch die Wand gehen´ - manchmal sind halt nur Dinge möglich, in die man sich nicht verrannt hat.

Tschüß... Woltochinon

 

Moin Wolto,

nicht unentschieden, sondern entschieden alles :cool: ich glaube halt nicht, dass ich mich den Beschränkungen eines Genres fügen muss.

Der Schwerpunkt liegt auf der Kernfrage "wie kommt man mit dem Kopf durch die Wand?" was wiederum ein Bild ist für "wie kommt man aus einer ausweglosen Lage?". Eine der möglichen Antworten hast Du ja auch gefunden. Ich biete ja mehrere an.

Um einen deutlicheren Schwerpunkt zu setzen, fehlt es der Geschichte an Länge. Schließlich endet sie so plötzlich wie sie angefangen hat ...

Uwe

 

Hi Uwe.
Amüsant zu lesen war es ohne Zweifel.
Ob damit der Forderungsbestand des Challenge bedient wird, ziehe ich aber in solchen... nichtsdestotrotz, unterhaltsam wars, vor allem der Schluss.
Lord

 

Hi Uwe,

Kurz zu folgendem Zitat...

"ich glaube halt nicht, dass ich mich den Beschränkungen eines Genres fügen muss."

Meinst Du das ernst?
Gehört es nicht zu dem tieferen Sinn einer Challenge, dass man sich (ausnahmsweise mal) Beschränkungen unterwirft?

Würde mich echt interessieren...

By the way - finde ich - wenn man genau drüber nachdenkt, dass die Forderungen der Challenge doch fast erfüllt sind.

Die Geschichte fängt mittendrin an - der Protagonist ist eingekerkert und trotz aller Versuche ist er es am Ende immer noch...
Somit war das Ende im Anfang enthalten und das Einzige, was - mir persönlich - fehlen würde, ist der nachvollziehbare Schritt-für-Schritt-Verlauf.
Hättest Du mit dem neuen Gefangenen noch eine Debatte über die zahlreichen, versuchten Ausbrüche eingetreut, und ihn dann erst verschwinden lassen, wäre die Geschichte - meiner bescheidenen Meinung nach - ganz gut integriert. So wirkt es auf mich, als hättest Du einfach ein Stück aus einer Deiner anderen Geschichten herausgeschnitten...

Trotzdem eine gute Geschichte, die ich gerne gelesen habe. Du hast einen guten Sinn für verschrobene Charaktere und eine coole Art, zu schreiben...

Henry Bienek

 

Geschrieben von Henry Bienek
"ich glaube halt nicht, dass ich mich den Beschränkungen eines Genres fügen muss."

Meinst Du das ernst?
Gehört es nicht zu dem tieferen Sinn einer Challenge, dass man sich (ausnahmsweise mal) Beschränkungen unterwirft?


Ja, aber die Beschränkung lautet in diesem Fall "in medias res", was ich beachtet habe, aber es war nie davon die Rede, sich auf ein Genre (SF, Fantasy, Krimi...) zu beschränken.

Zum Thema "Schritt für Schritt": Ich bin der Auffassung, dass ich es genau so gemacht habe, wenngleich die Schritte überraschend kommen mögen und nicht messerscharf abgegrenzt sind, aber das wäre ja langweilig - gehen wir es mal durch:

1. Maskenmann rennt gegen die Wand und kommt nicht durch
2. Maskenmann versucht mithilfe einer Geheimnachricht einen Ausweg zu finden (man kann davon ausgehen, dass das auch nicht klappt)
3. Anderer Häftling taucht auf und entlarvt den mächtigen Schaden des Maskenmanns
4. Anderer Häftling geht durch die Wand in die Nachbarzelle, es fällt ihm ganz leicht (und hier steckt die Aussage der Geschichte drin)
5. Maskenmann rennt auf die Wand zu, womit der Kreis sich schließt.

Die Form ist also so, dass der Prot etwas versucht, es ihm nicht gelingt, und er dann gezeigt bekommt, wie es geht, denn er stellt die Sache falsch an. Die Geschichte ist damit vollständig erzählt. Eine Debatte hätte sie verlängert, und sie wäre mir konstruiert erschienen. Die Handlungen sprechen für die Personen, sie brauchen die Lage nicht auszudiskutieren, obwohl letzteres die Sache für den Leser vielleicht verständlicher machen würde.

ciao

Uwe

 

Hi Uwe,

ich habe hier "In medias res" als eigenes Genre gesehen, da es ja einen eigenen Stil erfordert - insofern habe ich klar an Deinem Thema vorbeigeredet - sorry for that, grins...

So wie Deine Aufstellung war, hatte ich die Geschichte auch verstanden - im Grunde jedenfalls - nur hast Du es dem Leser nicht gerade einfach gemacht, dieser Struktur zu folgen - aber das muss man ja auch nicht unbedingt...
Ich nehme meinen letzten Kritikpunkt also hiermit zurück und bescheinige Dir halbseitige Genialität ;-)

Henry Bienek

 

Hi Uwe post,

so, jetzt habe ich einige Kommentare als Lotsen aus meiner Ratlosigkeit. Wenn ich es jetzt richtig verstehe, geht es lediglich um die Umsetzung des Sprichwortes ´mit dem Kopf durch die Wand´, auf etwas satirische Art. Dann bin ich beruhigt, hatte befürchtet irgendwo einen Aussetzer zu haben.

Bzgl. deiner "Schritt für Schritt - Aufstellung" teile ich deine Ansicht nicht. In meinen Augen fehlt eine ´zwangsläufige Chronologie´ der Ereignisse. Was du schilderst sind mehr oder weniger kleine, einzelne, zufällig aufeinander folgende Handlungssequenzen. Mir fehlt gewissermaßen der rote Faden.

Gruß vom querkopp

 

Hallo Uwe!

Wieder mal eine deiner metaphergeprägten Geschichten .. :)

Sie hat mir insgesamt gut gefallen. Der reduktionistische Stil und die Wendungen bewirken, dass sie sich ziemlich abgeklärt und rasant liest. Vor allem der erste Absatz ist gelungen.

Zum Inhalt selbst wurde schon viel gesagt. Ich finde sie inhaltlich zwar nicht sensationell, aber schon ziemlich gut.
Eines noch: Der, der angeblich noch verrückter ist als der Mann mit der Maske, geht mühelos durch die Wand. Hmm .. Bin mir nicht sicher, ob du das aussagen willst. Wenn ja, stimme ich da nicht so ganz zu ..

lg
klara

 

Hi Klara,

eine sehr gute Beobachtung, das mit dem "noch verrückter" - ich sollte das besser weglassen oder dem Wächter etwas anderes in den Mund legen, denn das passt in der Tat nicht zur Aussage.

Uwe

 

Moin Uwe,

Das ist eine sehr absurde und unterhaltsame Geschichte geworden. Stilistisch gut, unterhaltsam und wie gesagt herrlich skurril.
Ich denke schon, daß diese Geschichte die Vorgaben erfüllt. Du steigst schnell ein, verlierst dich nicht in Nebensächlichkeiten und kommst schnell zum Ende. Genau so soll es sein.
Am Ende gefällt mir, daß es sich nur durch eine Sache von der Anfangssituation unterscheidet (abgesehen vom Mitgefangenen, aber den hat er sicher eh ignoriert) - seine Nase juckt nicht mehr. Insofern hatte er mit seinen Bemühungen doch irgedwie Erfolg.

Er kam nicht hindurch. Folglich erdrosselte er seinen Mitgefangenen und ritzte ihm eine Nachricht in den Rücken
Das finde ich toll. Er kommt nicht durch die Wand und tut dann einfach das Naheliegendste (PLan B sozusagen)- eben seinen Mitgefangenen töten. Das Wörtchen "folglich" spielt hier die entscheidende Rolle. Das stimmt den Leser sehr gut auf die folgenden Absurditäten (Namenswechsel, Erfindung einer Geheimsprache mittels Strohhalmen, Lieder über Spatzen etc) ein.
Mal eine Frage zur Deutung. Wie kommt Armand durch die Wand? Ist da ein Hinweis im Text versteckt oder ist das nur ein absurdes Element, das nicht erklärt werden soll?

Insgesamt hat mir diese Geschichte auf jeden Fall gefallen.

 

Hi gnoebel,

ich habe mich auch gefragt, wie Armand das macht.
Es gibt ungefähr drei Möglichkeiten:
1. die Geschichte ist in dieser Hinsicht metaphorisch
2. Armand existiert nur in der Einbildung des Maskenmannes
3. Armand ist ein Zauberer.

Ich tendiere zu Lösung 1.

 

Ich hab noch weitere Deutungsvorschläge :)

1. Der Mann ist so verrückt, dass er sich das ganze Gefängnis nur einbildet. Vielleicht existiert Armand auch als einziger wirklich. Dann könnte die Maske auch einfach dazu da sein, den Prot lächerlich zu machen, so wie diese Eselskappen, die man früher in der Schule aufziehn musste, vor laaanger Zeit...

2. Du kennst sicher die "Vor dem Gesetz" Parabel von Kafka. Da macht der Prot auch den Fehler, zu grübeln und zu zweifeln, statt einfach "mit dem Kopf durch die Wand" zu gehen. Vielleicht kann Armand in die Freiheit, weil er sich die Freiheit nimmt. Vielleicht hebt sich seine Verrücktheit auf, weil er doppelt so verrückt wie der andere ist. :D

Vielleicht soll einen die Geschichte auch nur verrückt machen oder den Leser so fesseln wie einen Gefangenen im Hochsicherheitstrakt...

Liebe Grüße
wolkenkind

 

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