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- 04.08.2001
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Durch die Nacht
Ich werde gejagt!
Jetzt ist es soweit, jetzt haben sie mich entdeckt.
Mit Fackeln stolpern sie durch die Nacht und versuchen, mich zur Strecke zu bringen. Das Volk ist aufgeregt, der Mob hat sich erhoben. Sie sind aufgestanden von ihrem Platz in der Dorfkneipe, haben sich genommen, was zur Waffe taugen würde und haben sich zusammen aufgemacht, um auszurotten, was sie nicht verstehen.
Begonnen hat wohl alles, als ich meinen ehemals besten Kumpel besuchte. Einige Tage in der großen Stadt.
Er hatte, kurz nachdem er die Schule beendet hatte, dieses Kaff verlassen und war in die weite Welt gezogen. Ich hab’s nicht solange auf der Penne ausgehalten. Jahrelang hatte ich nichts von ihm gehört und dann, mir nichts dir nichts, ein Anruf von ihm.
„Hey, Alter! Was läuft?“
Er machte zu diesem Zeitpunkt schon einen abgefahrenen Eindruck.
Ich hatte nichts besseres vor, und so setzte ich mich in den Zug und fuhr klopfenden Herzens Richtung Stadt.
Sie haben Hunde mitgenommen, diese Idioten. Als ob ihnen das etwas nützen würde! Es macht die Sache für mich vielleicht ein wenig schwieriger, aber nicht viel.
Ich haste von Haus zu Haus. Friedlich flackern die Fernseher hinter den Gardinen, doch wenn die lärmende Menge hier vorüber kommen wird, ist es mit der Ruhe vorbei. Ich befürchte, dass sich dem Pöbel noch viel mehr wütende Dorfbewohner anschließen werden. Aber wie gesagt, je mehr, desto besser.
„Wir wollen ihn jagen, komm mit! Wir erledigen das Schwein, die perverse Sau!“
Ich habe mich auf Anhieb wohlgefühlt in der Stadt. Obwohl wir kein Wort über seinen Job redeten, war klar, dass er eine Menge Kohle machen musste. Seine Klamotten! Es war nicht so, dass er sie nur anhatte - es hatte eher den Anschein, als führe er sie spazieren. Die Wohnungseinrichtung – wenn ich erlesen sage, würde ich ihr damit nicht gerecht. Zweihundert Quadratmeter feinste Möbel und Dekoration.
Ich fragte ihn nicht, woher er das alles hatte – es war einfach.
Wir schliefen tagsüber und nachts gingen wir auf Pirsch.
Der Wald, da vorn! Ich kann ihn sehen und fühlen. So wie ich in letzter Zeit viele Dinge fühle oder mit Gewissheit ahnen kann. Sachen voraussehen oder Gegenstände von ferne bewegen – das gehört zu mir.
Ich laufe auf den Wald zu, lockeres Tempo, so dass die Meute den Anschluss nicht verliert. Als ich die ersten Bäume erreiche, bleibe ich hinter einer riesigen Eiche stehen und schaue den Abhang hinunter, an dessen Fuß das Dorf liegt. Ich kann sie sehen, wie sie im Schein ihrer Fackeln über das Feld stolpern, mit ihren Äxten und Sensen in den Händen. Jedes einzelne Gesicht sehe ich vor mir, schaue den Geifer und die Wut in den Augen. Ich kenne sie alle, ich konnte sie nie leiden, ebenso wenig, wie sie mich.
Wir zogen durch die Bars der Stadt und amüsierten uns prächtig. Wir hatten uns viel zu erzählen, zwanzig Jahre waren vergangen, seit wir uns gesehen hatten. Und wir verstanden uns so gut wie damals.
Einige Nächte noch und die Bars wurden spezieller, wir gingen in private Klubs, in denen mein Freund exklusives Mitglied sein musste. Ab diesem Zeitpunkt erscheinen mir die Stunden in der Stadt als einziger Traum. Bei Tageslicht schlafen und im Dunkeln der Rausch.
Ich hatte nie geahnt, dass mein Freund auf so etwas stehen würde, ich hatte auch nicht gewusst, dass er schwul war. Oder zumindest bisexuell.
Und ich hatte nicht im Leben daran gedacht, dass ich Gefallen daran finden könnte.
Drogen spielten eine Rolle. Ich bin mir nicht mehr bewusst, in welcher Form wir sie alles zu uns nahmen. Wir rauchten, wir schnupften, wir tranken und wir spritzten in die Vene.
Der Lärm, den sie dort unten veranstalten, dringt jetzt bis zu mir. Auf Hörweite sind sie herangekommen. Die Männer johlen, die Hunde bellen wütend. Die Stimmung scheint der eines Volksfestes nicht unähnlich.
Aus lauter Lust greife ich mir einen der Bauern mental und schüttele ihn kräftig durch. Langsam erstirbt der Lärm, nur die Köter bellen noch wütender und der Tölpel, den ich beim Wickel habe, kreischt in Todesangst. Er hat höllische Schmerzen und er weiß nicht, woher sie kommen.
Ich kann sehen, wie sein Körper hin- und hergeschleudert wird. Seine Kumpane stehen hilflos herum und halten die Fackeln. Keiner traut sich, ihm zu Hilfe zu eilen. Es würde im Übrigen auch nichts nutzen.
Ich habe gedacht, dass ich sie damit schon bezwungen habe, dass sie kopflos und vor Angst schlotternd auseinander rennen würden, aber das ist nicht der Fall. Im Gegenteil, die ersten Mutigen gehen auf den sich am Boden Wälzenden zu. Aus Augen und Mund lasse ich Blut austreten, Blut und andere Körperflüssigkeiten. Es gibt eine ziemliche Sauerei und die meisten schrecken wieder zurück. Nur einer bleibt stehen, ein junger, blonder Kerl, noch jünger als ich. Ich kenne ihn, wir haben aber niemals engeren Kontakt zueinander gepflegt. Er steht da, schaut hinab auf den Anderen, der sich jetzt kaum noch bewegt, und plötzlich dreht er den Kopf in meine Richtung und starrt mich genau an.
Ich zerquetsche dem da unten mit einem Gedanken das Hirn und lasse ihn dann wieder los. Sofort sackt er zusammen und rührt sich nicht mehr.
Damit drehe ich mich um und laufe in den Wald hinein.
Wo, bei welcher Party, bei was für einem heißen Spiel ich mir genau wegholte, was mir jetzt anhängt, weiß ich nicht. Bei welcher der Sachen ich mich ansteckte. Es hätte in so gut wie jedem Klub sein können, den wir besuchten.
In jedem Fall kam die Zeit, da ich wieder nach Hause musste. Private Dinge zwangen mich dazu, Angelegenheiten, die ich nur zu gern abgeschüttelt hätte.
Scheinbar begann der Alltagstrott von Neuem: ich konnte mich zwar schlecht an den Wechsel des Tag-Nacht-Rythmusses gewöhnen, doch ich dachte, das wäre normal.
Mein Sehvermögen ließ nach. Nicht allmählich, wie man das kennt von den älteren Leuten, es geschah über Nacht. Eines Vormittags stand ich auf und konnte die Hand nicht mehr vor Augen erkennen. Lediglich Licht und Dunkel konnte ich unterscheiden, Schemen, Schatten. Konturen oder gar scharfe Umrisse waren nicht zu sehen.
Da ich seit kurzem allein lebe, versuchte ich die erste Zeit so klar zu kommen, bis sich eine Lösung fände. Ich kam ganz gut zurecht, besser als man hätte erwarten können.
Es dauerte dann auch nicht mehr lange, bis ich dahinter kam, dass ich wusste, ob die Türe offen war oder nicht. Ich wusste, wer an der Tür klingelte, noch bevor er klingelte und ich wusste auch, welche gottverdammte Talkshow im Fernsehen lief, obwohl der Ton abgestellt war.
Das alles trug ich mit einer seltsamen Gelassenheit, die mich wiederum auch nicht verwunderte. Auch nicht die Tatsache, dass ich nachts – im Dunkeln – noch immer ausgezeichnet sehen konnte. Warum und wie dies alles körperlich vonstatten ging, interessierte mich ehrlich gesagt, nicht viel mehr, als ein kleiner runder Fliegenschiss.
Ich wusste plötzlich Dinge, Sachen, die ich vorher nicht geahnt hatte, und ich machte mir nicht die geringsten Gedanken darüber, woher ich diese Sachen wusste.
So lebte ich weiterhin in den Tag hinein, wie ich es jahrelang vorher gemacht hatte, mit dem Unterschied, dass ich mir jetzt die notwendigen finanziellen Mittel zu beschaffen imstande war. Ich wusste, wann die Kasse in Pinkys Tankstelle lohnenswert voll war, und ich wusste auch, wann ich hineingreifen konnte, ohne dass mir jemand auf die Finger sah. Um die Überwachungskamera machte ich mir keine Sorgen, weil ich wusste, dass sie defekt war.
Es dauert nicht mehr lange, bis ich sie dort habe, wo ich sie gern sehen werde. Mitten im Wald, ein Überbleibsel aus Tagen, als es der Gegend hier rein monetär gesehen besser ging, liegt ein Freibad. Umgeben von Bäumen, idyllisch gelegen, ein Schwimmer- und ein Nichtschwimmerbecken, mit Sprungturm und Rutsche, ein Sanitärgebäude und eine Liegewiese.
Seit einigen Jahren ist dort alles verwaist, keine Menschenmassen mehr, die sich in der Sonne aalen und im Wasser planschen. Es ist nicht einmal mehr Wasser im Becken – kein Geld! In der Vergangenheit war ich oft hier, wenn ich mich mies drauf fühlte, wenn wieder mal alle mit mir herumnörgelten und auf mir hackten, und jedem irgend etwas einfiel, was ihm an mir nicht passte.
Und dorthin werden wir alle zusammen gehen, ich vorneweg und der Pöbel immer schön hinter mir her. Ich habe nur ein wenig Sorge, dass die Idioten den Wald anstecken mit ihren Laternen. Wenn so viele Individuen auf einem Platz sind, habe ich sie nicht unter Kontrolle, ich kann mich nur auf ein Exemplar konzentrieren.
Als ich mit Annabelle zusammen war und diese seltsame Gier in mir spürte, da wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass ich diese Gaben, die so phantastisch waren, nicht umsonst bekommen hatte. Ich meine, irgendetwas musste ich auf die andere Seite der Waage legen, die sich so unglaublich zu meinen Gunsten geneigt hatte. Ich musste ein Pfand geben für all die Dinge, die ich konnte.
Zunächst kämpfte ich dagegen an, wir sahen uns oft, fast täglich. Ich hatte schon seit jeher ein Auge auf Annabelle geworfen, sie war wirklich ein Prachtweib, doch hatte dieses Augenwerfen sich nur auf mich beschränkt, sie ihrerseits hatte keinen Blick übrig für mich. Doch nun, mit meinen Fähigkeiten war ich endlich in der Lage, sie für mich zu interessieren. Wie gesagt, wir trafen uns fast jeden Tag, und von Mal zu Mal wurde meine Sehnsucht größer, sie in den Hals zu beißen und sie leer zu saugen bis auf den letzten Tropfen. Alles Leben aus ihr herauszuziehen, lutschen, saugen. Es ist nicht nur wegen des Blutes, das ist es nicht allein. Es ist der Saft, das Leben, die Todesangst des Opfers, die man mit einatmet, der Lebensfunken, der entweicht. Ihn nimmt man mit auf, und zahlt damit den Preis für die X-Men-Fähigkeiten. Ich meine, es ist ein angenehmer Tausch, denn es ist geil zu sehen, wie das Opfer sich windet und gleichzeitig ist man ihm ganz nah. Es erregt mich jedes Mal aufs Neue und ein bisschen Sex ist immer mit dabei. Ich weiß nicht genau, was ich lieber habe, die Gedanken anderer Leute beeinflussen zu können oder sie restlos auszusaugen.
Bei Annabelle legte ich noch Wert darauf, dass niemand sie fand. Ich ging, die blasse Leiche auf den Armen, durch die Nacht und verscharrte sie im Wald. Das war mühselig und vor allen Dingen ziemlich abtörnend, nachdem ich ihren Saft genossen und sie gleichzeitig penetriert hatte.
Annette war drall gewesen. Eine Bauersfrau wie man sie sich vorstellt. Und als solche erwehrte sie sich heftigst meinen Annäherungsversuchen, nachdem sie bemerkte, was ich von ihr wollte. Es gab eine schöne Sauerei und ich war nicht imstande, sie vollständig zu beseitigen.
Im lockeren Dauerlauf jogge ich durch den Wald. Ich halte die Augen geschlossen, hänge meinen Gedanken nach und nur im Unterbewusstsein nehme ich die Bäume wahr, denen ich traumwandlerisch ausweiche. Ich bin gleich an meinem Ziel. Ein Hase springt entsetzt aus seiner Mulde hervor und flieht kopflos. Ich schicke ihm grinsend einen mentalen Stüber hinterher und mit einem unglaublichen Kobolz schießt er nach vorn über. Als er sich wieder aufgerappelt hat, ist seine Flucht umso heilloser.
Dann komme ich an eine Lichtung, ich bin am Ziel. Hinter einem löchrigen Maschendraht liegt das geschlossene, halb verfallene Freibad des Ortes. Es ist dunkel hier. Für die Bauern werde ich noch einige Fackeln besorgen müssen.
Nach drei, vier Monaten hatte ich keine Lust mehr, mein Tun zu verheimlichen.
Ich nahm mir, wen ich gerade wollte, saugte ihn aus, biss mich satt an ihm und ließ die jeweilige Person fallen und kümmerte mich nicht weiter um sie. Das ging eine kleine Weile gut. Das Dorf war natürlich in Aufruhr. Mehrere Tote, blutleer, offensichtlich ermordet. Die Polizei konnte ich noch abwehren, doch dann wurde ich ertappt, wie ich die Tochter des Bürgermeisters vergewaltigte und anschließend biss. Nun konnten sich die spießigen Bauern natürlich einiges zusammenreimen.
Bei dieser Gelegenheit bekam ich auch gleich einige Unwetter und die letztjährige Missernte in die Schuhe geschoben.
Ich merkte, dass zumindest dieses Dorf hier für mich zu klein geworden war.
Und da kommen sie auch schon, die ganze verrottete Bande. Sie stören die Ruhe des Ortes mit ihrem Gelärm. Augenblicklich ist es vorbei mit dem Zauber, der hier herrschte. Auf geht’s, denke ich und mache mich ans Werk.
Als die ersten grölend aus dem Holz hervorbrechen, übernehme ich sofort die Kontrolle über sie. Sie folgen mir willig, zwängen sich willenlos durch den Zaun und halten dann direkt Kurs auf das brachliegende Schwimmerbecken. Mein Plan geht auf und die Masse trottet hinter ihnen her. Wie eine Herde Schafe laufen sie alle das Becken hinunter. Es beginnt mit einer Tiefe von knapp 20 Zentimetern und wird dann immer tiefer, so dass sie problemlos einsteigen und in diesen riesigen gefliesten Kasten hineinlaufen können.
Ich bin euphorisch. Ich hätte nie geglaubt, dass mein Plan so einfach aufgehen würde. Ich benötige nicht die Kontrolle über die ganze Masse, wie ich befürchtet hatte, es reicht, wenn ich die Anführer der Schafherde manipuliere – ich habe sie alle im Griff.
Ich habe einige Fackeln besorgt und am Rand des Beckens befestigt. Eine gespenstische Szenerie, würde ich sagen, wenn ich mittlerweile nicht selbst eins wäre.
Die Menge steht still und abwartend im unruhigen Licht des Feuers. Selbst die Hunde sind gespannt, eine Atmosphäre zum Schneiden. Und alle blicken auf zu mir, der ich auf dem Beckenrand stehe, etwa zwei Meter über ihnen.
Ich lasse den mentalen Griff locker, damit sie mich bei vollem Bewusstsein bewundern können. Damit sie sehen, wer vor ihnen steht und was er mit ihnen machen wird.
Ursprünglich habe ich vorgehabt, auf den Sprungturm zu klettern und von oben auf die ganze versiffte Bande herunter zu pissen. In vollem Strahl genau auf die Köpfe. Das ist mir mal eine Machtphantasie. Jedes Mal, wenn ich mir das ausmalte, kriegte ich eine stramme Erektion. Aber ich lasse es bleiben.
Ich begnüge mich damit, ihnen einzeln triumphierend ins Gesicht zu gucken. Einen nach dem anderen schaue ich an, fahre mit dem Blick über ihre Gesichter und kann immer noch ihre ewigen Vorwürfe hören: „Schmarotzer, Idiot, Faulenzer, Schwachsinniger!“ Nachdem Mutter gestorben war, hatte ich es mir halt gemütlich gemacht.
Da hebt einer an zu sprechen. Er fasst sich ein Herz und will etwas zu mir hinaufrufen. Doch er hat noch das erste Wort nicht vollständig ausgesprochen, da habe ich eine Ader in seiner Zungenunterseite platzen lassen und ein Schwall dunkelroten Blutes ergießt sich aus seinem Rachen. Er kann nunmehr nur unkontrolliert blubbern.
„Halts Maul“, murmele ich nur. Und dann spreche ich zu ihnen, aber nicht durch meinen Mund. Ich benutze nicht die Schallwellen um das Volk zu erreichen. Ich tue die Worte direkt in ihr Gehirn und lasse sie dort erschallen mit der Lautstärke von Glockengetön.
„Ihr habt mich jahrelang Dreck fressen lassen.“ Sie schauen auf. „Ihr habt mich behandelt, wie einen Aussätzigen, ich war derjenige, der noch viel tiefer stand als ihr selbst...“
Einer ruft: „Du bist ein gottverdammter Perverser. Wir hätten dich schon viel eher erschlagen sollen:“ Ja, wehrt euch, so hab ich es gern. Es ist ein alter Dicker, Drunken mit Namen. Seine Tochter habe ich mir auch genommen. Drunken hat Schweiß auf der Stirn und furchtbare Angst dahinter. Ich hatte ihn von jeher in Verdacht, dass er es mit seiner Tochter treibt. Nun, zumindest war sie keine Jungfrau mehr.
„Du Schwein hast meine Tochter getötet!“ Das musste ja kommen! „Du hast sie geschändet und umgebracht.“ Dann der Nächste, der rumbrüllt, und dann noch einer. Und plötzlich grölen sie mich alle von unten herauf an. Sie schreien ihre Wut und ihre Furcht heraus, sie beschimpfen und beschuldigen mich. Das alles aber nur, weil ich sie lasse.
Ich stehe oben, höre mir alles an und muss grinsen. Diese Idioten.
Doch als die erste Axt geflogen kommt und ich eben noch ausweichen kann, da mache ich dem Ganzen mit einer unwirschen Handbewegung und einem Gedankenstreich ein Ende. Ein Stöhnen geht durch die Menge.
Ich bin jetzt ungehalten, und irgendwie will ich der Sache ein Ende machen und dann verschwinden.
Ich nehme mir einen Mitvierziger, ungepflegt und ohne jede Bildung, und zwinge ihn, nach vorn zu kommen. Er ist ein alter Bekannter, er wohnt nur zwei Häuser entfernt von meiner Wohnung, und er war einer meiner schlimmsten Peiniger. Jetzt steht er unten und schaut ängstlich zu mir hinauf und ich werde ihn töten.
„Schaut ihn euch an“, brülle ich und wühle mit Gedankenhänden in seinem Hirn. Ich finde die Augäpfel und langsam, vorsichtig, damit sie nicht vor der Zeit zerplatzen, schiebe ich sie von innen aus ihren Höhlen heraus. Ein hervorragendes Bild, wie die Augen immer größer werden, das Blut läuft ihm über das Gesicht und ich kann mich kaum zurückhalten, den müden Witz zu reißen, er möge nicht so glotzen.
Die Reaktion der Massen ist exakt dieselbe wie vorhin, sie stehen herum und zögern. Sie scheinen gelähmt.
Ich würde ihm gern das Gesicht eindrücken, die Wangenknochen, das Jochbein, mich so rächen für die erlittene Schmach. Doch soweit reicht meine Macht noch nicht.
Also beschränke ich mich darauf, die Augäpfel immer weiter herauszuschieben, bis sie mit einem leisen Ploppen herausspringen und nur noch vom Sehnerv gehalten werden.
Er schreit, er brüllt, hält sich die Hände vors Gesicht, fällt auf die Knie vor mir. Meine Rache! Ich werde...
„Machst du eine falsche Bewegung, blase ich dir dein Gehirn raus!“
Kalter Stahl presst sich an meinen Hinterkopf. Verdammt! Der junge Kerl von vorhin steht hinter mir, hat sich angeschlichen aus dem Wald und hält mir jetzt eine kleine 9mm Pistole an den Schädel. Typischer Anfängerfehler meinerseits. Ich habe mich voll konzentriert auf die Augen, keinen Gedanken verschwendet an die Umwelt, ein Fehler.
Der Junge kommt ganz langsam herum in mein Sichtfeld, wobei er genau darauf achtet, dass die Mündung der Waffe sich keinen Zentimeter von meiner Kopfhaut entfernt. Dann zielt er direkt zwischen meine Augen.
„Wage gar nicht, an mir einen von deinen Psychotricks anzuwenden!“ Er weiß Bescheid! „Sobald ich auch nur das Geringste spüre, drücke ich ab.“
Die Leute unten im Becken kümmern sich um den Verletzten, der am Boden liegt und jammert. Ich überlege fieberhaft, was ich tun kann. Dabei fällt es mir schwer, nicht in den Kopf des Jungen einzudringen.
„Bist ein helles Bürschchen.“ Erst einmal Small Talk, denke ich. „Wie bist du dahinter gekommen?“
„Du hast es schon gesagt – ich bin ein helles Köpfchen. Ich kann zwei und zwei zusammenzählen.“
Nachdem das klar ist, kann ich der ganzen Sache auch gleich ein Ende machen. Ich greife dem Blonden mit Macht ins Gehirn. Mit einem Stöhnen sackt er zusammen. Doch im letzten Moment gelingt es ihm, den Abzug zu betätigen.
Ein ohrenbetäubender Knall.
Ich bin darauf gefasst. Ich spanne meinen Körper an und fasse die Mündungsöffnung in meinen Blick. Ich kann das Projektil sehen, wie es aus dem Lauf herausgeschleudert wird. Ich erkenne die Drehung der Kugel um die eigene Achse. Als sie den Lauf verlässt, stelle ich mir vor, wie ich die Hände hebe und sie abwehre. Doch es sind Gedankenhände, welche die Kugel aufhalten müssen. Ich stemme mich mit aller Kraft dagegen und warte ab.
Dann fange ich sie auf! Mit einem euphorischen Gefühl sehe ich zu, wie sie gegen die unsichtbare Barriere schlägt und dann zu Boden fällt, ich habe gewonnen!
Ich bin unsterblich, niemand kann mich mehr bezwingen. Ich habe alle Macht der Welt!
Und ich spüre, wie meine Kräfte immer noch wachsen, wie sie mehr werden und größer.
Ich drehe mich zum Wald. Mit einem Satz bin ich über den Zaun hinweg, in die Dunkelheit hinein.
Dieser Ort ist mir zu klein, ich ziehe in die Welt.
Und ich bin gespannt auf meine Zukunft!
ENDE