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- 11.04.2001
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Durch die Flammenhölle von Coronoa
Stille, absolute Stille herrschte auf der Brücke des Schiffes, nur manchmal war etwas kosmisches Hintergrundrauschen aus den Lautsprechern zu vernehmen die mit den externen Sensoren des Schiffes gekoppelt waren.
Mit einer wahnwitzigen Geschwindigkeit jagte das Schiff durch die Sprungpunkte von Sonnensystem zu Sonnensystem. die Route die es nahm war eine der sogenannten Schnellstraßen die im hiesigen Raumsektor, anders als in den terranahen Sektoren, fast gang und gäbe waren. Hier lagen die Sprungpunkte so dicht beieinander, daß ein Schiff welches gerade in einem Punkt eines Sonnensystems aufgetaucht war nur Minuten brauchte um zu einem weiteren Sprungpunkt zu gelangen der es durch Raum und Zeit in ein weiteres Sonnensystem katapultierte. Anders als in den terranahen Sonnensystemen waren hier Systeme die über zehn oder mehr Sprungpunkte verfügten keine Seltenheit. Hätte das Schiff Terra erreichen wollen, so hätte sich seine Flugzeit eher nach Monaten denn nach Tagen bemessen.
Der Pilot hatte ein anderes Ziel. Angespannt saß er hinter den Kontrollen der Brücke, hatte jedoch die Steuerung vollkommen dem Autopiloten anvertraut. Nicht mehr lange, dann würde er am vorläufigen Ziel seiner Reise angelangt sein. – Ja, noch zwei oder drei Sprungpunkte, er machte sich bereit den Autopiloten auszuschalten und die Steuerung über den Erzfrachter selbst zu übernehmen.
Der Schock über die plötzlich über ihn hereinbrechende Kakaphonie der Geräusche lähmte ihn kurzfristig. Alle Systeme des Frachters hatten sich wie von Zauberhand eingeschaltet. Automatische Signaturen wurden gesendet und empfangen. Zahlreiche Wortfetzen verstümmelter Funksprüche drangen durch die Lautsprecher zu ihm. – Er war am Ziel angelangt.
Auf seinen Sensoren konnte er in ca. einer halben Flugstunde Entfernung das riesige Doppelrad der ASTROMINC-Station 125 erkennen. Zahlreiche Erzfrachter befanden sich in Warteposition um ihre Fracht auf der Station an die sich dort befindenden Fabriken abliefern zu können. Es schien, wie üblich, ein Abfertigungsstau zu bestehen. Aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen waren immer wieder Stoßzeiten zu vermerken in denen einfach zu viele Erzfrachter von den Bergwerken der Asteroidenfelder der umliegenden Sonnensysteme zur Station zurückkehrten um ihre Fracht zu löschen. Eigentlich eine glückliche Fügung, so schoß es dem Piloten durch den Kopf. So waren kurzfristig etliche Schiffe mehr verfügbar.
Der Pilot schaltete den Autopiloten ab, der damit begonnen hatte das Schiff in eine von der Station angeordnete Warteposition zu manövrieren und übernahm selbst die Kontrollen.
Er hatte das Manöver während des Fluges von Coronoa hierher mehrfach durchgerechnet und war sich seiner Sache sehr sicher. Die Antriebsaggregate erhielten vollen Schub, der Frachter machte einen regelrechten Satz vorwärts. Dem Piloten war klar, daß es hinsichtlich der erwarteten Rettungsaktion, die von hier aus ihren Weg nach Coronoa finden sollte egal war, ob er mit einer Zeitverzögerung von schätzungsweise zwei Tagen seine Botschaft abliefern konnte. Seine Fracht jedoch mußte schnellstens gelöscht werden, die Menschen die auf notdürftig installierten Liegen in den Frachträumen seines Schiffes ausharrten bedurften umgehender medizinischer und psychologischer Betreuung.
Während der Pilot noch überlegte wie er am schnellsten Kontakt zu ASTROMINC aufnehmen könnte, hämmerte ein Funkspruch durch seine Lautsprecher. „ASTROMINC-Station 125 an freien Erzfrachter NGZ 8375. Sie haben unerlaubt die ihnen zugewiesene Parkposition verlassen und Schub aufgenommen. – Kehren sie umgehend auf die ihnen zugewiesene Parkposition zurück. Sie werden zu ihrer Abfertigung abgerufen!“
Die Frequenz war klar, der Pilot nahm eine Schaltung vor und setzte seinerseits den bereits lange für diesen Fall zurechtgelegten Funkspruch ab. „Freier Erzfrachter NGZ 8375 an ASTROMINC-Station 125. – Ich habe die mir zugewiesene Parkposition absichtlich verlassen und werde mit Maximalschub bei ihnen andocken. Die genauen Schub- und Gegenschubdaten die während der Anflugphase gegeben sein werden entnehmen sie bitte den kodiert seitens meiner Computer übermittelten Dateien.
Sorgen sie bitte dafür, daß die Dockplätze in der Radnabe für mich freigemacht werden, ich kann nicht hundertprozentig versprechen mit absoluter Genauigkeit einzufliegen.
In rund einer halben Stunde werde ich andocken, tragen sie dafür Sorge, daß Sanitätspersonal an den Docks vor Ort präsent ist. Ich habe rund fünfhundert zum Teil schwer verletzte Menschen an Bord.
Ich wiederhole...“ Der Funkspruch wurde automatisch ständig übermittelt.
Mit wachsender Besorgnis mußte der Pilot bemerken, daß von der Station mehrere Abfangjäger gestartet waren, deren Aufgabe sicherlich darin bestand die Station gegen Amokflieger zu schützen. Er konnte nur hoffen, daß die Stationscomputer seine Daten schnell genug analysieren würden und vor allem, daß selbige Daten keine Fehlberechnungen enthielten.
Er mußte einfach seine Fracht auf schnellstem Wege hineinbringen. Es gab Prioritäten und ein paar lausige Erzladungen konnten sicherlich noch ein paar Stunden länger warten.
Mit Erleichterung konnte er wenige Minuten später erkennen, daß sich die Abfangjäger in eine Warteposition manövrierten. Sie schienen vorerst abwarten zu wollen, ob er sich auch tatsächlich an seinen Flugplan hielt. Erstaunlich, ASTROMINC spielte nach seinen Regeln, irgendwie hatte er in seinem Innersten kaum zu hoffen gewagt, daß dies so sein würde.
***
Coronoa war eine von den Menschen noch nicht sehr lange besiedelte Welt. Als vierter Planet seines Systems drehte er sich um eine kleine gelbe Sonne. Coronoa verfügte über große Meere und vier Kontinente deren hervorstechendste Merkmale waren, daß die höchste natürliche Erhebung gerade mal rund dreißig Meter betrug. Ansonsten war Coronoa flach wie ein Fußballfeld. Die Oberfläche war größtenteils mit einem grasähnlichen Gewächs bedeckt, vereinzelt fand man auch höhere Vegetation, wie beispielsweise kleine Wälder aus irdischen Sukkulenten ähnlichen Gebilden. Größtenteils war die heimische Vegetation jedoch bereits Nutzpflanzen der Menschen gewichen.
Die Fauna Coronoas war vielfältig. Vor allem eine Unzahl von Insekten bevölkerte den Planeten. Höher entwickelte, immer vom Standpunkt des Menschen aus gesehen, Tiere waren auch zu finden. Allerdings hatte die Evolution hier auf Coronoa einen anderen Weg als auf der Erde beschritten. Hervorstechendstes Merkmal der Fauna war das absolute Fehlen von Wirbelsäulen. Statt dessen hatten die Tiere hier ein anderes System entwickelt, das ihnen auch eine gewisse Beweglichkeit des Rückens ermöglichte. Ein kompliziertes System aus Knochen, Bändern und Gelenken machte den Rücken flexibel.
Intelligentes Leben hatte Coronoa bislang nicht hervorgebracht. Einzelne Tierarten wiesen zwar, wie auf der Erde beispielsweise die Hunde, rudimentäre Intelligenzstrukturen auf, eine dem Menschen ebenbürtige Intelligenzstufe war allerdings nicht erreicht worden.
Bedingt durch die auf dem kompletten Planeten relativ gleichmäßige Oberflächenstruktur verfügte Coronoa über ein recht ungewöhnliches Klima. Jahreszeiten waren durch den stetigen Luftaustausch über Kontinenten und Meer so gut wie nicht wahrnehmbar. Starke Winde pfiffen fast ständig über Land und Meer hinweg. Die Lufttemperatur hatte sich auf einen Mittelwert von etwa fünfundzwanzig Grad Celsius eingependelt. Kurzum, der Planet hatte sich sehr gut zur Koloniesierung durch die Menschen geeignet.
Coronoa war vor rund dreißig Jahren zum erstenmal von Menschen betreten worden. Mittlerweile war die Population der Kolonisten auf gut fünf Millionen angewachsen. Großstädte wie sie die Erde und einige wenige andere Kolonialwelten kannten existierten auf Coronoa nicht. Die größte menschliche Ansiedlung war nahe dem Raumhafen auf dem großen Kontinent der Südhalbkugel zu finden. Diese Ansiedlung war ständiger Anflugort zahlreicher Shuttles, die wie Bienen zu ihrem Stock ständig zwischen der Oberfläche und der sich im Orbit befindlichen Raumstation hin- und her pendelten.
***
„ASTROMINC hat die Station in vollem Umfang übernommen, Koordinierung und Krisenstabbildung. Diese Rettungsaktion wird durchgezogen wie eine geschäftliche Transaktion.“ Der junge Soldat warf seine Jacke über einen der Stühle in der Kantine und starrte seinen Vorgesetzte mißmutig an.
Seine Vorgesetzte blickte ebenso mißmutig zurück. Was sollte sie erwidern? Irgendwie war sie mit der ganzen Situation hoffnungslos überfordert. Ihre eigentliche Aufgabe bestand darin, mit insgesamt zehn Soldaten, fast noch Rekruten, eine der am weitesten in den Weltraum vorgeschobenen Außenstationen der Menschheit, ASTROMINC-Station 125 vor Übergriffen von außen und vor allem von innen zu schützen. Dazu standen ihr neben den Soldaten noch zwei kleine militärische Shuttle zur Verfügung.
Im Prinzip ging es um Polizeiaufgaben und gelegentliche Kontrollflüge zu den Erzabbaugebieten, nichts aufregendes also, zumal die eigentliche Ordnungsmacht auf der Station von ASTROMINC selbst gestellt wurde. – Und nun befand sie sich hier in der Umlaufbahn um Coronoa. Sie hatte die Hälfte der ihr zugewiesenen Soldaten mitgenommen, die andere Hälfte unter dem Kommando des erfahrensten Soldaten auf ASTROMINC-Station 125 zurückgelassen.
Sie war nun als ranghöchstes anwesendes Mitglied der terranischen Raumverbände eigentlich die Leiterin dieser Rettungsaktion. Aber was nutzten schon Befugnisse die nur auf dem Papier standen? Wie sollte sie sich gegen die Direktorin von ASTROMINC-Station 125 durchsetzen, die ohnehin nie auf ihre Einwände bei wesentlich unwichtigeren Dingen gehört hatte.
„Du hast schon ganz Recht, Rajid,“ entgegnete sie nach langem Grübeln. „Mit dem Unterschied, daß ASTROMINC meines Erachtens sicherlich noch viel weitergehende Interessen mit Coronoa verfolgt. – Überleg doch mal, ein Planet, ja ein ganzes System im Chaos. Hilfeleistungen durch ASTROMINC und einige wenige freie Erzfrachter. Terra ist weit, die schnellen Raumverbände haben hier nichts stationiert. Wir sind die einzigen Vertreter der Regierung vor Ort. – Ich denke, daß man in der Chefetage von ASTROMINC sicherlich offen darüber nachdenkt sich dieses System hier unter den Nagel zu reißen. Sicherlich unter dem Deckmantel der humanitären Hilfeleistung, aber die muß ja auch irgendwie mal bezahlt werden, oder?
Man kann es doch bereits hier auf der Station sehen, alle wichtigen Positionen sind von ASTROMINC-Leuten besetzt worden, kaum das die ersten Schiffe hier eintrafen. Wir können uns doch glücklich schätzen, daß wir die Erlaubnis erhielten mitzukommen, ja eigentlich sogar, daß wir überhaupt informiert wurden.
Terras Arm hier draußen ist schwach, Rajid. Sehr schwach um genau zu sein. Wer wollte etwas dagegen unternehmen, wenn ASTROMINC sich dieses System hier bereits unter den Nagel gerissen hat?“
Der schlanke junge Mann flegelte sich in seinem Sessel hin und her. Sein Gesicht verriet die Anspannung der letzten Stunden während derer er mit einem der Shuttle einzelne größere Meteroiten gejagt und zerstört hatte, die Coronoa und den mittlerweile sich im Orbit befindlichen Schiffen zu nahe gekommen waren. „Die Situation hier ist unerträglich, Sir,“ warf er ein. „Zehn Stunden Dienst bei der Meteroitenabwehr, zwei Stunden Bereitschaft, vier Stunden Schlaf, zehn Stunden Dienst bei der...“
„Schon gut, schon gut,“ unterbrach ihn seine Vorgesetzte. „Ich weiß, daß es hart ist. Aber was sollen denn die Menschen sagen, die noch unten auf Coronoa verblieben sind? Stell die doch deren Situation vor! Viele wissen noch nicht einmal, daß ihr Planet in ein Meteoritenfeld ungeahnten Ausmaßes geschlittert ist. sie sehen nur die Folgen, Verdunkelung des Himmels durch die durch die Einschläge aufgewirbelten Staubmassen, verheerende Brände, die durch die ständig wehenden Winde schön gleichmäßig über den ganzen Planeten verteilt werden. – Versetz dich mal in deren Lage! Völlig von der Außenwelt abgeschnitten sitzen die vielleicht im Keller ihrer abgebrannten Häuser ohne Lebensmittel und Wasser zur Hand zu haben und warten auf ein Wunder.“
„Ja, ein Wunder. – Ich kann einfach nicht begreifen, wie man den Planeten kolonisieren konnte ohne sich über seine Flugbahn und die Gefahren derselben eingehend zu informieren. Die Anzeichen sprachen doch für sich. Die Oberflächenstruktur des Planeten deutete doch auf außergewöhnliche Einflüsse hin. Seismologische Untersuchungen hätten sicherlich gezeigt, daß der Planet alle paar hundert Jahre durch Meteoriten kahl rasiert wurde so wie man ein Brett mit einem Stück Schmirgelpapier glättet, und das über Jahrmillionen, was zu seiner jetzigen Erscheinungsform geführt hat. – Warum hat man die Augen so sehr davor verschlossen?“
Ein Seufzer entrang der Brust seiner Vorgesetzten. „Profitdenken wahrscheinlich,“ entgegnete sie. „Egal, wir haben mit den Konsequenzen zu kämpfen. Es wird sicherlich noch gut einen Monat dauern bis Coronoa das Meteoritenfeld durchquert hat. Bis dahin müssen wir versuchen wenigstens die dicksten Brocken vom Planeten abzulenken, damit nicht noch mehr Schaden angerichtet wird als ohnehin schon angerichtet wurde. – Allerdings,“ sie griff nach ihrem Terminal, „allerdings habe ich hier eine Anfrage der ASTROMINC-Verwaltung ob wir nicht einen Spezialauftrag übernehmen könnten. Vielleicht wäre das ja etwas für dich, wo du dich doch bei der Meteoritenabwehr so gestreßt fühlst. Es geht um folgendes. Auf Coronoa geschehen derzeit nicht nur humanitäre Hilfsaktionen. Leider ist es in deren Umfeld auch zu Plünderungen und Übergriffen auf die Zivilbevölkerung gekommen. Die Sicherheitsleute von ASTROMINC haben einige dieser Verbrecher dingfest machen können und suchen nun nach geeigneten Leuten, die sie zur Aburteilung nach ASTROMINC-Station 125 bringen. – Und da fiel die Wahl auf uns, wohl auch deshalb,“ fügte sie stirnrunzelnd hinzu, „damit wir beschäftigt sind und ASTROMINC selbst nicht so genau auf die Finger sehen können während sie das ganze System hier zu Firmeneigentum machen.
Egal, ich kann daran nichts ändern, du schnappst dir Elena und machst den Flug! Ihr holt die Inhaftierten auf dem Südkontinent in einer relativ kleinen Ansiedlung ab. Landemöglichkeiten sollen dort vorhanden sein, aber man weiß ja nie. Paßt also auf. Denkt vor allem an die Vielzahl der kleinen Meteoriten und Gesteinssplitter die derzeit in Coronoas Atmosphäre herumschwirren!“
***
Wenige Stunden später suchte sich eines der militärischen Shuttle seinen Weg durch die aufgewühlte Atmosphäre Coronoas. Die sich an Bord befindenden Kadetten hatten alle Hände damit zu tun das Shuttle sicher durch die Atmosphäre zu bringen. Auch die Landung verlief einigermaßen problemlos. Das Shuttle setzte sanft auf einer Wiese in ungefähr fünfzig Metern Entfernung von einigen armseligen niedrigen hölzernen Bauwerken auf. Bei den Hütten stand bereits das Empfangskomitee, eine aus zwei Leuten bestehende Gruppe von ASTROMINC-Leuten, erkennbar im Scheinwerferlicht des Shuttles an ihren leuchtend blauen Firmenoveralls und drei Einheimische Zivilisten. Die Kadetten stiegen aus dem Shuttle und begaben sich zu den Hütten. Der Himmel erschien unwirklich grau und düster, eine Folge der in die Atmosphäre geschleuderten Staubmassen.
„Endlich seid ihr da,“ ließ sich einer der ASTROMINC-Männer vernehmen. „Wird ja auch langsam Zeit. Wir müssen hier schließlich auch mal weg!“
„Rawas, Rajid Rawas,“ entgegnete Rajid und reichte seine rechte Hand zur Begrüßung. „Meine Kollegin Romm,“ stellte er die ihn begleitende Elena vor. „Wir sollen hier zwei Gefangene übernehmen...“
„Zwei Gefangene? Ihr wollt die Schweine ausfliegen und uns hierlassen?“ schrie einer der Zivilisten los. „Die haben meine Frau und meine Tochter umgebracht nachdem sie sie vergewaltigt hatten – und ihr wollt sie jetzt ausfliegen und uns hierlassen?“ Einer der ASTROMINC-Männer legte beruhigend seine Hand auf die Schulter des Sprechers.
„Kilgary,“ der ASTROMINC-Mann ergriff die von Rajid ausgestreckte Hand. „Wir sollten vielleicht erst mal reingehen. Drinnen redet es sich sicherlich besser,“ bemerkte er.
Die Inneneinrichtung des Hauses in das sie geführt wurden war schlicht. Die Möbel waren aus unbehandeltem Holz hergestellt, Komfort war grundsätzlich nicht anzutreffen. In der Küche fand sich ein Tisch mit Eckbank und diversen Stühlen, genug um alle Anwesenden daran Platz finden zu lassen.
„Wir sind hier zu fünft plus der zwei Inhaftierten,“ ergriff einer der ASTROMINC-Männer das Wort. „Der Rest von uns wurde vor zwei Tagen ausgeflogen. Wir sollten eigentlich bereits gestern abgeholt werden. Irgendetwas ist da wohl schiefgegangen!“ Er nickte mit seinem Kopf in Richtung Fenster wo man mit viel Phantasie die Umrisse des Shuttles durch den sich mittlerweile gebildeten Nebel erkennen konnte. „Mit dem Ding da könnt ihr uns unmöglich alle gleichzeitig mitnehmen...“
„Was soll das Gelaber?“ unterbrach ihn der Wortführer der Zivilisten. „Wir müssen hier weg! Die Feuerwand wird uns in wenigen Stunden erreichen.“
„Rajid sah seine Begleiterin betroffen an. „Das Gebiet hier liegt nahe an einem Brandherd? Wir wußten davon nichts!“
„Beim Anflug hättet ihr es doch sehen müssen...,“ schrie der Zivilist erneut.
„Sie sind von Osten gekommen, Ärdam. Das Feuer kommt von Südwest. Sie konnten es nicht sehen!“ schnitt ihm der ASTROMINC-Mann das Wort ab. „Aber das tut jetzt überhaupt nichts zur Sache. Tatsache ist doch, daß wir hier sieben Menschen haben, die als Passagiere mit in ihr Shuttle müssen...“
„Zwei davon können wir gut und gerne außer acht lassen,“ warf einer der Zivilisten erneut ein. „Wenn das Feuer kommt sind die doch hier gut aufgehoben, oder etwa nicht?“ Um Zustimmung heischend blickte er in die Runde.
Der ASTROMINC-Mann ließ sich allerdings nicht beirren. „Ist ihr Shuttle dazu ausgelegt soviel Nutzlast zu transportieren?“ fragte er mit ruhiger Stimme.
„Problemlos nicht,“ entgegnete Elena, die sich bislang still verhalten hatte und nunmehr die Blicke aller Anwesenden auf sich zog. „Wir könnten aber einiges an Ballast ausladen und es dann einfach mal versuchen. Wir müssen ja nicht gleich in den Orbit hoch, ich denke, daß es ein Flug in die nächste größere Ansiedlung doch auch tun würde, oder?“
„Hratira, ungefähr 500 Kilometer entfernt in nördlicher Richtung,“ warf der bislang schweigsame Zivilist ein. „Das Feuer dort ist nach den letzten Meldungen eingedämmt worden. Zwischen uns und der Stadt befindet sich aber eine große Feuerfront.“
„Neun Personen, ungefähr 700kg,“ sinnierte Rajid. „Das wird eng. Wir sind auf ungefähr 500kg Nutzlast ausgerichtet. Etwas Toleranz...“
„Lassen wir die zwei hier, vielleicht kann ich mich ja vorher noch mal kurz um sie kümmern,“ flüsterte Ärdam in die Runde.
„Nur über meine Leiche,“ sagte der ASTROMINC-Mann bestimmt. „Die zwei sind unstreitig Verbrecher. Was sie ihrer Familie angetan haben ist unstreitig ein Verbrechen, aber die zwei unterliegen einer Gerichtsbarkeit! Sie werden offiziell abgeurteilt werden und zu diesem Zweck werden sie den Behörden überstellt.“ Er holte kurz Luft, sah in die Runde und fuhr dann fort. „Nachdem wir das nun geklärt hätten, sollten wir uns daran machen das Shuttle vorzubereiten. Was können wir alles entladen?“
***
Von den vier vorhandenen Sitzen des Shuttles wurden drei ausgebaut. Lediglich der Pilotensitz verblieb im Inneren. Andere überflüssige Gegenstände wie Schranktüren, Inhalt der Schränke sowie Nahrungsmittelnotpacks wurden ebenfalls demontiert und entladen. Drei Stunden später war das Shuttle abflugbereit. Am Horizont war bereits ein heller Leuchtschein erkennbar, die Feuerfront fraß sich mit einer unheimlichen Geschwindigkeit, durch den stetigen Wind Coronoas begünstigt, voran.
Neun Personen an Bord des Shuttles bedeutete eine räumliche Enge, die weder Rajid noch Elena bislang auf einem ihrer Flüge erlebt hatten. Elena hatte im Pilotensitz Platz genommen, die restlichen acht Personen setzten sich so gut es ging auf den Boden, wobei den beiden Inhaftierten die Hände mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt waren.
Das Shuttle hob langsam vom Boden ab und gewann an Fahrt. Elena flog manuell, da der Autopilot aufgrund der derzeit in der Atmosphäre vorhandenen Störungen nicht dazu imstande war, den Abstand zum Boden korrekt einzuschätzen. Funkkontakt zur Corona umkreisenden Raumstation oder menschlichen Ansiedlungen am Boden war ebenfalls aufgrund der sozusagen kochenden Atmosphäre unmöglich, lediglich ein stetiges Rauschen war den Empfängern zu entlocken.
„Kurs Nord,“ vernahm man Elenas Stimme durch die vom Wind verursachten Geräusche leise. „Etwas genauer geht es nicht, oder?“
„Fliegen Sie Nord Nord Ost, bis wir nach ungefähr 300 Kilometern die Küste erreichen, dann einfach der Küstenlinie folgen, das ist zwar ein kleiner Umweg, aber sicherlich einfacher bei fehlender Instrumentenunterstützung,“ bemerkte einer der Zivilisten.
„Kurs Nord Nord Ost ist gesetzt, Flughöhe ungefähr zwanzig Meter über Normal Null. – Ich hoffe wir knallen hier nicht gegen einen Berg, meine Herren.“
Ein leises Lachen erfüllte die Kabine angesichts der Tatsache, daß Coronoas Oberfläche so gut wie keine Höhenunterschiede aufwies. Der Flug verlief anfänglich relativ eintönig, lediglich einzelne Luftlöcher und stärkere Windböen verursachten bei den Passagieren eine leichte Übelkeit. Die Angespanntheit der Pilotin übertrug sich nichtsdestotrotz auf die Passagiere. Es war deutlich zu sehen, daß Elena des öfteren Schwierigkeiten hatte das Shuttle richtig zu manövrieren, es war einfach nicht für Flüge in so starken Stürmen konstruiert worden, wie sie nur Zentimeter von den Passagieren entfernt außerhalb der Außenhaut des Shuttles abliefen.
„Wie kam es, daß sie in der Ansiedlung zurückgeblieben sind?“ fragte Rajid um die Konversation wieder in Gang zu bringen, die angesichts der besonderen Umstände des Fluges ins Stocken geraten war.
Kilgary, der ASTROMINC-Mann, zuckte leicht mit den Schultern. „Wir waren dabei die Ansiedlung zu evakuieren, da das Feuer nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Irgendwie stimmten die Daten aber nicht. Wir hatten nicht genug Beförderungspotential um alle auf einen Schlag mitnehmen zu können. Ursprünglich war geplant unsere Gäste zuerst auszufliegen, da die Stimmung sich jedoch stark gegen die zwei Inhaftierten wandte,“ er nickte mit seinem Kopf in Richtung der zwei gefesselten Männer die an das Außenschott des Shuttles gelehnt vor sich hin dösten, „wurden wir zwei dazu bestimmt mit ihnen zurück zu bleiben und..., was war das?“ fragte er entsetzt.
Das Shuttle hatte einen heftigen Schlag erhalten und war ins Schlingern geraten. Elena versuchte verzweifelt auszugleichen, ihre Bemühungen wurden jedoch fast augenblicklich durch neuerliche Schläge zunichte gemacht. „Steinsplitter,“ preßte Elena zwischen ihren zusammengebissenen Zähnen hervor. „Wir sind in einen Meteoritenhagel geflogen! – Wir müssen runter, alles festhalten für eine Notlandung!“
Festhalten! dachte Rajid. Woran? Sie hatten alles was nicht niet- und nagelfest war ausgebaut. Er blickte sich hilflos um. Das Shuttle stürzte dem Boden entgegen, das Letzte woran er sich erinnern konnte war der Versuch Elenas das Shuttle kurz vor dem Boden noch einmal kurz hochzureißen um die Landung weicher zu machen, dann wurde alles schwarz um ihn herum.
***
Als er wieder zu sich kam war es Nacht, absolut dunkle Nacht. Sterne oder gar einer der zwei Monde Coronoas waren durch die aufgewühlte Atmosphäre nicht auszumachen. Ein heftiger Schmerz durchzog seinen Brustkorb und sein linkes Bein als er versuchte sich zu bewegen. Er mußte wohl aufgeschrien haben, denn eine Taschenlampe ging an und schien ihm ins Gesicht.
„Sie leben, nochmal Glück gehabt,“ vernahm er eine Stimme aus dem Dunkel hinter der Taschenlampe. Nur mit Mühe konnte er die Stimme einordnen.
„Kilgary,“ stammelte er. Ein heftiger Schmerz im Brustkorb belohnte ihn für den Versuch sich aufzusetzen.
„Bleiben sie liegen, ich fürchte sie haben sich ein Bein gebrochen und wahrscheinlich mehrere Rippen, von den Prellungen ganz zu schweigen. – Ich komme zu ihnen rüber.“
Der Lichtkegel der Taschenlampe näherte sich und leuchtete dabei den Boden aus. Erde, Humus durchfuhr es Rajid. Er war nicht mehr im Shuttle! „Das Shuttle, die Anderen, was ist passiert?“
„Abgestürzt, haben sie davon nichts mitbekommen? – Wahrscheinlich sind sie noch in der Luft bewußtlos geworden,“ erklärte der ASTROMINC-Mann sich seine soeben gestellte Frage selbst. „Die Anderen? – Ärdam und mein Kollege sind losgezogen um Hilfe zu holen. Einer der Inhaftierten liegt da hinten, meines Erachtens ist sein Schädel gebrochen, wenn sie mich fragen, so hat er wohl keine Chance. Der Rest ist tot, es grenzt schon an ein Wunder, daß wir anderen überhaupt überlebt haben. – He, nicht gleich wieder wegkippen. Bleiben sie wach. Wir müssen hier weg. Das Feuer, sie verstehen?“
Rajid nickte schwach. „Ich habe ihr Bein so gut es ging mit Wrackteilen geschient. Hier ist noch eine Krücke,“ Kilgary deutete auf eine Metallstange, die Rajid als Teil der Innenverkleidung des Shuttles identifizieren konnte.
„Elena?“ flüsterte er und versuchte in der Dunkelheit etwas auszumachen.
„Sie ist noch im Shuttle, wir haben nur die Lebenden geborgen. Kein schöner Anblick, glauben sie mir. Irgendein scharfkantiger Gegenstand hat ihr die Halsschlagader geöffnet, neben einigen anderen Verletzungen wird das wohl die Todesursache gewesen sein.“ Rajid hatte es mittlerweile trotz der Schmerzen geschafft sich aufzurichten. Ungläubig folgte er den Ausführungen Kilgarys.
„Ärdam meinte, wenn wir in etwa die unsere Flugrichtung einhalten würden, dann müßten wir auf menschliche Ansiedlungen stoßen, in etwa einhundert Kilometern Entfernung!“ Kilgary ließ seine Worte erst einmal wirken.
„Einhundert Kilometer? In meinem Zustand? Wie soll ich das schaffen?“
„Wir müssen so weit wie möglich kommen. Die Anderen werden uns Hilfe entgegenschicken sobald sie auf eine Siedlung treffen. Wir müssen aber hier weg, sonst ist das Feuer da bevor die Hilfe uns erreicht hat. Zum Glück ist der Sturm abgeflaut...“ Kilgary hielt prüfend seine Hand in die Luft.
Tatsächlich war kaum ein Lufthauch zu spüren, absolut unüblich hier auf Coronoa, wie man Rajid versichert hatte. Momentan war er recht dankbar für die nicht vorhandenen Luftbewegungen, da man im Freien einem Sturm absolut ungeschützt ausgeliefert wäre.
„Was ist, wenn die Ansiedlungen bereits evakuiert sind?“ fragte Rajid mit schwacher Stimme.
„Malen sie den Teufel nicht an die Wand,“ entgegnete der ASTROMINC-Mann. „Positiv denken, haben sie noch nie davon gehört? – Hier, ich habe im Shuttle noch einige Schwerzmittel gefunden. Nehmen sie, aber teilen sie sich die Dinger ein, mehr haben wir nicht.“
„Was machen wir mit dem Verletzten?“ fragte Rajid, sich der Antwort eigentlich bereits bestens bewußt.
„Er ist nicht transportfähig und wir müssen hier weg. Keine Chance, wie ich bereits sagte. Auf der Station könnten sie ihn vielleicht operieren, aber hier? – Keine Chance, wie ich schon sagte,“ fügte er murmelnd hinzu.
„Ihn hierlassen? Ich weiß nicht...“
„Wir haben keine Möglichkeit ihn mitzunehmen. Seien sie froh, daß ich so lange geblieben bin, bis sie wieder aufgewacht sind. Die anderen zwei wollten nicht so lange warten. – Sie wissen, daß ich für die zwei mehrfach eingetreten bin um sie vor Übergriffen zu schützen, aber jetzt sieht die Sachlage anders aus. Weder er noch wir hätten etwas davon, wenn wir hier blieben und auf das Feuer warteten. – Vielleicht hat er ja Glück und der Wind dreht sich oder flaut für einige Zeit ganz ab. Sobald wir die Möglichkeit dazu haben, werden wir versuchen ihn zu retten, aber derzeit ist mir meine - und ihre - Haut am nächsten.
Was ist, können sie laufen?“
„Ich weiß nicht...,“ antwortete Rajid leise und versuchte sich aufzusetzen. Erstaunlicherweise gelang dies relativ problemlos, die Schmerzmittel begannen zu wirken.
„Kommen sie, ich stütze sie an der einen Seite, an der anderen nehmen sie die Krücke. Irgendwie wird es schon gehen.“ Ohne noch einen Blick auf das Shuttle zu werfen machten sich die zwei auf den Weg. Am Horizont war bereits ein kleiner Lichtschimmer erkennbar, der Morgen bricht an, war Rajids erster Gedanke, der jedoch fast gleichzeitig von der Erkenntnis überlagert wurde, daß es sich wohl doch nicht um Sonnenlicht handeln konnte, sondern vielmehr einer der zahlreichen Brände war, die durch den andauernden Meteoriteneinfall verursacht worden waren und nunmehr den ganzen Planeten heimsuchten.
***
Stunden waren vergangen, Rajid waren es wie Tage vorgekommen. Die Vegetation des Gebietes durch das sie sich vorwärts bewegten war eintönig. Kleine, wasserspeichernde Gewächse, irdischen Kakteen nicht unähnlich, jedoch ohne Stacheln bewuchsen die Ebene. Niederungen oder Erhöhungen waren praktisch nicht zu verzeichnen. In einiger Entfernung konnte ein geübtes Auge jedoch anderen Bewuchs ausmachen.
„Kulturlandschaft,“ brummte Kilgary wobei er mit dem Kopf in Richtung Horizont nickte. „Wir müßten bald auf menschliche Ansiedlungen stoßen.“
„Wenn wir es bis dahin schaffen,“ krächzte Rajid mit ausgetrockneter Stimme.
„Positiv denken, das Feuer wird den Wettlauf nicht gewinnen. Diese Pflanzen hier brennen nicht so schnell!“
„Woher wollen sie das wissen?“ entgegnete Rajid schwach. „Haben sie schon mal ein Streichholz an eins dieser Dinger gehalten? Ich kenne Pflanzen auf anderen Planeten, die auch wie Wasserspeicher aussahen aber wie Zunder brannten.“ Er warf einen kurzen Blick über die Schulter. Das Feuer war ihnen mittlerweile bedrohlich nah gekommen. Die ursprünglich finstere Nacht war durch das Zusammenspiel von vereinzelt durch die mit Staubpartikeln versetzte Atmosphäre dringenden Sonnenstrahlen und dem Schein der hinter ihnen wütenden Feuersbrunst fast taghell erleuchtet worden.
Kilgary zuckte mit den Achseln. „Nennen sie es Wunschdenken. – Genug geplaudert, wir müssen weiter.“
Rajid schüttelte erschöpft den Kopf. Die Schmerzmittel begannen ihre Wirkung zu verlieren. Das Laufen wurde immer beschwerlicher, er zog sein gebrochenes Bein nur noch hinter sich her. Nicht auszudenken welche Schmerzen in dem Bein tobten und nur durch die Pillen unterdrückt wurden. „Ich brauche eine Pause, Kilgary,“ stöhnte er auf.
Der ASTROMINC-Mann starrte ihn kurz an, half ihm dann jedoch sich langsam hinzusetzen. „Gut machen wir fünf Minuten Pause,“ entgegnete er und starrte gleichzeitig in Richtung der Feuerwand, die durch den mittlerweile wieder stärker gewordenen Wind auf sie zu getrieben wurde. „Was hat sie dazu bewogen den schnellen Raumverbänden beizutreten?“ fragte er unvermittelt wohl bemüht mit Konversation von ihrem eigentlichen Problem abzulenken.
„Im Moment befinde ich mich noch nicht bei den schnellen Raumverbänden, Kilgary,“ bemerkte Rajid schwach. „Unser Teil der Truppe firmiert sozusagen unter dem Begriff stationäre Raumverbände, sie verstehen?“
„Oh, für mich habe ich da nie einen Unterschied gesehen, Kommiß hier und Kommiß dort. – Ich hoffe sie nehmen mir das nicht übel?“
„Nein, nein, schon in Ordnung, was ASTROMINC angeht, so sehe ich auch keinen großen Unterschied zu unserem Verein,“ murmelte Rajid wobei er sich zwingen mußte nicht vor Erschöpfung einzuschlafen. „Mein Traumziel sind tatsächlich die schnellen Raumverbände. Wer weiß, vielleicht kann ich ja tatsächlich irgendwann einmal eine Versetzung auf einen der schnellen Raumkreuzer erwirken.“ Er machte eine Pause um sich zu erholen. Die Unterhaltung, ohnehin stockend genug verlaufen, hatte nicht den gewünschten Erfolg gebracht. In den Köpfen beider Menschen spukte nur die unaufhaltsam näher rückende Feuersbrunst und die damit in Zusammenhang stehende Frage wie oder vielmehr ob man sich davor retten konnte.
Ein plötzlich auftretendes Geräusch ließ sie herumfahren. Von beiden unbemerkt hatte sich ihnen ein Exemplar der auf Coronoa heimischen Fauna genähert. Ein Tier ungefähr drei Meter lang, auf sechs Beinen laufend, dessen Körper einem etwas überdimensionierten Hamster nicht unähnlich war, wäre da nicht das unzweifelhaft zum Fleischfressen gemachte Gebiß gewesen, mit welchem das Raubtier drohend auf die beiden Männer zuschwankte.
„Was ist das?“ Rajid versuchte die Fassung zu bewahren, was ihm allerdings nur unter großen Mühen gelang.
„Ein Maht! Die Eingeborenen hatten mich davor gewarnt,“ entgegnete Kilgary. „Er ist blind, das Feuer muß ihn geblendet haben. Jetzt ist er sicherlich noch unberechenbarer als ohnehin schon. – Haben sie eine Waffe?“
Rajid nickte und nestelte an der sich in seinem Holster verhakten Strahlwaffe herum während das blinde Tier immer näher auf sie zukam. „Nehmen sie das Ding, ich kann nicht mehr richtig zielen,“ bemerkte er leise.
Kilgary ergriff die Waffe, wartete aber ab. Der Maht schwankte immer näher heran.
„Schießen sie doch!“ entfuhr es Rajid, doch Kilgary schüttelte langsam den Kopf. Das riesige Untier schwankte langsam an ihnen vorüber.
„Er ist nicht nur blind, er kann uns wohl auch nicht mehr wittern, arme Kreatur, das Feuer wird ihn wohl umbringen. – Eigentlich sollten wir ihn von seinen Qualen erlösen, aber ich weiß nicht wie er auf einen Treffer mit dieser Waffe hier reagieren würde, vielleicht erreiche ich damit das genaue Gegenteil von dem was ich will und richte seine Aufmerksamkeit nur auf uns.“
Sie warteten eine Weile, der Maht torkelte ohne ihnen weitere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen geradewegs auf die Feuerwand zu. Er schien total die Orientierung verloren zu haben. Die zwei Männer ließen sich zurücksinken. Kilgary reichte Rajid die Waffe zurück, dieser lehnte jedoch ab. „Behalten sie das Ding, Kilgary. Ich kann in meinem jetzigen Zustand doch nichts damit ausrichten.“ Rajids Oberkörper sank zurück, er wollte nur noch Ruhe und sich von den Strapazen und Schmerzen erholen.
„Wir müssen weiter, kommen sie,“ der ASTROMINC-Mann griff Rajid unter die Achseln und versuchte ihm aufzuhelfen.
„Ich kann nicht mehr,“ murmelte dieser. „Lassen sie mich hier, gehen sie allein weiter. Allein haben sie vielleicht eine Chance. Ich behindere sie doch nur. – Sehen sie doch hin,“ er deutete in die Richtung aus der sie gekommen waren. „Vielleicht noch eine halbe Stunde, dann ist das Feuer hier. Was meinen sie wie weit ich in einer halben Stunde kommen würde? – Gehen sie, allein haben sie vielleicht eine Chance...“
Kilgary starrte stumm auf die Flammenwand, die sich rasend schnell auf sie zu bewegte. Prüfend beäugte er die Umgebung. „In Ordnung, aber ich lasse sie nicht an diesem Platz hier. Dort hinten ist ein kleiner Felsvorsprung, vielleicht können sie darunter Schutz finden.“
„Schutz? Vor den Flammen?“ bemerkte Rajid zweifelnd, ließ sich dann jedoch doch aufhelfen und begab sich unter den Felsvorsprung während sein Schicksalsgefährte den ursprünglich verfolgten Weg wieder einschlug und mit ausholenden Schritten davoneilte. Rajid sah ihm ein wenig verbittert nach, versuchte dann jedoch es sich unter dem Felsvorsprung einigermaßen einzurichten.
Die zur Ebene offene Seite der kleinen Höhlung lag entgegengesetzt zu der Richtung aus der das Feuer auf ihn zukam, so daß er nur an der stickig werdenden Luft, dem beißenden Geruch und der steigenden Temperatur das Herannahen des Feuers erahnen konnte.
Irgendwann hatte er einmal eine Inschrift auf einem Grabstein gelesen die ihm nunmehr im Kopf herumspukte. Ich hatte dies erwartet, allerdings nicht so bald! Hatte dort gestanden. Ein guter Spruch, eigentlich passend für seine jetzige Situation. Er zwängte sich so weit es ging in die Höhlung hinein und versuchte krampfhaft genug Sauerstoff zu inhalieren. Den hellen Lichtschein der über den Felsvorsprung schießenden Flammen nahm er nur noch undeutlich wahr. Kurze Zeit später schwanden seine Sinne vollends während das Feuer sich seine Nahrung unter den Gewächsen der Ebene suchte und die Höhlung mit beißendem Qualm verpestete.
***
Wie lange Rajid ohnmächtig gewesen war wußte er nicht. Die Schmerzen in Brustkorb und Bein pochten jedoch heftig, daher mußten schon einige Stunden vergangen sein, ansonsten hätte die Wirkung der Medikamente nicht nachlassen können.
Er wühlte mit seiner linken Hand in der Hosentasche seines mittlerweile arg in Mitleidenschaft gezogenen schwarzen Overalls. Ja, da waren die Tabletten. Er schluckte eine Handvoll der kleinen Pillen ohne sich um eine evtl. Überdosierung zu scheren. Zehn Minuten später verspürte er die erste Wirkung, die Schmerzen begannen nachzulassen. Mühsam kroch er aus der Höhlung heraus. Vor ihm erstreckte sich eine in Asche gelegte Landschaft. Das Feuer hatte die Vegetation fast vollends zerstört. Bilder die er in der Raumstation gesehen hatte schossen ihm wieder in den Sinn. Verkohlte Felder so weit das Auge reichte, dazu ein Himmel grau in grau, der sich in absehbarer Zeit nicht wieder aufhellen würde. Die Wissenschaftler sprachen davon, daß der Planet wohl so um die fünfzig Jahre brauchen werde um sich von dieser Katastrophe zu erholen, nur um in ca. zweitausend Jahren erneut in das Meteoritenfeld zu geraten, wie es bereits seit Jahrmillionen immer wieder passiert war.
Rajid schüttelte den Kopf, keine Zeit Gedanken an kosmische Katastrophen zu verschwenden, er mußte seine eigene meistern. Er blickte sich um. In allen Richtungen bot sich das selbe Bild. Nach einiger Zeit entschloß er sich der ursprünglich eingeschlagenen Richtung zu folgen. Wenn die Anderen es geschafft haben sollten, so kam sicherlich aus dieser Richtung Hilfe, wenn nicht auch gut. Dort lagen irgendwo menschliche Ansiedlungen, wie aus dem von Kilgary und ihm ausgemachten Nutzpflanzenanbau zu schließen gewesen war.
Rajid humpelte langsam in Richtung der abgebrannten Felder. Eine ihm unbekannte Frucht war hier ursprünglich angebaut worden. Aus den kümmerlichen Überresten ließen sich noch weniger Rückschlüsse auf das zu erntende Endprodukt schließen als aus der lebenden Pflanze. Maximal einen Meter hoch waren die recht harten Stengel und wenige Millimeter im Durchmesser gewesen. Nun staken sie als verkohlte Stäbe aus dem nicht minder in Mitleidenschaft gezogenen Erdreich.
Rajids Schuhsohlen waren durch die Hitzeeinwirkung arg deformiert, an manchen Stellen sogar geschmolzen, so daß der Marsch noch beschwerlicher wurde als er ohnehin schon war. Ohne Schuhe zu laufen war jedoch noch undenkbarer.
Nach Stunden stumpfsinnigen dahintaumelns entdeckte Rajid mehr durch Zufall etwas westlich von seiner eigentlichen Route die von einer verkohlten riesigen Pflanzenhecke fast verdeckten regelmäßigen Umrisse eines Gebäudes. Wortlos den Kopf ob der fast übersehenen Ansiedlung schüttlend, änderte er sofort die Richtung. zwei Stunden später stand er am Fuße der gut drei Meter hohen Hecke, welche wohl als Windfang um das Anwesen herum gepflanzt worden war. Seine Gedanken schweiften in eine gar nicht so ferne Vergangenheit zurück und versuchten sich vorzustellen, wie diese Hecke wohl in lebendem Zustand auf einem Planeten mit einer kleinen gelben Sonne und einem blauen Himmel den Wind von den Bewohnern dieses Hauses fernhielt.
Die Hecke war verwinkelt gepflanzt, so daß ein regelrechtes Schleusensystem entstand welches verhinderte, daß der Wind durch den Durchlaß pfeifen konnte. Rajid schritt durch die Überreste der Hecke, froh darüber, daß trotz der niedergebrannten Hecke das Haus ihm sicherlich Schutz vor dem stetigen Wind bieten würde.
Das Haus selbst war vor wenigen Stunden wohl eine prunkvolle Villa gewesen. Aus Stein erbaut hatte das Haupthaus den Feuersturm größtenteils überlebt. Lediglich die Außenmauern waren rußgeschwärzt. anders sah es mit den Wirtschaftsgebäuden, Scheunen und Wohnhäusern der Bediensteten aus, welche wohl allesamt aus Holz oder jedenfalls dem hiesigen Äquivalent dazu errichtet worden waren. Hier schwelten nur noch Ruinen vor sich hin. Das Feuer hatte ganze Arbeit geleistet.
Rajid lenkte seine Schritte auf das Herrenhaus zu. Die große, schwere aus Metall bestehende Eingangstür hatte sich ob der Hitze etwas verzogen, ließ sich jedoch mit etwas Kraftanstrengung öffnen. Rajid taumelte in eine große Empfangshalle, welche mit künstlerisch gestalteten Statuen bestückt war. Die Mauern schienen tatsächlich das Feuer abgehalten zu haben, im Innern war alles unversehrt geblieben. Rajid versuchte nach evtl. verbliebenen Bewohnern zu rufen, aus seiner verdorrten Kehle kam jedoch nur ein leises Krächzen.
Müde machte er sich daran das Haus zu durchsuchen. Im Erdgeschoß war niemand zu finden. Im Gegenteil machte das Haus eher den Eindruck, als ob es in eiliger Hast von den Bewohnern verlassen worden war, wobei diese wohl versucht hatten ihre Wertgegenstände schnell zusammenzusuchen und mitzunehmen, wie Rajid aus zahlreichen ausgeräumten Schränken und Schubladen zu schließen glaubte.
Im ersten Stock des dreistöckigen Gebäudes fand er in einem Zimmer einen gedeckten Frühstückstisch. Mißtrauisch blickte er sich um. Irgendwie schien es ihm, als ob der Tisch vor nicht allzu langer Zeit frisch gedeckt worden war. Frischer Kaffeeduft stieg ihm in die Nase. Langsam humpelte er zum Tisch um sich auf einem der Stühle niederzulassen. Den Schatten, der sich ihm von hinten näherte nahm er nur schemenhaft wahr, den Schlag auf seinen Hinterkopf spürte er dafür um so mehr, dann wurde es plötzlich dunkel um ihn.
***
„Es tut mir leid,“ waren die ersten Worte die er hörte als er langsam das Bewußtsein wieder zurück erlangte. Eine vielleicht fünfundzwanzigjährige Frau mit langen schwarzen zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haaren beugte sich über ihn und wischte ihm mit einem nassen Waschlappen Blut, Schweiß und Ruß aus dem Gesicht. Angezogen war sie mit einer blauen Hose und einem schneeweißen Sweatshirt, was einem gedachten Beobachter der Szene sicherlich als starker Kontrast zu Rajids Äußerem aufgefallen wäre.
„Wasser,“ war das einzige was Rajid aus seinem verdörrten Mund hervorbringen konnte. Sie verstand und benetzte seine Lippen mit dem kühlen Naß. Noch nie vorher in seinem Leben war Rajid klares Wasser so köstlich vorgekommen wie jetzt.
„Es tut mir leid,“ wiederholte sie ihre Worte. Ich wußte nicht wer sie waren.“ Sie deutete mit einer vagen Handbewegung in Richtung des Tisches. „Ich habe mir ihren Ausweis angesehen, Terra ist also hier! Wo sind sie so lange gewesen? – Verdammt noch mal, hier geht alles den Bach runter und ihr laßt euch Zeit,“ fluchte sie verbittert.
Rajid versuchte mit etwas Mühe sich aufzusetzen, zu den wieder einsetzenden Schmerzen in Brust und Bein war ein gehöriger Kopfschmerz hinzugekommen. Langsam stand er mit unterstützender Hilfe der Frau auf und setzte sich zitternd auf einen der Stühle. Nach wie vor stieg ihm verlockender Kaffeeduft in die Nase. Durch eine unachtsame Handbewegung fegte er seinen Ausweis, der nahe der Tischkante abgelegt worden war, vom Tisch. Vom Boden aus blickte ihn sein in Plastik geschweißtes Konterfei an. Er riß sich aus seinen Gedanken und widmete seine Aufmerksamkeit wieder der Frau.
„Danke für das Wasser,“ murmelte er während er in seiner Tasche nach den Tabletten suchte. Die Schmerzen in der Brust hatten stark zugenommen, vielleicht hatten die gebrochenen Rippen innere Verletzungen herbeigeführt. Rajid versuchte die Folgen zu verdrängen, die sicherlich eintreten würden, wenn er nicht bald in ärztliche Behandlung kam.
Die Tabletten schluckte er mit einem Glas Wasser, welches ihm die Frau gereicht hatte nachdem sie erkannt hatte was er mit seinen für sie wohl recht umständlich wirkenden Verrenkungen bezweckte. Wenige Minuten später verspürte er wohltuend einen Rückgang der Schmerzen.
„Terra ist nicht hier,“ flüsterte er erschöpft. „Nur eine Handvoll Soldaten sind zusammen mit ASTROMINC hier eingetroffen, wir hatten einen Unfall mit unserem Shuttle und...“
„Sie wollen damit sagen, daß das alles hier noch kein Ende gefunden hat?“ unterbrach sie ihn fast schon hysterisch kreischend. „Die kommen wieder, Mann. Die kommen wieder!“
Verständnislos starrte Rajid in ihr von Furcht, Ekel und Abscheu verzerrtes Gesicht. „Wer kommt wieder?“ fragte er.
Anstelle einer Antwort bedeutete ihm die Frau zusammen mit ihr ans Fenster zu treten. Wortlos deutete sie auf die von oben gut einsehbaren Überreste einer Scheune, die nur wenige Meter von der Villa entfernt gestanden hatte. Was Rajid von unten nicht hatte sehen können zeigte sich nun in vollem Umfang. In den Überresten der Scheune waren an die zwanzig Körper - menschliche Leichen - auszumachen, die dort verbrannt waren.
„Was, wie...?“ stammelte er erschüttert.
„Sie kamen vor etwa zwei Tagen,“ begann die Frau zu erzählen, nachdem sie sich etwas gefaßt hatte. „Zwei Shuttle landeten draußen auf den Feldern. Die Leute riefen uns alle im Hof zusammen und erklärten uns, daß sie den Auftrag hätten uns zu evakuieren, da die über Coronoa hereingebrochene kosmische Katastrophe ein Überleben auf diesem Planeten in den kommenden Jahrzehnten so gut wie unmöglich mache.
Stumm folgten wir dem Vortrag und versuchten dann mit den Leuten zu verhandeln, einen Aufschub zu erbitten, damit wir unser Hab und Gut packen und verstauen könnten. Dies wurde jedoch mit dem Hinweis auf die herannahende Feuersbrunst schroff abgelehnt. Wir hätten die Wahl einzusteigen und mitzufliegen so wie wir im Hof standen oder hierzubleiben und das Feuer zu erwarten. Die Kommandantin ließ nicht mit sich reden. Wir baten sie ins Haus um in ruhigerer Atmosphäre mit ihr zu sprechen.
Augenscheinlich beeindruckt von den sich im Haus befindenden Kunstgegenständen versprach sie uns dann doch zu versuchen diverse Gegenstände in den Shuttles unterzubringen. – Ich glaube damit fing unser Elend an.
Wir verluden die wertvollsten Sachen zuerst in die Shuttles, Bilder und Kunstgegenstände alter Meister, zum Teil sogar Werke die seinerzeit von der Erde hierher mitgebracht wurden, wir sind eine sehr wohlhabende Familie, wissen sie?“ Nach einer kurzen Unterbrechung fügte sie an: „Gewesen!“
„Die Leute die sie da erwähnen waren das ASTROMINC-Angestellte?“ fragte Rajid zwischen.
„Ich denke ja. Sie trugen jedenfalls alle diese blauen Overalls und auf den Shuttles, wie auch auf den Schulterklappen ihrer Overalls war dieses stilisierte Doppelrad als Emblem zu finden.“ Rajid nickte zustimmend, ASTROMINC war überall in den von Menschen erforschten Teilen der Galaxis an diesem Emblem zu erkennen. „Sie waren zu fünft,“ unterbrach sie abrupt Rajids Gedankenfluß. „Die Kommandantin und vier Männer.“ Das Wort Männer spuckte sie geradezu aus so als ob sie sich bei der Aussprache desselben übergeben müsse. „Als die Shuttles beladen waren wollte meine Mutter mit an Bord gehen um den Verbleib unserer Sachen sicherzustellen, irgendwie hatte sie wohl den richtigen Riecher gehabt. – Man verweigerte ihr mitzufliegen, ja man ging sogar noch weiter.
Wir wurden alle in die Scheune gesperrt, die ganze Familie einschließlich der Knechte und Mägde, während die ASTROMINC-Leute draußen Kriegsrat hielten. – Ich weiß nicht wie Menschen zu so etwas fähig sein können!“ Die Frau wirkte trotz der Ereignisse die sie erlebt hatte sehr gefaßt, vermutlich blockte sie innerlich alles ab und würde, sofern sie nicht bald in ärztliche Behandlung gelangte, zusammenbrechen sobald sie sich mit dem Erlebten richtig auseinandersetzte dachte Rajid während sie in ihrem Redefluß nicht innehaltend immer weiter erzählte. „Sie hat den Männern quasi die Anweisung gegeben uns Frauen zu vergewaltigen, eine Frau! Können sie sich das vorstellen?“ fragte sie Rajid der nur stumm den Kopf schüttelte. „Vermutlich wollte sie sicher gehen, daß ihre Untergebenen nicht mehr zurück konnten und sie einfach unterstützen mußten bei dem Unterfangen unser Hab und Gut zu plündern.“ Sie holte tief Luft und Rajid fürchtete schon, das der Nervenzusammenbruch sich nun ankündigte, doch sie fing sich wieder und erzählte weiter.
„Jeder suchte sich eine Frau aus, ich hatte vorerst Glück. Es waren nur vier Männer, hier waren jedoch sechs jüngere Frauen. An den anderen Frauen schienen sie wohl mehr Gefallen zu finden, jedenfalls entging ich vorerst einer Vergewaltigung. Wir konnten nichts machen um ihnen zu helfen. Wir waren eingesperrt in der Scheune und die Kommandantin stand mit gezogener Energiewaffe davor um uns am Ausbruch zu hindern. – Als ob wir da jemals rausgekommen wären! Wände und Türen sind grundsolide aus dem Holz einer hier heimischen Pflanze errichtet worden, da kommt man nicht durch, Feuer allerdings schon,“ fügte sie fast schon hysterisch an.
Rajid versuchte sie abzulenken indem er auf den gedeckten Tisch wies und damit begann sich ein Brötchen zu belegen. Der gewünschte Effekt trat zum Teil ein, sie fing sich wieder, redete aber trotzdem in recht hektischem Tonfall weiter.
„Nachdem die Männer ihr Vergnügen gehabt hatten brachten sie die vier Frauen zurück in die Scheune. Dabei fiel ich wohl einem von ihnen auf und er bedeutete mir herauszukommen. Ich versuchte mich zu weigern aber unter dem Druck der Waffen blieb mir nichts anderes übrig, ich ging mit.“ Sie holte tief Luft um genug Fassung zu bewahren das nun folgende schildern zu können. „Bevor er mit mir ins Haus gehen konnte schritt ein weiterer ASTROMINC-Mann in allerdings sehr lädiertem Zustand durch die Hecke. Sein Overall war an vielen Stellen zerrissen, seinen Zustand als erschöpft zu bezeichnen wäre geschmeichelt. Er erfaßte die Situation wohl zuerst nicht so ganz, jedenfalls zeigte er sich erfreut auf Menschen gestoßen zu sein. Er berichtete von einem Shuttleabsturz...,“
„Kilgary!“ entfuhr es Rajid. Die Frau ließ sich jedoch von seinem Zwischenruf nicht beirren und fuhr fort als ob sie nie unterbrochen worden wäre.
„...bei dem fast alle Passagiere ums Leben gekommen seien. Er erkundigte sich nach zwei anderen Passagieren, die vor ihm hier durchgekommen sein müßten. Diese waren jedoch nicht bei uns eingekehrt. Vermutlich hatten sie das Anwesen einfach verpaßt.
Irgendwie bemerkte er dann jedoch doch die merkwürdige Situation in der sich alle Beteiligten gerade befanden und verlangte Aufklärung. Die Kommandantin zuckte lachend mit den Schultern und fragte ihn ob er vielleicht vom anderen Stern sei. Sie deutete auf mich –und meinte, er dürfe sich gerne bedienen, man trete mich sicherlich mit Vergnügen an ihn ab. Er schüttelte den Kopf und griff nach seiner Waffe am Gürtel, hatte jedoch keine Chance. Die Kommandantin erschoß ihn ohne mit der Wimper zu zucken. Die Leiche warfen sie zu den Gefangenen in die Scheune.
Danach zwang man mich nach oben in die Schlafzimmer und...,“ sie brach stockend ab.
„Sie brauchen nicht weiter zu erzählen,“ versuchte Rajid einzulenken.
Sie bedachte ihn mit einem qualvollen Blick. „Man hat mich vergewaltigt und geschlagen, bis zur Bewußtlosigkeit! Dann haben sie mich einfach im Zimmer liegengelassen, bis ich wieder zu mir kam waren sie mit den Shuttles abgeflogen und das Feuer über uns hinweggebraust. – Meine Familie, alle die hier lebten sind tot, verstehen sie?“
Rajid nickte bedächtig mit seinem Kopf. Die Situation überforderte ihn. Weder in seiner bisherigen Ausbildung noch in seiner Berufspraxis, die zugegebenermaßen noch nicht allzu lang war, hatte er –bislang eine derartige Situation erlebt. Wie sollte er reagieren? Welche Handlungen seinerseits würden die junge Frau davor bewahren vollends durchzudrehen? Er wußte es nicht. Rein intuitiv schien er bislang jedoch richtig gehandelt zu haben, vielleicht war es nicht der medizinisch korrekteste Weg, aber Ablenkung und damit Verdrängung der Probleme half ihnen sicherlich über die nächsten Tage hinweg. Und wer wußte schon wie die Welt Morgen aussehen würde?
„Die werden wiederkommen!“ Sie riß Rajid mit ihren Worten aus seinen Gedanken. „Haben sie eine Waffe?“
Instinktiv fuhr Rajids rechte Hand an seine Hüfte, nein, der Strahler war nicht dort. „Kilgary,“ murmelte er. „Ich habe meine Waffe Kilgary mitgegeben. Der ASTROMINC-Mann den seine eigenen Leute erschossen haben,“ fügte er an, als er ihren verständnislosen Blick wahrnahm.
„Damit wären wir so wehrlos wie zu dem Zeitpunkt an dem sie hier zum ersten mal ankamen,“ bemerkte die Frau.
Rajid wurde sich plötzlich der Unwirklichkeit der Situation in der er sich befand bewußt. Zerschunden und nur durch Medikamente aufrecht gehalten saß er mit einer äußerlich unversehrten jungen Frau zusammen von der er zwar äußerst genau wußte wie sie die letzten Tage verbracht hatte, deren Namen oder sonstige Oberflächlichkeiten sich ihm allerdings bis dato entzogen hatten. „Terra ist hier!“ entfuhr es ihm im Brustton der Überzeugung. „Diese Verbrecher werden es nicht wagen sich gegen einen Repräsentanten der schnellen Raumverbände zu stellen!“
Die Frau bedachte ihn mit einem erstaunten Blick, der dann allerdings einen eher mitleidsvollen Ausdruck annahm. „Terra, von ihnen repräsentiert? – Tut mir leid, ich fürchte die Tabletten die sie da vorhin geschluckt haben haben in ihnen etwas zu euphorische Gefühle geweckt. – In ihrem Zustand werden sie nichts gegen die ausrichten können und beeindrucken lassen die sich von ihrer Uniform sicherlich nicht. – Denken sie an Kilgary!“
Rajid schoß die Schamesröte ins Gesicht, er griff nach seiner improvisierten Krücke und versuchte von seinem Fauxpas abzulenken indem er nochmals zum Fenster humpelte. „Welche Möglichkeiten haben wir denn, wenn sie wiederkommen?“ fragte er.
„Sie sind doch der Soldat,“ gab sie zurück. „Entschuldigung, das war nicht so gemeint. Ich weiß es ehrlich nicht. Ich stand ja selber auch vor dem Problem. Hätte ich alleine zur nächsten Ansiedlung laufen sollen, im Vertrauen darauf, daß ich unterwegs nicht zufällig von irgendwelchen Raubtieren, die hier auf Coronoa nicht gerade selten sind, zerfleischt werde?
Ich hatte gehofft mich hier verstecken zu können, vielleicht hätten sie ja nicht nach mir gesucht...“
„Vor mir haben sie sich zumindest gut genug versteckt gehabt,“ entgegnete Rajid, während er sich den noch immer leicht schmerzenden Hinterkopf rieb. „Allerdings war mir klar, daß jemand hier sein mußte, der frische Kaffee, sie verstehen?“ Die Frau nickte wortlos. „Aber vielleicht sollten wir es wirklich versuchen,“ fuhr er fort. „Wenn sie wiederkommen erwarten sie schließlich nur sie hier und nicht auch noch eine zweite, zugegebenermaßen lädierte Person. Vielleicht können wir einen von Ihnen überwältigen und entwaffnen und sobald wir erst einmal eine Strahlwaffe in der Hand haben...,“ sinnierte er während sie ihn zweifelnd ansah.
***
Es vergingen fast fünf Tage die mit unglaublich quälender Langeweile aufgefüllt waren. Saskia, Rajid hatte mittlerweile den Namen der Frau erfahren, und er hatten bereits mehrere Verstecke ausgekundschaftet, sich jedoch dafür entschieden sich nicht zusammen in einem zu verbergen, damit, sollte einer von ihnen doch gefunden werden, der andere vielleicht noch eine Chance zum eingreifen hatte.
Rajids Schmerzmittel waren fast aufgebraucht, die ihm verbleibenden Tabletten hatte er schon versucht zu strecken, da die Schmerzen, die von den gebrochenen Rippen ausgingen mittlerweile nachgelassen hatten. Allerdings würden selbst die gestreckten „Rationen“ maximal noch für zwei Tage reichen. Bedenklich entwickelte sich auch sein Bein, in seinen Zehen hatte er so gut wie kein Gefühl mehr. Er hoffte, daß dies auf die Tabletten und nicht auf die Verletzung zurückzuführen war, sicher war er sich allerdings nicht.
Am Abend des fünften Tages riß sie ein hohes Pfeifen aus ihren Gedanken, während sie in zwei alten Schaukelstühlen sitzend darüber sinnierten wieviel Zeit der Planet wohl zur Regeneration brauchen würde. Das Pfeifen wurde unterbrochen von einem ohrenbetäubenden Donner. Rajid erkannte sofort, daß hier ein Shuttle die Schallmauer durchstoßen hatte. Die junge Frau räumte so schnell sie konnte die Stühle ins Haus, dann begaben sich die Beiden in ihre Verstecke. Rajid hatte sich für einen Wandschrank in einem der Zimmer in der ersten Etage entschieden. Hier hatte er den für seine Krückenimitation nötigen Platz gefunden. Auf einem kleinen Hocker sitzend harrte er der Dinge die jetzt auf sie zukamen. Saskia verbarg sich wieder in dem Versteck, welches sie auch schon bei Rajids Auftauchen inne gehabt hatte. Welches dies gewesen war, hatte sie ihm nicht verraten wollen, aus Angst er könne sie, wenn vielleicht auch unabsichtlich, verraten.
Zwei Shuttles landeten Punktgenau etwa hundert Meter von dem Anwesen entfernt. Fünf Menschen entstiegen den Vehikeln und wandten sich dem Haupthaus zu. Ein aufmerksamer Beobachter der Situation hätte genau erkennen können, daß ihre Handlungen vorher abgesprochen gewesen waren. Ohne sich auch nur einen Deut um die abgebrannten Nebengebäude und die sich darin befindlichen Leichen zu kümmern, begannen sie damit Wertgegenstände aus dem Haupthaus zu den Shuttles zu transportieren.
Nach und nach leerten sie die einzelnen Zimmer, zumindest was die offensichtlich wertvolleren Dinge anging, die dort untergebracht waren. Die ganze Aktion lief fast vollständig lautlos ab. Rajid fühlte sich nach und nach immer unwohler in seiner Haut. Die nunmehr tatsächlich eingetretene Situation unterschied sich doch erheblich von der fiktiven, die sie im Vorfeld immer wieder durchgesprochen hatten.
Durch eine Ritze zwischen der Tür und der Wand des Schrankes äugte er in das Zimmer hinaus. Sie hatten geplant, daß er, sobald einer der ASTROMINC-Leute alleine im Zimmer war, versuchen sollte diesen mit Hilfe seiner Krücke außer Gefecht zu setzen. Leicht gesagt, wie er jetzt feststellen mußte. Glücklicherweise betrat zwar nur einer der Ankömmlinge den Raum, dieser hielt sich jedoch nicht direkt vor dem Wandschrank auf, sondern begann damit Bilder, die am anderen Ende des Zimmers an der Wand hingen, abzuhängen.
Rajid fluchte leise vor sich hin. Wie sollte er auf seiner improvisierten Krücke aus dem Schrank humpelnd ungefähr fünf Meter überbrücken und dann den Mann außer Gefecht setzen, möglichst noch so, daß die Anderen davon nichts mitbekamen.
Der Mann nahm zwei der relativ großen Bilder unter seine Arme und wandte sich in Richtung Tür. Rajid frohlockte, um in den Flur zu gelangen mußte er an ihm vorbei. Er spannte seine Muskeln an und warf sich mit seinem kompletten Körpergewicht gegen die nur angelehnte Schranktür. Seiner Berechnung nach mußte diese den Mann so treffen, daß dieser vielleicht bereits benommen, auf den Boden stürzen müßte.
Leider hatte er die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Ohne Rücksicht auf die wertvollen Gemälde zu nehmen ließ der Mann diese fallen und warf sich seinerseits gegen die sich öffnende Tür. Rajid wurde mitten in der Bewegung gestoppt und in den Wandschrank zurück katapultiert. Benommen mehr liegend denn stehend blickte er die sich nun öffnende Tür an. Das wäre jetzt der richtige Zeitpunkt für das Eintreffen der Kavallerie schoß es ihm durch den Kopf. Die Wirklichkeit holte ihn jedoch schnell wieder ein.
***
Rajid war in die große Eingangshalle geschleift und dort auf ein wohl für Besucher gedachtes Sofa geworfen worden. Brustkorb und Bein schmerzten höllisch ob der ihm zugefügten Stöße und Schläge. Ihm gegenüber stand die Anführerin der ASTROMINC-Patrouille zusammen mit zwei ihrer Untergebenen. Die anderen Beiden durchsuchten das Haus nach evtl. vorhandenen weiteren „Eindringlingen“, evtl. auch nach Saskia. Inwieweit sie das Verschwinden ihres vermeintlichen Leichnams beachtet oder bislang überhaupt bemerkt hatten wußte Rajid nicht.
„Wer sind sie und wo kommen sie her?“ fauchte die Anführerin Rajid an.
Dieser versuchte sich mit Mühe aufzurichten. Zeit gewinnen, fuhr es ihm durch den Kopf. Irgendeine Geschichte ausdenken, vielleicht akzeptieren sie sie ja. Was allerdings recht unwahrscheinlich angesichts der Greueltaten war, von denen Saskia ihm berichtet hatte.
„Schnelle Raumverbände,“ bemerkte einer seiner Aufpasser leise. „Der Bursche gehört zu den Militärheinis die uns oben unterstützen!“ Er deutete auf Rajids ehemals schwarze Uniform, die mittlerweile fast nur noch aus Fetzen bestand. Er hatte sie wieder gegen die ihm von Saskia zur Verfügung gestellte Zivilkleidung getauscht, in der vagen Hoffnung, daß die Insignien Terras evtl. doch Eindruck bei den Plünderern hinterlassen würden. Dies schien jedoch nicht der Fall zu sein.
„Schiffbrüchig, wie mir scheint. Das ist der Kerl von dem Kilgary berichtet hat,“ entgegnete die Anführerin bevor Rajid auch nur ein Wort herausbrachte. Kümmere dich um ihn, Sanchez.“
Der so Angesprochene nickte kurz mit dem Kopf und griff Rajid unter die Achselhöhlen. „Draußen in der Scheune bei den Anderen?“ fragte er. Die Anführerin nickte. Rajid schwanden die Sinne. Der Mann nahm absolut keinerlei Rücksicht auf seine Verletzungen. Warum sollte er auch, Rajid konnte sich denken was ihm nun blühte.
Draußen im Halbdunkel des Tages angelangt schleifte der Mann den von Schmerzen gepeinigten Körper Rajids zu der abgebrannten Scheune. Rajid gab einen leisen Aufschrei von sich, als er auf den verbrannten Boden geworfen wurde.
„Tut mir leid, Junge,“ bemerkte der Mann leise. „Aber du warst einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Wir können uns keine Mitwisser leisten.“
„Mitwisser? Woran denn?“ Zeit gewinnen, schoß es Rajid durch den Kopf. Einfach nur Zeit gewinnen, ich will noch nicht sterben.
„Tu nicht so blöd. Du kannst mir nicht erzählen, daß du nicht gemerkt hast was hier los war.“ Er deutete auf die verkohlten Leichname. „Das und die Tatsache, daß du dich versteckt und uns angegriffen hast spricht doch Bände.“ Er nestelte an seiner Strahlwaffe. „Wie gesagt, tut mir leid. Unter anderen Umständen wären wir vielleicht mal zusammen ein Bier trinken gegangen,“ sagte er zynisch.
Rajid fühlte nur noch Angst in seinem Körper. Seine Glieder schlotterten, die Schmerzen waren fast wie weggeblasen. Verzweifelt bäumte er sich auf, versuchte sich auf den Mann zu stürzen und wurde von diesem wie in sich zusammenfallendes Kartenhaus wieder auf den Boden zurückgeschleudert. „Laß das,“ entfuhr es ihm. „Ich will ja kein Unmensch sein, fünf Minuten gönne ich dir noch. Hast du einen besonderen Wunsch? – Natürlich nur im Umfang der hier recht beschränkten Möglichkeiten,“ fügte er sarkastisch an.
Rajid schüttelte den Kopf. Fieberhaft suchte er nach einem Ausweg während der nur einen Meter von ihm entfernt stehende Mann sich langsam eine Zigarette drehte, die Strahlwaffe lässig in einer Hand haltend. Ja, hätte er sich in körperlicher Höchstform befunden dann könnte er..., müßig sich darüber den Kopf zu zerbrechen, es war zu Ende. Wie lautete noch der Spruch auf dem Grabstein? Ich wußte, daß es kommen würde, so bald hatte ich nicht damit gerechnet, schoß es ihm durch den Kopf.
Der Mann hatte mittlerweile die Zigarette so gut wie aufgeraucht. Mißmutig blickte er Rajid an, so als ob dieser für das Ende seiner Zigarettenpause verantwortlich war und warf den Stummel weg. „Das wäre es also,“ sagte er. „Noch irgendwelche berühmten letzten Worte?“ Rajid schüttelte schwach den Kopf und schloß seine Augen. Ein leises Pfeifen, das Begleitgeräusch einer Strahlwaffenentladung, war zu vernehmen. Ein Schrei, der sogleich wieder verstummte folgte. Rajid öffnete verblüfft seine Augen wieder.
Der ASTROMINC-Mann lag auf seinem Gesicht auf dem verbrannten Boden. Ein Loch klaffte in seinem Rücken, dort wo der Energiestrahl seinen Körper verlassen hatte. Blut war keines zu sehen, die Adern waren durch die Hitzeeinwirkung des Strahls direkt wieder verschlossen worden.
Über den Hof hastete eine Gestalt. Erst als diese nur noch wenige Meter von ihm entfernt war konnte erkennen, daß es sich um Saskia handelte. Die junge Frau hielt eine Strahlwaffe in der Hand mit der sie wild hin und her fuchtelte. „Schnell, zurück zum Haus, die anderen drei schnappen wir uns auch noch,“ entfuhr es ihr.
Rajid schüttelte müde den Kopf. Er hatte genug von den Ereignissen der letzten Minuten. „Den Eigentümer der Waffe hast du erledigt, vermute ich?“ fragte er.
„Das Schwein ist tot, so wie der hier.“ Sie trat dem Toten mit ihrem Fuß in die Seite und spuckte ihn an. „Nur die Chefin und zwei ihrer Henkersknechte sind noch übrig!“
„Nein,“ stammelte Rajid. „Wir gehen zu den Shuttles.“ Er deutete zu den Raumfahrzeugen, die nicht weit entfernt vor dem Anwesen abgestellt worden waren. „Mit dem Strahler machen wir eins unbrauchbar, mit dem anderen fliegen wir zur Station rauf. Die,“ er nickte mit seinem Kopf in Richtung des Hauses. „Die kommen hier ohne Shuttle nicht weg und wir sollten unser Glück nicht noch weiter aufs Spiel setzen. Er griff nach dem Arm der Frau und ließ sich vom Boden aufhelfen. Immer nach Deckung suchend humpelten die Zwei zu den Shuttles hinüber. Die Kontrollen des einen mit einem Schuß unbrauchbar zu machen war eine Sache von Sekunden. Die Startvorbereitungen mit dem anderen Shuttle brauchten da schon etwas längere Zeit, glücklicherweise hatten die im Haus gebliebenen ASTROMINC-Leute jedoch noch keinen Verdacht geschöpft. Das Shuttle konnte so ohne weitere Behinderung abheben.
***
„Na, wieder genesen?“ die Fragestellerin ließ sich, einen dicken Blumenstrauß in den Händen haltend auf dem Bett in der Krankenstation nieder. „Es hat mich ziemlich viel Mühe gekostet diese Blumen intakt von Coronoa heraufbringen zu lassen also würdige sie entsprechend!“
Rajid versuchte zu grinsen. Seine Vorgesetzte wußte wie sie ihn aufheitern konnte.
„Es sieht so aus, als ob du dich jetzt abseilen könntest, zuerst zurück zu ASTROMINC-Station 125 und dann vermutlich weiter bis nach Terra. – Dienstuntauglich bis zur vollständigen Wiederherstellung. Das kann dauern!“
„Tut mir leid, ich...,“ versuchte er zu entgegnen, doch sie schnitt ihm das Wort geradezu im Munde ab.
„Papperlapapp, du hast genug durchgemacht! Deine kleine Freundin ist bereits mit dem letzten Transitschiff aufgebrochen, während du hier im künstlichen Koma so einige Operationen hast über dich ergehen lassen müssen. Vielleicht triffst du sie ja auf ASTROMINC 125 wieder, könnte sich lohnen sich um sie ein wenig näher zu kümmern.“ Sie zwinkerte mit ihrem rechten Auge.
„Ich schätze, daß sie erst mal andere Sorgen hat. Sie hat ihre ganze Familie da unten verloren, ist vergewaltigt worden und hat dann zwei ihrer Peiniger umgebracht. Ich denke, daß ist ein bißchen viel für einen Menschen,“ entgegnete Rajid erschöpft. „Hat man Elena und die Anderen aus dem Shuttle bergen können?“
„Verkohlte Leichname, die Feuerwand ist über sie hinweggebraust. Die sterblichen Überreste wurden auf dem Planeten beigesetzt. Eine Rückführung nach Terra ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu teuer. Die Frachtplätze werden für die Überlebenden benötigt.“
„Das Feuer wütet noch immer?“ fragte Rajid.
„Ja, keine Chance es unter Kontrolle zu bringen. Wir evakuieren was das Zeug hält während gleichzeitig die Meteoritenabwehr versucht die dicksten Brocken davon abzuhalten mit dem Planeten zu kollidieren. – Es tut mir leid, Rajid, daß ich euch mit dieser Mission beauftragt habe. Elena und die Anderen könnten noch leben!“
„Die Anderen wohl kaum. Die Ansiedlung ist inzwischen wohl auch den Flammen zum Opfer gefallen. – Irgendjemand mußte sie schließlich da raus holen. Lag einzig an der Fehlinformation über die zu transportierenden Personen, wir hätten mit zwei Shuttles fliegen müssen.“
„Ja, du hast recht.“ Seine Vorgesetzte stand auf. „Ich denke, ich muß wieder an meine Arbeit. – Da fällt mir ein, zumindest etwas habt ihr erreicht. Hast du schon aus dem Fenster gesehen?“
Rajid schüttelte seinen Kopf während seine Vorgesetzte das Licht im Zimmer dämpfte, so daß er aus dem Panoramafenster neben seinem Bett ins Weltall hinausblicken konnte. Mitten zwischen den zwischen Coronoa und der Raumstation hin und her pendelnden Erzfrachtern und Shuttles konnte er zwei Diskusraumer ausmachen, die in einen Orbit um Coronoa nahe der Station eingeschwenkt waren. „Terra?“ flüsterte er.
„Ja, die schnellen Raumverbände sind hier. Euer Bericht über plündernde ASTROMINC-Angehörige hat die Regierung endlich veranlaßt zu reagieren. ASTROMINC wurde die Verwaltung dieses Einsatzes und vor allem des ganzen Systems hier abgenommen. Commander Dehling von den schnellen Raumverbänden führt jetzt die ganze Aktion hier. Wer weiß, vielleicht kann ich es ja deichseln, daß du an Bord ihres Schiffes mit zurückfliegst, du wolltest doch immer schon von den stationären Truppen weg, vielleicht ergibt sich ja so für dich eine Möglichkeit.“
Sehnsüchtig verfolgte Rajids Blick die Bahn der Diskusraumer bis er sich selbst in die Realität zurückholte. „Aus welchem Grunde sollte der Captain des Schiffes mich mitnehmen, ich bin doch nur ein kleines Licht in der Hierarchie. Außerdem dürfte das Schiff doch gar nicht für Krankentransporte ausgerüstet sein.“
„Was tut das zur Sache? Pack deinen Krempel, die Sache ist schon beschlossen. Commander Dehling überführt die drei Überlebenden ASTROMINC-Angehörigen die die Morde unten auf Coronoa begangen haben zurück zu Station 125 und evtl. sogar weiter nach Terra. Sie ist sehr daran interessiert aus erster Hand zu erfahren wie sich alles abgespielt hat. Außerdem muß ja schließlich ein Zeuge der Anklage vor Gericht erscheinen und es wäre sicherlich sinnvoll, wenn dies gleichzeitig mit den Angeklagten passieren würde. – Also nochmal, sieh zu, daß deine Sachen gepackt werden.“ Sie wandte sich zur Tür. „Ach, ich vergaß. Commander Dehling ist übrigens eine Frau, etwas älter als du, aber das hat dich ja noch nie gestört, und für meine Begriffe recht attraktiv. – Aber leider bist du ja ans Bett gefesselt!“ Mit einem hohen Lachen verließ sie das Zimmer und ließ einen recht verdutzt dreinblickenden Mann zurück, der dann wieder sehnsüchtig seinen Blick zum Panoramafenster schweifen ließ.