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Duplizität

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28.05.2001
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Duplizität

Duplizität

Anmerkung des Autors

Meines Wissens existiert kein Autor der phantastischen Literatur, der nicht einen Roman, oder zumindest eine Kurzgeschichte über die gute alte Zeitmaschine veröffentlicht hat. Dabei sind fast alle nur denkbaren Pointen herausgekommen, so dass es schwer fällt, diesem Evergreen eine neue Facette abzugewinnen. Ein Grund mehr, es zu versuchen, lieber Leser!

Professor Lepton schenkte sich einen Kaffee ein und grinste fröhlich vor sich hin. Eine Zeitmaschine sei unmöglich. Pah – von wegen! Er hatte keine 5 Jahre gebraucht, um sie zu planen, konstruieren und zu bauen. Es war eigentlich ganz einfach. Man brauchte nur...
Ach, das verstehen Sie ja doch nicht!
Seine ignoranten Kollegen würden vor Neid erblassen. Er freute sich schon auf Stockholm und die Verleihung des Nobelpreises für temporale Physik. Ein letztes Mal ging er die Schaltkreise durch, vergewisserte sich, dass der Lepton-Generator, wie er ihn bescheiden getauft hatte, einwandfrei funktionierte, die alternative Energieversorgung für den Tachyonen-Konverter sichergestellt war und warf das Programm an. Sein Vertrauen in die von ihm geschaffene Technologie war derart groß, dass er sich spontan entschloss, einen Selbstversuch zu wagen. Er stellte die Zeit auf t minus eine Stunde und begab sich auf die Plattform. Der Professor sah noch mal auf seine Armbanduhr, um den historischen Moment zu verinnerlichen. Dann war der Countdown abgelaufen...

Professor Lepton schenkte sich einen Kaffee ein und grinste fröhlich vor sich hin. Eine Zeitmaschine sei unmöglich. Pah – von wegen! Er hatte keine 5 Jahre gebraucht, um... huch! Jemand hatte ihn auf die Schulter getippt. Er wirbelte herum und blickte in sein Spiegelbild, das ihn freundlich anlächelte, erschrak heftig, wobei ihm die volle Kaffeetasse entglitt, über seine Arbeitsplatte schlidderte und sich in eine Steuerkonsole ergoss, die funkensprühend protestierte und ihrem Unmut mit einem heftigen Kurzschluss Ausdruck verlieh.
“Fass mich nicht an! Bist du irre? Zwei Körper können nicht denselben Raum einnehmen, genauso wenig wie ein Körper zwei verschiedene Räume einnehmen kann. Das müsstest du doch am Besten wissen.”
“Paulis Postulate gelten nur innerhalb ihres Referenzrahmens, das heißt jeweils innerhalb einer bestimmten Dimension. Da ich aus einer anderen Dimension komme, besitze ich meinen eigenen Körper.”, antwortete sein alter Ego und trat ihm zum Beweis gegen sein Schienbein.
“Aua! Tatsächlich. Wie kommst Du überhaupt hier her?”
“Das wäre dir in einer knappen Stunde eingefallen.”
“Du meinst, du, äh ich, mache einen Selbstversuch?”
“Yup.”
“Und woher wusstest du, dass das Pauli-Prinzip in unserem Fall nicht gilt? Hast du unterwegs ein Buch gelesen?
“Ich bin durch die Zeit gegangen, besser gesagt, ich habe die Dimension gewechselt. Diese Erfahrung erweitert deinen Horizont.”
“Wann?”
“18.26.”
“Verdammt, wir haben noch 49 Minuten, um dich zurück zu schicken. Mein Gott, die Konsole!” Entsetzt nahm er die Verkleidung ab und starrte fassungslos auf die verschmorten Schaltkreise: “Das schaffen wir nie!”
“Na und?”
“Zeitreisen scheinen das Gehirn zu schädigen. Im Universum existiert nur eine bestimmte Menge Energie. Das bedeutet, seine potentielle Masse ist endlich. Ich kann also unmöglich 84 Kilo addieren. Das könnte zu einer Katastrophe führen.”
Professor Lepton senior – er war ja eine Stunde älter – schaute Professor Lepton junior mitleidig an: “Du hast es immer noch nicht kapiert. Natürlich bleibt die Summe aller Energie und Materie im Universum konstant. Du hast auch keine 84 Kilo addiert, sondern transportiert. Der lineare cosmologische Zeitpfeil funktioniert nicht so, wie Penrose und Hawkings ihn sich vorgestellt haben. Er trifft auf ihren Referenzrahmen zwar zu, doch sie begingen den Fehler, zu glauben, ihr Referenzrahmen sei der einzige. Dabei hat Penrose in der Theorie bereits im 20. Jahrhundert bewiesen, dass nicht nur 4 Dimensionen existieren.”
“Du meinst die Sache mit den multidimensionalen Kacheln.”
“Nein, ich meine Alice im Wunderland. Natürlich meine ich die Kacheln, du Kleingeist. Stell nicht so blöde Fragen! Wir haben dieselbe Ausbildung. Kaum zu glauben, dass ich noch vor einer Stunde derart ignorant war. Also das Universum ist multidimensional. Pass auf!”
Er nahm die Kaffeetasse, zerschmetterte sie auf dem Fußboden, und erklärte: “Allein durch diesen Akt habe ich eine neue Dimension geschaffen, denn es existiert weiterhin eine Dimension, wo du weniger begriffsstutzig bist und ich die Tasse nicht zerschlage. Es existieren unendlich viele Dimensionen nebeneinander. Mit jeder Entscheidung jedes einzelnen Teils des großen Ganzen entsteht eine Gabelung, aus der zwei neue Dimensionen entstehen. Eine mit kaputter, eine mit heiler Tasse. Eine mit zweien von uns und eine Dimension, in der Professor Lepton auf unerklärliche Weise verschwand. Diese Dimensionen stellen die unendlich vielen Facetten des großen Ganzen dar. Die Summe des Großen ganzen bleibt trotzdem endlich. Ich habe mich lediglich von einer Dimension subtrahiert und zu einer anderen addiert. Gut, dass ich in jeder dieser Dimensionen eine zweite Zahnbürste habe.”
“Das bedeutet ja, es kann unmöglich ein Zeitparadoxon entstehen...”
“Jetzt hast du es geschnallt. Wenn ich meinen Vater umbrächte, bevor er mich zeugt, dann nur den Vater in der Dimension, in die ich gereist bin. Es ist also quasi nicht mein Vater, sondern der eines anderen Professors aus einer anderen Dimension. Meinen eigenen Vater kann ich nur in meiner eigenen Dimension töten. Da passiert überhaupt nichts, ich komme höchstens in den Knast. Ich höre nicht auf, zu existieren, weil ich nie geboren wurde, denn ich kann meinen Vater nur nach meiner Geburt umbringen. Wechsele ich die Dimension, ist es nicht mein Vater. Damit schaffe ich eine Dimension, in der mein alter Ego nicht geboren wurde, doch es betrifft mich in keinster Weise. Es existieren gewiss auch Dimensionen, wo Mutter vor unserer Geburt ums Leben kam, wo der Homo sapiens ausstarb oder nie entstand, und trotzdem stehen wir hier und erfreuen uns bester Gesundheit.”
“Wie kannst du dir so sicher sein?”
“Bin ich nicht. Es ist nur die einzig mögliche Erklärung, die mit den Naturgesetzen übereinstimmt. Wenn ich mich irre, müsste sich einer von uns in einer halben Stunde auflösen.”
“Das wärst dann aber du.”
“Bist du sicher?”
Sie lachten herzlich, denn sie hatten dieselbe Art Humor. Dann stritten sie sich noch eine halbe Stunde über Spitzfindigkeiten. Es war dieser Dialog, den wir alle mit uns selbst führen, nur dass wir uns dabei meist ausreden lassen und uns nicht ins Wort fallen. Soll ich oder soll ich nicht? Richtig oder falsch? So zwiespältig wie unsere Entscheidungen oft ausfallen, so zwiespältig, so kontovers diskutierten die Beiden. Doch da ihre wissenschaftliche Überzeugung trotz aller Widersprüche recht ähnlich war, gelangten sie über These und Antithese schnell zu einer gemeinsamen Synthese – ein äußerst konstruktiver Streit. Plötzlich sah Lepton junior auf seine Armbanduhr und schluckte: “Noch eine Minute. Falls wir uns irren – du hast mich zwar weitgehend überzeugt, aber falls wir uns irren, möchte ich dir noch sagen, äh, dass es nett war, dich kennen zu lernen.”
“Selbstverliebter Bastard!”
Sie mussten schon wieder lachen, doch als der Sekundenzeiger sich der kritischen Marke näherte, nahmen sie einander bei den Händen. “Wir schreiben Geschichte.”, sagten sie simultan. Dann geschah es:

Nichts.

Sie verharrten noch einige Sekunden regungslos in Erwartung irgendeiner Katastrophe, die sich jedoch weigerte, einzutreten. Dann grinste Professor Lepton Junior sein alter Ego an: “Deine Uhr geht vor!”

Sie diskutierten mehrere Wochen, wie man diese Erfindung nutzen könne. Dabei kam man überein, dass es sinnlos wäre, in die Vergangenheit zu reisen, und beispielsweise Adolf Hitlers Mutter eine Östrogenspritze zu verpassen, denn in diesem Fall würde der Diktator in einer bestimmten Dimension nicht geboren werden, doch das würde nichts an der Judenverfolgung und dem 2. Weltkrieg ändern, jedenfalls nicht in der Dimension, aus der sie kamen. Dasselbe Prinzip galt für alle anderen Katastrophen. Man konnte sie in vielen Dimensionen verhindern, nur nicht in der eigenen. Selbst wenn man in die Zukunft reiste, um davon zu erfahren, kehrte man nie in die eigene Dimension zurück, denn allein durch die Erlangung dieses Wissens hatte man die Dimension gewechselt. Die Leptons konnten sich so zwar ihre eigene Dimension auswählen, in der alles nach Plan verlief, doch das war ihnen zu egoistisch. Sie wollten ihre Erfindung zum Wohle der Menschheit nutzen. Ihrer Menschheit in ihrer Dimension. Wenn ihnen das gelang, würde es auch vielen anderen Parallelwelten zugute kommen, denn die Wahrscheinlichkeit war extrem groß, dass die vielen anderen Leptons in ihren Dimensionen dasselbe vollbrachten.

Die Idee kam ihnen eines späten Abends, als Professor Lepton senior zum Kühlschrank ging: “Du hast schon wieder das letzte Bier ausgetrunken.”
Junior lachte und hielt seine noch fast volle Flasche hoch: “Du könntest ja...”
Entgeistert starrten sie sich an: “Das ist es!”

Sie begannen mit einem Bier. Dann folgten eine Tomate, eine Pizza, ein Huhn und so weiter. Sie achteten darauf, immer wieder dieselbe Tomate, dasselbe Tier zu duplizieren. Auf diese Weise schufen sie in Laufe der Jahre Milliarden von Dimensionen, in denen nur eine Tomate, ein Huhn und eine Kuh verschwanden. Ansonsten hätte man ja andere Dimensionen ihrer Lebensgrundlage beraubt.

Die Lepton & Lepton Corp. kaufte sich eine Ranch in Zentralafrika, musste jedoch bald expandieren. Nachdem der Welthunger besiegt war, duplizierten sie Solarzellen und lösten die Energiekrise.

Durch die Zeit reisten sie nie wieder. Es brachte einfach nichts.

 

Ich denke die Schwierigkeit bei solchen Zeitreise-Geschichten ist, sie überzeugend und verständlich dem Leser vor Augen zu führen. Das ist dir hier eigentlich gelungen, außer das ich den letzten Satz "Durch die Zeit reisten sie nie wieder. Es brachte einfach nichts." in Bezug auf den vorherigen Verlauf nicht verstanden habe. Ich denke aber, gerade der war wichtig. Nur die Zeitreise hat ihnen doch etwas gebracht, nur eben nicht das was sie sich dachten.

Er hatte keine 5 Jahre gebraucht, um sie zu planen, konstruieren und zu bauen. Es war eigentlich ganz einfach. Man brauchte nur...
Ach, das verstehen Sie ja doch nicht!
Wäre mal ein interessanter Versuch gewesen, wenn man die Geschichte hier wirklich beendet hätte. Nur um die Reaktionen der Leser willen. ;)

Deine Theorie scheint mir übrigens durchaus logisch zu sein, so das es eben nicht eine einzige "Zeitlinie", sondern mehrere Dimensionen gibt, die quasi wie eine Kopie fungieren. Nun, wie gesagt das kam gut rüber.

Philosophisch ist sie weil sie Sience Fiction ist, mehr möchte ich da nicht dran rummäkeln.

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Man muss auch über sich selbst lachen und nicht alles so ernst nehmen können.

 

Hi Alpha!

Wie konnte diese interessant zu lesende Geschichte nur so weit versinken - von wo ich die jetzt hergeholt habe... :eek:

Also sie hat mir wirklich gut gefallen, besonders das Ende! Auch, wenn ich solchen Theorien wenig Glauben schenke, aber es ist doch zwischendurch amüsant, sowas zu lesen!

Zu Deinem Ausdruck und Stil sage ich nichts, sonst wirst Du am Ende eingebildet oder Du beschwerst Dich über den klebrigen Honig mitten in Deinem Gesicht.

Verzweifelt habe ich nach etwas zu Kritisieren Ausschau gehalten, und wie fast immer bin ich auch bei Dir fündig geworden :p :

Man liest es hier doch so oft, daß man Zahlen, besonders bis zwölf, ausschreiben soll.... ;)

Womit ich meinem - wie ich mir denken kann - Ruf auch hier wieder gerecht geworden bin.. :D

Alles liebe
Susi

 

Hallo Alpha O´Droma,

um auf Deine Anmerkung am Anfang einzugehen: Deine Geschichte liefert eigentlich keine neue Facette der "Zeitreisen- Paradoxie".
Schön geschrieben ist sie allemal.
Es müßte wohl immer -Parallelwelt - , anstelle von Dimension heißen.

@ Benjamin: Ich überlege noch, ob SF immer philosophisch ist.

Tschüß ... Woltochinon

 

Nach Alpha mir diese Geschichte aufgrund der Debatte "Ausgelutschte Themen" ans Herz gelegt hat, muss ich natürlich auch meinen Senf hier dazu geben...

- Ja, auch ich habe schonmal eine Zeitreisen-Geschichte geschrieben.

- Diese Geschichte beginnt wie sehr, sehr viele andere Zeitreisen-Geschichten. Damit ist mindestens der erste Absatz ausgelutscht, wenngleich er sprachlich und stilistisch brauchbar ist. Wenn Du aber nicht behauptet hättest, diese Geschichte sei eine "neue" Idee, hätte ich vielleicht gar nicht weiter gelesen.

- Dass bei Zeitreisen nur neue Universen geschaffen werden (oder so ähnlich) ist sicher nicht die neue Idee, die Du meinst, die ist alt.

- Nun zum Schluss, der eigentlich "Idee". Ich weiß nicht, ob ich es richtig verstanden habe. In welchem Universum befinden sich denn dann die Duplikate? Nö, da verbiegen sich meine Physiker-Neuronen. Das funktioniert nicht. Aber es geht ja nicht um die Frage, ob die Idee gut ist (zumindest ganz lustig, finde ich), sondern darum, ob sie schonmal da war. Ich meine ja. Im Moment weiß ich aber nicht, wo ich sowas schonmal gelesen habe. Der Gedanke ist im Grunde ja auch recht nahe liegend. Weil er so extrem spekulativ ist, finde ich ihn halt nicht sonderlich spannend. Verbleiben wir doch so: Wenn ich die Geschichte finde, in der ich sowas schon gelesen habe, sage ich Bescheid, ja?

Uwe

 

Ich weiß nicht, ob ich es richtig verstanden habe. In welchem Universum befinden sich denn dann die Duplikate?
Haste leider nicht, hehehe. In demselben Universum. Das wird doch erklärt. Du kannst der endlichen Masse/Energie von innen (dem geschlossenen system Universum) nichts hinzufügen und nichts abziehen. Ich rede nicht von neuen Universen, Uwe, sondern von der multidimensionalen Struktur unseres eigenen. Es existiert kein Zeit-Pradoxon. Behaupte ich.

 

Hallo Alpha,

auf diese Geschichte bin ich durch den "Ausgelutschte-Themen-Thread" gestoßen.
Einige Stories zum Thema "Zeitreisen" habe ich schon gelesen, aber selten eine, in der so ... ich sag mal: logisch erklärt wird, warum keine Paradoxa auftreten. Das gefällt mir außerordentlich gut.

Ein bißchen eingegrenzt ist die Geschichte bezüglich ihrer Leserschaft vielleicht, weil Du Penroses Ideen oder z.B. das Pauli-Prinzip mit einbringst. Das könnte den Normal-Leser vielleicht verschrecken (?) Dann lesen es halt doch wieder Physiker und Studenten der Richtung, und die könnten die Ideen schon kennen. Und Uwe kennt sie anscheinend schon, ich kannte sie noch nicht.

Die Frage ist, für wen schreibt man? Wenn man für eine Gruppe schreibt, die bestimmte Vorlieben haben, so kommt es natürlich vor, daß diese Erklärung oder diese Art, die Geschichte aufzulösen, schon mal da war. Hmmm...

Jedenfalls hat mir Deine Geschichte gut gefallen, ich hab auch gelacht (beim Schienbeintritt z.B.). Und das Ende ist mir höchstgradig sympathisch!

vio

 

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