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Dunkler Wald
Es war ein Samstag, 23 Uhr abends. Die Gruppe aus Menschen verließ ihr Dorf, in dem sie wohnten und betrat mit Taschenlampen bewaffnet den anliegenden Wald. Der Vater Carsten, schlank, dreiundvierzig Jahre alt, mit schwarzen Haaren, ging der Gruppe mit einem sorgenvollen Gesicht voraus. Dicht gefolgt, seine Frau, vierzig Jahre, etwas dicklich und mit blonden Haaren, deren Gesicht nicht weniger sorgenvoll aussah. Außerdem war da noch das kinderlose Ehepaar aus dem Nachbarhaus, welche sich an der Suche nach dem neunzehnjährigen Mädchen beteiligten.
„Carsten!“, setzte die Nachbarsfrau Nadine zu einer Frage an. „Was haben die auf der Polizei zu dir gesagt?“. „Babsi ist keine Minderjährige mehr! Darum beginnt eine Suche erst achtundvierzig Stunden nach dem Verschwinden!“, war die Antwort von Carsten, der sich dabei nicht zu Nadine umdrehte, sondern mit seiner Taschenlampe weiterhin den Wald absuchte. Während die Gruppe immer weiter in den dunklen Wald eintauchte, entfernte sie sich von der Beleuchtung der letzten Straße. Bald waren die einzigen Lichtquellen der Vollmond über ihnen und die mitgeführten Taschenlampen.
Es war ein kühler Abend im November und man konnte den schnellen Atem der vier Wanderer als Dampf aus ihren Mündern entweichen sehen. Durch den schnellen und beschwerlichen Schritt auf dem unwegsamen Boden des Waldes, hatten alle einen beschleunigten Puls und waren durch die Anstrengung so erwärmt, dass sie die Kälte des Waldes und der Dunkelheit nicht spürten.
„Carsten! Lauf nicht so schnell! Ich komme gar nicht richtig mit!“, ertönte von hinten eine Aufforderung, die von Jens stammte, welcher der dickste des spontanen Suchtrupps war. „Halt dein Maul, Jens! Wenn du nicht mitkommst, dann geh wieder nach Hause!“, war Carstens schroffe Antwort darauf, der sich weiterhin auf die durch seine Taschenlampe beleuchteten Stellen konzentrierte. „Alles wird gut, Schatz! Wir werden unsere Kleine schon wieder finden!“, versuchte ihn seine Frau mit sanfter Stimme zu beruhigen. Sie stolperte kurz nach diesen Sätzen, welches Carsten sofort bemerkte, sich zu ihr umdrehte, auf die Beine half und sie küsste. Der Suchtrupp blieb für einen Moment stehen.
„Ich weiß, mein Schatz, wir werden unsere Kleine finden!“, sprach Carsten, nachdem er seine Lippen von ihren gelöst hatte. Der Suchtrupp ging weiter und konzentrierte sich wieder auf die von den Taschenlampen beleuchteten Stellen des Waldes. Vater Carsten und Mutter Petra fingen an, den Namen ihrer Tochter durch den dunklen Wald zu rufen. „Babsi! Babsi!“, ertönte es in lauten, verzweifelten und zugleich hoffnungsvollen Rufen. „Wann hast du das letzte Mal versucht Babsi über ihr Smartphone zu erreichen?“, fragte Petra ihren Mann. Um 18 Uhr, eine halbe Stunde bevor wir zur Polizei gegangen sind und sie als vermisst gemeldet haben! Aber es ging nur die Mailbox dran! Sie ist ja schon letzte Nacht ohne Rückmeldung nicht nach Hause gekommen und du weißt, wie ungewöhnliches dieses für unsere Kleine ist!“, antwortete ihr Carsten.
Die Laternen der letzten Straße waren nun zur Gänze verschwunden und das Mondlicht schien nur begrenzt durch die herbstlich bestückten Baumkronen. „Wisst ihr, was ich für einen Verdacht habe?“, schnaufte Jens viel mehr, als dass er dieses sprach. „Vor fünf Monaten hat doch so ein Asylanten-Heim aufgemacht! Ich glaub, so ein paar Kilometer entfernt in der nächsten größeren Stadt! Ich mag mir das gar nicht ausmalen, aber vielleicht hat einer von diesen Yussufs sie entführt und …!“.
„Jens! Jetzt hör auf den Teufel an die Wand zu malen!“, unterbrach ihn seine Frau Sabine abrupt. Carsten scherte sich im Grunde nicht um das Gerede von Jens und konzentrierte sich unablässig auf die Suche nach seiner Tochter. Es kam leichter Wind auf und man hörte das Rascheln der Blätter. Carsten dachte dann doch einen Moment über die Worte von Jens nach. Er wusste, dass seine Tochter sozial sehr engagiert war und ehrenamtlich in ihrer Freizeit in der Flüchtlingshilfe arbeitete. Ihr größter Traum war es, nach dem Fachabitur Sozialarbeiterin zu werden. Schon von Kindesbeinen an war sie hilfsbereiter als andere Kinder. „Hatte sie während ihrer ehrenamtlichen Arbeit jemand falsches kennen gelernt?“, war Carstens Gedanke, welcher ihm nun im Kopf kreiste.
Carsten wurde durch ein Geräusch aus seinen Gedanken gerissen. Er stoppte plötzlich seinen Gang, die drei Gefährten taten es ihm gleich. „Warum bist du stehen geblieben?“, wollte Petra wissen. „ Ich glaube, ich hab etwas gehört! Seid mal bitte still!“. Der Suchtrupp hörte gebannt in die Stille des dunkeln Waldes hinein. Tatsächlich war ein leichtes Wimmern zu entnehmen. „Aus welcher Richtung mag das Wimmern kommen?“, fragte Petra flüsternd ihren Mann.
„Ich weiß es noch nicht!“, war seine ebenfalls flüsternde Antwort. Carsten versuchte das Wimmern mit seinen Ohren zu orten und die nächste Laufrichtung zu bestimmen. Er traf eine Entscheidung und diese sollte den Suchtrupp weiter nach Westen führen. „Kommt, gehen wir in diese Richtung weiter!“, befahl er seinen Gefährten und die Gruppe setzte sich wieder in Bewegung.
Tatsächlich: Das Wimmern wurde mit Schritt für Schritt lauter. Der Puls von Petra und Carsten beschleunigte sich auf einhundert zwanzig. Plötzlich hatte Carsten etwas im Licht seiner Taschenlampe. „Babsi!“, schrie Petra schrill auf und rannte zu dem weinenden und verkrümmten etwas, welches an einen Baum gelehnt war. Carsten blieb der Mund offen stehen und seine Augen weiteten sich vor Entsetzen.
„Jens! Ruf schnell einen Krankenwagen und die Polizei!“, befahl Sabine ihrem Mann mit lautem Ton. Carsten hatte Mühe seine eigene Tochter zu erkennen. Die Person, welche in dem Lichtschein seiner Taschenlampe lag, war übel zugerichtet. Beide Augen blau und zugeschwollen, die Nase gebrochen und blutend, ihre Kleidung teilweise zerrissen und die entblößten Stellen waren übersät mit blauen Flecken. Babsis Beine waren fest geschlossen, um den verletzten Intimbereich nicht zu entblößen.
Sie flüchtete sich sofort in die Arme ihrer Mutter, die sich neben sie gekniet hatte. „Jetzt wird alles gut, Mäuschen!“, flüsterte Petra ihrer Tochter ins Ohr.