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Dunkle Schatten
Keuchend rennt Steve um die Ecke. Leise drückt er sich in die dunklen Schatten, eng neben Heiko, der am ganzen Körper zittert. „Haben sie uns gesehen?“, fragt Heiko flüsternd. Steve gibt keine Antwort.
Schritte! Es müssen fünf oder sogar sechs sein, der Asphalt hallt dumpf in dieser tödlichen Nacht.
Scheiße!
Beide machen sich so dünn wie möglich, halten die Luft an. Wenn sie jetzt einer erwischt, Gott, dann ist es aus.
Menschen rennen auf den Straßen, aus ihren Häusern fliehen sie wie aus der Hölle ins Paradies, die Nacht sieht Gesichter, die sich sonst nur am hellen Tage heraus wagen... die grausamen Schreie Unzähliger fahren durch Mark und Bein.
Himmel, bitte, bitte nicht...
Sirenen kommen näher. Heiko dreht sich zu Steve um, wie in Zeitlupe, blickt in die glasigen Augen, in ein bleiches Gesicht, von schwarzen, verschwitzten Strähnen umrahmt. Seine Stimme ist weinerlich, er hat den Klang nicht unter Kontrolle. „Die haben die Bullen gerufen!“
Da preschen auch schon zwei, nein drei Polizeibusse an dem kleinen Vorgarten vorbei, keine fünf Meter von ihren ängstlichen Körpern, den unruhig schlagenden Herzen entfernt.
Mehrere Krankenwagen und Feuerwehrautos folgen, ebenfalls mit Martinshorn und Sirene, tödlich schrill und rücksichtslos.
Einige der Verfolger haben die richtige Richtung eingeschlagen, Steve kann sie deutlich schreien hören, und ihre Stimmen jagen ihm kalte Schauer über den Rücken. Wenn sie uns jetzt erwischen...
Starr vor Angst wagt er nicht, sich zu bewegen. Immer noch kreischen die Sirenen. Alle suchen nach ihnen.
Eine Katze, schwarz wie der Teufel persönlich, huscht, durch die Suchenden aufgescheucht, fauchend durch die Latten des morschen Gartenzauns.
„Wir müssen weg von hier...“ Heikos Stimme, dünn wie Kaffee im zweiten Weltkrieg. Mechanisch nickt Steve.
Nur wohin...
Zorn kommt ihm hoch, leiser, heftiger Zorn. Warum hatte er nur auf Heiko gehört... er könnte jetzt ganz bequem zuhause vor dem Fernseher liegen oder ein paar wunderschöne Stunden bei Nadja verbringen...
Der Mond scheint hell in dieser klaren Nacht, Sterne blinken friedlich, die Straßenlaternen flimmern unrhythmisch, die Straße, viel zu hell, viel zu gut überschaubar. Keine Chance. Heiko zittert vor Angst hinter ihm, Steve hört ihn mit den Tränen kämpfen.
Scheiße, wieso hatte er nur diesem Idioten geglaubt! Jetzt würde er ihn noch mit reinreißen, Waschlappen, verdammter!
„Hör auf zu flennen! Depp, blöder!“ so leise wie wütend. Heiko verstummt augenblicklich, nur schwaches Schluchzen ist noch zu hören.
Die Katze, die bis jetzt ein paar Meter von ihnen entfernt gesessen und mit ihren schwefelgelben Augen das Toben und Suchen beobachtet hat, dreht sich nun lautlos zu ihnen um, kommt auf Steve zu, streicht ihm um die Beine.
„Miau...?“ Panisch zuckt er zusammen.
Abigail, Scheißvieh, hau ab!
Vorsichtig, in Zeitlupe, hebt er den rechten Fuß. Ein kurzer Tritt, Fauchen, der schwarze Schatten verzieht sich gekränkt unter den Flieder, starrt die beiden bösartig an, als ob sie ihnen einen Fluch auferlegen wollte...
Auf der Straße kehrt keine Ruhe ein. Im Gegenteil, immer mehr Männer mit Taschenlampen, Polizei mit Scheinwerfern rückt an.
„Wir müssen hier raus!“ bringt Steve mit zitternder Stimme hervor. Seine Hände, kalt und nassgeschwitzt, verkrampfen sich zu Fäusten, die Fingernägel verkrallen sich. Vielleicht drei, vier Gärten weiter hört er Gebell. Das Herz setzt aus, er möchte klein sein, klein wie Abigail, sich verstecken können, durch die Katzenklappe sicher ins Warme, will fliegen wie die Feuersterne, ...
Scheinwerfer durchfluten die schützende Dunkelheit, die Büsche werfen zynisch ihre Schatten auf das trockene Gras.
Hunde! Scheinwerfer!
Ohne einen Gedanken an Heiko, der, starr wie eine Leiche und wimmernd, hinter ihm kauert, rennt Steve los.
Hunde! Bitte, bitte nicht...
Kopflos stolpert er über den Gartenweg, sucht das Tor zwischen den Latten, raus auf die Straße, nur raus, weg, sollen sie doch Heiko finden!
Die Hunde schlagen an. Männer, von allen Seiten, Polizisten, Nachbarn, Taschenlampen, Schlagstöcke, Schreie... flüchtig nimmt er Abigail wahr, die vor zwei großen Schäferhunden flieht, das schwarze Fell gesträubt, die Geschmeidigkeit und Kraft eines Panthers!
Abigail, deine Kraft, gib mir deine Kraft, Teufel...
Hinter sich hört er Heiko brüllen – unmenschliche, tödlich erschrockene Stimme! Das Chaos, das um sie herum entsteht, bekommt Steve nicht mehr mit...
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Die letzten Feuerwehrleute gehen langsam zu ihren Einsatzwagen, müde, die Gesichter geschwärzt, die Lungen trotz der Masken voller Rauch. Marcus laufen Tränen über die Wangen, hinterlassen helle Spuren auf der rußigen Haut. Sein zweiter Einsatz. Über vier Stunden hatten sie gekämpft um das große Haus, Heim von acht Familien mit ihren Kindern. Sieben Tote hatten sie bergen müssen, darunter die unkenntlich verbrannten Körper von vier Kindern...
Zitternd setzt er sich auf die Rückbank, froh, nicht mehr in der Flammenhölle zu sein.
Erwischt, ja, erwischt hatten sie die beiden letztlich. Halbstarke Spinner, sechzehn, siebzehn Jahre alt vielleicht... aber das macht die Familien, die Kinder auch nicht wieder lebendig. Als er an das kleine Mädchen dachte, den Gestank nach verbranntem Fleisch, die starren Augen, ... Er sackte zusammen.
Diese Menschen waren gekommen mit der Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben, aus den Krisengebieten dieser Erde, wollten Frieden... gefunden hatten sie den Tod.