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Dunkle Schatten

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20.10.2002
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Dunkle Schatten

Keuchend rennt Steve um die Ecke. Leise drückt er sich in die dunklen Schatten, eng neben Heiko, der am ganzen Körper zittert. „Haben sie uns gesehen?“, fragt Heiko flüsternd. Steve gibt keine Antwort.

Schritte! Es müssen fünf oder sogar sechs sein, der Asphalt hallt dumpf in dieser tödlichen Nacht.

Scheiße!

Beide machen sich so dünn wie möglich, halten die Luft an. Wenn sie jetzt einer erwischt, Gott, dann ist es aus.

Menschen rennen auf den Straßen, aus ihren Häusern fliehen sie wie aus der Hölle ins Paradies, die Nacht sieht Gesichter, die sich sonst nur am hellen Tage heraus wagen... die grausamen Schreie Unzähliger fahren durch Mark und Bein.

Himmel, bitte, bitte nicht...

Sirenen kommen näher. Heiko dreht sich zu Steve um, wie in Zeitlupe, blickt in die glasigen Augen, in ein bleiches Gesicht, von schwarzen, verschwitzten Strähnen umrahmt. Seine Stimme ist weinerlich, er hat den Klang nicht unter Kontrolle. „Die haben die Bullen gerufen!“

Da preschen auch schon zwei, nein drei Polizeibusse an dem kleinen Vorgarten vorbei, keine fünf Meter von ihren ängstlichen Körpern, den unruhig schlagenden Herzen entfernt.
Mehrere Krankenwagen und Feuerwehrautos folgen, ebenfalls mit Martinshorn und Sirene, tödlich schrill und rücksichtslos.

Einige der Verfolger haben die richtige Richtung eingeschlagen, Steve kann sie deutlich schreien hören, und ihre Stimmen jagen ihm kalte Schauer über den Rücken. Wenn sie uns jetzt erwischen...

Starr vor Angst wagt er nicht, sich zu bewegen. Immer noch kreischen die Sirenen. Alle suchen nach ihnen.

Eine Katze, schwarz wie der Teufel persönlich, huscht, durch die Suchenden aufgescheucht, fauchend durch die Latten des morschen Gartenzauns.

„Wir müssen weg von hier...“ Heikos Stimme, dünn wie Kaffee im zweiten Weltkrieg. Mechanisch nickt Steve.

Nur wohin...

Zorn kommt ihm hoch, leiser, heftiger Zorn. Warum hatte er nur auf Heiko gehört... er könnte jetzt ganz bequem zuhause vor dem Fernseher liegen oder ein paar wunderschöne Stunden bei Nadja verbringen...

Der Mond scheint hell in dieser klaren Nacht, Sterne blinken friedlich, die Straßenlaternen flimmern unrhythmisch, die Straße, viel zu hell, viel zu gut überschaubar. Keine Chance. Heiko zittert vor Angst hinter ihm, Steve hört ihn mit den Tränen kämpfen.

Scheiße, wieso hatte er nur diesem Idioten geglaubt! Jetzt würde er ihn noch mit reinreißen, Waschlappen, verdammter!

„Hör auf zu flennen! Depp, blöder!“ so leise wie wütend. Heiko verstummt augenblicklich, nur schwaches Schluchzen ist noch zu hören.

Die Katze, die bis jetzt ein paar Meter von ihnen entfernt gesessen und mit ihren schwefelgelben Augen das Toben und Suchen beobachtet hat, dreht sich nun lautlos zu ihnen um, kommt auf Steve zu, streicht ihm um die Beine.

„Miau...?“ Panisch zuckt er zusammen.

Abigail, Scheißvieh, hau ab!

Vorsichtig, in Zeitlupe, hebt er den rechten Fuß. Ein kurzer Tritt, Fauchen, der schwarze Schatten verzieht sich gekränkt unter den Flieder, starrt die beiden bösartig an, als ob sie ihnen einen Fluch auferlegen wollte...

Auf der Straße kehrt keine Ruhe ein. Im Gegenteil, immer mehr Männer mit Taschenlampen, Polizei mit Scheinwerfern rückt an.

„Wir müssen hier raus!“ bringt Steve mit zitternder Stimme hervor. Seine Hände, kalt und nassgeschwitzt, verkrampfen sich zu Fäusten, die Fingernägel verkrallen sich. Vielleicht drei, vier Gärten weiter hört er Gebell. Das Herz setzt aus, er möchte klein sein, klein wie Abigail, sich verstecken können, durch die Katzenklappe sicher ins Warme, will fliegen wie die Feuersterne, ...

Scheinwerfer durchfluten die schützende Dunkelheit, die Büsche werfen zynisch ihre Schatten auf das trockene Gras.

Hunde! Scheinwerfer!

Ohne einen Gedanken an Heiko, der, starr wie eine Leiche und wimmernd, hinter ihm kauert, rennt Steve los.

Hunde! Bitte, bitte nicht...

Kopflos stolpert er über den Gartenweg, sucht das Tor zwischen den Latten, raus auf die Straße, nur raus, weg, sollen sie doch Heiko finden!

Die Hunde schlagen an. Männer, von allen Seiten, Polizisten, Nachbarn, Taschenlampen, Schlagstöcke, Schreie... flüchtig nimmt er Abigail wahr, die vor zwei großen Schäferhunden flieht, das schwarze Fell gesträubt, die Geschmeidigkeit und Kraft eines Panthers!

Abigail, deine Kraft, gib mir deine Kraft, Teufel...

Hinter sich hört er Heiko brüllen – unmenschliche, tödlich erschrockene Stimme! Das Chaos, das um sie herum entsteht, bekommt Steve nicht mehr mit...

---

Die letzten Feuerwehrleute gehen langsam zu ihren Einsatzwagen, müde, die Gesichter geschwärzt, die Lungen trotz der Masken voller Rauch. Marcus laufen Tränen über die Wangen, hinterlassen helle Spuren auf der rußigen Haut. Sein zweiter Einsatz. Über vier Stunden hatten sie gekämpft um das große Haus, Heim von acht Familien mit ihren Kindern. Sieben Tote hatten sie bergen müssen, darunter die unkenntlich verbrannten Körper von vier Kindern...
Zitternd setzt er sich auf die Rückbank, froh, nicht mehr in der Flammenhölle zu sein.

Erwischt, ja, erwischt hatten sie die beiden letztlich. Halbstarke Spinner, sechzehn, siebzehn Jahre alt vielleicht... aber das macht die Familien, die Kinder auch nicht wieder lebendig. Als er an das kleine Mädchen dachte, den Gestank nach verbranntem Fleisch, die starren Augen, ... Er sackte zusammen.

Diese Menschen waren gekommen mit der Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben, aus den Krisengebieten dieser Erde, wollten Frieden... gefunden hatten sie den Tod.

 

Maus, Maus,

sehr sehr starke Geschichte. Leider auch schon im wahren Leben passiert. Du hast die Spannung bis zum letztendlichen Höhepunkt, den für mich Marcus, der Feuerwehrmann darstellt, sehr gekonnt aufgebaut und die Szenerie eines brennenden Asylantenheimes detailiert nachgezeichnet.
Erschreckend ist, dass man den Horden, die sowas machen, noch immer zu viele Chancen lässt, es durchziehen zu können. Es wird immer wieder passieren. Das befürchte ich.

Liebe Grüße an dich - Aqua

 
Zuletzt bearbeitet:

hi maus
2 geschichten in einer.
schöne momentaufnahme der täter, die kurz vor dem entdeckt werden stehen.
und die der feuerwehrmänner, die nach dem einsatz bilanz ziehen.
ein bewegendes thema - und ziemlich aktuell.
wegen seiner aktualität und seines gewichts verlangt es eigentlich, dass du mehr in die tiefe gehst.
fazit: solide geschichte, die ruhig noch ausgebaut hätte werden dürfen m.e. nach.
bye
barde

 

Hallo Maus!

Vom Thema her eine gute Geschichte und auch gut erzählt. Der Inhalt ist meiner Meinung nach noch etwas zu schwach (aber trotzdem gut) - ich hatte ja, bevor Du zum Ende kamst, schon fast Mitleid mit diesem Heiko, der da scheinbar von Steve mehr mitgeschleppt wurde, als daß es ihm vielleicht Spaß gemacht hätte.

Ohne einen Gedanken an Heiko, der hinter ihm kauert, starr wie eine Leiche, unfähig, sich zu bewegen und wimmernd, rennt Steve los.
Den Satz würde ich etwas umbauen, er klingt nämlich, als würde Steve unfähig, sich zu bewegen und wimmmernd, losrennen. ;)

Alles liebe,
Susi

 

Hallo Maus,

eine eindrucksvolle Geschichte. Beachtlich fand ich, daß Du das Tempo und den Druck, der auf den Personen lastet, bis zum Szenenschluß durchziehst.
„dünn wie Kaffee im zweiten Weltkrieg“ halte ich für einen seltsamen Vergleich, es ist nicht naheliegend, daß er verwendet wird.

Tschüß... Woltochinon

 

Hallo Aqua!

Dein Lob freut mich sehr.:shy:, besonders, wenn es mir gelungen ist, die Spannung bis zum Schluss zu halten. Du hast recht, die Szene mit Marcus ist der Höhepunkt... "Es wird immer wieder passieren."... da hast Du wohl leider recht...

Hey Barde!

Danke für Deine Antwort.

wegen seiner aktualität und seines gewichts verlangt es eigentlich, dass du mehr in die tiefe gehst
kannst Du mir einen Tipp geben, was ich ausbauen sollte, Deiner Meinung nach? So allgemein weiß ich nicht genau, wie Du Dir das vorstellst...

Hallo Häferl!

Danke für Antwort und LOb. - Der Inhalt ist zu schwach? 2 Jugendliche zünden Asylantenwohnheim an... zu schwach, oder meinst Du die Umsetzung...;)

ich hatte ja, bevor Du zum Ende kamst, schon fast Mitleid mit diesem Heiko,
Jaaa...genau das wollte ich Häferl. Danke. :)
Du hast recht, diesen einen Satz stelle ich noch um.

Danke Wolto auch Dir für die Antwort.

" Beachtlich fand ich, daß Du das Tempo und den Druck, der auf den Personen lastet, bis zum Szenenschluß durchziehst." hey, wenn mir das gelungen ist, bin ich echt happy!
Der Kaffee-Vergleich, vielleicht nicht so naheliegned, aber ich mag ihn eigentlich... stört er?

Liebe Grüße an Euch alle, vielen Dank für Eure schnellen Antworten.

Anne :)

 

ja gerne,
was uns unbeteiligten immer schwerfällt, sind die motive der jugendlichen zu verstehen.
naja, ich weiss natürlich, dass du die motive selbst kaum kennst, aber deine geschichte verlangt es. wenn du schreibst, dass sich jemand mitreissen liess, dann stellt sich dem leser die frage, wie auf welche art und weise konnte der junge mensch mitgerissen werden, ein haus und menschen niederzubrennen. welche motive hatte der anstifter? wie und was fühlen sie nun? sie sind damit beschäftigt, zu entkommen. ich weiss nicht, was in diesen menschen vorgeht, ich weiss nur, ich könnte nicht mehr einen fuss vor den anderen setzen, wenn ich das haus, das ich angezündet habe, in flammen sehe und die schreie der bewohner höre. das sind alles gedanken, die mir als leser durch den kopf gehen. ich weiss natürlich, es ist nicht das, wohin du die geschichte lenken wolltest, aber das ist der preis für diese themenauswahl.
:)
barde

 

hi maus,
beachtlich, daß du über dieses heikle thema schreibst. da ich in thüringen mit solchen leuten aufgewachsen, hab ähnliche vorfälle unmittelbar mit erlebt, und in münchen habe ich zum glück bisher wenig davon mitbekommen, weil hier mehr gesagt als zugeschlagen wird. die story ist gut spannend umgesetzt, der 2.weltkriegkaffee war süß gewählt ,hat mir gut gefallen
was soll ich dazu sonst noch sagen?:)
gehe nicht allein nachts auf ostdeutschen dörfern auf Kirmes oder ähnlicheres. du kannst die uhr danach stellen, daß gegen 2 die schlägerei wegen solchen statt findet.
LG
Daigz

 

Ja, Barde, Danke für die Antwort. Hast recht, dieser Blickwinkel wäre wirklich noch interseant...MOtive und Gefühle über die Tat... aber in diese Geschichte bekomm ich das sicher nicht mehr rein!

"ich weiss natürlich, es ist nicht das, wohin du die geschichte lenken wolltest, aber das ist der preis für diese themenauswahl"

da hast Du recht... danke dennoch für Deine Anregungen. Wird vielleicht ne andere Geschichte?

Hallo Daigoro,

freut mich sehr, dass auch Dir die story anscheined gefallen hat... ich habe so extreme Erfahrungen noch nicht in diesem Ausmaß gemacht. Werd mir Deinen Rat merken: nie alleine in der Nacht in Thüringen auf die Kirmes gehen. :) Schon gar nicht um zwei Uhr Nachts... versprochen.

Liebe Grüße,
Anne :)

 

@maus,
em, das klingt nun wieder so von mir, daß in thüringen nur nazis rum laufen, nein, so ist es nicht. aber viele, die aus der gegend kommen, können auch ein lied davon singen. als mädchen wird man in ruhe gelassen und bei vielen kirmesfeiern kann man gut feiern. doch solche typen, werden dort immer dabei sein. die eine hand in die hosentasche gesteckt, die andere trägt ein bier, dann wird ganz cool und mißtrauisch in die runde geblickt. gegen 2 sind die dann besoffen und pöbeln sich gegenseitig an, bist du zur falschen zeit am falschen ort, und diese schwarzen schafe gibt es meistens, kracht es. freunde von mir sind musiker, viele von denen haben das so oft miterlebt und wollen nicht mehr auf dörfern spielen. also für dich ist es weniger gefährlich ;-)
DAigz

 
Zuletzt bearbeitet:

Maus, ach wie billig sind doch meine geschichtlein!
Im Ernst du wirst immer besser.

"Dünn wie Kaffe aus dem letzten Krieg" klingt noch besser. aber nicht so wichtig.

Vorsicht mit Bewertungen: Dreckskerle!! Man begibt sich schnell in die Nähe von Einpeitschern und naja...meine den (Mob)

ansonsten, hey bab´go on!

Liebe grüsse stefan

Maus, ich möchte, "Wein";)

 

Hi Maus,

ich möchte auch, "Wein".???????????????
ICH AUCH, um was geht´s? Hm? Hm?
Die Geschichte ist prima, ich wurde beim Lesen ein bißchen ungeduldig, weil die Auflösung so lange nicht kommt. Ich hab das nicht so gerne, wenn ich lange im Dunkeln tappen muß, aber das ist mein persönlicher gusto.
Hatte auch eher Mitleid mit den beiden Waschlappen- bis zur Auflösung.
Gut gemacht, die zwei Geschichten in einer,
liebe Grüße, alex.

 

@ Daigoro
so wars auch nicht gemeint.;) ...und ich glaube, man kann übrall an die falschen Leute kommen bzw. zur richtigen ZEit am falschen Ort autauchen...

Hallo Arche!

Vielen Dank für das Lob! Ich freue mich sehr, dass Du sie magst...Bewertungen sind schnell zur Hand, wenn Täter gesucht werden... zu schnell manchmal, hast recht. Aber hier passt es, finde ich. :)

Hey Alex, Schnecke!

Fein, dass es auch Dir gefallen hat. Gut. Nicht so schnell ungeduldig werden... nicht aufregen, ruhig atmen... ist viel gesünder so. Und kein Wein. ;)

Liebe Grüße, Anne :)

 

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