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Dumme Kuh

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24.06.2013
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Dumme Kuh

Als ich klein war, nahm man mich meiner Mutter weg. Keiner von uns beiden verstand wieso. Sie kamen am hellichten Tage, packten meine Mutter bei den Schultern und zogen mich von ihr weg. Sie brüllte und trat um sich, doch sie hatte keine Chance. Zuerst war ich viel zu verschreckt um etwas zu unternehmen, ich wusste nicht, wie mir geschah. Als ich endlich begann mich zu wehren, schlugen sie mich. Tränen schossen mir in die Augen und auch meine Mutter weinte und schrie. Ein letztes Mal hörte ich ihre Stimme. Dann schlugen sie die Tür hinter mir zu. Ich sah meine Mutter nie wieder.
Sie verbanden mir die Augen, damit ich nicht auf die Idee kam zu fliehen. Für wenige Augenblicke spürte ich einen warmen Sonnenstrahl auf meinem Gesicht. Es roch nach Freiheit.
Dann betraten wir ein Gebäude und er Duft verschwand augenblicklich. Urplötzlich stach mir der Gestank nach Schweiß und Fäkalien in die Nase. Der Geruch der Angst.
Die Männer stießen mich grob in einen durch Gitterstäbe abgetrennten Raum. Als sie mir die Augenbinde abnahmen, starrten mich drei weitere Augenpaare an. Die nackte Angst spiegelte sich in den Gesichtern der Anderen wieder.
Es war eng und beinahe unmöglich sich des nachts hinzulegen. Auch am Tage konnten wir uns kaum bewegen. Beine und Rücken taten mir weh und ständig scheuerte ich mir Schultern und Knie auf.
Manchmal ließen sie uns heraus aus unserem Gefängnis. Versuchte ich um Hilfe zu rufen wurde ich geschlagen, manche der Männer gingen sogar mit Messern auf mich los. Einmal versuchte jemand von uns zu fliehen. Man brachte sie weg von uns und wir sahen sie nie wieder.
Wenn wir draußen waren wurden wir meistens verprügelt. Oft taten sie uns noch viel schlimmere Dinge an.
Irgendwann wurde ich schwanger. Ich wollte das Kind nicht, ich wollte nicht, dass es in dieser Hölle aufwächst. Als es soweit war, gaben sie mir einen eigenen Raum. Er war sauber und ordentlich.
Ich wollte dieses Ding in meinem Bauch nicht, ich wehrte mich dagegen. Doch als sie es entbunden hatten und es zum ersten Mal trank, verliebte ich mich in dieses kleine Geschöpf mit den großen, dunklen Augen.
Dann nahmen sie mir mein Kind weg. Ich hatte ihm noch nicht einmal einen Namen gegeben.
Sie packten mich bei den Schultern und zogen es von mir weg. Ich brüllte und trat um mich, doch ich hatte keine Chance. Sie schlugen mein Baby und ich weinte und schrie. Dann schlugen sie die Tür hinter ihm zu.
Ich brach zusammen.
Erneut kam ich in einen anderen Raum. Sie schlossen mich an eine große Maschine an. Es tat furchtbar weh, als sie mir meine Milch nahmen. Die Milch, die für mein Kind gedacht war. Dumme Kuh nannten sie mich.
Ich bin eine Kuh. Doch bin ich dumm?
Ihr seid nicht in der Lage mich zu verstehen, ihr wollt meine Schreie nicht hören.
Doch ich habe Gefühle und auch ich habe Rechte, die ihr mir nehmt, weil ihr zu dumm seid, mir zuzuhören.
Aber ich bin die Dumme. Denn ich bin ja nur eine Kuh.

 
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Hallo Mayreen,

und herzlich willkommen in dieser Runde. :)
Ich finde, das ist eine nette, kleine Geschichte, mit der du dich hier vorstellst, mit einer gut verpackten Pointe, die erst gegen Ende der Story durchscheint. Dein Text ist weitgehend sauber und fehlerfrei verfasst und liest sich flüssig. Wohl vermenschlichst du die Kuh über Gebühr, vor allem, indem du ihr ein Bewusstsein und damit gesteuerte Gedankengänge suggerierst, aber das machen die meisten (Haus)Tierliebhaber und tut der grundsätzlichen Aussage deines Beitrags keinen Abbruch. Nämlich, das unerträgliche Tierleid anzuklagen, das durch Massentierhaltung Tag für Tag verursacht wird.

Ein kleines Fehlerlein:

Sie verbanden mir die Augen, damit ich nicht auf die Idee kam zu fliehen.

Hier fehlt ein Komma und der Konjunktiv: ... damit ich nicht auf die Idee käme, zu fliehen.

Lg, Manuela :)

 

Hallo,

die Geschichte gab es schon, mit genau der Idee einige Male. Ich kann mich dran erinnern, das letzte mal war das hier im Forum eine Geschichte über ein Schwein - und der allgemeine Tenor war: Ausgelutschte Idee, hab ich schon gelesen.

Wenn du möchtest, suche ich sie dir gerne heraus.

Es gibt da auch anhängig eine Diskussion über die Anthropomorphisierung von Tieren - na ja, das ist meist nicht so prickelnd.

Auf jeden Fall - wenn man das literarisch betrachtet: So ein Text, der nur von einer einzigen idee lebt, da wär's halt gut, wenn die Idee wenigstens neu wär.

Oder anders: Wenn jeder, der die Idee für so einen Text hätte, andere Texte mit dieser Idee finden und loben würde, wäre die Idee sicher populärer.
Das Problem bei so Texten ist oft die hehre Absicht, die dann der Ausführung doch im Weg steht. Das ist vielleicht ein Text, der bei einem Sparkassenwettbewerb oder so "gut" ankäme, weil er eine klare, populäre Botschaft hat, hinter die sich jeder stellen kann, aber jetzt literarisch ...

Gruß
Quinn

 
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Hallo Myreen!

Ich finde den Text ganz schlimm. Abgesehen davon, dass Literatur nicht derart in den Dienst einer Sache gestellt werden soll, werden hier Tiere auf irreführendste Weise als Menschen gezeigt. Und das auf eine ganz schlimme Weise, man hat hier immer im Hinterkopf, dass ein kleines Kind entführt und misshandelt und vielleicht sogar missbraucht wird. Man hat die ganzen Entführungsgeschichten im Hinterkopf, von denen man in den letzten Jahren gehört hat.

packten meine Mutter bei den Schultern
Für wenige Augenblicke spürte ich einen warmen Sonnenstrahl auf meinem Gesicht. Es roch nach Freiheit.
bei einem Tier würde man niemals sagen: "an den Schultern packen" und ein Tier hat auch kein "Gesicht".
Dann betraten wir ein Gebäude und er Duft verschwand augenblicklich. Urplötzlich stach mir der Gestank nach Schweiß und Fäkalien in die Nase. Der Geruch der Angst.
Ach, haben die bis dahin in einem gepflegten Appartment mit Klo und Dusche gelebt?
Wenn wir draußen waren wurden wir meistens verprügelt. Oft taten sie uns noch viel schlimmere Dinge an.
Irgendwann wurde ich schwanger. Ich wollte das Kind nicht, ich wollte nicht, dass es in dieser Hölle aufwächst. Als es soweit war, gaben sie mir einen eigenen Raum. Er war sauber und ordentlich.
Das ist echt zum Kotzen! Es legt Missbrauch und Vergewaltigung einer menschlichen Minderjährigen nahe. ("taten sie uns noch viel schlimmere Dinge an"). Das mitschwingen zu lassen, um das Tier möglichst als bemitleidenswertes Opfer zu zeigen, ist derart geschmacklos und der Sache alles andere als dienlich.
Ich wollte dieses Ding in meinem Bauch nicht, ich wehrte mich dagegen. Doch als sie es entbunden hatten und es zum ersten Mal trank, verliebte ich mich in dieses kleine Geschöpf mit den großen, dunklen Augen.
Dann nahmen sie mir mein Kind weg. Ich hatte ihm noch nicht einmal einen Namen gegeben.
Du setzt hier weiter menschliche Gefühle ein. Es ist unglaubwürdig und kitschig.
Ihr seid nicht in der Lage mich zu verstehen, ihr wollt meine Schreie nicht hören.
Doch ich habe Gefühle und auch ich habe Rechte, die ihr mir nehmt, weil ihr zu dumm seid, mir zuzuhören.
Aber ich bin die Dumme. Denn ich bin ja nur eine Kuh.

Tiere sind keine Menschen. Sie können Gefühle nicht artikulieren, sie haben kein Verständnis von Rechten ... und es ist absolut unglaubwürdig, dass eine Kuh verbal gedemütigt wird und selbst wenn, das würde sie sicher wenig kümmern.

Ich bin für eine Löschung der Geschichte, weil ich sie unakzeptabel finde in ihrer Tendenz, Tiere mit menschlichen Missbrauchsopfern gleichzusetzen.

Gruß
Andrea

 

Die Geschichte ist rein literarisch gesehen wertlos, keine Frage. Aber sie ist ordentlich heruntergeschrieben, strotzt nicht vor Fehlern, folgt einem durchgängigen Grundthema und hat eine Pointe. Zu fordern, sie zu löschen, weil die Autorin, mag sein, in überschäumendem Engagement, Parallelen zu menschlichen Missbrauchs- bzw. Folteropfern zieht, erscheint mir doch überzogen zu sein. Und seit wann bestimmt Moral jedweder Art den Wert einer Geschichte? ;)

 

Andrea H. schrieb:
Das ist echt zum Kotzen!
[ … ]
Ich bin für eine Löschung der Geschichte, weil ich sie unakzeptabel finde in ihrer Tendenz, Tiere mit menschlichen Missbrauchsopfern gleichzusetzen.

Deine Entrüstung in Ehren, Andrea H., aber ich finde sie unangemessen und übertrieben.
Myreen tut nichts anderes, als in zugegeben drastischer Form ein ihr offenbar wichtiges Anliegen vermitteln zu wollen, sie tut das sprachlich ganz brav und ordentlich und bedient sich halt gewisser dramaturgischer Tricks dabei. Ob das literarisch gesehen nun eine taugliche Kurzgeschichte ist oder nicht, sei mal dahingestellt, darüber urteilst du in deinem Kommentar ja auch nicht, sondern es sind diese Tricks, diese Irreführung der Leser, über die du dich so aufregst und die deine Aufregung in dem Satz gipfeln lassen:

Tiere sind keine Menschen.

Eh nicht, allerdings sind wir Menschen halt auch nur Tiere, also Tiere in dem Sinn, dass wir, wie alles andere, was auf dieser Erde kreucht und fleucht, nichts anderes als irgendwelche auf Kohlenstoff basierende Bioformen sind. Insofern mag dein maßloses Überschätzen des Stellenwertes unserer eigenen Art gegenüber allen anderen evolutionär gesehen sogar berechtigt sein, weil es möglicherweise im Konkurrenzkampf um die Arterhaltung von Vorteil ist, allerdings mag ich persönlich solche entrüstete Aussagen wie „Tiere sind keine Menschen“ nicht, weil da gleichzeitig so eine unangemessene, furchtbar vorgestrige Überheblichkeit mitschwingt. „Der Mensch, die Krone der Schöpfung“. So, als hätten wir Menschen mit all der Welt um uns nichts zu tun, als wären wir sowas wie vom Himmel gefallene Aliens.

Das Schicksal jedes missbrauchten, gequälten Kindes ist ganz entsetzlich, keine Frage, aber du tust ja so, als würde Myreen das verharmlosen. In meinen Augen tut sie das nicht Ich kann deine Aufregung ehrlich gesagt nicht ganz nachvollziehen.

offshore

 

Hallo Ernst!

Das Schicksal jedes missbrauchten, gequälten Kindes ist ganz entsetzlich, keine Frage, aber du tust ja so, als würde Myreen das verharmlosen. In meinen Augen tut sie das nicht Ich kann deine Aufregung ehrlich gesagt nicht ganz nachvollziehen.

Das Mitleid, das man hier mit dem Missbrauchsopfer empfinden soll, verkommt zu einem Werbezweck für eine andere Sache. Das ist unlautere Manipulation. Ich werde nicht gerne manipuliert, ich will die Wahrheit über etwas erfahren, ich will nicht belogen werden. Kühe werden geschlagen, schlecht gehalten, gequält, ja, aber sicher nicht missbraucht. Der Text verschleiert bewusst etwas ... und sagt damit gar nichts über das tatsächliche Tierleid, er sagt nur etwas darüber, dass wir Menschen darunter leiden, wenn andere gequält werden.

Insofern mag dein maßloses Überschätzen des Stellenwertes unserer eigenen Art gegenüber allen anderen evolutionär gesehen sogar berechtigt sein, weil es möglicherweise im Konkurrenzkampf um die Arterhaltung von Vorteil ist, allerdings mag ich persönlich solche entrüstete Aussagen wie „Tiere sind keine Menschen“ nicht, weil da gleichzeitig so eine unangemessene, furchtbar vorgestrige Überheblichkeit mitschwingt. „Der Mensch, die Krone der Schöpfung“. So, als hätten wir Menschen mit all der Welt um uns nichts zu tun, als wären wir sowas wie vom Himmel gefallene Aliens.
Aus der Feststellung "Tiere sind keine Menschen" gleich zu schließen, dass ich den Stellenwert unserer Art maßlos überschätze, halte ich für eine Unterstellung. Was genau macht denn der Text hier? Gerade in der Anthropomorphisierung von Tieren steckt doch die Anmaßung, dass der Mensch und seine Gefühskultur das Maß aller Dinge ist. Menschliche Gefühle auf ein Tier zu übertragen, wird diesem überhaupt nicht gerecht.

Ich finde den Text widerlich, dass er deswegen nicht gelöscht wird, ist mir schon klar.

Gruß
Andrea

 
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Eh nicht, allerdings sind wir Menschen halt auch nur Tiere, also Tiere in dem Sinn, dass wir, wie alles andere, was auf dieser Erde kreucht und fleucht, nichts anderes als irgendwelche auf Kohlenstoff basierende Bioformen sind. Insofern mag dein maßloses Überschätzen des Stellenwertes unserer eigenen Art gegenüber allen anderen evolutionär gesehen sogar berechtigt sein, weil es möglicherweise im Konkurrenzkampf um die Arterhaltung von Vorteil ist, allerdings mag ich persönlich solche entrüstete Aussagen wie „Tiere sind keine Menschen“ nicht, weil da gleichzeitig so eine unangemessene, furchtbar vorgestrige Überheblichkeit mitschwingt. „Der Mensch, die Krone der Schöpfung“. So, als hätten wir Menschen mit all der Welt um uns nichts zu tun, als wären wir sowas wie vom Himmel gefallene Aliens.
Darum geht es doch in der Diskussion gar nicht, ich denke das sollten wir als Literaturforum auch wirklich trennen. Unterhalten wir uns über die "Sache", über den Zweck, die gute Absicht, oder über ein literarisches Prinzip.

Andrea H. hat - das merk ich immer wieder - schon Ansprüche an Kunst, die aus einer anderen Ecke kommen als meine. Aber die sind schon sehr ernst zu nehmen. Es geht ihr sicher nicht darum auf das Thema "Tiermißbrauch" irgendwie abfällig zu blicken, sondern diese Technik hier zu kritisieren.
Und ich finde auch das ist eine moralisch durchaus fragwürdige Technik, die hier angewendet wird. Und es ist - das ist sicher fraglos - eine Geschichte, in der die Literatur als Mittel für einen "politischen" Zweck gebraucht wird. Und in der die Kunst da durchaus so geformt und zurechtgebogen wird, dass das auch schön passt.

Mal anders gefragt. Stell dir vor, es gäbe eine Geschichte, in der gezeigt wird, wie lästig Ratten sind, dass sie Krankheiten übertragen, fies und gemein sind. Und am Ende kommt raus, das sind gar keine Ratten, das sind Angehörige einer bestimmten Religion oder einer bestimmten politischen Orientierung.

Die Frage hier ist: Heiligt der Zweck die Mittel?
Das ist die Peta/Benetton-Methode hier (wahrscheinlich ohne böse Absicht und durchaus naiv angewandt): Für einen bestimmten Zweck gezielt die Grenzen des "guten" Geschmacks verletzen, um Aufmerksamkeit zu kriegen.
Und hier wird mit literarischen Mitteln gezielt versucht, Identifikation für einen Erzähler zu schaffen - mit einer Täuschung des Lesers, die auch Grenzen der Logik verletzt -, um dann zu sagen in der Pointe: April, April, ich hab dich reingelegt, du hast dich mit einer Kuh identifiziert! Da wird die Integrität des Textes dem Ziel geopfert. Und wenn das passiert, dann opfert man auch - ein Stück weit immer - die Integrität jeden Textes. Weil man als Leser zu einem Autor schon ein Stück weit ein Vertrauensverhältnis eingeht und das wird in dem Fall hier klar gebrochen.
Ich kann verstehen, dass das stört. Es sind aber tatsächlich - für mich - eher abstrakte Probleme, der Text ärgert mich prinzipiell, nicht als Einzelbeispiel, weil ich eben nach 2 Sätze wusste, was die Pointe ist, und mich gar nicht erst auf den Text eingelassen hab - weil ich genau dieses Muster schon kannte.

 
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Heikos Kritik hatte ich nicht gesehen. Also da geh ich jetzt nicht drauf ein, weil mir die Zeit fehlt.


Hi, ich schalt mich da auch mal ein, weil ich die Diskussion sehr sehr spannend finde.
Aber erst mal zu deiner Geschichte Myreen.
Jeneits von der Fragestellung, die Andrea aufgeworfen hat, ist es bei deiner Geschichte so, dass dein Vorhaben, Tierhaltung zu kritisieren, der Geschichte von Anbeginn an anzumerken ist. Das ist einerseits ein ernstzu mehmendes Anliegen. Doch so wie du es umseetzt, schadest du deinem Ziel, denn durch deine Gleichsetzung liest sich die Idee dann halt sehr vordergründig. Schon das Lesen des Titels und der ersten zwei Sätze schreit: Obacht, ich hab einen Trick verwendet, stellt euch mal vor, Tiere wären Menschen, dann werdet ihr sehen, wie schlecht es den Kühen geht. Der Trick und die Pointe sind halt von vorneherein klar.
Das ist kein Zweck, der irgendwie innerhalb einer Geschichte liegen könnte/würde, sondern er ist ihr äußerlich. Und das passt einfach nicht zusammen.
Dein Anliegen ist sicher gut gemeint, aber Geschichten, die einen mehr oder weniger deutlichen Agitationszweck haben, geraten recht schnell in ein komisches Fahrwasser, werden belehrend oder moralisch aufdringlich. Da opfert man dann schnell literarische Kriterien für die Botschaft, die man loswerden will. Ich denke, wenn man so was vorhat, wie Menschen gegen Tierhaltung aufzubringen, dann sollte man lieber ein Flugblatt schreiben und keine Geschichte.
Der andere Punkt ist der, dass es sowieso ungeheuer schwierig ist, aus der Sicht eines Tieres zu schreiben. Das wird entweder ein Walt Disney Verschnitt oder auf andere Weise unglaubwürdig. Denn wie soll man wissen, was ein Tier empfindet und dies nachvollziehbar darstellen? Ich habe nicht prinzipiell etwas gegen Geschichten, die aus der Sicht von Tieren geschreiben sind, es kommt halt darauf an, was man beabsichtigt. Wenn man wirklich das Ter meint, muss das zwangsläufig schiefgehen. Du wirst es immer in irgendeiner Form vermenschlichen. Und da kommt es halt dann drauf an, wie und warum man das tut.

Meine Kritik an deiner Geschichte ist zunächst die, dass der Trick von vorneherein durchschaubar ist. Die Geschichte mit dem Rollentausch Mensch - Kuh ist einfach nicht gut aufgebaut.

Der Punkt ist nur, ich hätte deine Geschichte leider auch nicht gut gefunden, wenn ich darauf reingefallen wäre. Und das liegt daran, dass man am Ende der Geschichte genauso dasteht wie am Anfang. Es bestätigt sich immer nur die Meinung des Lesers zu Tierhaltung, wie sie auch schon am Anfang bestand. Du überzeugst damit niemanden. Im Gegenteil. Man erfährt nichts, worüber es sich lohnt nachzudenken.
Das soll aber dich bloß nicht vom Schreiben abbringen.
Man schreibt sich so schnell mal in eine falsche oder schiefe Richtung. Das passiert vielen, besser gesagt, allen. Schmeiß also nicht gleich die Flinte ins Korn. Und nimm die Kritiken auch so, dass nicht dein Anliegen als solches oder deine Person auf dem Prüfstand steht, sondern wirklich die Machart deiner Geschichte.

Interessant fand ich deine Idee, Quinn:

Die Frage hier ist: Heiligt der Zweck die Mittel?
(...)
Und hier wird mit literarischen Mitteln gezielt versucht, Identifikation für einen Erzähler zu schaffen - mit einer Täuschung des Lesers, die auch Grenzen der Logik verletzt -, um dann zu sagen in der Pointe: April, April, ich hab dich reingelegt, du hast dich mit einer Kuh identifiziert! Da wird die Integrität des Textes dem Ziel geopfert. Und wenn das passiert, dann opfert man auch - ein Stück weit immer - die Integrität jeden Textes. Weil man als Leser zu einem Autor schon ein Stück weit ein Vertrauensverhältnis eingeht und das wird in dem Fall hier klar gebrochen.
Machen wir das nicht auch, also so eine Lesertäuschung, wenn wir eine schlimme Tat aus der Sicht eines Täters beschreiben? Diesen Täter in der Ich-Perspektive als einen gebrochenen Menschen schildern? Ich wende doch da auch Techniken an, mit denen ich den Leser ein Stück weit "reinlege". Ich bemerke das immer bei Jugendlichen, wenn die auf einmal Zugang zu Protagonisten finden, für die sie nie ein offenes Ohr gehabt hätten. Da passiert manchmal was Tolles. KLar, es ist keine so grundlegende Täuschung wie die Kuh-Mensch-Gleichsetzung.

Gestutzt hab ich dann total über diese Idee:

Mal anders gefragt. Stell dir vor, es gäbe eine Geschichte, in der gezeigt wird, wie lästig Ratten sind, dass sie Krankheiten übertragen, fies und gemein sind. Und am Ende kommt raus, das sind gar keine Ratten, das sind Angehörige einer bestimmten Religion oder einer bestimmten politischen Orientierung.
Klar, da hast du Recht, ich wäre vermutlich die allererste, die sich maßlos darüber aufregen und es das allerletzte fände. Aber dann doch wegen des Inhalts.
Und ist es denn dann nicht so, dass diese Mensch-Kuh-Parallele ein Kniff, Trick, literarischer Kunstgriff ist? Ein abgenutzter halt, vielleicht auch noch ungeschickt eingesetzt oder so. Aber ein Kunstgriff und damit relativ wertfrei. Und es wirklich auf das Ziel ankommt, bzw. die Haltung, die hinter der Verwendung des Kunstfgriffs steht?
Also ich bin da wirklich unschlüssig und frage (dich und Andrea, weil ihr so sicher seid) woher ihr da die Gewissheit habt oder die Grenze zieht.
Viele Grüße
Novak

 
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Und ist es denn dann nicht so, dass diese Mensch-Kuh-Parallele ein Kniff, Trick, literarischer Kunstgriff ist? Ein abgenutzter halt, vielleicht auch noch ungeschickt eingesetzt oder so. Aber ein Kunstgriff und damit relativ wertfrei. Und es wirklich auf das Ziel ankommt, bzw. die Haltung, die hinter der Verwendung des Kunstgriffs steht?
Es ist für mich kein Kunstgriff, sondern eine absichtliche falsche Annahme, um ein Ziel zu erreichen.
Für den Zweck, Sympathie für Tiere zu erwecken, wird ein Tier erfunden, das in den ethischen Begriffen eines Menschen denkt. Es wird aber dem Leser nicht gesagt, dass der Text in einer Welt 1b spielt und nicht in der "normalen" Welt 1a. Sondern wir leben in 1b, wo alles so ist wie in unserer Welt, nur dass Tiere dasselbe Bewusstsein haben wie Menschen. Und deshalb ist die Pointe dann nur in der Welt 1b möglich. In unserer Welt können Tiere nicht die Erzähler sein, denn die haben keine Sprache und haben sicher nicht unser ethisches Grundmodell.
Wenn man so will sagt die Geschichte: Es ist kacke, Tiere in Welt 1b total schlecht zu behandeln, denn die haben da ein Bewusstsein wie wir Menschen. Und darauf könnte man antworten: Die armen Tiere in Welt 1b, wenn die real wären, täten mir die echt leid.


Und das ist halt schon schwierig - ein "Kunstgriff" wäre es, wenn offen kommuniziert wird: Das hier ist die Welt 1b. In Bergs Geschichte mit dem "Herr Butterblume erschafft sich einen Fuchs" - da wird das z.b. gemacht. Oder in vielen bekannten Parabeln.

Wenn man jetzt mal die Geschichte wirklich so betrachtet als wäre man der perfekte Leser dafür, also dass man in so ein Mißhandlungs-Drama voll einsteigt, das mit Spannung und innerer Beteiligung liest, sich komplett auf den Text einlässt. Und dann erfährt man am Ende, dass man vom Autor die ganze Zeit getäuscht wurde und zwar nicht aus einer künstlerischen Absicht, nicht auf eine Art, die man hätte "bemerken" können, sondern aus einer politischen Agenda und weil der Text eben in Realität 1b spielt, dann kann ich schon verstehen, dass man da wirklich sauer werden kann.

Ich hab neulihch gelesen als ähnliches Beispiel. Da hat Agatha Christie einen Roman geschrieben, in dem der Erzähler der Mörder war - und es wurde dann von einem Krimi-Club diskutiert, ob das "legitim" sei, weil einer der großen Regeln der Krimis damals war es, dass dem Leser nichts vorenthalten wurde. Das war zu einer Zeit, in der Krimis als eine Art Wettbewerb gesehen wurden, ob man als Leser auch logisch auf den Mörder schließen kann und wie jeder Wettbewerb musste es dann bestimmten Regeln gehorchen. Das ist ein Kunstgriff, obwohl da natürlich auch mit einer typischen Leser-Autor-Konvention gespielt wird. Das ist als unzuverlässiger Erzähler in die moderne eingegangen sogar.
Einen Text zu schreiben, der nur funktioniert, weil man dafür einer Kuh Make-Up anlegt, ihr ein Röckchen anzieht, eine Pfeife in den Mund steckt, sie Trudie nennt und so tut, als würde sie wie ein traumatisertes Kind denken, das das Leben von Natascha Kampbusch gelebt hat - das find ich schon schwierig.

Aber "sicher" wäre ich mir da auch nicht oder würde da klare Grenzen ziehen. Ich bin mir hier nur sicher, weil wir die Diskussion um die Vermenschlichung von Tieren halt schon einige Male gehabt haben und ich weiß, wo ich da stehe.
Und allgemein gefallen mir solche Propangadaartigen Texte auch echt nicht. Das geht mir schon gegen die Prinzipien, wenn die Kunstform der Erzählung als Helferchen für klare politische Ziele genutzt wird - da hab ich Bauchschmerzen mit, wobei das natürlich kein "absolutes" Feld ist, aber jedesmal, wenn man das macht, sollte man sich schon darüber im Klaren sein, dass man da ethische Grenzen überschreitet für die andere auch mal gekämpft haben und dass eine Erzählung kein Pressetext und dass ein Leser das Vertrauen haben sollte, sich auf einen Text einzulassen und nicht hinterher zu merken: Da will mir einer Waschmittel verkaufen! - es ist mir klar, das die Diskussion hier wahrscheinlich deutlich über dem Text schwebt, aber ich hab auch diesen pädagogischen Anspruch, den Morphin formuliert, nicht im geringsten, von daher mach ich mir da keinen Kopf drum. :)

 

Ob euch die Gleichsetzung zwischen Kuh und Mensch nun gefällt, ist Geschmackssache. Ich habe diesen Kunstgriff eben genau aus dem von euch genannten Grund benutzt, um den Leser zu täuschen. Dass dies dem ein oder anderen nicht gefallen würde, war nicht nur vorhersebar, sondern auch beabsichtigt. (Dass nicht jeder darauf reinfällt, liegt wohl tatsächlich daran, dass die Idee nicht allzu neu ist, aber zeigt mir bitte eine Geschichte, die nicht in ähnlicher Form nocheinmal vorhanden ist)

Es ist für mich kein Kunstgriff, sondern eine absichtliche falsche Annahme, um ein Ziel zu erreichen.
Für den Zweck, Sympathie für Tiere zu erwecken, wird ein Tier erfunden, das in den ethischen Begriffen eines Menschen denkt. Es wird aber dem Leser nicht gesagt, dass der Text in einer Welt 1b spielt und nicht in der "normalen" Welt 1a. Sondern wir leben in 1b, wo alles so ist wie in unserer Welt, nur dass Tiere dasselbe Bewusstsein haben wie Menschen. Und deshalb ist die Pointe dann nur in der Welt 1b möglich. In unserer Welt können Tiere nicht die Erzähler sein, denn die haben keine Sprache und haben sicher nicht unser ethisches Grundmodell.
Wenn man so will sagt die Geschichte: Es ist kacke, Tiere in Welt 1b total schlecht zu behandeln, denn die haben da ein Bewusstsein wie wir Menschen. Und darauf könnte man antworten: Die armen Tiere in Welt 1b, wenn die real wären, täten mir die echt leid.
(Quinn)

Ernsthaft?
1. Woher weißt du so genau, dass andere Tiere keine Sprache haben? Was denkst du, wozu es so etwas wie Gestik, Mimik oder tierische Laute gibt, zum Amusement der Menscheit oder wieso?
2. Hier mit ""Parallelwelten"" zu argumentieren ist ziemlich sinnlos, denn ob andere Tiere nun die gleiche Art von Bewusstsein haben wie der Mensch oder nicht, das Ergebnis bleibt gleich.
3. Du hast recht, die Wahrscheinlichkeit, dass Kühe tatsächliche dem Menschen ähnliche Moralvorstellungen haben, geht gegen 0. Wenn wir aber bei Literatur, sei sie nun gut oder schlecht, davon ausgehen, dass alles genau so im realen Leben stattfinden kann, müsste man Genres wie Fantasy, SF und 90% aller Liebesgeschichten verbieten.


Das Mitleid, das man hier mit dem Missbrauchsopfer empfinden soll, verkommt zu einem Werbezweck für eine andere Sache. Das ist unlautere Manipulation. Ich werde nicht gerne manipuliert, ich will die Wahrheit über etwas erfahren, ich will nicht belogen werden. Kühe werden geschlagen, schlecht gehalten, gequält, ja, aber sicher nicht missbraucht. Der Text verschleiert bewusst etwas ... und sagt damit gar nichts über das tatsächliche Tierleid, er sagt nur etwas darüber, dass wir Menschen darunter leiden, wenn andere gequält werden.
(Andrea)

Tut mir leid, aber hättest du meine Geschichte wirklich verstanden, hättest du diesen Kommentar gar nicht geschrieben.
Ja, bei dieser Form von Gleichsetzung von Kuh und Mensch ist natürlich Manipulation im Spiel. Wie oben schon erwähnt, war mir klar, dass dies vielen nicht gefallen würde.
Du willst nicht belogen werden? Dann schau kein Fernsehen und kapp deinen Internetanschluss, so einfach ist das. Mein Text stellt auf drastische und vielleicht für den Leser nicht ganz faire Art und Weise nur das, was tagtäglich in Deutschland, Amerika, und beinahe allen Ländern dieser Welt passiert. Da wird nichts verschleiert, und dass der Text nur etwas darüber sagen soll, "dass wir Menschen darunter leiden, wenn andere gequält werden" sehe ich nicht. Auch, ja, aber nicht nur. Das merkt man, wie gesagt, wenn man meine Geschichte ließt.


Ich habe gerade weder Zeit noch Geduld dazu, auf jeden eurer Beiträge zu antworten, tut mir leid. Die allgemeine Diskussion, ob es okay ist, das Bewusstsein einer Kuh mit dem eines Menschen gleichzusetzen, hat nicht mehr viel mit der Kritik an meiner Geschichte zu tun, sondern eher mit grundsätzlichen Vorlieben bezüglich literarischer Kunstgriffe.
Dass es sich bei "Dumme Kuh" nicht gerade um ein literarisches Meisterwerk handelt, ist mir durchaus bewusst, vor allem, da es sich um meinen ersten Text handelt, der nicht mit Elfen, Drachen oder Rittern zu tun hat.

 
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Tut mir leid, aber ich finde wir sind hier (mal wieder) auf dem Niveau einer Seite, in der jemand eine Katzengeschichte einstellt und als Kommentare schreiben Leute "Süß, meine Katze macht genau dasselbe" oder "Meine Katze ist auch gestorben, bin total traurig".
Mit Textarbeit hat das nichts mehr zu tun. Ich bin da kein Freund von.

Texte gut zu finden, weil man deren Botschaft gut findet ... - und wenn man den Text schlecht findet, ist man ein Scheiß Tierquäler, oder wie?

Dann heißt es, hier werde ja nur über diesen Kunstgriff geredet, das Tier zu vermenschlichen, und gar nicht mehr über die Geschichte - das ist die ganze Geschichte. Es gibt nichts anderes hier als diese Idee, der Kuh ein menschliches Bewusstsein zu verpassen. Sonst ist in der Geschichte nichts.

 
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Hallo,

versteh den Trubel um den Text nicht ganz. Die Geschichte gab es zu oft, das seh ich hier als größtes Manko. Das mit dem Botschaft und so, das ist nicht besonders literarisch,klar, das ist wie mit Marais Weihnnachtstexten ... Aber das hier ethische Grenzen überschritten werden für die andere jahrelang gekämpft haben? Das klingt etwas heftig.
WIll jetzt nicht auf überrelativierend daherkommen, aber: Haben nicht alle Texte eine Botschaft? Oder ein Weltbild? Ich bekomm doch immer ein Weltbild verpasst, wenn ich was lese. Wie Menschen und die Welt funktionieren sollen - hat Avatar nicht auch eine hyperklare sozio-öknomische antimamerikanische Botschaft? Jimmy schreibt über Hooligans und "vermenschlicht" sie, ein anderer schreibt über Hooligans oder Indianer oder Verbrecher oder Terroristen und macht sie zu Tieren. Da ist doch auch schon eine Aussage. Lollek schreibt über Jungs, die sich Behinderte abchecken, und macht das so schön, dass man denkt: ach süß. Weiß immer noch nicht, was ich davon halten soll. In Leben, Leiden und Enttäuschung von Gandhi ist .. okay, die Geschichte ist genau wie diese hier. Hinter dem Fuchs von Quinn steckt die Aussage: Sonnenblumenmädchen sind mehr Illusion als Realität. Unter anderem. Weltenläufer kotzt sich in einem Aufzug wie in einer Realitysendung über alle möglichen Gesellschaftsgruppen aus, zu denen er nicht selbst gehört. Das ist dann eine Frage der literarischen Fertigkeit, wie man so was verpackt und zeigt. Also hier von Täuschung zu sprechen ... weiß nicht. In Fight Club wurde ich auch getäuscht. Kühe sind keine Menschen. Okay. Aber man kann nun mal nur Mitleid für Dinge empfinden, die menschlich empfinden. Wenn ein Hund vor Schmerzen schreit ist das was anders als wenn eine Pflanze stirbt. Oder? Im Krieg versucht man den Gegner folglich zu entmenschlichen. Hier wird das Gegenteil versucht. In Avatar hat man versucht, die Aliens so menschlich wie möglich zu machen, da steckte eine halbe Wissenschaft dahinter, wie kann man ein Alien sexy machen.
Das Problemm mit so Propagandatexten ist doch, dass sie so simpel und einfach gestrickt sind. Da bekommt man wirklich ein ganz einfaches Weltbild verpasst ohne Gegenargumenten und alles, Jesus is the saviour!, Ende der Diskussion, Tiere haben auch Gefühle!, Ende der Diskussiuon. Das ist einfach gestrickt und billig, und das sind keine literarischen Qualitätsmerkmale.

 

Hallo Freunde,

ich verstehe die Aufregung nicht. Wenn es für einen Philosophen wie Precht okay ist, Argumente für und wider Vegetarismus/ Veganismus an einer Geschichte zu illustrieren, in der es hochintelligente Aliens so mit den Menschen treiben wie wir es mit Tieren tun, dann sollte das für eine KG nicht verboten sein.

Was ist denn das für ein Argument, hier würde der Leser manipuliert? Das wird er doch in beinahe jedem Krimi, jedem Thriller – man hält ihm bestimmte Aspekte des Gesamtablaufs vor, lenkt ihn von der Wahrheit ab etc. um Spannung aufzubauen und um zu überraschen.

Hat sich jemand bei "FightClub" beschwert, man hätte dem Zuschauer vorenthalten, dass es sich bei den beiden Hauptdarstellern in Wahrheit um eine einzige Person handelt?

Nächster Punkt: Vermenschlichung. Natürlich ist es naiv, einem Tier so weitgehend menschliche Gedanken, Gefühle, Absichten zu unterstellen. Es ist übertrieben. Aber es ist keineswegs völlig absurd. Tiere haben sehr komplexe Gefühle, kennen Emotionen wie Angst, haben Erwartungen, machen Lernerfahrungen und einige von ihnen besitzen sogar ein rudimentäres Rechts-Unrechtsbewusstein im Bereich des Sozialverhaltens.

In der Auseinandersetzung mit Myreen sollte eher die Frage behandelt werden, welche Argumente dafür und dagegen sprechen, Literatur als Mittel von Agitation zu benutzen. Und dabei geht es nicht um Tierrechte, sondern um jede vordergründige Vermittlung von Wertvorstellungen.

Gruß Achillus

 
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Was ist denn das für ein Argument, hier würde der Leser manipuliert? Das wird er doch in beinahe jedem Krimi, jedem Thriller – man hält ihm bestimmte Aspekte des Gesamtablaufs vor, lenkt ihn von der Wahrheit ab etc. um Spannung aufzubauen und um zu überraschen.

Das ist aber etwas anderes als in diesem Text. "Aspekte des Gesamtablaufs vorenthalten" - ja, man erfährt halt meist dasselbe wie die Figuren, aus deren Sicht erzählt wird.

Gerade bei Krimis gab es sogar mal sehr strenge Regeln, nach denen die verfasst sein sollen - s. hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Detection_Club

Agatha Christie hat mal einen Roman geschrieben, in dem der Erzähler der Mörder war - und selbst als er den Mord durchführt, ist sie zum Leser noch ehrlich, aber so geschickt, dass die meisten trotzdem nicht kapieren, dass der gerade jemanden ermordet hat. Erst zum Schluss kommts raus.

Und Fight Club? Wenn die Geschichte aus Sicht des Erzählers (weiss seinen Namen nicht mehr, Edward Norton im Film) erzählt wird und für ihn Tyler Durden real ist - dann ist er das auch für den Leser. Ich sehe da nicht, inwiefern es sich um dieselbe Art von "Manipulation" handelt wie in diesem Text hier, denn dass eine Kuh nicht über dieselben kognitiven und intellektuellen Eigenschaften wie ein Mensch verfügt, ist wohl unbestritten. Und dennoch werden ihr diese Eigenschaften in diesem Text gegeben, einzig um dem Leser zu suggerieren: Schau mal, die armen Tiere. Werden von den bösen Menschen gequält. Ja, ist so. Leider. Aber auf diese Art "literarisch" verarbeitet gibt mir das gar nichts, es berührt mich auch nicht, weil es viel zu erzwungen betroffen machen will. Das ist doch nichts. Da hat mich Morphins Beitag mehr berührt als dieser Text hier.

Wenn man sowas aus Sicht einer Kuh schreiben will - deren Verhalten wohl eher instinktgesteuert funktioniert - muss man ganz anders vorgehen. Also entweder ich sage, ich schreibe sowas aus Sicht einer Kuh (wie auch immer das gehen soll) und mache es dann konsequent (Dean Koontz hat in einem Roman mal ein ganzes Kapitel aus Sicht eines Hundes geschrieben, hat sich auch viel Mühe gegeben die Welt des Hundes artgerecht einzufangen, zu lesen wars trotzdem schrecklich). Oder ich ziehe es meinetwegen als Fabel auf, aber auch das trifft auf diesen Text nicht zu, denn in einer Fabel ist von Anfang an klar, dass es sich um Tiere handelt.

Abgesehen davon versteh ich auch nicht, warum um diesen Text so einen Wirbel gemacht wird. Texte dieser Art kommen doch in schöner Regelmäßigkeit, funktionieren aber fast nie. Selbst gute Autoren scheitern daran, Geschichten, die in dieser realen Welt spielen (und nicht in einer Science-Fiction-Welt) aus Sicht von Tieren zu schreiben.

 

Hallo Schwups,

ich weiß, dass man früher in Krimis darauf geachtet hat, den Leser nicht direkt zu belügen. Er musste theoretisch alle Teile des Puzzles zusammenfügen können. Heute gilt das aber nicht mehr. Weder in Krimis noch sonst wo. Ich finde das eigentlich schade, aber man kann es nicht mehr von einem Autoren fordern.

Du magst bei "Fight Club" recht haben, die Auflösung des Films ist – wenn auch sehr ungewöhnlich – theoretisch zumindest möglich. Doch wie sieht es bei "The Sixth Sense" aus? Am Ende des Film stellt sich heraus, dass der Hauptheld bereits seit Wochen tot ist. Wollen wir nun vergleichen, ob es unwahrscheinlicher ist, dass ein Toter einen Jungen psychotherapeutisch behandelt oder dass eine Kuh Angst um ihr Kind hat?

Ich denke, man kann alle möglichen Einwände gegen diese Kurzgeschichte haben, aber nicht den, dass hier eine grundsätzlich verbotene Plotwende versucht würde.

Und wenn ich demnächst auf die Idee komme, eine Geschichte aus der Perspektive eines Telefons zu schreiben, würde ich mir das nicht verbieten lassen.

Gruß Achillus

 

Hallo Achillus

Wollen wir nun vergleichen, ob es unwahrscheinlicher ist, dass ein Toter einen Jungen psychotherapeutisch behandelt oder dass eine Kuh Angst um ihr Kind hat?

Ok, worüber diskutieren wir hier? In The Sixth Sense braucht es halt die berühmte "Aussetzung der Ungläubigkeit". Wenn ich sage, nee, ist Blödsinn dass ein Junge mit Toten kommunizieren kann, dann muss ich über den Film überhaupt nicht reden.

Es gibt halt solche Prämissen, denen ich zustimmen muss, damit bestimmte Geschichten funktionieren. Hier lautet die Prämisse aber nicht: Versetze dich in eine "Fantasiewelt", in der Kühe wie Menschen denken (analog zu Sixth Sense: Versetze dich in eine "Fantasiewelt", in der Menschen mit Toten reden können - btw. "Versetze dich in eine Fantasiewelt, in der Tiere wie Menschen denken" ist die Prämisse von Animal Farm, und der funktioniert wunderbar). Hier aber soll ein realer Missstand in unserer Welt angeprangert werden. Denn sonst könnte ich nach dem Lesen auch einfach sagen: Puh, jetzt geh ich aus der Fantasiewelt wieder zurück in die "reale" Welt, da geht es den Kühen ganz anders - s. auch Quinns Erklärungen, er verwendet die Begriffe Welt 1a und 1b.

Gerade das will der Text ja nicht, und deshalb sind das für mich zwei völlig verschiedene Beispiele.

Ich lehne nicht ab, dass eine Kuh Angst um ihr Junges haben kann - das ist so, in unserer realen Welt (Junges, wohlgemerkt, Kühe bekommen keine "Kinder"). Aber diese kausalen Zusammenhänge, in denen die Kuh hier denkt, die lehne ich in unserer Welt ab - wohlgemerkt, ich verbiete sie nicht. Hat hier übrigens auch niemand getan. Wer bin ich denn, jemandem verbieten zu wollen, etwas zu schreiben?

Und wenn ich demnächst auf die Idee komme, eine Geschichte aus der Perspektive eines Telefons zu schreiben, würde ich mir das nicht verbieten lassen.

Wer sollte dir das auch verbieten? Aber wenn die Leute dann am Ende herkommen und sagen, die Geschichte funktioniert nicht, darfst du dich auch nicht beschweren ...

Grüsse,
Schwups

 

Hey Schwups,

na Dir wollte ich das auch gar nicht unterstellen, dass Du jemandem etwas verbieten willst. Aber ich habe doch richtig gelesen, dass hier gefordert wurde, die Geschichte solle gelöscht werden?

Gruß Achillus

 
Zuletzt bearbeitet:

Ok, worüber diskutieren wir hier? In The Sixth Sense braucht es halt die berühmte "Aussetzung der Ungläubigkeit". Wenn ich sage, nee, ist Blödsinn dass ein Junge mit Toten kommunizieren kann, dann muss ich über den Film überhaupt nicht reden.
Nee, also kurz das ist was anderes nochmal.
Suspension of disbelief ist nicht das ganze Fabrikat, sondern sind Freiheiten in den Details. Dass der Leser/Zuseher doch bitte nicht zu sehr nachhakt, weil man dem Erzähler durchgehen lässt, dass er wider besseren Wissens von der Realität abweicht, wo die "langweiliger" bzw. sehr viel umständlicher wäre
Ich denke wir haben alle schon mal gehört, dass es im Weltall keine Geräusche gibt - im Vakuum. Trotzdem explodieren seit Jahrzehnten Schiffe im Weltraum unter großem Getöse - das ist ein typisches Beispiel für "Suspension of disbelief", oder dass eben in einem Krimi gerade der Polizist zum Tatort gerufen wird, der auch der "Held" ist und nicht ein anderer.
Oder dass Actionhelden nie nachladen müssen. Oder dass die Frau im 3. Teil der Mumie von einer ganz anderen Schauspielerin gespielt wird als in den ersten zwei Teilen. Oder dass das Handy nie funktioniert, wenn es den Plot gefährden könnte. Auch viel mit Figurenökonomie - die dänische Serie "Borgen" z.B. dreht sich um die Ministerpräsidentin dort, wenn man das "richtig" machen würde, hätte man unzählige Mitarbeiter, Minister, Lobbyisten, Security-Leute, Journalisten um sie rumschwirren - das wird dann auf wenige Figuren zusammengeschmolzen

Dass man im Fabrikat eines Textes zu Sachen greifen kann, die mit der "Realität" nichts zu tun haben, das ist was anderes.

Sixth Sense - da geht es den ganzen Film über darum, dass ein kleiner Junge den Psychiater und die Welt davon überzeugen will, dass er mit toten Menschen sprechen kann. Und die Auflösung des Films ist es, dass er Recht hat. Damit rollt sich der Plot des Films quasi selbst auf - in einer fantastischen Wendung. Aber das war ja die ganze Zeit das Thema des Films. Der Film spielt mit völlig offenen Karten. Das ist ja grade die Frage.

Der Text hier tut das überhaupt nicht. Er gibt vor, eine Geschichte zu sein, wie eine Frau entführt, misshandelt, eingesperrt - was weiß ich wird, also ein Mißbrauchsdrama.
Und dann sagt er: War gar keine Frau. War eine magische Kuh mit menschlichem Bewusstsein. Tada.

Aber ich find's schon ziemlich rustikal zu sagen: Es gibt ja SF und Fantasy, also ist innere Logik oder so eigentlich völlig wurscht.
Im Prinzip wird in der Geschichte hier doch eine klare "politische" Botschaft erzählt, und man bedient sich genau bei einem Aspekt der Literatur, wie bei einem Selbstbedienungs-Buffet, man pickt sich grade das aus, was man grade braucht - wobei Schwups ja deutlich gesagt hat, dass dieser Aspekt: Tiere erzählen mit Menschenbewusstsein, wenn er denn ernst genommen wird, auch verdammt knifflig ist.
Ich find das schwierig. Ich versteh auch, was juju sagt, der das ziemlich pragmatisch sieht. Aber ich krieg bei so instrumentalisierten Texten die Krätze. Wie naiv da auch immer mit Perspektiven umgegangen wird.
Dass Leser manipuliert werden - klar. Dass Texte Botschaften haben - klar. Aber es kommt auch auf die Mischung an.

Die Meister Proper Werbung hat auch eine klare Botschaft, erzählt eine Geschichte, verändert das Fabrikat der Realität und manipuliert den Zuseher - dadurch wird es aber keine Literatur.

Ich würde mir da schon wünschen, dass man als Autor sensibler für wäre. Das hat nichts mit "Verbot!" zu tun. Aber ein bisschen über die Prinzipien nachdenken, was man da eigentlich so macht - das würde nicht schaden.

 

Hallo Myreen,

diesen Text habe ich letzte Woche gelesen und auch die Diskussion verfolgt. Mein Eindruck ist, dass es ihm an Einfällen fehlt. Da gibt es nichts Ungewöhnliches, keine Überraschungen, keine interessanten Gedanken: Es wäre doch spannend, wenn sich ein Mensch, der gedankenlos Hamburger isst, plötzlich im Körper so einer Kuh wiederfände und sich fragen würde, wie er aus dieser Situation wieder herauskommt. Oder die Frage, wie es sein kann, dass Bauern, die ihr Vieh mit Sorgfalt und Freundlichkeit behandeln ihre Kühe mit der größten Selbstverständlichkeit zum Schlachter bringen. Bei einem Text über Kühe würde ich es auch spannend finden, das Leben in einer Kuhherde durch so einen Text mitzuerleben: Wie es so ist, mit Rangordnung und lästigen Fliegen, Milch die im Euter drückt und die Schritte des Bauern, die sich von hinten nähern, elektrische Weidezäune und das ewige Stehen im Winter. Kurz: neue Gedanken, ungewöhnliche Formen der Darstellung, Empathie von Seiten der Autorin. Das fehlt dem Text. Er wirkt, als hätte das jemand mit einer minimalen Investition von Zeit und Überlegungen heruntergeschrieben.

Freundliche Grüße,

Berg

 

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