Dumm gelaufen
Ich besuche meine Fernbeziehung und fahre aufs Land. Darauf hatte ich mich zwei Wochen lang gefreut, bisher war es immer sehr schön. Mein Hansi sieht zwar irgendwie Scheiße aus und ist ein fürchterliches Penibelchen, andererseits ist er aber ein entzückender, ganz lustiger Kerl, den ich sehr lieb habe .
“Nein, diesmal bleiben wir nicht zu Hause und kuscheln“, sagt mein Hansi. “Wir gehen mal raus“. An irgendeinen See, der Name sagt mir nichts. Da spielt eine Band ( großer Gott, die Landbevölkerung mit ihren Bands, aber ich bin still ), und wir treffen ein paar Leute. Jetzt kommt der Check vor dem losfahren: mein Handy darf ich nicht mitnehmen, weil es so an der Hüfte absteht, und das sieht man ja durchs T-Shirt! Das T-Shirt geht gerade noch so durch, aber warum kann ich eigentlich keinen Rock anziehen? Ihm wären ein enger Lederrock und dazu come-and-fuck-me-shoes lieber als meine Jeans. Das Dauerthema! Nach einem weiteren abfälligen Blick meines heute besonders peniblen Liebhabers auf meine Klamotten und Schuhe darf ich mit.
Im Auto bekomme ich die Information, dass wir noch ein “Mädel“ abholen. Er erzählt recht andächtig von ihr. Dass sie arbeitslos, geschieden, krank und religiös ist, was er gut findet ( staun! ) und nicht einmal ein Auto hat. Und was für Probleme sie hat, wenn sie mal einen Kasten Wasser braucht! Ihre Krankheiten sind beeindruckend: Fibromyalgie,( früher gab´s das gar nicht ) Depris, Migräne, und so weiter. Sie will ja so gerne arbeiten, aber man hat sie – gegen ihren Willen – noch für ein Jahr krank geschrieben. Ich fange an, ein bisschen an der Tussi zu zweifeln, so einen Unsinn habe ich selten gehört. Die hat ja ganz schön an ihrem Image gearbeitet. So viel Krankheit ist zu viel für einen einzelnen Menschen!
Er fährt zielstrebig und routiniert dahin, wo sie wohnt. Sie steht schon draußen: ein nettes Landmädel, blond, mit den “richtigen“ Schuhen und im Rock. Der Hintern ist zu fett, bestimmt Orangenhaut, der Busen ist beachtlich. Damit kann ich mich nicht messen. Sie stellt sich mit freundlicher, aber auch leicht ironischer Stimme vor: “ich bin die Marina“, und ich lasse sie hinten einsteigen. Der Blick, den die beiden wechseln, ist vielsagend. Wir passen gut zusammen, sagt er.
Jetzt soll ich mich wohl beweisen. Mist, ich liebe den Drecksack. Er hatte vor mir ewig keine mehr abgekriegt, wahrscheinlich habe ich gedacht, dass er mich wirklich gern hat. Mir fällt ein Spruch ein: “haste Eine, kriegste alle“. Der Sozialfall wohnt in seiner Nähe, ich nicht. Und er ( sie ) ist wesentlich jünger als ich.
Das nette Mädel geht links von ihm, ich rechts. Er guckt hin und her, abwechselnd auf den Sozialfall und auf mich. Jetzt werden die Titten, Ärsche und der Gang und – nicht zuletzt – die Klamotten verglichen! Jesus, wo bin ich denn hingeraten? Habe ich so etwas nötig?
Am See stehen schon ein paar Bekannte, und die üblichen Land-Establishment-Floskeln werden ausgetauscht. Die Band ist so Scheiße, wie ich das befürchtet hatte. Der Lead-Guitarrist hat sich von seinem Schlaganfall erholt, kriege ich erzählt. Jetzt musizieren sie wieder, na toll! Langsam fange ich an zu kochen. Ich bestelle Wasser, der Sozialfall schlürft mit Hansi ein Bier. Sollen sie ruhig, ich brauche jetzt meinen Verstand! Es stellt sich heraus, dass die ganze nette Clique jeden Donnerstag in einen “Schuppen“ geht, wo Oldies gespielt werden und wo man tanzt. Mit mir hat die Ratte Hansi noch nie getanzt, nicht, dass ich scharf drauf wäre, aber momentan stinkt mir sogar das.
Das Geglotze und Getuschel der Clique geht mir granatenmäßig auf den Geist. Ich suche mir als erste Maßnahme drei Euro aus meinem Portemonnaie und laufe zum Zigarettenautomaten. Eine Schachtel Marlboro Medium. Dabei haben wir doch ALLE mit dem Rauchen aufgehört! ( Nur die Marina ist natürlich schon immer Nichtraucherin gewesen. ) Hansi ist geschockt. Ab sofort gehöre ich wieder zu den Unverbesserlichen. Ich lasse mir von einem Provinztrottel, der in der Nähe eine durchzieht, Feuer geben. Schon besser!
Die Sozialfall-Provinzschnalle steht nah am Wasser, örtlich gesehen und auch in Bezug auf heulen. Hansi versucht, mich wieder auf Normal-Level zu kriegen und zieht massiv seine penible Scheiße ab. Ich soll doch nicht so ungerecht sein. Wahrscheinlich hätte er gerne, dass ich ihm noch viel Glück, erfolgreiche Sex-Nächte mit seiner Tussi und gesunde Kinder wünsche! Ich entscheide mich spontan für etwas anderes. Nachdem ich den beiden Turteltauben gesagt habe, was ich alles von ihnen halte, und der Marina wegen meiner unglaublichen Ausdrucksweise Tränen in ihre sensiblen Augen treten, gebe ich ihr einen ordentlichen Schubs. Hoffentlich sind ihre Schühchen jetzt nicht mehr brauchbar...
Das dadurch entstandene allgemeine Durcheinander nutze ich, um mich zu entfernen. Sogar hier kriegt man ein Taxi. Ich muss jetzt mein Handy und die Reserve-Jeans holen, den Schlüssel in Hansis Briefkasten deponieren, und dann: hasta la vista, baby! Vom ICE aus rufe ich meinen alten Freund David an, der Frauen nie auf den Hintern guckt. Er sagt: “Schätzchen, das ist echt das BESTE, was dir passieren konnte!“ Er, sein Freund und ich verabreden uns mitten in der Stadt. Dort ist es ganz egal, was man anhat. Wichtig ist, was man zu sagen hat. Adieu, Provinz! Adieu Hansi und Marina! Ciao David und Neil!