Duftende Blume
„Du bist mein bester Freund, Klaus.“ Sage ich, während ich die Möwen beobachte, die über der Bucht kreisen. Ich ziehe an meiner Zigarette und lasse den Rauch in meine Lungen strömen.
„Das will ich meinen.“ Antwortet er mit einem Lächeln und folgt meinem Blick, um herauszufinden, was ich beobachte. Als er die Möwen entdeckt, richtet er seine Augen wieder auf mich. „Was ist los mit dir? Willst du über irgendwas reden?“ fragt er, und als ich nicht gleich antworte, legt er den Kopf schräg und kneift die Augen zusammen.
„Ich weiß es nicht.“ Erwidere ich schließlich und blicke ihn an. „Auf jeden Fall will ich zuerst mal mein Bier.“
Klaus zieht den Rucksack vom Rücken und fördert zwei Flaschen hervor. Bevor er mir meine gibt, zeigt er auf einen großen Felsen nahe am Wasser und nickt mir zu. Wir gehen über den Strand und klettern auf den Fels. Der Wind weht hier oben stark und treibt mir Sprühregen ins Gesicht. Ich senke den Kopf ein wenig und nehme dann die Bierflasche entgegen. Mit dem Feuerzeug ist der Kronenkorken schnell entfernt und rollt und hüpft den Stein hinunter. Ich setze die Flasche an und nehme einen tiefen Schluck.
„Also, worum geht’s diesmal?“ fragt Klaus.
„Rate“ gebe ich einsilbig zurück und wische mir den Mund ab.
„Hmm“, macht Klaus und vermutet dann, „Frauen?“
Ich nicke und muss grinsen. „Um was auch sonst.“ Sage ich und lache kurz und wenig erheitert.
„Na dann lass mal hören. Wer ist denn die Glückliche?“
„Glücklich. Na ja, ich weiß nicht.“
„Jetzt sag’s halt endlich!“ quengelt Klaus ungeduldig.
„Julia.“ Sage ich und Klaus schmunzelt.
„Die kleine Julia also. Geht mit der was?“
„Ich weiß es nicht. Du weißt ja, dass ich bei so was nie weiß, woran ich bin.“
„Das weiß niemand.“ Erwidert er nach einem Schluck Bier.
„Schon möglich. Hilft mir aber nicht. Ich muss es einfach wissen.“
„Was denn eigentlich? Ob du ne Chance hast, bei ihr zu parken?“
„So würde ich es nicht ausdrücken.“
„Wie denn?“
„Ob ich ihr auch was bedeute.“ Sage ich, während ich auf die aufgewühlte See blicke. Mit einem Lachen füge ich hinzu: „Parken kann ich später immer noch.“ Klaus mustert mich von der Seite. Er hat gemerkt, dass das Lachen gespielt war.
„Sie bedeutet dir wirklich viel, was?“
„Könnte man so sagen.“
Wir sitzen beide eine Weile still nebeneinander und stoßen auf die Frauen an. Das Meer ist unruhig. Weiße Gischt bildet sich auf dem dunklen Wasser, das mit jeder Welle eine ganze Ladung Seegras an den grauen Strand spült.
Schließlich meint Klaus: „Ich glaube…“ er macht eine Pause.
„Was?“
„Wir brauchen einen Plan.“
„Hast du einen?“
„Noch nicht.“ Er grinst schelmisch, bevor er fort fährt: „Ok, dann fangen wir doch mal ganz von vorne an. Habt ihr euch schon geküsst?“
„Nein.“
„Noch gar nicht?“
„Na ja, hin und wieder mal auf die Wange, aber so was zählt nicht.“
„Stimmt. Zählt wirklich nicht. Na gut, was war da sonst?“
„Wir haben in Hamburg und in den letzten Wochen ziemlich viel Zeit miteinander verbracht.“
„Wie verbracht?“
„Na du weißt schon. Geredet, ich hab ihr bei ihrem Projekt geholfen, wir sind zusammen rumgelaufen, sie bei mir eingehakt. Sowas eben.“
„Gut. Das ist doch schon mal was.“ Sagt er zuversichtlich und fragt mich dann weiter aus.
„Hat sie dir irgendwelche Komplimente gemacht?“
„Ja.“
„Und die wären?“
„Ist ein bisschen merkwürdig. Ich kann selbst nicht sagen ob’s als Kompliment oder als Scherz gemeint war.“
„Na was denn nun? Lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!“ ruft Klaus und wird langsam sichtlich ungeduldig.
„Duftende Blume.“
Einen Moment herrscht Stille, dann lacht Klaus laut los und fällt beinahe von unserem Panoramabalkon. „Prost!“ ruft er zwischen zwei Lachanfällen und trinkt seine Flasche aus. Anfangs sitze ich still daneben, doch dann muss auch ich lachen und stoße mit ihm an. Das Bier ist leer und wir werfen die Flaschen weg. Als wir uns wieder gefangen haben, sagt Klaus: „Duftende Blume ist… krass. Aber nicht übel. Hat das irgendeinen Hintergrund?“
„Ja“, antworte ich, „sie steht doch so auf mein Parfum.“
„Stimmt, da war was. Ist aber echt ein gutes Zeichen. In der Liebe geht doch alles über die Nase. Der ganze Kram mit den Pheromonen und so.“
„Ich find’ trotzdem nicht, dass ich ne duftende Blume bin. Das klingt so… tuffig.“
„Ist doch egal, sie hat es nicht so gemeint, glaub mir.“
„Hast wahrscheinlich Recht.“
„Nicht wahrscheinlich. Ganz sicher.“
„Ich hoffe es.“
„Also. Zurück zu unserem Plan. Du musst in der nächsten Zeit unbedingt möglichst viel mit ihr unternehmen.“
„Wir wollten noch zusammen essen gehen. Und nach Hannover wollten wir auch noch zusammen fahren. Zum Einkaufen.“
„Klingt doch alles klasse!“
„Im Grunde – ja.“
„Nichts im Grunde, du Ei! Du stehst schon mit einem Fuß in der Tür, Mann! Halt dich ran! Wenn du mit ihr essen warst, solltest du auf jeden Fall anfangen, ihr Blumen zu schicken. Du machst das schon. Angreifen! Denk dran.“
Ich denke darüber nach, was Klaus gesagt hat, und plötzlich erscheint es mir alles vollkommen klar. Ich muss nur zuschlagen. Wie ein Jäger der seine Beute vor Augen hat. „Danke, Klaus. Ich bin froh, dass ich dich zum Freund habe.“ Antworte ich und wir sitzen noch eine Weile still da. Dann schaut Klaus auf die Uhr und meint: „Nimm’s mir nicht übel, aber ich muss los. Denk dran, was ich dir gesagt habe und halt die Ohren steif.“
Ich nicke und wir verabschieden uns. Ich bleibe noch lange auf dem Felsen sitzen und denke nach. Je länger Klaus weg ist, desto undeutlicher wird das was er gesagt hat, und die Zweifel kehren zurück. Ich muss wieder an das denken, was sie gesagt hat. Sie brauche zurzeit keinen Kerl. Nicht in Bezug auf mich, aber trotzdem entmutigend. Angreifen? So ein Schwachsinn. Wenn ich sie jetzt bedränge mache ich vielleicht alles kaputt. Die Ungewissheit ist wieder da, die Freude versteckt sich dahinter wie hinter einem Vorhang und ich blicke hinaus auf die Wellen.
Als die Sonne über dem Meer versinkt und den Strand in ein rötliches Licht taucht, wird mir klar, dass er mir nicht helfen kann. Ich muss selbst entscheiden was richtig und wichtig ist. Ich war noch nie ein Angreifer, und ich werde auch keiner mehr werden. Was ich tun werde weiß ich immer noch nicht. Wie immer.
„An manche Dinge gewöhnt man sich nie“, denke ich mir, stehe auf und gehe nach Hause.