Was ist neu

Duft und Geruch

Mitglied
Beitritt
15.02.2018
Beiträge
50
Zuletzt bearbeitet:

Duft und Geruch

„Hey, Schlitzauge! Pass auf!“
Der Ball trifft mich an der Schläfe. Er kam aus dem Nichts, ich hörte nur ein kurzes Pfeifen. Meine Brille hängt jetzt schief. Für einen kurzen Moment seh‘ ich die Welt verschwommen. Nur für einen ganz kurzen.
„Uh“, johlen die Jungs. „Jetzt wird er wütend. Vorsicht, er kann Kung Fu.“
Sie lügen, diese Arschlöcher. Sie wissen ganz genau, dass ich kein Wushu kann. Und sie sind es auch, die mir dieses Wort beigebracht haben. ‚Arsch-loch‘ haben sie mir eingebläut, immer und immer wieder. Und damit haben sie mir ein gutes Rüstzeug gegeben. Auf so einer Information kann man viel aufbauen. Wesentlich mehr als auf Wörter wie ‚Danke‘ und ‚Bitte‘. Zumindest in meinem Alter.
„Arschloch!“, rufe ich, muss aber dann doch lachen. Die Jungs rennen dem Ball hinterher, lassen mich links liegen. Sie suchen sich andere Opfer, wenden sich anderen Vergnügungen zu. Vedad aber bleibt zurück. Vedad ist Türke. Er ist gedrungen, grinst viel. Seine Zähne sind ebenmäßig und breit. Breit wie die Kürbiskerne, die er so gerne in sich hineinstopft.
‚Geht’s gut?‘, fragt Vedad nur mit den Augen.
‚Na klar‘, antworte ich. ‚Warum soll‘s mir schlecht gehen?‘
Vedad greift in die Tasche, hält mir eine Tüte mit Kürbiskerne hin. Ich halte die Hand auf. Wir knabbern. Die Schalen spucken wir kunstvoll aus wie in einem orientalischen Western. Es kommt zum Showdown und wir lachen.
Dann kommt die Lehrerin vorbei. Sie nimmt Vedad die Kürbiskerne weg. Er darf sie nicht mehr in die Schule mitbringen, der Hausmeister hat ausdrücklich darum gebeten. Die Regel gilt für alle Schüler. Zuviel an Müll liegt auf dem Pausenhof, zu hartnäckig kleben die Schalen zwischen den Steinen. Vedad schmollt, kann aber nichts dagegen machen. Ich weiß, dass der Verlust ihn nicht sonderlich schmerzt. Sein ganzer Rucksack ist voll mit Knabberzeug. Dafür sorgt seine Mutter, Tag für Tag.

*

Meine Mutter gibt mir kein Knabberzeug mit in die Schule. Nicht dass sie grundsätzlich etwas dagegen hätte. Sie ist nur sparsam. Wenn sie Knabberzeug mitgibt, dann nur meinem Bruder. Lin ist zwei Jahre älter. Er ist der ganze Stolz der Familie. Er ist auch kurzsichtig und eigentlich verstehen wir uns ganz gut. Wir haben nur verschiede Schicksale.
Als Lin ein paar Monate alt war, da breitete man vor ihm mehrere Sachen auf den Boden aus. Dann setzte man Lin dazwischen und wartete gespannt, welches Objekt sein Interesse wecken würde. Das ist eine alte Tradition bei uns. Lin griff nach einem Schreibpinsel. Meine Eltern waren überglücklich. Das bedeutete, er würde es zu einem hellen Kopf im Leben bringen.
Ich durchlief die gleiche Prozedur. Ich übersah die Münzen, das Rechenbrett, die Briefmarken und das winzige Schwert. Ich interessierte mich weder für den Pinsel, noch für das Spielzeugauto. Stattdessen griff ich nach einem Spiegel. Meine Großmutter hielt ihn zufällig in der Hand. Was das über mich aussagt, weiß ich nicht. Auch meine Eltern wissen es nicht. Vielleicht darf ich deswegen die Narrenfreiheit genießen, von der Lin nur träumen kann. Mein Großvater soll kichernd gesagt haben, dass ich einmal ein Dandy sein werde. Ein oberflächlicher Mensch also. Und mein Großvater, der hatte in allem recht. Das ist auch eine Tradition bei uns.

*

„Kocht das Wasser schon?“, fragt mein Vater.
„Noch nicht“, sage ich.
„Dann komm‘ her und schneide das Gemüse.“
Ich greife nach dem schweren Hackmesser, schneide gewissenhaft den Kohl in Streifen.
„Nicht so“, sagt mein Vater, „schau her.“ Er schiebt mich zur Seite. Er lässt das Messer blitzschnell fallen, rattert, was das Zeug hält. Das Geräusch erinnert mich an einen Specht. Mein Vater hält kurz inne, dann hackt er wieder darauf los. Wirklich wie ein Specht.
„Jetzt du“, sagt mein Vater.
Ich bemühe mich, es ihm gleich zu machen, habe aber Angst, mir einen Finger abzuhacken. Mein Vater schüttelt nur den Kopf.
„Sag‘ mir, wenn das Wasser kocht, ja?“, sagt er und verschwindet. Er geht rauchen. Seit ihn das Gesundheitsamt bei der Arbeit gesehen hat, darf er nicht mehr in der Küche rauchen. Er tut es dennoch, nur jetzt nicht, zur Mittagszeit. Mein Vater verbringt die ganze Zeit in der Küche. Wir können es uns nicht leisten, ein Koch einzustellen. Mein Vater ist aber schnell und ausdauernd und abends sitzt er im Unterhemd vor einem Glas Tee. Er schlägt die Beine übereinander. Er blickt ins Leere, raucht. Seine Brillengläser sind trüb von den vielen Fettspritzern. Den Tee trinkt er immer noch wie früher aus Einmachgläsern und nicht aus einem richtigen Glas.


*

„Was spielst du da?“ frage ich Lin.
„Chopin“, sagt Lin.
Vedad besucht mich. Wir sitzen zu dritt in unserem Zimmer. Vedad könnte sich mit meinem Bruder unterhalten, mein Bruder hat aber dafür keine Zeit. Lin muss üben. Er bekommt Klavierunterricht. Bald soll er auch noch Geige spielen.
Irgendwie fühlt sich Vedad unwohl in der Nähe meines Bruders. Irgendwie. Er sagt aber nichts. Da wir kein Computer und keine Spielkonsole haben, wird es ihm schnell langweilig. Er mag auch Chopin nicht.
Meine Mutter kommt rein. Sie trägt ein Tablett mit Snacks und Cola. Vedad kann sein Blick nicht von ihr lassen. Meine Mutter stellt das Tablett ab, lächelt uns an. Vedad wird rot. Er ist schüchtern. Seit Kurzem ist auch seine Stimme brüchig. Er greift eine Salzstange, kaut vorsichtig, hustet. Dann trinkt er einen Schluck.
Meine Mutter bedient die Gäste in unserem Restaurant. Seit sie das macht, ist sie ein ganz anderer Mensch geworden. Früher sagte man ihr, dass sie nicht schön sei, und wenn, dann nur knapp über dem Durchschnitt. Ihre Wagenknochen seien zu hoch. Ihre Arme und Beine zu lang. Ihr Rücken zu breit. Die Augen zu weit auseinander. Die Nase zu groß. Die Stimme zu tief. Und ungebildet sei sie, weil sie nicht studiert hat. ‚Wie eine Mongolin‘, hatte die Großmutter meines Vaters gesagt. Das will schon was heißen.
Vedad ist mein Freund. Wir versuchen, ehrlich zueinander zu sein. Er hat einmal versucht, mir zu erklären, dass er Schwierigkeiten damit hätte, meinen Gesichtsausdruck zu lesen. Wir sähen alle ähnlich aus. Doch seit er uns kennt, kann er uns besser auseinanderhalten. Mir geht es genau umgekehrt. Ich kann nicht nur aus Vedads Gesicht lesen, auch die Gesichter anderer Leute sind da kein Problem. Ich kann wie in einem Spiegel jede Gefühlsregung erkennen. Ich kann versteckten Zorn lesen. Verborgene Lust. Unverständnis. Misstrauen. Gier. Mein Vater besteht darauf, dass das alles nur eine Form von Unhöflichkeit sei. Ich bin mir aber nicht so sicher. Man kann nicht alles über einen Kamm scheren.
Hier sind alle Männer in meine Mutter vernarrt. Sie starren sie an. Sie sind immer aufmerksam, versuchen, ihr zu gefallen. Sie geben ihr Trinkgeld. Greifen nach ihr. Blicken ihr lange nach. Selbst wenn mein Vater dabei ist, halten sie sich nicht zurück. Wenn ich mein Vater wäre, dann würde ich sie zurechtweisen. Aber mein Vater ist da anders. Er ist gebildet. Er war früher Kalligraphie-Lehrer, hat den Ouyang Xun-Stil unterrichtet. Er kann sich nicht herablassen, sich da einzumischen.
„Wart ihr heute brav in der Schule?“, fragt meine Mutter.
„Natürlich“, sagt Vedad, „wir sind immer brav.“
Lin übersetzt, ohne vom Klavierspielen zu lassen. Meine Mutter nickt zufrieden. Es fällt ihr nicht leicht, Sachen zu verstehen, die nichts mit einer Bestellung zu tun haben. Wie gut, dass sie Lin hat. Lin geht aufs Gymnasium. Seine Lehrer schenken ihm Bücher. Unsere Lehrerin hat uns nie etwas geschenkt. Nur einmal, da bekamen wir ein „Vier gewinnt“-Spiel. Nur nicht von der Lehrerin. Die Willmersdorfer Sparkasse hat es uns gegeben.

*

Vedad ist ganz vernarrt ins Fischen. Es liegt ihm im Blut, seine ganze Familie geht fischen. Der Vater fischt, der Bruder auch. Von ihnen kann er sich die Ausrüstung ausleihen. Er hat auch eine eigene, bescheidene Ausrüstung, nimmt aber gerne die des Vaters. Besonders, wenn der Vater auf Montage geht. Einmal, da hat er versucht, in Treptow zu fischen. Er hat Wind von einer guten Stelle bekommen. Er nahm zwei Ruten seines Vaters mit. Feinstes Carbon.
„Was ist passiert?“, frage ich Vedad.
„Nix. Schlägerei“, sagt er bescheiden.
Vedad nimmt sich immer Zeit. Besonders, wenn er mit mir spricht. Er verwendet gerne einzelne Wörter. Als wir uns kennenlernten, da sagte er nur schlichte Dinge wie ‚gut‘, ‚ja‘, ‘nein‘ zu mir. In der Schule haben wir später gelernt, dass das ‚Infinitiv‘ heißt, was Vedad am Anfang immer sagte. Er sagte ‚geben‘, ‚nehmen‘, ‚kommen‘, ‚gehen‘, ohne Weiteres hinzuzufügen. Nur noch die Gestik. Bloß einmal, da sagte er immer eine Zeitlang zu allem, was ich sagte ‚besser‘. Seitdem verwendete er dann auch vermehrt zwei Wörter: ‚gut so‘ und ‚nicht schlecht‘ und ‚voll cool‘. Ich fühle mich wohl in Vedads Nähe.
„Wie, Schlägerei?“, frage ich. „Mit wen?“
„Mit wem“, sagt Vedad nachsichtig. „Scheiß Ossis.“
„Kaputt?“, frage ich.
„Die Rute? Nein, Carbon. Wenn kaputt, dann Vater …“ Er fährt sich mit dem Zeigefinger über die Kehle, reißt die Augen auf.
‚Wenn … dann‘, geht mir durch den Kopf. ‚Wenn Küche brennt, dann gut‘. Das ist ein guter Satz. Muss ich gleich an Vedad testen.
„Nein“, sagt Vedad. „Wenn die Küche brennt, dann ist es gut. Oder: dann geht es mir gut. Aber das ist ein komischer Satz.“
„Nein“, sage ich. „Scheiß Küche.“
Vedad lacht. Ich lache auch.

*

Vedad kennt den Namen vieler Fische. Ich bin erstaunt. In der Schule ist er nicht besonders kommunikativ. Eher schläfrig. Wir sitzen ganz hinten, in der letzten Bank. Wenn ich aufhorche und mich etwas am Unterricht interessiert, dann zieht er an meinem Ärmel. Bringt mich zur Räson. Aber mit den Fischen ist er nicht so. Spricht er darüber, leuchten seine Augen auf. Barsch, Plötze, Aal, Blei, Karpfen, Zander. Er kann nicht nur ihr Aussehen beschreiben. Er kennt ihr Verhalten. Er kennt ihre Wünsche. Beim Sprechen wird Vedad selbst zum Fisch. Ahmt ihr Schwimmen nach. Das Auf- und Zuschnappen der Mäuler. Wie sie zappeln, wenn sie an Land gezogen werden.
Mein Vater mag auch Fische. Meine Mutter auch. Nur Lin und ich mögen sie nicht. Mögen nicht ihren Geschmack. Aber Lin traut sich nicht, das zuzugeben. Ich hab’s da leichter. Ich esse keinen Fisch. Mein Vater füttert Lin jeden Tag mit Fisch. Es sei gesund.
Ich frage Vedad nach dem Geschmack der Fische. Darüber hat er nicht gesprochen. Vedad verzieht das Gesicht. Das interessiert ihn nicht. Er fängt die Fische, isst sie aber nicht. Er wirft sie immer zurück ins Wasser. Versucht, vorsichtig zu sein, ihre Mäuler nicht zu beschädigen. Ich würde gerne wissen, was die Fische dazu sagen. Wie ihre ‚wenn … dann‘-Sätze lauten. Aber Fische sind stumm. Das weiß doch jeder.


*

Es ist dunkel. Wir liegen im Bett. Ich erzähle Lin von meinem Tag. Lin sagt nichts, hört zu. Lin ist ein guter Zuhörer. Viel besser als ich.
„Weißt du“, sage ich, „ wir waren am Teltowkanal fischen. Da gibt’s ein Heizkraftwerk, das Wasser ist dort warm, zieht die Fische an. Man darf dort nicht fischen, wir haben das aber trotzdem getan. Wir haben den Bus genommen und dann sind wir viel gelaufen. Lichterfelde ist voll cool. Ganz viele Bäume. Und alte Villen.“
Mein Bruder schweigt. Er versucht, in meine Haut zu schlüpfen.
„Eigentlich ist Fischen ganz anders, als man sich das vorstellt, weißt du, Lin? Ich dachte, das ist langweilig. Aber da war einer neben uns, der hat eine nach der anderen geraucht. Viel mehr als Vater. Der Boden um ihn herum war voller Kippen. Immer hat er gesagt, wir sollen die Klappe halten. Und Vedad, der hat nur Sonnenblumenkerne gegessen. Am Ende sah das wie ein Schlachtfeld aus.“
„Habt ihr was gefangen?“, fragt Lin. Seine Stimme kommt von weit her. Dabei liegt er nicht weit von mir, höchstens zwei Meter.
„Nein, aber Vedad sagt, das ist auch egal. Man muss das sportlich nehmen, sagt er. Wir haben auch ein Mädchen kennengelernt, Jana. Sie mag Vedad. Sie hat uns zu sich eingeladen. Ihre Familie hat ein ganz großes Haus. Willst du mitgehen Lin, willst du auch Jana besuchen?“
Lin antwortet nicht. Vielleicht denkt er an seine Musik oder daran, was er so über den Tag gelesen hat. Ich schlafe ein. Ich träume von Vedad. Vedad hat Jana geheiratet. Sie wohnen am Teltowkanal. Sie haben auch Kinder. Sie winken mir glücklich zu. Vedad kann von seinem Garten aus fischen. Braucht keine Angst zu haben, dass ihm Kontrolleure auf die Pelle rücken. Ich höre ein leises Wimmern. Ich werde stutzig. Niemand in meinem Traum weint. Darin sind wir alle glücklich.

*

Harald besucht uns. Harald ist Schauspieler. Seine Frau ist eine entfernte Verwandte meiner Mutter. Harald ist ein Feinschmecker, er will immer nur das Beste haben. Mein Vater legt sich ins Zeug. Schickt ihm Lin zur Unterhaltung, scheucht mich durch die Küche. Er hievt die schweren Pfannen, der Schweiß strömt ihm übers Gesicht. Währenddessen sitzt Harald im Gästeraum und trinkt. Und trinkt. Und trinkt.
Ich spüle Schweinedärme aus. Säubere Hühnerfüße. Salze Schweinefüße ein. Der Geruch gekochter Innereien macht mich wahnsinnig. Besonders der Geruch der Nieren. Mein Vater lässt mich nicht aus den Augen. Auch Harald beobachtet er. Und meine Mutter und Lin auch.
Trägt meine Mutter die Gerichte auf, so duften diese verführerisch. Keine Spur mehr vom Geruch an ihnen. Harald isst aber wenig davon. Er ist ein Feinschmecker, will nur das Beste haben. Er nimmt zwei Bissen und spült sie mit Alkohol runter. Dann will er wieder etwas anderes. Etwas Neues. Doch er zahlt nicht. Harald ist unser Gast.
Vedad sagt, Harald ist berühmt. Er kennt ihn aus dem Fernsehen, da spielt Harald einen Trinker. Wie im richtigen Leben. Er sei aber ein Penner, sagt Vedad. Er sagt das, obwohl er Harald gar nicht kennt. Ich beobachte Harald. Sehe seine großen Ohren, die breite Nase. Sein Blick ist traurig, die Augen trüb. Auch Lin ist traurig. Er sitzt daneben und sieht wie ein kleiner Harald aus. Nur mit einer dicken Brille.
Harald ist erzürnt. Er schreit seine Frau an. Schreit andere Gäste an. Alle Blicke sind auf ihn gerichtet. Er scheint sich wohl dabei zu fühlen, gibt nicht nach, ist störrisch wie ein Kind. Nur ich sehe aus der Küche, wie Lin den Kopf hängen lässt. Wie er stumm vor sich hinstarrt. Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Ich mag Harald. Und selbstverständlich mag ich auch Lin.


*

Ich sitze mit meinen Eltern zusammen. In letzter Zeit machen wir das oft. Ich begleite sie zum Arzt, auf die Ämter, begleite sie in der Schule meines Bruders. Das Restaurant bleibt dann geschlossen. Die Küche ist aber noch nicht abgebrannt.
Mein Vater sieht nicht gut aus. Meine Mutter auch nicht. Sie reden auch kaum miteinander. Wenn sie reden, dann nur mit meiner Hilfe. Und ich rede mit ihnen und rede auch mit dem Arzt. Übersetze beim Amt. Gebe das Bedauern des Gymnasiallehrers an sie weiter.
Mein Vater hat das Menü geändert. Die Leute mochten sein Essen nicht. Er wollte ihnen erzählen, dass er das Kochen als Kunst gelernt hat. Wie die Kalligraphie. Dass es für ihn zwischen den beiden keinen Unterschied gibt. Jetzt haben wir ein Koch. Er kocht Gerichte, hat für Kunst nichts übrig.
Da ich nicht mehr ständig nach Essen rieche, sitze ich weiter vorne. Vedad ist mitgezogen, wir haben uns zwei Bänke vorgewagt. Es läuft gut für Vedad. Er ist gut in der Schule. Ich helfe ihm jetzt mit den Hausaufgaben. Ich lasse mir Zeit dabei. Lasse auch ihm Zeit.
Ich habe mit Lin lange nicht mehr gesprochen. Wir besuchen ihn manchmal im Krankenhaus. Lin hat beschlossen, nicht mehr zu sprechen. Er sitzt nur da und starrt vor sich hin. Wir spielen ihm Chopin vor, die Mazurkas, die er so mochte. Wir lesen ihm auch vor. Lin bleibt stumm wie ein Fisch, schaut uns nicht an. Meine Mutter frisiert ihn, macht ihm die Haare. Wenn sie das macht, dann halte ich den Spiegel. Aber Lin ist höflich, schaut da nicht rein. Er lässt sich Zeit, blickt noch daran vorbei.

 

Hallo, Tanghai

Ich werde gleich noch ein bisschen schimpfen, aber erstmal zeige ich Dir, warum.

Für ein kurzer Moment seh‘ ich die Welt verschwommen. Nur für ein ganz kurzer.

"Für einen kurzen Moment sehe ich die Welt verschwommen. Nur für einen ganz kurzen." Wobei ich den zweiten Satz sogar weglassen würde.

‚Na klar‘, antworte ich. ‚Warum soll‘s mir schlecht gehen?‘

Hier gehört ein Absatz davor, da Sprecherwechsel durch Absätze deutlich gemacht werden.

Die Schalen spucken wir kunstvoll aus, wie in einem orientalischen Western.

Kein Komma vor "wie". Die Regel ist eigentlich ganz einfach. Wenn nach Vergleichswörtern wie "wie" oder "als" kein neues Prädikat mehr kommt, gehört kein Komma davor. Wenn ein neues Prädikat kommt, dann schon, z.B.: "Die Schalen spucken wir kunstvoll aus, wie wir es in einem orientalischen Western gesehen haben." In Deinem Satz ist das nicht der Fall, also weg mit dem Komma.

Als Lin ein paar Monate alt war, da breitete man vor ihn mehrere Sachen auf den Boden aus.

"vor ihm".

Das bedeutete, er würde es zu einem hellen Kopf im Leben bringen.

Zu einem hellen Kopf bringt man es nicht. Der ist man, oder man es ist es nicht. "Er würde es im Leben zu etwas bringen" oder "er würde einmal ein heller Kopf sein" - wobei letzteres eher komisch klingt. Ersteres ist wohl nicht spezifisch genug. Ich meine, ich weiß, was Du meinst, aber so läuft das nicht.

Ich interessierte mich auch nicht für den Pinsel, noch für das Spielzeugauto.

Einem solchen "noch" geht immer ein "weder" voraus. Also: "Ich interessierte mich weder für den Pinsel, noch für das Spielzeugauto."

Der Spiegel soll gar nicht vor mir gelegen haben. Meine Großmutter hielt es zufällig in der Hand.

"Der Spiegel soll gar nicht vor mir gelegen haben", das klingt so vage. Als hätte es jemand erzählt, der Prot ist sich aber nicht sicher, ob derjenige nicht lügt. "Der Spiegel lag gar nicht bei den ausgewählten Sachen", oder so, wäre besser. Außerdem ist der Spiegel natürlich männlich, deshalb hielt die Großmutter ihn zufällig in der Hand und nicht es.

Vielleicht darf ich deswegen die Narrenfreiheit genießen, über die Lin nur träumen kann.

"von der Lin nur träumen kann".

Er lässt das Messer blitzschnell fallen, rattert was das Zeug hält.

Komma vor "was".

Ich bemühe mich es ihm gleich zu machen, habe aber Angst, mir ein Finger abzuhacken.

Komma vor "es", und natürlich heißt es richtig "einen Finger".

Wir können es uns nicht leisten, ein Koch einzustellen. Mein Vater ist aber schnell und ausdauernd und Abends sitzt er in Unterhemd vor einem Glas Tee.

"einen Koch". "abends" wird hier klein geschrieben. Außerdem "im Unterhemd".

Seine Brillengläser sind trüb von den vielen Fettspritzer. Den Tee trinkt er immer noch wie früher, aus Einmachgläser und nicht aus einem richtigen Glas.

"Fettspritzern". Kein Komma vor "aus", außerdem "Einmachgläsern".

Lieber Tanghai, hier höre ich erstmal auf mit den kleinen Fehlerchen. Mehrere Leute, auch ich, haben Dir angeboten, Deine Geschichten Korrektur zu lesen, bevor Du sie hochlädtst. Ich verstehe nicht, wieso Du bei dieser Geschichte auf das Angebot nicht eingegangen bist. Das geht so einfach nicht. Obwohl die Fehlerdichte mit jeder Geschichte runtergeht, ist sie immer noch viel zu hoch. Auch wenn ich Geschichten auf Deutsch schreibe, gebe ich sie vorher zum Korrekturlesen an meine Omi. Immer. Es ist nichts, wofür man sich schämen muss, sondern etwas, was alle guten Autoren machen. Selbst wenn sie Muttersprachler sind. Also, bitte. Mach das.

Ich lese jetzt weiter, ohne die Fehler zu korrigieren. Du hast ja meine Mail-Adresse. Und Heike Hatzmann hatte sich ja auch schon angeboten, falls Dir meine Arbeit das letzte Mal nicht gefallen hat. Generell glaube ich, Du musst mehr Geduld haben und Deine Output-Rate hier im Forum deutlich verringern. Dann kannst Du Dir auch mehr Zeit für die Überarbeitung nehmen. Zwei Geschichten pro Woche ist kein Output, den man anstreben sollte. Denn dann wirst Du das Problem mit Deinen kleinen Fehlerchen nie ausmerzen können. Ich arbeite selbst gerade an einer Geschichte und will sie schnell hochladen, allerdings werde ich sie erst fertig stricken, dann meinem Freund vorlesen, inhaltlich überarbeiten und anschließend meiner Omi zur Korrektur geben. Und sie erst dann posten. Das würde ich Dir auch empfehlen: Lass Dir mehr Zeit. Hab Geduld.

Als Du mir geschrieben hast, dass Du etwas an Deinem Stil ändern willst, war ich skeptisch. Aber hier sehe ich eine deutliche Verbesserung. Du hast eine Moral, ohne moralisierend zu sein. Die Geschichte ließ sich gut runterlesen, war schön geschrieben.

Allerdings habe ich mich ab dem vorletzten Absatz gefragt, was Du eigentlich erzählen möchtest. Bis dahin habe ich nur den Alltag Deines Prots kennen gelernt. Als Lin am Ende im Krankenhaus war, dachte ich, dass es irgendwas mit Druck zu tun hat, den die Eltern machen. Allerdings ging mir das viel zu schnell. Das habe ich überhaupt nicht verstanden. Vielleicht liegt es nur daran, dass ich Deine anderen Geschichten kenne und mit einer Moral gerechnet habe, aber hier konnte ich sie nur durch einen dichten Schleier erahnen. Gerade das Ende kam sehr überraschend. Das müsstest Du noch feiner ausarbeiten.

Warum ist Lin im Krankenhaus? Warum spricht er nicht? Er war bis zum Schluss in der Geschichte nicht so wichtig, aber ich ahne, dass er ein Schlüsselelement ist. Vedad kam aber häufiger vor, allerdings weiß ich auch nicht, was er bedeutet. Das ist ein schöner Einblick in jemandes Alltag mit einem verwirrenden Ende. Ich glaube, da fehlt irgendwas.

Viele Grüße,
Maria

 

Hallo Maria,

danke für den wertvollen Input. Deine Korrektur wird umgehend im Text Eingang finden.

Ich wollte nur wissen, wie sich diese Art zu schreiben ausmacht, du weißt, 'Gut so' oder 'bleib' beim Alten'.

Du hast recht, das Ende kommt plötzlich daher. Beim Schreiben war ich versucht ganz viel über den Prot zu erzählen, wie sie sich neue Sneakers kaufen, am K'damm rumhängen und weibliche Touristen asnprechen und viele andere Kleinigkeiten. Ich ruderte zurück, da ich mir nicht sicher war, ob das Ganze nicht zu lang sein wird.

Ich werde noch etwas über Lin einfügen, damit das Ende schlüssig wird. Es hat kein Sinn, dir meine Absicht dahinter zu erklären, was ich damit meine. Du weißt ja selber, wenn solche Fragen aufkommen, dann hat man seine Arbeit schlecht getan. Also lieber überarbeiten anstatt zu erklären.

Dennoch hast mir eine große Freude gemacht. Ich habe zur Zeit eine produktive Phase, schreibe jeden Tag. Da ich jetzt weiß, dass die Form OK ist, muss auch ich niemanden mehr mit Posts belästigen. Ich kann das getrost übernehmen.

Wenn du deine GEschichte erwähnst, ich kann auch gerne einen Blick darauf werfen. Es fehlt mir zwar die Kompetenz die REchtschreibprüfung durchzuführen, ich kann dich vielleicht aber auf bestimmte SAchen aufmerksam machen, die es verdienen hervorgehoben zu werden. Geben und nehmen, oder?

Liebe Grüße und danke für deine Zeit

Tanghai

 
Zuletzt bearbeitet:

„Was ist passiert?[,]“ frage ich Vedad.
„Nix. Schlägerei“, sagt er bescheiden.
Vedad nimmt sich immer Zeit. ...
[...]
„Wie, Schlägerei?“, frage ich. „Mit wen?“
„Mit wem“, sagt Vedad nachsichtig. „Schei[ß] Ossis.“

Hallo Tanghai,

weißtu, dass ich "Vedad" sehr ähnlich bin (sofern man so was überhaupt nach wenigen Zeilen behaupten darf) und dass der Deutsche an sich in slavischen Sprachen mit dem Wort stumm und des Schweigenden übereinstimmt - z. B. "stumm" - nur bei unser"en" östlichen Nachbarn - Polnisch "niemy", Tschechisch (und auch Slowakisch) "nemy", deutsch = "niemecki" (poln.) und "nemecky" (Tschech./Slowakisch) - aber weder angel noch fisch (bin ja selber einer), dafür aber Mattjes am Schwanz fass und am Stück verschlinge (der junge Genever lacht dann schon ...). Was ich damit eigentlich sagen will, dass ich nun auch Ironie bei Dir erkenne, und das ist gut so, gibt sie doch als Selbstironie ein wenig Schutz vor allem Unbill, das einem droht - denn die Rechtschreibung ist minimalst gegenüber den vorherigen Werken verbessert - und es ballt sich direkt zu Anfang Deiner schönen Gechichte einer zugewanderten chinesischen Familie - Restaurantbetreiber, mutmaßlich.

Für ein kurzer Moment seh‘ ich die Welt verschwommen. Nur für ein ganz kurzer.
Und es sind wieder die Endungen für je 2 x "ein" und "kurz", wobei fürs "kurz" die falsche Entscheidung getroffen wurde. Da wirstu richtig pauken müssen, denn die deutschen Bezeichnungen der Fälle als "Wer-, Wes(sen)-, Wem- und Wenfall" nützen Dir wenig mit ihren Fragfürwörtern (wen oder was, Nom., wessen, Gen., wem, Dat. und wen oder was, Akk. in diesen zwo Sätzen, wie auch das zwote Hilfsmittel zur Unterscheidung von Dativ und Akkusativ, "wohin" gehstu - in den Wald, und "wo" gehstu/bistu, im Wald, das eine als dynamischer Prozess, das andere als relativ statisch - was natürlich real nur für eine Schnecke gilt, die durch den Wald kriecht.

Hier

Vedad greift in der Tasche, hält mir eine Tüte mit Kürbiskerne hin.
hätt' zumindest die Frage "wohin" greift Vedad"? geholfen. In die Tasche ...

Alle Endungen für "ein" sowie "kurz" lauten auf -en, weil - jetzt kommt die nächste potenzielle Falle - die Präposition "für" den (!) Fall bestimmt, die Präposition "in" hätte den Dativ vorgegeben. Dem Mutersprachler geht das i. d. R. in Fleisch und Blut über, sofern er in korrekt sprechender Umgebung aufgewachsen ist.

Da wirstu buchstäblich ein bisschen pauken müssen. Das kann Dir auch keiner abnehmen, wenn Du selber/selbständig "laufen" willst. Nimm Dir da nicht gleich Duden oder Wahrig (jetzt "Bertelsmann") als Grammatik, sondern eine Schülergrammatik. Auch im Internet gibt's einfache Darstellungen, die einen nicht direkt mit Fachbegriffen erschlagen.

Auf eine Besonderheit (die ich auch nicht begründen kann, manchmal sind die Wege des Herrn und der Ministerialbürokratie unerforschlich) geht an Dir nur zufällig und dann auch noch nur scheinbar vorbei, wenn es heißt

Die Regel gilt für alle Schüler. Zuviel Müll auf dem Pausenhof, zu hartnäckig kleben die Schalen zwischen den Steinen.
Es geht allein um "zu viel", das - denkwürdig genug - allein in seiner Substantivierung zusammengeschrieben wird und eigentlich dann immer "das/ein Zuviel" ist und hier dann mit der Präposition "an" verbunden wäre (Das/ein Zuviel an Müll ...) - aber solche unergründlichen Feinheiten solltestu Dir für später aufheben. Wann will einer schon zu viel substantivieren ... außer in Bürokratie und Verwaltung.

Was Du auch in den Griff kriegen musst, ist die Konzentration, um solche Unterschiede wie hier

„Was spielst du da?“ frage ich Lin.
und
„Kaputt?“, frage ich.
zu vermeiden, letztetgenanntes Zitat zeigt ja, dass Du es weißt, wie die wörtl. Rede korrekt endet mit Satzzeichen vor den auslaufenden Gänsefüßchen.

Ganz extreme Flüchtigkeit seh ich hier

Man Vater besteht darauf, ...
wo sicherllich "mein" gemeint ist. (Hier funktionierts mal "wer besteht darauf?")

Ich weiß ja, dass Du darauf brennst, Geschichten zu veröffentlichen. Aber es nützt nix, wenn der Takt zu eng gewählt wird und den an sich geneigten Leser ausbremst. Lass es langsam angehen, denn die Geschichte ist allemal wert, gelesen zu werden.

Gruß

Friedel

 

Hallo, Tanghai

Ich wollte nur wissen, wie sich diese Art zu schreiben ausmacht, du weißt, 'Gut so' oder 'bleib' beim Alten'.

Nur aus diesem Grunde eine Geschichte hier zu veröffentlichen, halte ich für etwas ... unangemessen. Und respektlos, wenn ich mal so hart sein darf. Dafür mache ich mir als Leserin dann doch etwas viel Arbeit. Das wirkt komplett lieblos. Ich möchte aber "Gut so" sagen, wo Du gerade danach fragst. Nur mit Geduld würdest Du etwas mehr Liebe gegenüber Deinen Geschichten offenbaren, und das würde sicher die meisten hier freuen. Du schreibst gut, deshalb ist es schade, dass Du Dir die Zeit nicht nimmst.

Ich kenne diesen Rausch des Schreibens, aber das ist halt immer nur ein Teil der Arbeit. Vorher muss man sich überlegen, was man tun möchte (woran ich meistens scheitere), danach muss man korrigieren, überarbeiten, wieder korrigieren (was der größte Teil der Arbeit ist). Ich glaube, im Rausch zu schreiben und im Sekundentakt neue Ideen zu Papier zu bringen, ist ein Anfängerfehler. Da ich auch Anfängerin bin, mache ich das auch, aber ich behalte die Geschichten dann für mich und übernehme die Ideen für hoffentlich sorgfältiger gestricktes Zeug.

Du hast recht, das Ende kommt plötzlich daher. Beim Schreiben war ich versucht ganz viel über den Prot zu erzählen, wie sie sich neue Sneakers kaufen, am K'damm rumhängen und weibliche Touristen asnprechen und viele andere Kleinigkeiten.

Obwohl Du da gestrichen hast, passt das gut für mich. Dein Prot wird toll vorgestellt, ich kann mir sein Leben gut vorstellen.

Es hat kein Sinn, dir meine Absicht dahinter zu erklären, was ich damit meine. Du weißt ja selber, wenn solche Fragen aufkommen, dann hat man seine Arbeit schlecht getan. Also lieber überarbeiten anstatt zu erklären.

Da hast du vollkommen recht. Ich werde mir die Überarbeitung auf jeden Fall ansehen, aber am besten machst Du auch etwas an den vielen Fehlern, wenn Du gerade dabei bist.

Wie gesagt, nimm Dir ruhig die Zeit. Keiner hier drängt Dich. Die nehme ich mir auch, weshalb meine Geschichte noch auf sich warten lässt. Ich freue mich dann auf Deinen Besuch. Denn ja: Geben und Nehmen. :D

Viele Grüße,
Maria

 

Ja, lieber Friedel, ich wäre Dir immer noch dankbar, selbst wenn Du mich beschimpfen würdest, da hast Du mein Wort darauf. Du hast es auch richtig erkannt, Dein geschätzter Einfluß ist unbestreitbar in 'Vedad' wiedererkennbar. Nenne es Hommage oder Assoziation, primär ist es Dankbarkeit.
DAnke, dass Du mich aufklärst hinsichtlich der Stummheit der Deutschen, als Lateiner habe ich mir nie darüber den Kopf zerbrochen, woher der Begriff stammt. Auch wir verwenden den gleichen Begriff, nur fehlt uns dafür der sprachliche Zugang. Das hier mit den Fischen aber hat nichts damit zu tun. Ich glaube, Du es weißt es auch selber, nur hast Du es auf Deiner unverkennbaren Art aufgegriffen und dem Ganzen eine ganz neue Dimension verliehen. Wie immer, Hut ab!

Ich möchte nicht vermessen klingen, aber gibt es hier vielleicht die Möglichkeit experimmentelle SAchen zu posten? Wie ich Maria schon sagte, ich wollte einfach mal etwas Neues ausprobieren und mir eine Meinung dazu holen. Dass das hier gelandet ist, unfertig und voller Fehler, ist ein Umstand, der mir selbst nicht behagt. Besonders da - wie Du schon weißt - ich den Anspruch habe für den Leser zu schreiben, und nicht in erster Linie für mich. Eure Hinweise treffen nicht auf taube Ohren, es ist eine Selbstverständlichkeit mich für die Ungeduld zu entschuldigen. Dennoch, vielleicht könnt mir eine Information zukommen lassen, wie man in so einem Fall verfährt.

Liebe Grüße

Tanghai

 

Heyho, Tanghai

Ich bin's nochmal.

Ich möchte nicht vermessen klingen, aber gibt es hier vielleicht die Möglichkeit experimmentelle SAchen zu posten? Wie ich Maria schon sagte, ich wollte einfach mal etwas Neues ausprobieren und mir eine Meinung dazu holen. Dass das hier gelandet ist, unfertig und voller Fehler, ist ein Umstand, der mir selbst nicht behagt.

Ja. Es gibt eine "Experimente"-Rubrik hier auf der Seite, allerdings, wenn Du Dir die Regeln der Rubrik durchliest, wirst Du sehen, dass Dein Text eindeutig nicht experimentell ist. Experimentell bedeutet hier, dass Du Dir eine Regel auferlegst, nach der Du schreibst, z.B., dass Du nur bestimmte Wörter verwendest. Dein Text ist sehr klassisch aufgebaut.

Ich weiß, dass es für Dich ein Experiment ist. Du hattest mir den Text ja gestern schon geschickt. Was ich Dir empfehlen würde, wenn Du nur ein "gut so" oder "bleib beim Alten" hören möchtest, ist, den Text einem Vertrauten zu schicken und ihn genau das zu fragen. Genau das hast Du getan. Ich bitte um Entschuldigung, dass ich gestern nicht sofort reingeschaut habe. Du hast ja schon gemerkt, dass ich nicht immer sofort antworte. Ich lese Mails häufig beim Aufstehen und vergesse, nach dem Frühstück zu antworten. Es ist also nicht böse gemeint. Da hättest Du gerne nochmal nachfragen können. Tut mir sehr leid. Aber so würde ich an Deiner Stelle auch in Zukunft vorgehen.

Da ich den Text jetzt schon einmal habe, wie ich gerade feststelle, kann ich gerne nochmal die Fehlerchen korrigieren und ihn Dir zurücksenden. Oder sag mir lieber kurz, ob Du großflächige Veränderungen vornehmen willst, weil es sich dann ja nicht so richtig lohnt, den alten Text zu korrigieren. ;)

Wie gesagt, es wäre meiner Meinung nach sehr nützlich für Dich, jemanden zu haben, der einfach alles mal anschaut. Ich vermute, dass die meisten, die hier regelmäßig schreiben, so eine Person in ihrem Umkreis haben. Und Du darfst mich, da ich mich da schon angeboten habe, gerne auch "nerven". Ich habe mich schließlich ganz freiwillig angeboten. Natürlich ist es auch okay, wenn Du Dir jemand anderes suchst - jemand, der einen gut kennt, ist da sicher auch sehr nützlich, da muss man auch nicht solche Hemmungen haben. Wie gesagt, für mich ist diese Person meine Omi. Sie hat mir Zeichensetzung beigebracht und alle meine Geschichten gelesen, seit ich ein Kind war. Aber vertraue Dich jemandem an, frage immer wieder nach, suche das Gespräch. Allein, über seine Geschichten zu sprechen, kann einen so weit bringen.

Viele Grüße,
Maria

 

Hallo Tanghai,

wie "deutsch" mit "stumm" gleichgesetzt werden kann, erklär ich mir - eine andere Erklärung ist mir nicht bekannt -, dass ein Pole/Tscheche oder sonstwer unserer östlichen Nachbarn am Niederrhein oder in Friesland langlief und zwo Eingeborenen, die schweigend auf einer Bank an Rhein oder Dollart saßen, einen "guten" oder gar "wunderschönen guten Tag" wünschte und mitbekam, dass die beiden Begrüßten sich verwundert anschauten und "Quatschkopp" ohne Tagesgruß "tach" (mit weichem "d" statt des harten "t" auf niederländischer Seite) oder "moin" schwätzten.

Und dass ich irgendwen beschimpfen könnte, liegt mir so fern wie der erste schriftliche Nachweis des fri(e)del/vridel unter den Linden mit Walther von der Vogelweide.

Ich möchte nicht vermessen klingen, aber gibt es hier vielleicht die Möglichkeit experimmentelle SAchen zu posten? Wie ich Maria schon sagte, ich wollte einfach mal etwas Neues ausprobieren und mir eine Meinung dazu holen.
Maria hat ja schon geantwortet und - zumindest die alten Hasen hierorts werden es bestätigen - ich bin das personifizierte Experiment, nicht nur mit lyrischer Prosa und prosaischer Lyrik, sondern auch mit gemäßigter Kleinschreibung und ihrer Verbrüderung mit der Lautschrift, wenn's denn sein muss.

Dass das hier gelandet ist, unfertig und voller Fehler, ist ein Umstand, der mir selbst nicht behagt.
Muss es jetzt nicht mehr, nimm's einfach als ein Hineinstolpern, wie's halt so kommt im "jugendlichen" Übermut. Aber - ich weiß nun nicht, woher TeddyMaria kommt - der Niederrheiner - wie ich - weiß nix, hat aber zu allem was zu sagen und weiß vor allem alles besser ...

N'abnd (goedenavond)!

het windje

 
Zuletzt bearbeitet:

Tanghai schrieb:
Ich habe mit Lin lange nicht mehr gesprochen. Wir besuchen ihn manchmal im Krankenhaus. Lin hat beschlossen nicht mehr zu sprechen. Er sitzt nur da und starrt vor sich hin. Wir spielen ihm Chopin vor, die Mazurkas, die er so mochte. Wir lesen ihm auch vor. Lin bleibt stumm, schaut uns nicht an. Meine Mutter frisiert ihn, macht ihm die Haare. Wenn sie das macht, dann halte ich den Spiegel. Aber Lin ist höflich, schaut da nicht rein. Er lässt sich Zeit, blickt noch daran vorbei.
Teddy Maria schrieb:
Allerdings habe ich mich ab dem vorletzten Absatz gefragt, was Du eigentlich erzählen möchtest.

Tanghai schrieb:
Ich werde noch etwas über Lin einfügen, damit das Ende schlüssig wird. Es hat kein Sinn, dir meine Absicht dahinter zu erklären, was ich damit meine.
Da bin ich mal sehr gespannt, ob es dazu kommt.:D

Lieber Tanghai,

denn es ist leider so, dass auch für mich dein Text leider überhaupt nicht schlüssig ist und mir die Aussage und das Anliegen des Autors am Ende völlig unklar bleiben.

Du erzählst eine ganze Menge über den Ich-Erzähler, über Vedad, über Lin, über den Vater, über die Mutter, über das Lokal, dass noch nicht abgebrannt ist, über den Vater als Koch, darüber, dass es jetzt einen anderen Koch gibt, dass Lin im Bett wimmert, dass Lin im Krankenhaus liegt, nicht mehr sprechen möchte usw. usw. Nur frage ich mich: Warum erzählt er mir das alles? Warum erzählt er so viel über Vedad? Was hat das alles mit dem Ende und Lin zu tun? Und ich könnte noch sehr viele weitere Fragen formulieren.
Dabei finde ich deine Erzählstimme gar nicht mal schlecht. Es gefällt mir, wie du den Alltag deiner Personen beschreibst und sie charakterisierst. Aber all das müsste zum Schluss einen Sinn ergeben, müsste am Ende auf irgendeinen Fluchtpunkt zulaufen. Das tut es für mich (jetzt noch) nicht. Warum das so ist, kann ich nur vermuten: Vielleicht hast du gar keinen Plan gehabt, hast einfach nur drauf losgeschrieben und dich so in Einzelheiten verloren? Welchen Sinn haben all die Bemerkungen über Vedad, über die Ausbildung des Vaters, die Situation der Mutter im Lokal, über die Unterschiedlichkeit der beiden Brüder? Sie stehen in deinem Text nebeneinander, ohne dass ich am Ende das sie Verbindende erkenne.

Tanghai schrieb:
Du weißt ja selber, wenn solche Fragen aufkommen, dann hat man seine Arbeit schlecht getan.
Ja, du hast deine Arbeit für mein Empfinden schlecht getan, weil deinem Text das Konzept fehlt. So bleibt das Vergnügen auf der Seite des Autors: Ihm hat es Spaß gemacht, das alles niederzuschreiben. Nur, was ist mit mir als Leser? Ich bin deinen Ausführungen interessiert gefolgt und werde am Ende enttäuscht. Es entsteht kein Gesamtbild, in das ich als Leser alle erwähnten Einzelheiten einordnen kann, in dem sie einen Sinn ergeben.
Und das dann als ‚experimentielles' Unterfangen zu verkaufen, halte ich - mit Verlauf - für eine Ausrede. Mir drängt sich der Verdacht auf, dass da jemand Spaß am Niederschreiben hatte, aber dann keine Lust mehr hatte, aus all dem eine wirkliche Geschichte zu formen.

Und deshalb habe ich Probleme, dir diesen Satz abzunehmen:

Tanghai schrieb:
Besonders da - wie Du schon weißt - ich den Anspruch habe für den Leser zu schreiben, und nicht in erster Linie für mich.

Aber ich kann mich täuschen, denn du versicherst uns ja:

Also lieber überarbeiten anstatt zu erklären.
Ich bin gespannt.

Zum Schluss noch eine Hilfestellung zur Grammatik (wenn du daran interessiert bist):

Wir können es uns nicht leisten, ein(en) Koch einzustellen.
Da wir kein(en) Computer und keine Spielkonsole haben …

Vedad kann sein(en) Blick nicht von ihr lassen

u.v.a.m.

Im Deutschen folgt den meisten Verben ein Akkusativ-Objekt (haben, essen, trinken, nehmen usw.). Viel seltener erfordern sie den Dativ oder den Genitiv.
Die wichtigsten findest du hier:
http://www.graf-gutfreund.at/daf/02grammatik/02nomen&pronomen/ue03_Akkusativ_verben.pdf

Liebe Grüße
barnhelm

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe barnhelm,

ich freue mich über Deinen Kommentar. Ich versuche darauf so gut es geht zu antworten und bitte entschuldige, wenn ich nicht zu allem etwas sagen kann. Es bleibt so viel zwischen den Zeilen hängen, aber so ist nun mal die Schrift, mühsam, und was die Informationsübertragung betrifft, noch immer ungenau.

Vielleicht hilft es Dir zu wissen, dass ich, bevor ich losschrieb, mir einen Plan zurechtgelegt habe. Ich wollte etwas aus der Sicht eines asiatischen Jugendlichen erzählen, der mit seiner Familie nach Deutschland kam. Bevor ich das tat musste ich mich vergewissern, dass ich ein Mindestmaß über die asiatische Kultur Bescheid weiß. Ich schrieb diesen Text in der Hoffnung, dass wenn ein Asiate ihn lesen würde, er der Meinung wäre, ein anderer Asiate hätte den Text geschrieben. Ziemlich hochgegriffen, nicht wahr?

Das Setting ist die Großstadt. Das ist uns bekannt und auch Vedad ist uns viel näher als man denkt. Wir kennen die Türken, wie sie ticken, wir kennen ihre Werte, ihre Religion. In Vergleich zu einem Chinesen sind uns die Türken viel näher. Auch wenn sie immer wieder als fremd bezeichnet werden, als orientalisch und exotisch. Doch was wissen wir über Asiaten? Gelbe Gefahr, Kampfsport, Handel, Essen, Kalligraphie, etc.. Lauter nichtssagende Plattitüden, lauter Klischees.

Ich würde Dich persönlich fragen, was du mir über den Charakter des Vaters sagen kannst? Kannst Du mir sagen wie sein Wertesystem funktioniert, was er alles gelernt hat, wie er die Welt sieht? Ich vermute mal – sicher kann ich mir natürlich nicht sein – nicht. Wieviel mehr könntest du mir aber sagen, wenn ich statt der Kalligraphie die Philosophie genommen hätte, wenn der Vater als Philosophieprofessor eingeführt worden wäre. Dass aber die Kalligraphie der Philosophie in nichts nachsteht, das ist eine Tatsache. Nur erfahren kann man das schlecht, weil ein Heranwachsender hier erzählt. Er kann noch nicht differenzieren. Und deswegen bezeichne ich das alles als Experiment, weil ich das gerne erzählt hätte. Die Unterschiede der kulturellen Werte. Die Tiefe einer anderen Kultur. Aber ich bin nicht der Erzähler, der Junge ist es.

Du wirst erstaunt sein zu erfahren, dass Pascal einst sagte: „Moses oder China, nichts anderes gibt es.“ Damit hat er angedeutet, dass nur die chinesische Kultur das Andere darstellt, das Andere woran wir unsere Werte prüfen können, denn die Chinesen kamen in fasten allen Dingen zu anderen Rückschlüssen als wir. Wenn ich „wir“ sage, meine ich damit auch die Jihadisten, die Salafisten und die anderen Exoten, die in diesem Kontext uns viel näher stehen als es uns lieb ist. Doch die Chinesen haben nichts für Religion übrig. Sie haben andere Werte. Hmm …

Für uns sind die monotheistischen Schriften die Quelle, woraus wir unsere Werte beziehen. Friedrichard nennt es mosaische Religion. Darin haben wir eine Parabel, wo Gott den Lauen ausspuckt und dabei sagt, Ihm wäre es lieber, wenn man heiß oder kalt wäre. Doch lau zu sein, das ist dem mosaischen Gott verhasst. Ich darf dir aber erläutern, dass in der Kultur Chinas der höchste ästhetische Ausdruck nicht in der Kälte, noch in der Hitze angesehen wird. Gerade die Lauheit wird hier als höchste Kunst angesehen und das ist uns nicht nur fremd, es stößt uns förmlich ab.

Ich sehe, Du liest Murakami. Auch ich mag seine Bücher, doch erlaube mir Dir zu sagen, dass Murakami mehr Europäer ist als Asiate. Wenn Du aber etwas über das wirklich Andere erfahren möchtest, so lege ich Dir das kleine aber feine Buch eines französischen Philosophen ans Herz, Francois Jullien – Über die Fadheit. Darin erläutert er das oben Gesagte, viel besser als ich, anschaulich, anhand von Gemälden und Gedichten. Du wirst erstaunt sein erfahren, dass China nie eine Literaturtradition hervorgebracht hat. Dass die Chinesen Romane als minderwertig bezeichnen, weil sie den Leser an der Hand nehmen und ihm die Sachverhalte wie einem Kind erklären. Dadurch wird der Leser unmündig, kann nicht selbst denken, der Autor denkt dabei für ihn. Die Dichtkunst ist ihnen viel lieber, weil das Gedicht den Geist beflügelt und jeder wird dadurch bewegt zum Denken. Wie Du siehst, es gibt viele Sachen, die man hiervon lernen kann, besonders da wir in eine Kultur leben, die die Erzählung, den Roman, als höchste Kunst ansieht.

Ich hatte also versucht, all diese Informationen zu verarbeiten. Darüber hätte ich gerne und viel gesprochen und viele andere Sachen noch dazu erzählt. Aber mir sind die Hände gebunden, die Form der Ich-Erzählung erlaubt mir das nicht. Hätte ich den Vater als Erzähler gehabt, so hätte ich wesentlich mehr dazu sagen können. Ich aber bin noch ungeübt im Schreiben, das hebe ich mir lieber für später auf. Ich habe aber einen Jugendlichen, der hier erzählt, und er macht unschuldige Dinge, wie in einem Mark Twain Roman: er geht fischen, knabbert Sonnenblumenkerne, lernt Mädchen kennen. Noch ungeschickt gab ich ihm einen Spiegel mit auf dem Weg, als Hinweis, dass sich die Handlung an ihm spiegelt, dass er nur da sein muss um den anderen zu zeigen, wie sie sind. Er ist auch der einzige, der sich nicht verändert, der statisch bleibt und immer wieder reflektiert.

Ich bin mir aber sicher, dass wenn Du diese Informationen hast, dass Du dann die Erzählung anders liest. Dass Du dann selbständig auf die Tragödie aufmerksam wirst, was es heißt in einer Kultur aufzuwachsen, ihre Werte zu verinnerlichen, um dann in der Fremde daran zu scheitern, denn das Fremde tickt ganz anders. Sie hat nichts übrig für dein Bildungsbürgertum. Die neue Kultur hat nichts für deine Feingeistigkeit übrig. Sie will banale Dinge, will mit grobe Nahrung gefüttert werden. Sie will dir Deine Frau wegnehmen und du musst entsetzt zusehen, wie Männer mit ihren Blicken deine Frau ausziehen. Unglaublich schmerzhaft ist sowas. Und das ist etwas, was du selten von Migranten hörst. Es ist aber da, rund um die Uhr, überall auf der Welt.

Was bleibt in diesem Fall also so einem Menschen übrig, als sein eigenes Fleisch und Blut zu nehmen und es zu opfern, seinem Kind eine Erziehung zukommen zu lassen, die ihm und der Familie gesellschaftliche Akzeptanz und Anerkennung bringt. Das ist Lin in diesem Fall. Und dass Lin daran zerbricht, das will ich mit Absicht Dir nicht zeigen. Du sollst zwischen den Zeilen lesen und hättest du asiatische Bekannten, dann wüsstest Du, dass es Lin gar nicht mal selten in dieser Form so gibt. Es ist nur eine stille Tragödie, die unbemerkt vor unsere Augen abläuft. Wir sind mit andere Sachen beschäftigt, zugegeben. Ich finde es aber gut mich dieser Sache als Autor zu widmen. Und aus Anerkennung erzähle ich in diesem charakteristischen Stil, ganz flach.

Verzeih mir bitte, wenn ich so weit aushole. Es ist aber das zweite Mal, dass Du Dich kritisch zu mir äußerst und obwohl Du sachlich und konstruktiv dabei bist, komme ich nicht umhin zu merken, dass zwischen Deinen Zeilen eine Art von Kritik sich verbirgt, etwas was sich schwer in Worten zu fassen lässt. Daher habe ich mir jetzt die Zeit genommen Dir ausführlich zu antworten und ich mach‘ das ganz chinesisch, ohne heiß oder kalt dabei zu werden. Ich komme Dir menschlich entgegen, gebe zu dass meine Rechtschreibung zu wünschen übrig lässt, dass auch mein Schreibstil nicht besonders prickelnd ist, versichere Dir aber, dass ich mich um Verbesserung bemühe. Ich möchte nicht belehrend auftreten, ganz im Gegenteil, ich möchte Dir hiermit etwas zeigen, was auch Dich zum Wachstum bringt, Dir neue Perspektiven öffnet. Das ist auch etwas, was uns mächtig fremd ist. Wir sind es gewohnt zornig zu reagieren, Kritik persönlich zu nehmen. Und das ist etwas für uns Charakteristisches, etwas was man nur von außen sehen kann: wir sind grobe Krieger, keine Intellektuellen. Wir wissen viel mehr darüber Bescheid auszuteilen, als dass wir darum bemüht wären, harmonisch miteinander umzugehen.

Lass uns mal uns Vedad anschauen, warum ich so viel über ihn erzähle. Wie ist mit Dir, liebe barnhelm, kennst Du das aus Deiner Schulzeit auch? Dass man anstatt Pausenbrote, Sonnenblumenkerne mit in die Schule bekommt? Ich dachte das wäre Indiz genug um zu begreifen, was Vedad für ein Junge ist, in was für eine Welt er sich bewegt. Dass das nur Migranten um ihn herum sind und was das Lernen angeht, das Lernen beschränkt sich nur darauf Regeln zu befolgen. Nichts von Wachstum um ihn herum, niemand der sich seiner annimmt, ihn fördert. Doch Vedad ist ein guter Junge, anstatt dass er sein Vorteil sucht, nimmt er sich eines Schwächeren an. Er hilft dem Ich-Erzähler, bringt ihm Deutsch bei. Und später bekommt er das zurück, der Prot fördert Vedad, bringt ihn dazu im Klassenzimmer weiter vorne zu sitzen.
Um noch deine Frage zu beantworten, ich dachte dass man durch Reflexion begreift, dass die Familie sich nur auf ein Kind konzentrieren kann. Dass nur Lin alle Ressourcen zur Verfügung gestellt bekommt und dafür muss der Prot in der Küche arbeiten, etwas was ihm zutiefst verhasst ist. Er sagt es aber nicht – ganz der chin. Tradition verpflichtet – deutet nur den infantilen Wunsch an, die Küche möge abbrennen. Er fügt sich aber, da auch das Tradition ist, ein Familienmitglied zu wählen, der es einmal im Leben zu etwas bringt.

Eigentlich ist mein Thema nicht nur die Fremdheit, es ist auch eine Geschichte aus Berlin. Da Berlin mit so vielen Klischees behaftet ist, habe ich versucht mich davon fernzuhalten, nicht einmal der Name der Großstadt zu erwähnen. Besonders da vor kurzem hier eine Geschichte gepostet wurde, die ausschließlich damit um sich warf: Neukölln, Burkas, Berliner Kindel in der U-bahn usw.

Ich hoffe, meine Erläuterungen haben dich gütiger gestimmt. Ich bin ja trotzdem weiterhin der Meinung, dass ich mein Job als Autor noch nicht gut machen kann. In unserem Fall aber, war die Erläuterung nötig.


Liebe Grüße liebe barnhelm,

Tanghai

 

Lieber Tanghai,

danke für deine sehr ausführliche Antwort auf meinen Kommentar. Und in der Tat verstehe ich dich und deine Intention jetzt wohl viel besser. Ich glaube nun zu begreifen, worauf es dir ankommt. Interessant finde ich deine Idee:

Ich habe aber einen Jugendlichen, der hier erzählt, und er macht unschuldige Dinge, wie in einem Mark Twain Roman: er geht fischen, knabbert Sonnenblumenkerne, lernt Mädchen kennen. Noch ungeschickt gab ich ihm einen Spiegel mit auf dem Weg, als Hinweis, dass sich die Handlung an ihm spiegelt, dass er nur da sein muss um den anderen zu zeigen, wie sie sind. Er ist auch der einzige, der sich nicht verändert, der statisch bleibt und immer wieder reflektiert.
Nur frage ich mich am Ende immer noch, was genau dieses Ich widerspiegelt? Was passiert in deiner Geschichte konkret? Was ist mit Lin geschehen, der am Ende im Krankenhaus liegt und nicht mehr sprechen möchte. Da bleibt deine Geschichte für michzu vage. Zumindest diese Leerstelle müsste sich für mich schließen, damit ich verstehe, welche Bedeutung den anderen Einzelheiten deiner Geschichte zukommt.

Noch kurz zu Murakami: Dass ich ihn lese, bedeutet nicht unbedingt, dass mir gefällt, was ich lese. :)

Liebe Grüße
barnhelm

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe barnhelm, danke für Dein Verständnis.

WAs Deine Frage betrifft, so habe ich das ganz am Ende zu beantworten versucht. Der Junge hält den Spiegel, der Bruder scheut sich darin zu blicken. Ich nenne das "höflich", wie Du dem Kontext meiner Erläuterung entnehmen kannst. Tatsächlich ist es Widerwille, das ganze System, die TRadition infrage zu stellen. Und nur darüber habe ich mir sehr lange den Kopf zerbrochen, wie ich das zum Ausdruck bringen kann. Es fiel mir nichts anderes ein, als die Antwort in der Zukunft zu verlegen. Und das deute ich mit den allerletzten Satz an:

Er lässt sich Zeit, blickt noch daran vorbei.
Das "noch" ist hier der Schlüssel. Denn wenn er in den Spiegel blickt, dann muss er handeln. Wie er das tut, das traue ich mich nicht vorauszusehen. Wir Europäer haben da ein probates Mittel, so etwas in Angriff zu nehmen: wir rebellieren, schließen uns einer Clique an, nehmen Drogen, gehen aus, usw. Die Kultur Chinas geht damit aber anders um. Sie wiegt schwer und kann erdrücken und ich kenne persönlich kein BEispiel, wie man sich erfolgreich dieser Verantwortung entzieht. Aber Lin ist nicht mehr in China, vielleicht trifft auch er auf einen "Vedad", der ihm dabei hilft, sich davon zu emanzipieren. Und das wird er tun. Er läßt sich aber dafür "noch" Zeit.
Ich hoffe, dass Dir in diesem Sinne meine kleine Erzählung gefällt.

Liebe Grüße

Tanghai

 

Hey, Tanghai

Ich muss nochmal ein dickes Lob für Deine Überarbeitung loswerden. Diese Version ist sehr viel detaillierter und durchdachter als die erste. Der Spiegel spielt jetzt eine Rolle als Charakterisierung Deines Prots. Du hast Dich entschieden, Lin einen Counterpart zu geben, der uns einen klareren Blick auf ihn gibt. Jetzt kann ich erahnen, was mit Lin geschehen ist.

Ich habe, ehrlich gesagt, nicht die riesigen Texte vollständig gelesen, die Du hier in den Kommentaren geschrieben hast. Denn zu mir hast Du ja mal gesagt, dass Du es nicht erklären willst, sondern dass die Geschichte es selbst erklären muss. Irgendwie hast Du jetzt doch damit angefangen, denke ich.

Ich glaube, das ist auch ein Problem, das ich immer noch sehe. Du hast so unglaublich viele sehr bedeutungsvolle Gedanken (die Schwierigkeiten damit, Tradition infragezustellen, und so was), und ich glaube, es ist auch sehr viel, was Du auf einmal sagen wolltest. Da haben wir einmal Deinen Prot, der durch einen Spiegel identifiziert wird, mit dem er die Menschen und ihre wahren Gefühle wahrnehmen kann. Er ist also außergewöhnlich empathisch, und sein Vater findet das unhöflich. Am Ende erleben wir, wie er erfolgreicher wird, sich aus seinem Kokon befreit. Dann haben wir Vedad, der zufrieden mit dem Leben scheint, so wie es ist. Dein Prot stellt sich ruhige, idyllische Zukunft für ihn vor. Und dann Lin, der nichts macht, sondern nur gemacht wird und darunter schrecklich leidet. Das Problem ist: Ich sehe kein großes Bild.

Ich glaube, das wäre kein Problem für mich, wenn es einfach irgendjemandes Geschichte wäre. Sie ist gut. Sie hat Atmosphäre, sie ist so einfühlsam und schön zu lesen. Ich bin beeindruckt davon, wie stark Du Dich in so kurzer Zeit entwickelt hast, wie biegsam Du in Deinem Schreibstil bist. Ich ziehe meinen Hut vor dieser Geschichte, v.a., wenn ich an die anderen Geschichten denke, die ich von Dir gelesen habe. Ich wünschte, ich könnte mich auf die gleiche Weise entwickeln.

Allerdings fürchte ich, dass Du alles Mögliche mitteilen möchtest und dass es so viel und so verschnörkelt ist, dass es einfach verschwindet. Die Frage ist, ob Du damit leben kannst, jetzt wo Du angefangen hast, die Geschichte zu erklären. Denn sie sollte natürlich ohne hundertseitigen Interpretationsleitfaden funktionieren.

Wie gesagt, das sind Gedanken auf einem sehr hohen Niveau, die ich mir nicht machen würde, wenn ich nicht in letzter Zeit so viele Einblicke in Deine Art zu schreiben und die Ideen, die Du transportieren möchtest, gehabt hätte. Die Geschichte könnte meinetwegen auch so bleiben und wäre gut.

Viele Grüße,
Maria

 

Danke vielmals Maria,

danke für die Ehrlichkeit und danke auch für den Lob. Ich hatte die gleiche Rückmeldung von barnhelm, auch sie war so nett sich die Geschichte nochmal durchzulesen und auch sie kam zur gleichen Ansicht: es fehlt immer noch ein Plot.
Ich stimme euch beiden zu. Es ist so wie es ist. Ich hatte selbstverständlich versucht, noch mehr dazu zu schreiben, eine Plotline zu entwickeln. Dabei kam ein Monstrum raus - eine wohlgesinnte Freundin hatte etwas Ähnliches über ihre Geschichte erzählt - ein Monstrum, das sich wirklich schwer lesen ließ. Also lasse ich vorerst die Finger davon, ich denke, auch so wie sie ist transportiert die GEschichte wenigstens ein Gefühl. Sollte sich mein Können in naher Zukunft verbessern, dann komme ich hier zurück und schaue was sich daraus machen lässt.
Dennoch war dieses "Experiment" lehrreich, ich denke, ich habe jetzt ein, zwei Sachen verstanden. Und du hast recht, ich bin meinem Vorsatz untreu geblieben, auf Erklärungen zurückzugreifen. Wenn ich einige Kommentare hier lese, dann seh ich Friedrichards Bemerkung, er nennt es "jugendlichen Übermut". DAs stimmt ja auch, was meine Begeisterung fürs Schreiben angeht, so bin ich tatsächlich hier noch zu ungestüm. Ich bin mir aber sicher, es wird sich bald legen.

Frohes Schaffen

Tanghai

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom