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Duell mit dem Großen Autoren
Duell mit dem Großen Autoren
Satt. So satt. So elendig satt. Noch nie im Leben hatte er das Leben so unsäglich satt gehabt. Nicht das Leben an sich. Das Am-Leben-Sein. Sondern einfach nur die verdammte Rolle, die man ihm darin geschrieben hatte. ‚Regie!' zu brüllen, war mit achtzehn cool gewesen. Heute ging nichts mehr.
"Schneid mich halt raus! Ich bring eh keine Quote..." Nach drei Bier mochte er sich selbst nicht mehr zuhören. Nach vier oder fünf ohrfeigte er den Spiegel. Was danach geschah, wusste nur noch der Wirt. Und der schwieg. Und verdiente.
Das Vertrackte an seiner Situation war, dass er keinerlei Mitspracherecht hatte. Niemand hatte ihm je die Chance gegeben, seinen Weg zu bestimmen. Und nicht mal eine Falltür war im Drehbuch seiner eigenen daily soap. Stattdessen floss er Tag für Tag wie Schmierseife durch das, was er gezwungen war, Leben zu nennen.
"Ich kann dich ja verstehen", murmelte er in Richtung des Großen Autors. "Ich würd ja auch von mir wegzappen, wenn ich du wär. Wenn ich du wär... du wär..." Und er spülte das dritte Bier mit dem vierten hinunter. Später in der Nacht grölte er eine Hauswand hinauf, er wolle rausgeschrieben werden. Einfach raus. Keine Abfindung, keine letzte Gage. Eine Reaktion bekam er nicht. Nicht einmal das.
Nach Jahren des Haderns fasste er noch einmal den Mut, sich mit dem Großen Autoren anzulegen. "Entweder du schreibst mich raus, oder... oder... oder", und von einem Geistesblitz getroffen, flacktere die Erkenntnis in seine Gedanken. "Oder du schreibst mir eine "Sie" hier rein. Ich bin ein Film, in dem die weibliche Hauptrolle fehlt, oder so ähnlich. Muss ja ein Flopp sein."
Unendliches Vertrauen in den Großen Autoren zu setzen erschien ihm aber bei genauerer Betrachtung während Bier Nummer zwei zu riskant. Unter Zuhilfenahme von Glas drei bis sieben loggte er sich daher erfolgreich ein. Überall, wo es nackte oder willige Frauen gab. Oder einsame. Oder suchende. Oder überhaupt irgendwelche.
Wem es letztendlich zu verdanken war, dass er sie traf, mochte er nicht mehr entscheiden. Ebenso wenig, wem es zu verdanken war, dass sie ihn mochte. Sicherheitshalber schob er die Verantwortung dem Internet zu. War es dagegen der Große Autor, so konnte diese Seifenblase zerplatzen, wie jede zuvor.
Vertrauen in Technik stand eindeutig vor dem Vertrauen in Güte oder Glück. Lass bloß Gnade oder Verständnis aus dem Spiel.
Ob er sie mochte. - Wie konnte er nicht!
Was an ihr besonderes sei. - Alles. Vor allem, dass sie mit ihm sprach.
Wann sie sich treffen sollten. - Jeder Augenblick des Zögerns konnte fatale Folgen haben. Am besten gestern, also morgen früh.
Der Große Autor verspottete ihn. Mit schillerndem Aprilwetter. Wuselnden Wolken, giggelnden Regenschauern und blinzelnder Sonne. Wann je hatte man von einem erfolgreichen ersten Date gehört, dass bei planlos wechselndem Wetter stattfand. "Dann zapp doch gleich wieder vorbei!", schrie er, noch bevor er das Haus vollends verlassen hatte.
An der Haltestelle verkroch sich eine gelangweilte Gruppe Wartender unter das Schutzdach. Er dagegen blieb mitten im Regenschauer stehen.
Die Bahn ächzte heran, die Türen sprangen auf und die Bahn kotzte ihm vor die Füße. Ein undefinierbarer Schwall riechenden Mensches ergoss sich über den gesamten Bahnsteig, floss um ihn herum und versickerte letztendlich zum größten Teil in der Unterführung. Der nächste Regenschauer würde sie auf der anderen Seite wieder hervorspülen. Unausweichlich.
Angewidert betrat er die Bahn, in der es noch nach den Erbrochenen roch. In stetigem Kreislauf, durchgeschleuste Nasse - Jackenträger, hatten eine Moderluft hinterlassen, die ihn schaudern ließ. Allein der Duft des verschütteten, jetzt kalten Kaffees hielt ihn wach.
Nur Minuten zum Café. Minuten, die er in Anbetracht seiner späteren Entdeckung am liebsten verlängert hätte. Ins Unendliche verzerrt und verklärt. Wo ist ein Fade-out, wenn man eines braucht? Wünsche gehen in Erfüllung, nur will man niemals wirklich, was man wünschte! Schon gar kein Fade-out.
Sie hatte schon einen Tisch gewählt. An der hinteren Wand des Cafés. Der Ruhe wegen, damit man sich kennen lernen könne. Das aber war nicht der einzige Grund, der es ihm schwer machte, sie zu entdecken.
Mit einer verzweifelten Geste wandte er sich an den Großen Autor: "Wie, zum Teufel und Lektoren, kannst du mir das antun! Das kann nicht dein Ernst sein! Es reicht. Endgültig! Die ist ja so was von unauffällig! Da muss ich ja die Wand hinter ihr angucken, um zu wissen, ob diese Szene schwarz-weiß ist! Das - stand - nicht - in - meinem - Vertrag!"
Ohne je ein weiteres Wort zu sprechen, stürzte er hinaus auf die Hauptstraße und ließ sich von einem vorbeirasenden LKW endgültig rausschreiben.