Dualismus
Professor Schwarz steuert seinen Wagen ruhig über die vierspurige Straße. Der kleine Vierzylinder knattert ruhig vor sich hin und hinterlässt dabei einen blauen Dunst. Schwarz sieht dies im Rückspiegel. Es stört Ihn aber auch nicht weiter, da er als Hobby-Bastler nicht über das nötige Werkzeug für die richtige Gemisch Einstellung verfügt.
Generell stören Ihn kleine Fehler in Gebrauchsgegenständen nicht weiter. Wenn man sich wie er, meist in abstrakten Sphären der Quantenphysik bewegt, wird sowieso alles andere nebensächlich. Er sagt immer:“Ein Gebrauchsgegenstand ist für den Gebrauch zuständig, er hat zu funktionieren und nicht gut auszusehen.
Er kam nun vorbei an den verglasten Fassaden der Hafen-City, hin zu den Elbbrücken. Von dort aus hat man einen tollen Blick auf den Hafen. Das ist wohl auch der Grund, warum sich dort so viele Hobby-Fotografen an sonnigen Wochenenden tummeln und man vor lauter geparkten Autos kaum noch um die leicht gezogene Kurve kam. An diesem Tag allerdings muss man keine Angst vor „zweite Reihe Parkern“ haben. Eine komplett geschlossene Wolkendecke hängt am Himmel. So tief, dass man sie vermeintlich berühren könnte.
Schließlich biegt er jetzt auf den schmalen Parkplatz, der sich parallel zu einem alten Schuppen befindet. Schuppen werden die Lagerhäuser im Hafen genannt.
Er stellt also den Motor ab und fängt an in seiner Tasche, die auf dem Beifahrersitz liegt, nach seinem kleinen braunen Notizbuch zu suchen. Als er sich wieder zurück dreht, steht dort plötzlich ein Mann an seiner Tür. Schwarz schreckt zusammen. Doch nach einem kurzen Moment der Besinnung steigt er aus.
„Guten Tag“, sagt der kleine hagere Mann zu Ihm, der einen schmuddeligen blauen Kittel trägt und seine paar Haare zu einem adretten Scheitel zur Seite gekämmt hat.
„Sie müssen Professor Schwarz sein“.
„Das ist richtig“, erwiderte Schwarz.
„Lemke, wir hatten vorhin telefoniert.“
Sie geben sich die Hand, dabei lässt Schwarz seinen Blick über das Gelände schweifen.
An die Lagerhalle grenzt noch ein kleineres Häusschen. Die Doppeltür an dem Häusschen ist komplett geöffnet.
„Sie können sich in der Halle komplett umschauen. Aber nicht länger als 18Uhr!“, kam etwas gnatzig von dem Herrn, der die Sechzig wohl schon weit überschritten hatte.
„Dann will ich hier auch spätestens los. Falls Sie Fragen haben, ich bin drüben in der Werkstatt.“
Schwarz nickt dankend und schaut dem Alten noch ein paar Schritte hinterher.
„Achso“, der Alte dreht sich nochmal um und kommt wieder ein kleines Stück auf Ihn zu.
„Eine Frage hätte ich da noch. Sie sagten doch, Sie seien Physiker“.
Schwarz nickte.
„Was sucht denn ein Physiker auf einem alten Tatort?“.
„Wenn ich das selbst so genau wüsste“ ,antwortet Schwarz betonend seufzend, sodass es Ihm selbst schon als eine Lüge vorkam.
Aber es war keine Lüge, er weiß selbst nicht wonach er hier suchen sollte.
Vielleicht nach Hinweisen, Spuren? Innerlich lacht er über diesen Gedanken, da er sich vorkam wie bei diesen neuen amerikanischen Krimiserien, wo mit neusten Hightech Geräten nach der angeblichen Wahrheit gesucht wird.
In der Mitte der Halle angekommen, dreht sich Schwarz im Kreis und schaut sich jeden Bereich der Halle genau an. Sein Blick bleibt haften an dem alten Schild, welches abmontiert und an die eine Wand gelehnt wurde. Auf dem Schild war in altdeutscher Schrift zu lesen: „Rauchen verboten!“.
Hier ist es also passiert, denkt er sich.
An diesem Ort ist vor etwa drei Monaten eine junge Frau gestorben. Das bizarre: es gab keinerlei Anzeichen auf Fremdeinwirkung oder Organversagen.
Natürlich ist dies teilweise schwer nachzuweisen, aber in diesem Fall, konnte dies auf keinen Fall ein Herzinfarkt oder ähnliches gewesen sein.
Ein guter Freund von Schwarz, Dr. Peter Zerch, den er noch aus der Uni Zeit kennt, war der leitende Gerichtsmediziner. Von diesem hatte er auch gehört, dass das Opfer einen Bluterguss mittig über dem Bauch gehabt hat. Nach der siezierung war allerdings klar, das dieser keinesfalls von einem Schlag gekommen sein kann. Außerdem stellten die Mediziner fest, dass das Gewebe hinter dem Bluterguss komplett zerstört, ja geradezu durchtrennt worden war.
Peter sagte Ihm auch, dass das Gewebe exakt wie nach einem Einschuss aussah. Das konnte aber gar nicht sein, es gab weder eine Eintritts- noch eine Austrittswunde. Es gab auch keine Rückstände von Blei, wie sie nach einem Einschuss üblich gewesen wären.
Fakt ist, die Frau ist an inneren Blutungen, verursacht durch das geschädigte Gewebe gestorben.
Schwarz als Physiker konnte daran erst nichts ungewöhnliches erkennen, aber als Peter Ihm mitteilte, das wohl zur selben Zeit eine gleichaltrige Frau in Hamburg erschossen wurde und das nach der Obduktion fest stand, das biometrisch gesehen die Schusswunde an exakt der selben Stelle war, wie der blaue Fleck der anderen, musste auch er zugeben das es seltsam war.
Die Kriminaltechniker suchen verzweifelt nach einer Antwort. Sowas hatte noch keiner von Ihnen gesehen.
Hier kommt Schwarz ins Spiel.
2005 hatte er mal eine Vorlesung über den Dualismus gehalten. Dualismus beschreibt das Verhalten zweier Objekte. Diese Objekte breiten sich immer entweder als Welle aus, d.h. etwas geschwächt aber über einen großen Raum oder aber als Strahl, d.h. gebündelt geradeaus und in seiner vollen Kraft auf einen Punkt aus.
Beides zusammen müsste sich ja gegenseitig auflösen und ist somit nicht möglich, oder?
Durch verschiedene Messmethoden hat man festgestellt, dass das Teilchen sich sowohl als Welle als auch als Strahl ausbreitet.
Nimmt man nun zwei dieser physischen Objekte, misst eines davon und erfährt das sich dieses als Welle fortbewegt, so kann man davon ausgehen, dass sich das andere ebenfalls als Welle ausbreitet.
Dieses merkwürdige Phänomen nennt man Dualismus.
Einstein legte dieses Ergebnis seinerzeit unter dem Namen: „spukhafte Fernwirkung“ zu den Akten.
Es gibt eine ganze Reihe von Wissenschaftlern die glaubt, dass man dieses Ereignis von der Quanteneinheit, d.h. der kleinsten physische Einheit, auch in einer größere Einheit transferieren kann.
Worauf ich hinaus will: vielleicht ist es möglich das etwas mit einem Menschen passiert, durch die spukhafte Fernwirkung auch einem anderen passieren kann.
„Die müssen wirklich verzweifelt sein“, dachte sich Schwarz, während er kopfschüttelnd aber sehr bestimmend zurück zu seinem Auto ging.