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Du Zwerg, ich Zwerg
Sie hat es schon wieder getan!“, wimmerte Luisa.
Sie stand an der Spüle, ihre Hände rumorten im Wasser zwischen Schaum und Tellern.
„Sie hat sie rausgestellt! Sie hat sie wieder rausgestellt!“
Morten hängte seine Jacke an die Garderobe, packte die Aktentasche neben das Schuhregal. „Was denn Schatz, was ist denn nun schon wieder?“, fragte er, bemüht um Interesse.
„Sie hat sie direkt neben die Auffahrt gestellt!“, entgegnete Luisa, als würde diese Aussage alles erklären. Morten zog die Schuhe mittels der Füße aus. Seine weißen Socken waren an den Zehen angeschwitzt und grau. Er ging zu seiner Frau, legte ihr die Hände auf die Schultern. „Schatz, ich hatte einen schweren Tag! Lass uns nachher darüber reden, ok? Ich brauche erstmal einen Kaffe und fünf Minuten Ruhe.“
Luisa ließ krachend einen Teller ins Becken fallen. „Sie will mich damit verrückt machen, Morten!“ Ihr blau behandschuhter Handrücken strich über die Stirn, hinterließ einen Schaumkrümel in den hellen Ponylocken.
„Ich bitte Dich, Schatz! Du kannst der Frau nicht vorschreiben, wie sie ihren Garten zu dekorieren hat!“ Er sank auf die Ledercouch. Seine Frau brachte ihm frisch gebrühten Kaffee aus der teuren Maschine. Luisa hatte sie ausgesucht, eines der vielen Dinge, die sie meinte, brauchen zu müssen.
„Sie macht das mit Absicht, Morten! Sie hat alle der Reihe nach aufgestellt. Ich muss hinterm Haus den Steinweg nehmen. Du weißt, dass ich das hasse!“
Morten sollte den Weg mit dem breit gefächerten Mosaik schon lange betoniert haben.
Er hatte keine Zeit, und wenn er ehrlich war, konnte er ihren Glauben, auf die Ritzen zu treten bringe Unglück, nicht nachvollziehen.
„Schatz! Es sind nur Gartenzwerge! Kleine Männer aus Keramik, die in jedem zweiten Garten stehen. Sie können dir nichts antun!“ Luisas blaue Hände fuhren in die Höhe. Das Schaumwassergemisch suchte sich seinen Weg in den offenen Ärmel ihres Pullis.
„Du weißt, was damals passiert ist! Sie starren mich an, Morten!“ Er griff nach der Fernbedienung, fand irgendeinen Kanal mit seichter Unterhaltung.
„Morten, ignorier mich nicht!“ Luisa stellte sich mitten ins Bild.
„Schatz, es tut mir leid! Ich habe den Kopf voll! Ich bin an einem großen Auftrag dran! Was glaubst du eigentlich, wo das ganze Geld herkommt, dass du für all deinen unnötigen Krempel ausgeben kannst.“
Luisa schnappte nach Luft. Sofort tat ihm der Satz leid. Er wusste, dass sie gleich anfangen würde zu weinen. Erst würde sich der Mund verziehen, dann schickten ihm ihre Augen ein Gefühl, das ihn bis auf den Schlüpfer auszog, dann würde sie leise jammern, um zum Schluss in eine Flut von Tränen auszubrechen.
„Entschuldige, Schatz! Es tut mir leid!“ Er stand auf und legte die Arme um seine Frau. Luisa blieb starr, wie ein Fels. Als das dünne Heulen aufgehört hatte, trat Morten zurück und musterte sie mit einem versuchten Lächeln. „Schatz, ich kümmere mich morgen darum, versprochen! Ich werde mit Maria reden und sie bitten, die Zwerge woanders aufzustellen, einverstanden?“ Luisa schnäuzte sich mit einem Kleenex aus der Packung auf dem Beistelltischchen.
„Du weißt, warum ich diese Monster hasse!“
„Ja, das weiß ich Schatz! Ich rede morgen mit ihr, ganz sicher!“
Luisa griff nach der Wischmopp -Stange. Sie wischte nicht in Achten.
Achten brachten Unglück.
Morten lag mit dem Rücken zu Luisa, als diese von einem schlechten Traum erwachte.
Sie setzte sich im Bett auf. Direkt über ihre zitternden Knie unter der Decke, fiel das Mondlicht durch den Fensterspalt. Luisa tastete neben sich. Sie musste den Arm ganz ausstrecken, bis ihre Fingerspitzen Mortens Rücken berührten.
„Morten?“, fragte sie ins Zimmer hinein.
„Morten, ich habe von Ihnen geträumt! Morten, wach auf!“
Er brabbelte etwas ins Kopfkissen, zog sich Selbiges über den Kopf.
Luisas Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Sie drehte sich zum Funkwecker.
Und im roten Licht der Digitalzahlen stand ihr Anführer, der mit der grünen Hacke und der hellblauen Zipfelmütze.
Luisa stieß einen Schrei aus. Sie glaubte, der kleine Mann mit dem weißen Bart würde die Hacke nach ihr schwingen, die Zinken jeden Moment in ihren Körper schlagen.
Sie stürzte aus dem Bett, verfing sich in der Decke, schleifte sie ein Stück mit, bis zum Badezimmer. Dort angekommen, drückte sie sich in die Ecke neben der Toilettenschüssel, warf die Klobürstenhalterung um.
„Morteeeeen! Morten, sie sind hier! Sie kommen mich holen!“ Die Wörter gingen in gellenden Tönen unter. Luisas Brust hob und senkte sich. Erst als ihr Mann mit unverwandtem Ausdruck in der Tür stand, wurden die Atemzüge wieder länger.
„Morten, sie sind da!“, wisperte Luisa.
Er seufzte:„Wer ist da, Schatz?“ Seine Stimme klang verschnupft. Er lehnte sich an den Rahmen. Die Haare standen wirr zu Berge.
„Die Gartenzwerge, Morten! Ihr Anführer, auf meinem Nachtschrank! Er steht auf meinem Nachtschrank und hat eine Hacke!“
Im Dunkel konnte Luisa das unterdrückte Lächeln auf den Lippen ihres Mannes nicht sehen.
„Schatz, ich bitte Dich! Hör Dir doch mal selber zu! Das ist doch absurd!“, sagte er, um festen Klang bestrebt.
„Geh nachsehen, Morten! Ich rühre mich nicht vom Fleck!“ Luisas Hände zitterten auf der Toilettenbrille.
Ihr Mann schlurfte weg. Sich am Kopf kratzend kam er wieder. „Da ist nichts, Schatz!“
„Aber ich habe ihn doch gesehen! “, bebte Luisas Stimme neben dem Wand WC.
Sie kam hervor, tippelte hinter die breiten Schultern ihres Ehemanns und ließ sich in deren Schutz ins Schlafzimmer führen.
Auf dem Nachtschrank zeigte der Wecker 3,15 Uhr, sonst nichts, kein mörderischer Gartenzwerg, nur ein Glas Wasser.
Luisa brach fast in sich zusammen.
„Schatz, du hast geträumt!“, sagte Morten, machte sich von ihr frei und ging unbeeindruckt zu seiner Bettseite.
„Nein!“, schrie sie, „ ich habe ihn gesehen, Morten! Er war da! Ich bin nicht verrückt!“
Er klopfte auf ihr Laken. „Komm ins Bett, Schatz! Du hast schlecht geträumt, weiter nichts. Gartenzwerge werden nicht nachts lebendig!“
„Du hältst mich für irre!“, klagte Luisa.
„Nein, das tue ich nicht, Schatz! Ich halte dich für überspannt! Du brauchst Ruhe! Mach einen Termin bei Dr. Sergen!“ Er hatte sich schon zum Schlafen umgedreht. Luisa rutschte an seinen Rücken, er spannte sich leicht.
„Dr. Sergen und all diese Tabletten. Die vergiften mich!“, nuschelte sie in seinen Pyjama.
„Nein, Schatz, niemand vergiftet Dich! Die Tabletten helfen Dir! Sie helfen uns!“
Nachdem Morten seinen Qualitätskaffe bekommen und das Haus mit der Bitte um einen Anruf bei dem Doktor verlassen hatte, schlich Luisa durch die Räume.
Normalerweise würde sie jetzt mit dem Bad anfangen, dann würde sie den Sprenger anstellen, später Kartoffeln schälen.
Aber sie war zu getrieben. Sie nahm eine der ovalen Pillen gegen Angstzustände.
Dann setzte sie sich auf die Couch und wartete auf die Wirkung. Die Werbung für Erdbeerkonfitüre brachte Normalität. Bald fühlte Luisa sich gewappnet.
Sie trat vorsichtig ins Freie aus der Terrassentür.
Schon von Weitem sah sie die Aufstellung der Zipfelmützen, die in der Sonne aus dem Beet hervorstachen.
Luisa bewegte sich vorwärts. Sie drückte sich an die Wand, machte zögerliche Seitenschritte, während ihr der Schweiß ausbrach.
Die Biester schienen ihr zuzuwinken. Sie wusste, dass der Anführer ganz vorne stand.
Ganz vorne, neben dem schlecht gepflegten Pflanzkübel.
Er war nicht mehr da! Nur die winzigen Abdrücke seiner Schuhe führten als Spur hinter die Garage.
Luisa schlug die Hand vor den Mund. Ihre Beine wurden zu einer gefühlten Pudding-Masse. Sie kroch mehr, als sie lief, zurück in die Sicherheit ihres Hauses, gaffte durch die verglaste Tür. An der Scheibe sank sie in eine ungelenke Sitzhaltung und schlotterte monoton vor sich hin, bis ihr Mann durch die vordere Tür von der Arbeit kam.
„Mein Gott, Luisa! Was tust du da? Was ist denn in Dich gefahren?“, rief Morten aus.
Er half ihr hoch, stützte sie bis hin zur Essecke, wo die Gebeutelte sich auf einen der rustikalen Stühle fallen ließ.
„Was ist los, Schatz? Was ist passiert?“
„Der Anführer ist weg! Er hat es auf mich abgesehen, Morten! Er wird kommen und mich holen!“ Sie plärrte wie ein kleines Kind. Ihre Augen blickten irr in die Ecken neben der Einbauküche.
„Was redest Du? Ich rufe Dr. Sergen an!“ Morten wollte zum Telefon greifen, das neben ihm hilfsversprechend an der Wand hing.
„Nein, keine Tabletten mehr! Ich will keine Spritze!“, rief Luisa mit einem Funken Kraft.
Ihr wässriger Blick schaffte es trotzdem noch, ihn zu verurteilen.
„Schatz, es geht dir nicht gut! Du fantasierst! Ich kann dich hier nicht mehr alleine lassen.“
Luisa straffte sich, atmete tief ein und aus, fixierte ihre zitternden Hände.
„Es geht schon wieder! Du hast recht, ich bin überspannt, ich schnappe vielleicht über."
Sie zog sich an der Tischkante hoch."Ich lege mich hin und ruhe mich aus.“
Damit ging sie auf schwachen Beinen hinauf ins Schlafzimmer. Morten stand unschlüssig da, sah ihr nach, ging dann in die Küche, um sich einen Kaffe zu machen. Er packte seine verschwitzten Hacken auf die gewienerte Tischplatte.
Es war 3,15 Uhr, als Luisa erwachte. Sie war nach dem Hinlegen so fest eingeschlafen, dass sie Morten nicht bemerkt hatte, der sich mit Bedacht neben sie gelegt hatte, die Decke bis an das Kinn gezogen.
Luisa fühlte sich ausgeruht. Die Schrecken des Vormittags waren vorerst nur noch ein dumpfer Gedanke. Sie strich sich die Haare hinter die Ohren, stellte die Beine aus dem Bett. Ihr verlangte nach einem Glas Milch.
Luisa suchte nach dem Knopf der Nachttischlampe. Als das fahle Licht ihre Bettseite erhellte, brannte erneut die Angst in ihrem Körper.
Sie blickte ihm direkt in die blauen Augen. Die Hacke schwebte drohend erhoben über der Zipfelmütze.
Zuerst stand er nur da, im Schatten der Fensterecke. Dann vernahm Luisa sein kehliges, flüsterndes Lachen. Das freundliche Gesicht verzog sich zu einer grausigen Fratze, er kam direkt auf sie zu.
Luisa stürzte aus dem Zimmer. Sie stolperte die Treppe hinunter, fiel über die Schmutzfangmatte, auf die Knie, robbte zum Telefon.
Nr. 2, Dr. Sergen, es klingelte, Luisas Blick geheftet auf die erste Stufe der Treppe zum Obergeschoss. Nach dem sechsten Klingeln nahm jemand ab. „Sergen hier?“, ertönte eine verschlafene Stimme.
„Dr., Dr., sie müssen kommen! Es geht wieder los! Ich werde verrückt!“
Nach drei Wochen im Sanatorium unter Aufsicht des Chefarztes, einer Medikamentenumstellung und langen, mürbenden Gesprächen, durfte Luisa nach Hause.
Noch immer hatte sie ihr Kindheitstrauma nicht verarbeitet. Dr. Sergen sagte, es würde sich nicht so einfach ausradieren lassen. Es bräuchte Zeit und Geduld.
Einmal die Woche fuhr Morten sie in die Privatklinik zu den Sitzungen und ihrer Depotspritze.
Maria hatte die Zwerge auf Bitte Mortens umgestellt. Sie hatte in Anwesenheit Luisas ihr Beileid ausgedrückt, sich entschuldigt und versprochen, auf die Unpässlichkeit seiner Frau Rücksicht zu nehmen.
Luisa baute auf, bald konnte sie wieder ihren täglichen Verrichtungen nachgehen.
Das gemeinsame Heim glänzte und blinkte in alter Form. Sie bestellte eine Kommode und grüßte Maria freundlich lächelnd.
Mit neu gewonnener Kraft beschloss Luisa einen Monat später, sich dem Schandfleck ihres Hauses anzunehmen. Der Dachboden und die alten Kartons dort oben, beherrschten schon lange ihre Gedanken. Außerdem vermisste sie Teile ihres kostbaren Lieblings-Schmucks, den zu tragen, sie ihrem neuen Ich wieder gestatten wollte.
Sie erzählte Morten von dem Vorhaben, gleich, als er durch die Tür kam.
"Schatz, du sollst dich nicht übernehmen! Du weißt, was der Doktor gesagt hat! Jede Anstrengung könnte einen Rückfall nachsichziehen!" Er setzte sich, beobachtete mit Genuss Luisas Bemühungen an der Kaffeemaschine. "Ich werde mich selbst darum kümmern! Gleich übermorgen, wenn das Gespräch mit Zuckermann vom Tisch ist", rief er ihr zu.
Luisa reichte ihm seine Tasse. Sie bog ihren Rücken durch, um Stärke zu signalisieren.
"Ich fühle mich gut, Morten! Keine Halluzinationen mehr, keine Angstzustände. Mir geht es blendend!" Er legte seine Hand auf das Gummi ihrer Handschuhe. "Schatz, ich bitte Dich! Das ist zu viel aufeinmal, das mache ich! Du könntest stolpern und dich verletzen. Der Dachboden ist eine Baustelle." Sie zog ihre Hand zurück. Das Gummi quietschte.
" Morten, behandel mich nicht wie ein kleines Kind! Mir geht es wieder gut! Dr. Sergen sagt, ich mache ganz tolle Fortschritte!"
"Ich weiß, Schatz, das weiß ich doch! Niemand behandelt dich wie ein Kind! Ich mache mir Sorgen, das ist alles! Ich möchte nicht, dass du dich überanstrengst!"
Luisa nahm ein Kleenex, wischte über den wässrigen Tassenrand auf der Tischplatte.
" Doch, das tust du! Du glaubst, ich wäre zu nichts in der Lage! Mir geht es gut, Morten! Hier, nimm einen Untersetzer!" Sie schob das Viereck aus der Tischmitte vor ihn hin und ging polternd zur Spüle.
Die Tür knarrte, als Luisa sie aus dem Rahmen hebelte. Sie stand auf einem der Küchenstühle, zog die eingebaute Leiter heraus und schob den Stuhl zur Seite. Altes-Holz-Geruch und Staub schlugen ihr aus der Öffnung entgegen. Luisa kletterte beherzt nach oben.
Der Dachboden war durchzogen von Tragebalken und gelbem Dämmstoff.
Die Kartons standen unter dem kleinen Fenster, längliche, lose aufgelegte Bretter führten zu ihnen. Luisa setzte einen Fuß vor den Anderen, dann hielt sie inne.
Durch die Staubflocken, die im gebündelten Licht tanzten, hindurch, sah sie zuerst nur die hellblaue Zipfelmütze. Luisa glaubte an einen Streich ihrer Augen. Sie schüttelte für sich selbst energisch den Kopf.
Doch das Lachen aus der Nacht im Schlafzimmer war unverkennbar. Der Anblick des verzerrten Grinsens sprang ihr direkt ins Gesicht.
Luisa ging langsam rückwärts. Der Gartenzwerg lachte weiter wie eine gesprungene Schallplatte. Seine Hacke schlug methodisch auf die Bretter, bei jedem Schritt, den er ihr entgegen machte. Luisa wich weiter zurück, ihre Füße traten ins Leere. Sie strauchelte, versuchte nach einem der Balken zu greifen. Das Lachen des Zwerges begleitete sie nach unten.
Als sie auf dem Marmorboden aufschlug, brach ihr Genick mit einem gemeinen Knacken.
Ein Jahr später saß Morten auf der Nachbars-Terrasse, vor sich einen dampfenden Becher Qualitätskaffees. Maria saß ihm gegenüber, den Blick auf Lukas, dem Nachbarsjungen, der gerade im Garten mit dem Hund spielte.
„Weiter nach links!“, rief Morten ihm zu. Sein nackter Fuß suchte unterm Tisch nach Marias Zehen. Der Hund bellte und knurrte verspielt, sprang wie ein Hase um seine Beute.
Lukas betätigte den linken Plastikhebel der Funkfernbedienung. Der Hund biss in die Zipfelmütze, das Tuckern und Keckern erstarb. „Na toll, nun ist er kaputt! Das Ding war teuer, ich hoffe deine Eltern sind versichert“, sagte Morten lachend. Maria zwinkerte ihm liebevoll entgegen.