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Du weißt, dass ich dich liebe
1. Freya
Ich saß am Rand des Teichs und ließ einen Fuß ins Wasser hängen. Als ich leicht zuckte, weil eine Mücke auf meinem Bein landete, breiteten sich Ringe auf dem vorher so glatten Wasser aus. Ich blinzelte in die Sonne. Bald war Sommer. Bikinizeit, Strandzeit, Partyzeit. Ich seufzte und rührte mit den Zehen im Wasser.
Mit einem Mal hörte ich Schritte. Sie kamen rasch näher, aber ich machte mir nicht die Mühe, mich umzudrehen. Es würde ohnehin nur wieder irgendeiner dieser Junkies sein.
„Freya!“ Eine lustige, leicht überdrehte Stimme begrüßte mich. Luc!
„Luc, oh, hi.“ Damit hätte ich nun gar nicht gerechnet – Luc hier auf einer Baustelle, einer der coolsten Typen der Schule und der Mädchenschwarm schlechthin.
„Wie geht’s denn so?“ Luc hockte sich hin und gab mir die Gelegenheit, seine gebräunte Haut, seine wuscheligen, kaffeefarbenen Haare und die grünen Augen aus nächster Nähe zu betrachten. Ihm fehlt einfach diese Feinheit im Gesicht. Und die Hände erst! Groß, mit dicken Handgelenken …
„Mh, normal. Und dir?“
„Super.“ Er grinste fröhlich. „Ich hab eben ein Date ausgemacht. Weißt du, mit wem?“ Ich schüttelte den Kopf. War mir auch ziemlich egal. „Mit Moritz!“
„Was?“ Ich starrte meinen Klassenkameraden entgeistert an. „Du bist schwul? Und dann auch noch Moritz, dieser kleine Streber … tschuldigung, ich wollt ihn nicht beleidigen.“, murmelte ich schnell. Luc lachte.
„War nur ’n Witz.“ Hätte ich mir auch denken können. Schwule sehen anders aus. Obwohl, sehe ich denn anders aus als „normale“ Mädchen? „Ich hab aber wirklich ein Date. Mit Lisa!“
„Glückwunsch.“, antwortete ich gequält und dachte an Lisas schönes Lächeln.
„Morgen. Bin mal gespannt, wie es wird.“ Er warf einen Seitenblick auf mich. „Sie ist hübsch, nicht wahr?“
„Jaa…“
„Aber denk dran: Ich hab ein Date mit ihr.“ Luc warf mir noch einen warnenden Blick zu und stand dann auf.
„Jaja“, knurrte ich leise und streckte meinen Zeh wieder ins Wasser.
2. Lisa
Ich lag zusammen mit David auf seinem Bett und kuschelte mich an ihn.
„Hab ich dir eigentlich schon erzählt?“, fragte ich und rollte mich in Davids Arm zusammen. „Ich hab ein Date mit Luc von meiner Schule ausgemacht. Kennst du den?“
„Ja. Musste das sein?“
„Meine Eltern und auch meine Freunde fangen sonst an zu fragen, waren ich noch keinen Freund habe und ob ich mich denn nicht mal mit irgendjemandem treffen möchte.“ Ich verdrehte die Augen. „Nachher denken sie noch, ich wäre lesbisch.“
David kicherte leise. Dann seufzte er. „Es wäre so schön, sich nicht immer verstecken zu müssen.“
„Oh ja. Aber du hast ja meine Eltern erlebt.“ Ich schauderte und dachte zurück an das Erlebnis, das nun schon über ein Jahr zurücklag. Ich hatte David meinen Eltern vorgestellt und mein Vater war total ausgerastet, weil David sieben Jahre älter war als ich. Meine Mutter hatte noch Wochen danach mit schriller Stimme erklärt, dass ich mich bei den Jungs ein, zwei Jahrgangsstufen über mir umsehen sollte.
„Gehen wir ins Kino?“, holte Davids warme Stimme mich wieder zurück in die Gegenwart. „Ich hab ‚Der seltsame Fall des Benjamin Button’ noch nicht geguckt.“
„Ich auch nicht. Weißt du, wann der nächste läuft?“
„In einer halben Stunde, glaub ich.“
„Dann sollten wir uns aber beeilen.“ Ich grinste David fröhlich zu, aber in Wirklichkeit war mir nicht wohl bei dem Gedanken, wieder mal so tun zu müssen, als würden David und ich uns kaum kennen.
In der Straßenbahn setzten wir uns in verschiedene Abteile. Als ich ausstieg, entdeckte ich David und schlenderte wie zufällig in seine Richtung.
„Hi David.“
„Hallo Lisa. Gehst du auch hier ins Kino?“
„Ja, ‚Der seltsame Fall des Benjamin Button’ wollte ich gucken.“
„Was für ein Zufall! Ich auch. Lass uns doch zusammen gehen.“ Als ich nickte, raunte David leise: „Ich hab’s so satt. Wir können nicht zusammen zum Kino fahren, nicht einfach Händchen haltend reingehen, uns nicht eine Cola teilen …“
Ich schniefte einen Moment, dann fasste ich mich wieder und sagte ich laut: „Ich bezahl für uns beide und du gibst mir dann das Geld, okay?“
„Ja.“, seufzte David.
3. David
„Der Film war wirklich gut, findest du nicht?“, meinte Lisa.
„Ja. Kommst du noch mit zu mir?“, fragte ich hoffnungsvoll. Lisa warf mir einen bedeutungsvollen Blick zu und schüttelte den Kopf. Als meine Haltestelle angesagt wurde, verabschiedete ich mich sehr knapp und stieg aus. Mit langen Schritten ging ich zu seiner Wohnung und griff nach dem Handy. Ich schrieb Lisa eine SMS: „Du solltest dich wirklich lesbisch stellen. Dann müsstest du dich nicht mit irgendwelchen Typen treffen.“
Nach wenigen Minuten kam die Antwort: „Toll, aber dafür mit Mädchen. Und zusammen sein könnten wir dann immer noch nicht.“
„Niemand würde was sagen wenn du dich nicht mit Mädchen oder nur mal mit 1 triffst.“, schrieb ich zurück. „Du solltest das echt mal machen.“
Ich meinte es nicht so, aber war gerade so genervt von diesen Versteckspielchen, dass ich so tat, als würde ich das wirklich wollen. Ich schaltete mein Handy ab, da ich ohnehin keine Antwort mehr erwartete. Ich legte mich auf mein Bett und starrte an die Decke, die Arme unter meinem Kopf verschränkt.
4. Luc
Ich lief unruhig in meinem Zimmer auf und ab. Ich war nervös. So nervös, wie vor noch keinem anderen Date. Lisa war besonders, sie war mir wichtiger als all die anderen, mit denen ich mich schon getroffen hatte. Ich schaute auf die Uhr und ging in den Flur. Als ich meine Schuhe angezogen hatte, warf ich noch einen Blick in den Spiegel, setzte mein breitestes Lächeln auf und ging los.
Lisa war noch nicht da. Hoffentlich hatte sie mich nicht vergessen. Aber es war noch genug Zeit, wir hatten uns erst in zehn Minuten verabredet. Drei kam und ging. Etwa fünf Minuten nach verstreichen der vollen Stunde schwang die Tür des Cafes auf. Lisa sah wunderschön aus. Sie schaute sich einen Moment um und entdeckte mich.
„Hi! Du siehst gut aus.“, begrüßte ich sie. Lisa setzte sich.
„Luc, hör mal, das ist alles anders als du denkst.“ Sie schaute sich kurz um und beugte sich dann etwas vor. „Es tut mir ja Leid, aber ich kann nicht noch länger allen etwas vorspielen, besonders mir selbst.“
„Was meinst du?“ Ich fröstelte. Das hörte sich nicht gerade toll an.
„Ich wollte eigentlich nie ein Date mit dir haben, Luc.“ Es tat so weh, Lisa das sagen zu hören, während ich mir gleichzeitig wünschte, sie würde meinen Namen noch einmal sagen. Sie hielt einen Moment inne. „Ich … ich bin … ach verdammt, das ist so schwer. Ich hab es noch niemandem gesagt.“ Sie schaute mir einen Moment in die Augen, dann blickte sie nach unten, musterte den Tisch und ließ ihren Blick über die Speisekarte vor mir gleiten. „Ich bin lesbisch.“, murmelte sie.
Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Sie war lesbisch! Es bestand also nicht die geringste Chance, dass sie mich vielleicht jemals mögen würde …
„Luc?“, fragte sie leise und riss mich damit aus meiner Starre.
„Tschuldigung, es ist nur so …“ Ich schüttelte nur den Kopf. Mir war zum Heulen zumute. Dann richtete ich mich auf und sagte mit fester Stimme: „Ich muss jetzt gehen.“ und flüchtete aus dem Cafe.
„Warte!“, rief Lisa mir hinterher, aber die Tür fiel schon wieder ins Schloss.
5. Lisa
Ich lehnte mich entspannt zurück, als Luc nicht zurückkehrte. Die erste Hürde war genommen. Jetzt wurde es aber nicht gerade einfacher. Ich musste glaubwürdig, aber bloß nicht an zu viele Leute verbreiten, dass ich lesbisch war. Ich tippte schnell Davids Nummer ein. Jetzt brauchte ich ihn dringender als jemals zuvor.
„David? Wo bist du grade?“
„Bin bei der Skaterbahn. Was gibt’s?“
„Kannst du kommen? Ich bin in dem Cafe bei Lidl, weißt du, welches ich meine?“
„Ja. Ich komme!“
David schien sich beeilt zu haben, denn obwohl es von der Skaterbahn bis zum Cafe eine ganze Strecke war, kam er schon nach einigen Minuten in den gemütlichen kleinen Innenraum.
„Es hat geklappt!“, empfing ich ihn.
„Was hat geklappt?“ David wirkte einigermaßen verwirrt.
„Luc glaubt jetzt, dass ich lesbisch bin.“
„Was?“
„Luc glaubt jetzt, dass ich lesbisch bin“, wiederholte ich.
„Du hast das im Ernst gemacht?“ David sah aus, als würde ihm gleich der Mund aufklappen.
„Ja“, antwortete ich und runzelte die Stirn. „Was hast du denn? Es war doch sogar deine Idee.“
„Ähm, das war eigentlich nicht ernst gemeint.“ Einen Moment blieb mir die Luft weg. Wut begann, durch meinen Körper zu sickern. Ich öffnete den Mund und schloss ihn wieder, während ich gegen die Ströme aus Zorn ankämpfte.
„Jetzt ist es zu spät“, siegte ich.
„Und was willst du jetzt machen?“ David schien immer noch fassungslos.
„Das muss realistisch sein. Ich muss so tun, als wäre ich wirklich lesbisch. Was würdest du machen, wenn du schwul wärst und das mir sagen würdest? Was würdest du danach tun?“
„Das … ich bin nicht schwul! Woher soll ich das wissen?“
„Und was soll ich jetzt machen?“, fragte ich und zweifelte immer mehr, dass ich das Richtige getan hatte. Aber jetzt war es schon zu spät. David zuckte mit den Schultern.
„Vielleicht solltest du es morgen deinen engen Freunden sagen. Aber nicht zu vielen, das ist unrealistisch, dass sofort so vielen zu sagen.“
„Oder ich sollte Luc einfach sagen, dass es ein Scherz war“, zweifelhoffte ich. „Nein“, murmelte ich dann. „Das ist keine gute Idee.“
„Dann gibt’s viele Fragen.“
6. Freya
Irgendetwas war anders als sonst. Die Schüler standen wie immer in kleinen oder größeren Gruppen verteilt auf dem Vorhof, als ich mit dem Rad durch das Tor fuhr. Sie redeten, lachten, diskutierten. Aber es lag etwas in der Luft.
Ich gesellte mich zu einer Gruppe aus meiner Klasse dazu und wurde nicht lange begrüßt, sondern gleich mit der einen Frage bombardiert: „Weißt du es schon?“ Ich zog die Augenbrauen hoch.
„Was denn?“
„Lisa!“ Den Rest verstand ich nicht, weil mehrere Leute durcheinander redeten. Mein Herz schlug kräftiger.
„Was ist mit ihr?“
Jonas ergriff das Wort: „Sie ist lesbisch.“ Ich glaube, ich begriff nicht sofort. Es war einfach so unwahrscheinlich, so unmöglich. Ich versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, während Glück und Verwirrung mich benebelten. Alle Schüler schienen zu flüstern: „Lisa ist lesbisch!“, das Rascheln der Blätter in den Bäumen wisperte es und die Vögel zwitscherten es in die Welt hinaus.
„Wie … woher …?“
„Sie hat es mir gesagt.“ Grimmig starrte Luc in die Luft. Ich hatte ihn bis dahin gar nicht bemerkt. Ich wollte laut loslachen. Der tolle Luc hat ein Date mit der tollen Lisa und dann sagt sie ihm, dass sie lieber ein Mädchen nimmt. Es war so unglaublich, aber es ließ meine Hoffnung zurückkehren.
Als die Schultür aufging und ein Strom von Jugendlichen entstand, nahm Luc mich noch kurz zur Seite.
„Tja, was soll ich sagen? Wenn nicht ich, dann hast du ja vielleicht mehr Glück.“ Er tat mir Leid, aber das Gefühl hielt nicht lange an.
7. Lisa
Ich war nicht als Einzige zu spät an diesem Morgen. Mehrere andere Schüler schlenderten oder hetzten in das Gebäude. Ich klopfte vorsichtig an die Tür meines Klassenraums und öffnete sie.
Irgendetwas war anders als sonst. Alle Gesichter wandten sich mir zu. Klar, ich war schließlich auch zu spät. Aber als einige dann begannen, mit ihren Nachbarn zu tuscheln oder sich gegenseitig Blicke zuzuwerfen runzelte ich die Stirn.
„Entschuldigung, dass ich zu spät bin, Herr Wenzel.“ Der Lehrer sah mich nur zerstreut an und bedeutete mir mit einem leichten Nicken, mich zu setzen. Eine unangenehme Atmosphäre schlug mir entgegen. Mein Blick glitt über die Schüler, während ich zu meinem Platz ging. Es war ein Schock. Einige, mit denen ich vorher locker befreundet war, bauten mit ihren Blicken eine undurchdringliche Mauer vor mir auf. Sie fixierten mich dort, wo ich stand und ich konnte nicht wegschauen, sondern starrte sie entgeistert an. Was war denn jetzt los?
„Wolltest du dich nicht hinsetzen?“, fragte mich der Lehrer. Ich zuckte zusammen und nickte schnell. Hektisch lief ich zu meinen Platz.
„Sina! Was ist los?“, wisperte ich und ließ meine Tasche auf den Boden fallen. Meine Freundin musterte mich mit einem seltsamen Blick.
„Warum hast du uns nichts erzählt? Warum hast du mir nichts erzählt?“ Ich blinzelte verwirrt.
„Was erzählt?“ Sie antwortete nicht, sondern sah mich nur bedeutungsvoll an. So langsam dämmerte mir, was sie meinte.
„Wie …?“ Ich sah, wie meine Freundin mit den Schultern zuckte.
„Hat sich rumgesprochen.“ Verdammt.
„Wo?“
„Heute morgen, vor der Schule.“
„Soll das heißen“ Ich blinzelte. „die ganze Schule?“
„Ja.“ Das konnte doch nicht wahr sein! Ich merkte gar nicht, wie ich mir durchs Haar fuhr und zusammensank.
„Alles okay?“, fragte Sina besorgt.
„Nein.“
8. David
Erleichtert ließ ich mich in den Straßenbahnsitz fallen. Es war wieder anstrengend gewesen heute. In einigen Wochen waren Zwischenprüfungen und das große Lernen hatte schon begonnen. Mein Handy brannte in der Hosentasche. Im Betrieb hatte ich es einmal vibrieren gespürt. Anruf oder SMS?
SMS. Sie kam von Lisa. „Ich muss dich sehen es ist total schief gelaufen.“ Ich zog eine Augenbraue hoch. Was war nun wieder los? Ich beschloss, Lisa direkt anzurufen.
„Hi Schatz! Was ist denn los?“
„David! Oh Gott, was soll ich denn jetzt machen?“, drang ihre Stimme panisch aus dem Mobiltelefon.
„Hey, alles ist ok. Was ist denn überhaupt passiert?“
Lisas Stimme zitterte, als sie antwortete: „Luc, dieser … er hat es allen erzählt!“
„Luc ...“, ich war verwirrt. „Oh! Nein!“
9. Freya
Alle paar Minuten wanderte mein Blick zur Uhr, obwohl ich mich dazu zwang, nicht hinzusehen. Die Zeit verging so endlos langsam. Endlich erlöste der Gong mich. Ich schnappte meine Tasche, verabschiedete mich schnell von meinen Freunden und eilte zur Tür raus. Langsam ließ ich mich von den Schülern nach unten treiben, bis ich sie einige Meter vor mir sah.
Lisa sah nicht gut aus. Natürlich, sie war immer noch bezaubernd schön, aber ihre Augen waren eingefallen und sie war blass. Ich runzelte die Stirn und folgte ihr unauffällig. Es dauerte lange, bis sie endlich allein war und nicht noch ihre Freunde um sich herum hatte. Ich schloss zu ihr auf.
„Hi.“
Sie sah auf. „Freya, hi.“ Sie wirkte so matt.
„Alles okay mit dir?“, fragte ich besorgt. Lisa lachte kurz und trocken auf.
„Okay? Was soll daran okay sein, dass die ganze Schule jetzt …“ Sie stockte. Ich nickte verständnisvoll und schwieg einen Moment.
„Hast du heute schon was vor?“ Ich hielt die Luft an und wartete auf ihre Antwort.
„Heute?“ Einen Moment lang sah Lisa mich von der Seite her an. „Weiß nicht so genau … muss noch ein paar Sachen erledigen. Ich kann dir ja ’ne SMS schreiben oder so.“
„Hast du meine Nummer?“
„Glaub nicht. Moment.“ Sie zog aus ihrer Hosentasche ein Handy hervor und drückte schnell ein paar Tasten.
„017955861214“, diktierte ich langsam.
„Okay. Bis dann.“ Sie bog in eine Seitenstraße ein. Ich sah ihr noch einen Augenblick nach und ging dann weiter. Ich lächelte in mich hinein. Jetzt würde ich mich vielleicht schon heute mit Lisa treffen. Ich ging weiter nach Hause und überließ mich dabei meinen Tagträumen, Bilder von Lisa und mir zogen in meinem Geist vorbei.
10. David
Ich lief unruhig auf und ab. Da ging so einiges schrecklich schief. Dort vorne kam Lisa endlich. Mein Herz zog sich zusammen, als ich sie sah, ausgezehrt und bleich wie sie war. Und es war auch noch meine Idee gewesen, ob ich sie nun ernst gemeint hatte oder nicht.
„David.“ Lisa fiel mir um den Hals und schüttelte sich in meinen Armen. Ich spürte etwas Kühles meinen Hals hinunterlaufen. Ich drückte sie fest an mich.
„Schschschhh … ist ja gut …“
„Nein“, schöpfte Lisa Atem. Sie löste sich aus meinen Armen und lief im Zimmer auf und ab. „Das ist es ja. Nichts ist gut. Kennst du Freya?“
„Wer soll das sein?“, fragte ich, verblüfft über den Themenwechsel.
„Sie geht auf meine Schule, in Lucs Klasse. Sie will sich mit mir treffen.“
„Warum?“
„Sie ist lesbisch.“
Ich stöhnte und ließ mich auf einen Stuhl sinken. „Der zweite Tag und du hast schon ein Date. Du gehst ja wirklich auf in deiner Rolle.“ Lisa warf mir einen bösen Blick zu.
„Und was soll ich jetzt bitteschön machen?“
„Hm“ Ich zuckte mit den Schultern. Nach einem Augenblick fügte ich hinzu: „Tja, entweder du löst das Ganze auf oder du triffst dich mit ihr, meinst du nicht?“
„Kann ich nicht auch einfach so weitermachen?“
„Nein.“
„Warum nicht?“ So genau wusste ich das auch nicht.
„Nur so ein Gefühl.“ Meine Freundin seufzte, schaute auf die Uhr und zückte dann ihr Handy.
„Wem schreibst du?“
„Freya.“
„Kennt ihr euch näher?“
„Sie hat mir ihre Nummer heute gegeben.“
„Achso.“ Nur das leise Tippen von Lisas Fingern auf dem Handy brach die nachdenkliche Stille.
„Ich hab ihr geschrieben, dass ich in einer Stunde kann. An der Skaterbahn.“ Ich überschlug einen Moment im Kopf.
„Dann hast du noch eine halbe Stunde.“ Sie setzte sich auf meinen Schoß und lehnte den Kopf gegen meinen.
„Ja.“ Ich spürte ein leichtes Schaudern durch ihren Körper wandern.
11. Lisa
Ich hatte vor David so getan, als würde ich nicht gehen wollen, aber es nicht sooo schlimm finden. Das war eine Lüge. Ich hatte Angst. Sie wollte bestimmt mehr von mir. Mit jedem Schritt, den ich der Skaterbahn näher kam, wünschte ich mich weiter weg. Ich fühlte mich wie ein Kaninchenjunges, das freiwillig einen Falken aufsuchte.
Die Zeit verging quälend langsam und doch war ich viel zu schnell an meinem Ziel angekommen. Freya saß schon da, sie gab sich locker und schaute den Skatern zu. Ich setzte mich zu ihr, ohne sie dabei zu berühren. Wir schwiegen einen Moment, während gegenüber einige Jugendliche einen Ghettoblaster aufbauten. Hip Hop drang an meine Ohren.
„Können die keine vernünftige Musik anmachen?“, murmelte ich verärgert. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Freya lächelte.
„Das stimmt. Da ist ja sogar Pop noch besser.“
Ich nickte, leicht überrascht. „Was hörst denn so?“
„Meistens Rock oder Punkrock, aber auch ein paar andere Sachen.“
„Echt?“ Das hätte ich gar nicht von ihr gedacht. „Ich auch. Warst du auf dem Konzert von Billy Talent?“
„Nein.“ Freyas Gesicht verdüsterte sich. „Ich hab keine Karten mehr bekommen. Warst du da?“
„Ja, das war so geil.“ Ich erzählte ihr von dem Konzert und wir redeten noch lange über Musik. Ich muss zugeben, ich war überrascht, wie nett Freya war. Sie wurde mir immer sympathischer – ich hatte sie in wenigen Stunden lieb gewonnen, was bei mir nicht oft der Fall ist, zumindest nicht in so einem Ausmaß. Doch darüber machte ich mir in dem Moment noch keine Gedanken.
Freya war schon seit einigen Minuten etwas unruhig und ich beschloss, sie zu fragen, was denn los sei.
„Ich … wollt dich was fragen.“ Sie sah mir nicht in die Augen und mein Herz schlug verängstigt. Jetzt war sie nicht mehr meine Freundin Freya, sondern Freya, die Lesbe.
„Dann frag.“ Ich zwang meine Stimme, ruhig zu bleiben.
„Wie hast du es gemerkt? Ich meine, dass du Mädchen magst.“ Freya schien erleichtert, es endlich gefragt zu haben, doch es war eine Frage, die ich nicht wahrheitsgemäß beantworten konnte, aber anlügen wollte ich sie nicht. Schmerzhaft wurde mir bewusst, dass ich das schon die ganze Zeit getan hatte, indem ich sie im Glauben ließ, ich wäre lesbisch.
Und mit einem Mal brach alles hervor; der Frust über das Geheimhalten meiner Beziehung zu David, die Lüge, die über mich in der Schule kursierte, die Ungewissheit, was ich tun sollte. Ich schluchzte laut auf. Freya fragte nichts, sie drückte mich nur fest. In ihren Armen fühlte ich mich geborgen und ich lehnte meinen Kopf an die Schulter. Mit leiser Stimme erzählte ich ihr meine Geschichte.
12. Freya
Lisa hatte aufgehört zu weinen, sie lehnte nur noch an mir. Die fast geflüsterten Worte fanden ihr Echo in meinem Kopf und dort setzten sie sich auch fest. Nun rannen mir die Tränen über das Gesicht. Nichts war wirklich gewesen, was mich heute beflügelt hatte. Alle Hoffnung war umsonst. Und das gerade jetzt, wo sie ihren Höhepunkt hatte, wie auch meine Liebe zu diesem Mädchen. Ich wäre wohl vor einen Panzer gesprungen, um sie zu beschützen, auch wenn wir dann beide plattgewalzt worden wären.
Immer noch hielt ich sie in meinen Armen wie einen Rettungsring, den ich eben aufgeblasen hatte und der nun mich vor dem Ertrinken bewahren musste.
„… und nun weiß ich überhaupt nicht, was ich noch tun soll.“, schloss Lisa.
„Auch das hier ist nur ein Teil von dieser Lüge, nicht wahr?“
Lisa schloss die Augen und ich spürte, wie schwer es ihr fiel, ein „Ja“ in meine Richtung zu hauchen. „Aber ich bereue es nicht.“
„Schon komisch. Ich habe erst durch diese Lüge angefangen, dich wirklich kennen zu lernen und wegen der Wahrheit werden wir uns jetzt wohl nie mehr wieder sehen.“ Ich blickte in die Ferne.
„Doch. Ich möchte dich wieder treffen.“
„Du weißt, dass ich dich liebe.“ Nun, spätestens jetzt würde sie das tun.
„Ja.“ Sie bewegte sich keinen Millimeter, sondern lehnte weiter an mir, schien sich unter dem Arm, den ich um sie gelegt hatte, nicht unwohl zu fühlen.
„Ja, das weiß ich wohl.“
13. David
„Wie war dein Treffen mit Freya?“
„Alles okay.“ Lisas Stimme wirkte, als wäre sie etwas durcheinander. Meine Hand hielt den Telefonhörer weiterhin fest umklammert.
„Was ist los?“
„Nichts … was sollte denn sein?“ Ich runzelte die Stirn, denn ich merkte ganz deutlich, dass in Lisa etwas vorging.
„Ich weiß nicht, du klingst so … nicht nach dir.“ Einen Moment war es in der Leitung still.
„Das ganze nimmt mich ein bisschen mit, verstehst du? Deswegen werd ich mich jetzt auch hinlegen dun nur noch ein bisschen Musik hören.“
„Okay. Mach’s gut, Süße.“
„Tschüss.“ Lisa legte auf. Das unangenehme Gefühl in meinem Magen wollte den ganzen Abend nicht mehr verschwinden.
14. Sina
Der Platz neben mir war leer. Ich schüttelte den Kopf. War Lisa etwa schon wieder zu spät? Bald würden die Lehrer ihre Eltern informieren, das konnte doch nicht ihre Absicht sein. Vielleicht war sie aber auch einfach krank.
Joe neben mir erzählte leise einen Witz und die halbe Klasse brach in Gelächter aus, was den Lehrer sehr irritierte.
Es klopfte zaghaft an der Tür und Lisa steckte ihren Kopf hinein. Sie sah furchtbar aus, dicke Augenringe verunstalteten ihr bleiches Gesicht.
„Lisa!“ Der Lehrer wirkte empört. „Du warst gestern schon zu spät! Schämst du dich denn gar nicht?“ Ich hatte schwer mit mir zu kämpfen, wie auch der Rest der Klasse.
„Doch.“ Lisa bemühte sich, so zerknirscht wie möglich auszusehen. Das gab uns allen den Rest. Meine Freundin kam mit einem etwas leichteren Schritt zu ihrem Platz.
„Hast du heut schon in den Spiegel geschaut?“, wisperte ich.
Lisa grinste schief. Sie sah aus wie ein Zombie. „Eigentlich wollt ich’s mir verkneifen, aber ja, hab ich.“
„Ehrlich mal, warum hast du kein Makeup benutzt?“ Ich schüttelte verständnislos den Kopf.
„War alle.“
Irgendwas passte mir an dieser Antwort nicht, doch was, das merkte ich erst nach einigen Minuten. Noch vor einer Woche hatten Lisa und ich zusammen Makeup gekauft. Es konnte unmöglich schon leer sein. Ich nahm mir vor, Lisa die Stunde über ein bisschen zu beobachten und sie in der Pause vielleicht darauf anzusprechen. Sie wirkte sehr abwesend. Einmal versuchte ich, ein Gespräch mit ihr zu beginnen, doch erst nachdem ich sie angestupst hatte, bemerkte sie mich und fragte: „Hm?“
„Egal.“ Ich zuckte die Schultern und plauderte stattdessen mit Joe.
Der Lehrer beendete die Stunde noch vor dem Pausengong und schon stand Lisa auf den Füßen.
„Wo willst du so schnell hin?“, fragte ich irritiert.
„Klo“ lautete die knappe Antwort.
Ich zog die Augenbrauen hoch und stand auch auf. Allerdings nicht, um aufs Klo zu gehen, sondern um den Klassenraum zu durchqueren und mich zu Marius und seinen Freunden zu setzen. Ich schenkte ihm mein schönstes Lächeln. Er lächelte zurück und band mich sofort in das Gespräch ein. Viel zu schnell war die Pause vorbei. Ich wunderte mich, als Lisa erst hinter dem Lehrer in die Klasse schlüpfte.
„Wo warst du so lange?“, begrüßte ich sie.
„Klo“ Mehr schien sie nicht sagen zu wollen. Ich grinste breit, als ich daran dachte, dass es bestimmt um einen Jungen ging. Dann fiel es mir wieder ein – meine Freundin war lesbisch. Ich beschloss, darüber mal mit ihr zu reden.
Mitten in der Stunde zog Lisa ihr vibrierendes Handy aus der Tasche und schien eine SMS zu lesen. Als ich ihr über die Schulter gucken wollte, drehte sie sich leicht weg. Das war der Punkt, an dem ich mich ernsthaft fragte, was los war.
Lisa, kritzelte ich auf einen Zettel, nach der Schule treffen wir uns. Muss mit dir reden. Wichtig. Ich legte das Blatt Papier auf ihr Heft, aber sie war immer noch in ihr Handy vertieft. Ein idiotisches Grinsen hatte sich auf ihr Gesicht geschlichen und wollte auch nicht weichen, als ich sie antippte und ihr den Zettel noch näher hinschob.
Nach dem Lesen zögerte sie einen Moment, dann schrieb sie zurück. Ok. Ich lächelte beruhigt, bis ich sah, dass sie jetzt zurückzuschreiben schien. Der Lehrer lief seine Runden durch die Tische und ich stieß Lisa an, die jedoch nicht reagierte.
„Was haben wir denn da? Gib es mir, du kannst es dir morgen nach der Schule abholen. Im Lehrerzimmer.“
Lisa umklammerte das Handy und tippte rasend schnell auf die T asten. „Einen Moment noch, einen Moment“, murmelte sie leise. Der Lehrer schnappte nach dem Handy, doch sie zog es weg.
„Muss das sein?“, fragte sie mit einem Rehblick, dessen Wirkung durch ihr jetziges Aussehen ziemlich geschmälert wurde. Der Lehrer streckte unerbittlich die Hand hin und sie ergab sich in ihr Schicksal.
15. Lisa
Ich war zerrissen. Zum einen freute ich mich so sehr auf das nächste Treffen mit Freya, das wir eben per SMS ausgemacht hatten. Zum anderen hatte ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich an David dachte. Und zum letzten war ich besorgt, was Sina wohl mit mir bereden wollte. Normalerweise war sie nicht so ernst wie auf dieser kurzen Nachricht. Hoffentlich hatte sie nicht auch noch ein Problem, bei dem ich ihr helfen würde.
Mit einem schrillen Klingeln entließ uns die Schule in den Nachmittag.
„Gehen wir auf den Spielplatz? Da ist jetzt bestimmt niemand.“
Ich nickte.
Es war tatsächlich niemand dort. Wir setzten uns auf das Klettergerüst.
„Also?“, fragte ich und lehnte mich an eine Holzwand.
Sina schwieg.
Sie sah mich an, öffnete den Mund, schloss ihn wieder.
Ihr Blick wandte sich von meinen Augen ab.
„Was ist los?“ Die Worte waren so leise ausgesprochen worden, dass sie kaum bis an mein Ohr drangen.
Ich schwieg.
Sina schwieg.
„Viel.“
Wir schwiegen.
„Du kannst mir alles erzählen.“
Ich lehnte mich an sie und schon wieder rann eine Träne über mein Gesicht. Ich mutierte zur Heulsuse. Sina legte mir den Arm um die Schulter.
„Bald.“, flüsterte ich. „Wenn ich es selber weiß.“
Sina nickte.
16. Freya
Ich flog. Die SMS hatte mir Flügel gegeben und nun schlug ich mit ihnen, um nach Hause zu gelangen. Ich hatte vor, ein paar Hausaufgaben zu machen, bevor ich mich mit Lisa traf. Es war eine ziemlich unrealistische Idee, wie hätte ich mich denn auf Mathe oder Geschichte konzentrieren sollen, wo ich doch wusste, wen ich schon so bald wieder sehen würde.
Ja, das weiß ich wohl … ich weiß es nicht, weiß nicht, wie oft sie heute in meinen Gedanken diesen Satz gesagt hatte. Es hatte ihr nichts ausgemacht, sie hatte weiter den Körper- und normalen Kontakt gehalten. Meine Hoffnung war nun nicht mehr zu bremsen.
Deshalb benutzte ich wieder meine Flügel und schwebte über die Stadt, nahm nichts wahr außer meinen Träumen. Ich war überpünktlich, Lisa nicht. Sie sah noch viel schlimmer aus als gestern. Ich schaute sie bestürzt an.
„Was ist los mit dir?“
„Ich hab diese Nacht nicht geschlafen.“
„Warum nicht?“
„Ich musste so viel nachdenken.“ Früher hatte ich immer gedacht, Lisa wäre eher vom Typ ‚in den Tag reinleben ohne sich Gedanken zu machen’. „ Aber zu einem Ergebnis gekommen bin ich nicht. Und ich weiß nicht, ob ich das jemals tun werde.“
Ich drückte tröstend ihre Hand. „Kann ich dir irgendwie helfen?“
Sie nickte. „Schenk mir einen schönen Nachmittag. Lass uns … Fahrrad fahren, Minigolf spielen, keine Ahnung, irgendetwas wo man sich bewegt, anstrengt und Spaß hat.“
Ich sah Lisa ein wenig zweifelnd an, denn ich war mir nicht sicher, ob sie Anstrengung im Moment gut vertragen konnte. Sie wirkte so zerbrechlich wie sie es nie auch nur annähernd getan hatte.
„Weißt du was? Ein Freund von meinem Onkel, der besitzt einen Sportplatz, da gibt es wirklich fast alles: Fußballfelder, Basketball, Volleyball, Badminton, Tischtennis, Minigolf, alles Mögliche!“
Lisa lächelte. „Dann mal los.“
17. David
Lisa antwortete lange nicht auf meine SMS. Ich machte mir schon Sorgen, aber dann schrieb sie mir, es wäre in der Schule einkassiert worden, weil sie nicht aufgepasst hätte. Ich fragte mich zwar kurz, wobei sie denn nicht aufgepasst hatte, aber ging dem nicht weiter nach.
Ab und an schrieben wir uns noch SMS, aber es dauerte über eine Woche, bis wir uns wieder trafen. Lisa hatte vorgeschlagen, wir könnten doch ins Kino gehen. Ich sollte den Film aussuchen. Vor dem Kino trafen wir uns natürlich ganz zufällig.
„Hi Lisa, wie geht’s?“
Lisa nickte. „Alles klar bei mir.“ Irgendetwas schwang in ihrer Stimme mit, doch ich konnte es nicht zuordnen. „Gehst du ins Kino?“
„Ja, du auch?“
„Hatte bisher noch nichts vor.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich komm mal mit.“
In der Kinovorhalle war es ungewöhnlich voll. Wir kämpften uns durch das Gedränge und unauffällig strich ich sanft mit meiner Hand über Lisas Rücken. Sie erzitterte ungewöhnlich stark unter der leichten Berührung.
Seltsamerweise war der Film trotz des Besucherandrangs im Kino nicht sehr gut besucht. Lisa und ich saßen allein in der hintersten Reihe, die noch besetzt war. Ich lächelte leise vor mich hin. Der Film begann. Er war nicht besonders gut, aber auch nicht schlecht. Eine romantische Szene begann und ich wurde mir des Mädchens neben mir, das ich liebte, bewusster. Ich nahm ihren Kopf sanft in die Hände und küsste sie. Die anderen Besucher würden jetzt wohl kaum nach oben schauen, würden sie ohnehin nicht tun.
Lisa erwiderte den Kuss nicht, ließ ihn aber einen langen Moment geschehen. Dann löste sie meine Hand von ihrem Gesicht und wand sich ruhig, aber bestimmt aus dem Kuss. Viel zu spät warf sie einen Blick zu den Menschen vor uns.
Ich verstand nicht.
18. Freya
Ein Klassentreffen stand heute Nachmittag an. Ein Klassentreffen! Ich verdrehte die Augen. Seit es keine Klassenstunde mehr gab, mussten wir alle paar Monate an einem Nachmittag diese Extraschicht einschieben. Heute ging es aber um ein erfreuliches Thema: die Klassenfahrt. Wir wollten mit unserer Klassenlehrerin zusammen besprechen, wohin wir dieses Jahr fahren würden.
„Also, hat jemand einen Vorschlag?“, begann sie, als wir alle da waren.
„Amerika, einen Monat nach New York!“, rief jemand. Alle lachten, auch unsere Lehrerin.
„Sinnvolle Vorschläge, meinte ich eigentlich.“
Wir sammelten eine ganze Reihe von guten Orten in Deutschland – „Ins Ausland können wir nicht, das ist zu teuer.“ – und konnten uns natürlich nicht einigen. Es gab nach längeren Diskussionen eine Berlin-Fraktion, manche waren für Dresden, wieder welche für einen Bergaufenthalt in den Alpen und Luc, Maik und ich waren die Verfechter der Paddeltour in Mecklenburg-Vorpommern.
Unsere Lehrerin hatte eine Idee: „Jede Gruppe bereitet jetzt bitte eine kleine Präsentation zu ihrem Wunschort vor. Warum sollten wir genau dort hinfahren? Morgen opfern wir dann halt eine Geschichtsstunde und hören uns das Ganze an.“ Allgemeines Jubeln erfüllte den Raum.
Wir drei suchten im Internet nach schönen Bildern, diskutierten lange, was wir in den Vortrag einbringen wollten. Irgendwann fragte Maik, ob er zum Fussballtraining gehen könnte. Wir willigten ein und arbeiteten weiter.
„Es ist echt schlimm“, begann Luc mit einem Mal. „Alle Mädchen, die nett und hübsch sind, sind lesbisch.“
Ich sah überrascht auf und dachte sofort an Lisa. „Alle? Na, so viele werden’s nicht sein.“
Luc zuckte mit den Schultern. „Lisa, du ...“ Ich? Meine Güte.
Wir arbeiteten weiter, bis wir zufrieden waren und gingen.
Ich klopfte Luc auf die Schulter. „Nimm’s nicht so schwer“, sagte ich noch. „Lesbisch sein ist auch nicht immer schön.“ Aber manchmal schon, fügte ich lächelnd in Gedanken hinzu.
Die Zeit verging. Wir hatten uns auf Dresden geeinigt und ich hatte mich oft mit Lisa getroffen. Heute war es wieder so weit. Wir wollten zusammen draußen ein Eis essen, es war der erste wirklich warme Tag seit langem. Ich bog in ihre Straße ein und schloss mein Rad an den grünen Zaun an, wobei ich den jungen Erwachsenen nicht bemerkte, der mich von der Straßenecke aus misstrauisch beäugte.
Noch bevor ich auf den Klingelknopf gedrückt hatte, schwang die Tür auf. Lisa strahlte mich an und ich gab ihr einen Kuss.
„Wollen wir los?“
„Klar“, nickte ich. Wir traten auf die Straße. Der Mann kam uns entgegen. Ich dachte mir nicht s dabei, aber Lisa blieb auf der Stelle stehen. Ich sah ihr fragend ins Gesicht, aber sie nahm es gar nicht wahr und schaute nur ihn an. Er blieb vor ihr stehen.
„Ich dachte, du würdest mich lieben.“ Er schaute Lisa einen Moment in die Augen, dann ging der Mann an uns vorbei.
Lisa griff nach meiner Hand.