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Du trägst nie ein Kleid aus Seide.

Poe

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18.07.2003
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Du trägst nie ein Kleid aus Seide.

Der Kaffee schmeckte bitter. Ich saß an der kleinen italienischen Bar im Hauptbahnhof, denn wie so oft hatte für ein Frühstück in den eigenen vier Wänden die Zeit nicht mehr gereicht. Diesmal allerdings nicht, weil ich mich noch einmal im Bett herumgedreht hatte oder weil ich zu lange unter der Dusche stand:
Es war kurz nach sieben, als mich der Wetterbericht des Radios aus dem Schlaf holte. Das erste morgendliche Licht fiel durch die kleinen Löcher in der Jalousie und warf bizarre Muster an die weiß getünchte Schlafzimmerwand. Ich versuchte die Nacht von mir zu streifen, doch so oft ich die dünne Bettdecke auch von mir schob, sie blieb an meinem Körper kleben. Gerade wollte ich auf den Nachttisch greifen und meinen Tabak nehmen, als ich erstarrte. Sie spielten ihr Lied, einen Song den ich seit drei Jahren wie eine Reliquie hütete und dennoch nicht hören wollte. Die Crickets hatten „Don't ever change“ im Januar '63 veröffentlicht, ein halbes Jahr später hatten die Beatles es für eine BBC-Show eingesungen. Doch auch als das Lied '94 auf einem der unzähligen Anthologie-Alben erschien, hatten die Radiosender es nicht einmal spielen wollen – bis zu diesem Tag. „You don't know the latest dance, but when it's time to make romance your kisses let me know you're not a tomboy.” Ich sprang aus dem Bett und ging ans Fenster. Auch wenn es nahezu ausgeschlossen war hatte ich das Gefühl, dass sie jeden Moment die Straße entlang käme. Hektisch zog ich an der Zigarette und wartete, bis John auch die letzte Strophe gesungen hatte.

Ich ging in die Küche, stellte die Kaffeemaschine an und sprang anschließend unter die Dusche. „I love you when you're happy, I love you when you're blue, I love you when you're mad at me, so how can I get tired of you?” Die Fab Four waren hartnäckig. Wir hatten dieses Lied an unserem ersten Abend gehört, als wir nach einer Party auf dem Bett in meinem WG-Zimmer lagen, und beschlossen, es zu unserer „Hymne“ zu machen. „You never wear a stitch of lace and powder's never on your face, you're always wearing jeans except on Sunday.” Ich sprang in meine Jeans und warf einen Blick auf die Uhr. Ich hatte noch ganze acht Minuten um zum Bahnhof zu kommen. Meinen Rucksack geschultert stellte ich die Kaffeemaschine ab und sprintete die vier Etagen hinunter auf die Straße. „A lot of other girls I've seen, they know how to treat guys mean. But you would rather die than ever hurt me.” Christian und Alexandra hatten bereits am Tag zuvor gesagt, dass sie mit einer späteren Bahn fuhren, also musste ich die zwanzig Minuten lange Fahrt wohl alleine auf mich nehmen. Drei Jahre war es nun her, dass wir uns getrennt hatten, drei Jahre, in denen ich weder von ihr gehört noch sie gesehen hatte, nicht einmal ihr Lied. Und dennoch hatten die Pilzköpfe es geschafft mir das Gefühl zu geben, das alles sei nur wenige Stunden her. Ich dachte an unsere ersten Tage, an die Spaziergänge am Rheinufer, ich versuchte mir ihr Gesicht bis ins Detail vorzustellen, doch ich merkte schnell, dass es mir nicht gelingen wollte. Die großes Flächen waren schnell ausgemalt, Ihr blondes Haar, die zarten Wangen und die etwas zu groß geratene Nase, doch die scharfen Konturen fehlten, waren im Laufe der Jahre verblasst und nahmen dem Bild, das ich in mir zeichnete, die Form. „Du hast ihr damals geschworen, dass Du Sie niemals vergessen wirst“, dachte ich und starrte aus dem Fenster auf die Bäume, die mit rasender Geschwindigkeit an mir vorbeizogen. „Niemals wolltest Du sie vergessen, und nun ist es schon längst passiert.“ Ich versuchte mir ihre Stimme in Erinnerung zu rufen, doch ich hörte nichts, selbst ihr Duft, den ich so viele Male eingesogen hatte, war verschwunden. Langsam beugte ich mich in Richtung eines vielleicht 17-jährigen Mädchens, das mir gegenüber Platz genommen hatte, um sein Parfum zu erriechen. Es war nicht das, das sie getragen hatte, ihr Parfum war weniger süß, oder weniger holzig? „No don't you ever change. No promise me you're always gonna be as sweet as you are.”

Ich ging die Treppe hinunter zum kleinen Italiener, bei dem ich immer frühstückte, wenn ich zu Hause keine Zeit hatte und bestellte einen Espresso und ein gefülltes Cornetto. Irgendwo in der Bahnhofshalle spielte jemand das Violinkonzert Nummer zwei von Bartók, doch auch der gute, alte Bela konnte die vier Jungs aus Liverpool nicht aus meinem Kopf vertreiben. Während ich den Rhythmus auf dem langen Marmortisch trommelte, versuchte ich mir erneut ihr Gesicht in Erinnerung zu rufen. Vergeblich. „Du hast sie tatsächlich vergessen“, murmelte ich, zahlte und ging zur U-Bahn. „Sie wird traurig sein, verletzt, wenn sie erfährt, dass sie Dir mittlerweile scheinbar egal ist, dass sie nicht mehr ist als ein Gesicht, ein Satz, ein kurzer Duft, den man schnell wieder vergisst.“

Ich drängte mich durch die Wartenden und stellte mich an den Rand des Bahnsteiges. „But you would rather die than ever hurt me.” Ich hatte ihr weh getan, hatte mir weh getan, indem ich mein eigenes Versprechen gebrochen und sie einfach vergessen hatte. Sicherlich würde Sie weinen, wenn Sie davon erführe, würde aufstehen und schweigend meine Wohnung verlassen. „So please don't ever change, no don't you ever change, no promise me you're always gonna be as sweet as you are.” Ich hatte mich verändert, war wohl nicht mehr der süße Junge, der sie mehr liebte als alles andere, denn warum sollte man das Gesicht eines Menschen einfach so ausradieren, wenn es noch Bedeutung hatte. „Du hast ihr weh getan“, dachte ich, „warum? Du liebst Sie doch, oder?“ Ich senkte meinen Blick.

Die eisernen Räder der U-Bahn quietschten grell, als sie am Bahnsteig abbremsten.

 

Abgesehen vom ein oder anderen Kommentar hier also mein erster Beitrag. Lasse das ganze mal unkommentiert, bis es ein paar Reaktionen gegeben hat...

Gruß,

Poe

 

Hallo

ich finde die Idee mit dem Lied nicht schlecht, auch wenn sie nicht neu ist. Auch die Geschichte mit der nicht enden wollenden Liebe trotz Trennung hast du gut beschrieben. Der letzte Satz, auch wenn er nichts besonderes an sich hat, gefällt mir ziemlich gut.

Doch sind mir aber einige Sachen aufgefallen z.B. Wer sind Christian und Alexandra? Sie spielen keine Rolle in der Geschichte und du kannst sie getrost weglassen.

Was mich persönlich auch in bisschen stört sind die Umschreibungen die Beatles. Ich kann es verstehen, dass duc andere Bezeichnungen als "Beatles" suchst, doch finde ich es übertrieben, so wie du es gemacht hast.

Der Text ist unübersichtlich dargestellt. Vor allem der Mittelteil ist sehr lange. Vielleicht könntest du ihn in mehrere Absätze unterteilen und die Liedtexte kursiv schreiben.

lg jerado

 

Hallo Poe!!
Mir gefällt deine Geschichte sehr gut!! Leider kann ich dir keine kognitive Kritik liefer, weil ich dafür zuwenig Erfahrung mit Kurzgeschichten habe. Aber deine Geschichte gibt mir ein gutes Gefühl und ich habe sie gerne gelesen!!Bitte weiter so!
Lg,Tascha.:)

 

Hallo ihr beiden! Erst einmal ein großes "Danke" für die schnellen Kommentare und natürlich für das Lob! ;)

Vorab etwas zum Rahmen, in dem die Geschichte entstanden ist:
Eigentlich ist es gar keine Kurzgeschichte im klassischen Sinne, denn der Text ist der "Prolog" zu einem Buch, an dem ich gerade arbeite. Ich denke übrigens ich werde hin und wieder einzelne Sequenzen, die Kurzgeschichtencharakter haben, veröffentlichen.

Zu Deinen Kritikpunkten, Jerado:

Christian und Alexandra sind bewusst eingebaut. Auch wenn Sie keine "aktive" Rolle übernehmen, tragen sie durch die Tatsache, dass Sie "bereits am Tag zuvor gesagt [hatten], dass sie mit einer späteren Bahn fuhren", zur Handlung bei: Anders als sonst muss der Prot. an diesem Tag alleine mit der Bahn fahren und kann sich nicht durch die "üblichen Gespräche" ablenken.

Was die Bezeichnungen für die Fab Four angeht gebe ich Dir nach erneutem Lesen recht. Ich denke, dass ich mich da auf eine "Ausweichumschreibung" beschränken werde.

Das Dir der letzte Satz gut gefällt, freut mich besonders, denn er soll im weiteren Verlauf des Buches noch eine wichtige Rolle spielen, als Einstiegssatz des letzten Kapitels, dessen Handlung an die des Prologs ansetzt.

Nochmal Danke für die Kritiken, ich hoffe, dass noch ein paar folgen werden... ;)

LG,

Poe

 

Hi Poe,

Auch mir hat deine Geschichte eigentlich ganz gut gefallen, weil sie sich ganz gut lesen lässt.

Ich war dann einerseits ganz froh als ich gelesen habe, dass es keine wirkliche Kurzgeschichte ist, sondern nur ein Prolog, hatte schon befürchtet, ich hätte 'die Moral von der Geschicht' nicht verstanden :). Andererseits finde ich es etwas unfair, so was als Kurzgeschichte hier zu posten. Dadurch dass es keine abgeschlossene Geschichte ist, lässt du den Leser einfach hängen. Du kreierst eine Stimmung und führst deine Hauptperson und sein Problem ein, und dann .... Ja, was dann?

Wie gesagt, sie lässt sich flüssig und schön lesen, dein Stil gefällt mir, aber inhaltlich kommt da nicht allzu viel rüber, weil halt irgendwie die Botschaft fehlt. Er hat sie doch gar nicht wirklich vergessen, er hat vielleicht nicht an sie gedacht. Aber alleine die Tatsache, dass ihm all diese Gedanken durch den Kopf geistern, bloß weil er dieses spezielle Lied hört zeigt doch, dass er sie nicht vergessen hat. Es ist auf einmal schlagartig alles wieder präsent.

Eine Kleinigkeit, die mir beim Lesen aufgefallen ist:

„Das erste morgendliche Licht fiel durch die kleinen Löcher in der Jalousie ...“

„Ich sprang aus dem Bett und ging ans Fenster. Auch wenn es nahezu ausgeschlossen war hatte ich das Gefühl, dass sie jeden Moment die Straße entlang käme.“

Mag ja etwas pingelig sein, aber die Jalousie ist doch unten. Stört mich auch nur deshalb, weil du vorher alle Handlungen deines Protagonisten relativ ausführlich beschreibst. Dann sollte er aber auch die Jalousie öffnen, bevor er rausguckt :)

In diesem Sinne: Würde mich schon interessieren, wie es weitergeht!

Viele Grüße

Flo

 

Stimmt, ich werde ihn die Jalousie wohl noch hochziehen lassen... ;)

Naja, eine kleine "Moral" ist schon in der Geschichte drin, denke ich. Eben genau das, was Du beschrieben hast, über das Vergessen und Nicht-Vergessen, die Selbstvorwürfe, etc...

 

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