Dschungelwelt
Mit sichtlicher Anstrengung kämpften sich die drei Männer durch die üppige, undurchdringliche Dschungellandschaft.
Sie trugen weiß-blaue Raumanzüge und luftdichte Schutzhelme, die wie übergroße Glaskugeln wirkten.
Plötzlich begann einer von ihnen zu straucheln und ließ sich einfach auf den matschigen Untergrund plumpsen.
„Ich … ich kann nicht mehr“, gab der erschöpfte Mann von sich.
Unter dem Sprachverstärker des Raumhelms klang seine Stimme verzerrt und irgendwie roboterhaft.
„Halte noch ein bisschen durch, Brian, die Basis muss gleich um die Ecke sein“, sagte einer der beiden Gefährten, ein deutschstämmige Mann, der auf den Namen Marvin Goetzel hörte, und beugte sich über ihn.
„Was … was heißt hier durchhalten? Ich … ich glaube jeden Augenblick zu ersticken, verdammt!“
Dann begann der Ärmste verzweifelt nach Luft zu schnappen. Wie wild gebar er sich, warf sich hin und her, schlug mit den Armen um sich. Schließlich versuchte er sogar, sich den Helm vom Kopf zu reißen.
„Mach keinen Blödsinn“, rief Goetzel entsetzt, „die Luft auf dieser Dschungelwelt ist so giftig, es zerreißt dir bei einem einzigen Atemzug die Lunge!“
Augenblicke später wurde es still. Die Bewegungen des Mannes erschlafften. Er war tot.
„Gott, was für ein grauenhaftes Ende“, kommentierte Hendrik Wilboury und verdrängte den Gedanken, dass auch ihm und dem Deutschen der Erstickungstod drohte, sollten sie nicht rechtzeitig zur Station gelangen.
„Armer Kerl“, erwiderte Goetzel, „jetzt hat es auch ihn erwischt.“
Erst vor knapp zwanzig Minuten musste das vierte Mitglied auf schauerliche Art sein Leben lassen. Als die kleine Gruppe einen knietiefen Sumpf durchquerte, trafen die vier Männer auf eine gigantische Schlange, einer irdischen Riesenanakonda ähnlich, die sich den 44jährigen Albert Brightman als Opfer aussuchte. Hilflos wurden die übrigen drei Gefährten Zeuge, wie sich der massige Leib des Ungetüms um den Körper des Mannes wickelte und ihn erbarmungslos im Schlepptau haltend mit sich zerrte.
Marvin Goetzel blickte nachdenklich nach oben. Durch das dichte Blätterdach der hohen Bäume konnte man kaum ein Teil des Himmels erkennen. Er glaubte, die tropische Hitze durch den isolierten Schutzanzug auf seiner nackten Haut zu spüren.
„Komm schon, Hendrik, lass uns weiter gehen“, sagte er schließlich.
Der Angesprochene nickte stumm. Gerne hätte er dem Toten ein anständiges Begräbnis gegönnt. Sein Verstand sagte ihm allerdings, dass jede weitere Verzögerung für ihn genauso tödlich enden könnte, denn auch sein Sauerstoffvorrat nahm rapide ab.
Die vierköpfige Besatzung war mit ihrem Raumschiff auf dem Weg zum Dschungelplaneten Yarvin 3. Vor vielen Jahren schon wurden auf dieser ungastlichen Welt hermetisch abgeriegelte Basen erbaut. Fieberhaft arbeiteten Wissenschaftler aus allen Teilen der Erde daran, die Atmosphäre so umzuwandeln, dass ein Mensch auch außerhalb überleben kann. Irgendwann, wenn ein Leben auf der Erde nicht mehr möglich war, sollte die Dschungelwelt zu einer neuen Heimat für die Menschen von der Erde werden.
Während des Landeanflugs auf Yarvin 3 musste etwas schief gegangen sein. Der Bordcomputer weckte die Besatzung in letzter Sekunde aus dem Hyperschlaf, während das kleine Schiff schon kurz vor der ultimativen Bruchlandung war.
Ganze vier Tage verbrachten die Männer innerhalb des Wracks. Weder zur Erde, noch zur nächst liegenden Bodenstation ließ sich mit den defekten Instrumenten eine Verbindung herstellen. Schließlich stürzte auch der Notstrom zusammen, was selbstverständlich auch den Totalausfall der Sauerstoffversorgungsanlage hervorrief. Mit einem Peilgerät ausgerüstet, machten sich die Männer zu Fuß auf den Weg. Laut des kleinen, tragbaren Gerätes, mussten sich nicht weit entfernt Bauwerke befinden. Sie glaubten, die Sauerstoffversorgung in den Schutzanzügen würde lange genug ausreichen, dass sie die Station erreichen würden, ohne vorher den grausamen Tod durch Ersticken zu erleiden.
Allmählich kamen Marvin Goetzel und Hendrik Wilboury, den letzten Überlebenden des Teams, ihre Zweifel.
„Herrgott, wie weit ist es denn noch?“, fragte Wilboury irgendwann, während er vorsichtig über verschlungenes Geäst kletterte.
Hoffentlich reiße ich mir nicht den Anzug auf, dann ist es gleich vorbei mit mir!
„Es … es muss gleich um die Ecke sein“, antwortete der andere und stierte auf die Anzeige des Gerätes, das er in seiner behandschuhten Rechten hielt.
Marvin Goetzel fiel das Atmen mehr und mehr schwer. Er musste sich zusammen nehmen, damit er nicht in Panik ausbrach.
Der Gefährte, der sich ein paar Meter weiter hinter ihm befand, antworte: „Das hast du bereits vor zwanzig … vor zwanzig Minuten gesagt.“
Der hoch gewachsene Mann begann hektischer zu atmen.
Die Luft geht aus, die Luft geht mir aus, schoss es ihm durch den Kopf.
„Verflucht, Hendrik, nicht in Panik geraten, sonst geht es nur noch schneller! Versuche langsam und kontrolliert zu atmen!“
Es gelang ihm nicht!
„Marv … Marv, sag` meiner Fr …“, brachte er noch heraus, bevor ihm die Stimme versagte.
Die Augen, die Marvin Goetzel aus dem beschlagenen Helmvisier anstarrten, schienen fast aus ihren Höhlen zu sprengen. Wilboury keuchte, japste nach Luft, während er sich verzweifelt an dem Kameraden fest klammerte.
Es kam, wie es kommen musste. Plötzlich wurde er schlaff und Goetzel wusste, das er einen Toten in den Armen hielt.
Kaum, als er ihn sanft zu Boden hatte gleiten lassen, fing es bei ihm an. Er konnte es nicht verhindern, dass er von Panik erfüllt immer schneller und hektischer nach Luft schnappte. Es dauerte nicht lange und es wurde schwarz um ihn. Marvin Goetzel brach über seinem Kameraden tot zusammen.
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„Hier liegen die anderen beiden!“, rief ein schlanker Mann etwa Mitte vierzig und ging neben den toten Raumfahrern in die Hocke.
Kopfschüttelnd nahm er sich den schweißfleckigen Hut ab und fuhr sich durch das verschwitzte Haar.
Langsam nahm er der Leiche des Deutschen den Helm ab.
„Und?“, fragte ein anderer Mann, der etwas kleiner und bulliger wirkte.
„Verdammt. Genau wie bei dem anderen weiter hinten. Die armen Teufel sind in ihren eigenen Schutzhelmen erstickt. Grotesk, was, Frank?“
Der Mann sah an dem anderen hoch. Dieser schüttelte den Kopf und seufzte.
„Ich verstehe das nicht. Warum haben sie nicht einfach ihre Helme abgenommen und Luft eingeatmet? Wir sind hier schließlich am Rande des Amazonas!“
„Ich vermute, sie haben gar nicht gewusst, dass sie auf der Erde abgestürzt sind. Sie glaubten sicher, eine Bruchlandung auf Yarvin 3 gemacht zu haben und sie wollten zu Fuß zur nächsten Basis.“
„Aber … aber wie kann das passieren?“
„Dazu müssen unsere Experten erst den Bordcomputer ihres Schiffes untersuchen.“
Der Sprecher deutete mit einem Kopfnicken in Richtung des Himmels und fügte hinzu: „Irgendetwas muss dort draußen passiert sein. Während sich die Crew in der Tiefschlafphase befand, wurde das Schiff zurück zur Erde katapultiert. Die armen Kerle wurden vermutlich erst nach Eintritt in die Erdatmosphäre geweckt. Und da das Bordsystem komplett zusammen gebrochen war, glaubten sie sich auf Yarvin 3. Es war wohl Schicksal, dass sie ausgerechnet im afrikanischen Regenwald runter gekommen sind. Auf den ersten Blick kann man diese Umgebung auch wirklich nicht von dieser Dschungelwelt unterscheiden.“
ENDE