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Drei Wünsche frei
Ich war gerade erst aufgestanden und verschlafen noch schaute ich durchs Küchen-fenster hinüber zur Kirchturmuhr. Es war fünf vor zehn, die Sonne hatte sich - gestern oder vielleicht ein paar Tage früher schon - für den Sommer umgezogen, und sah blendend aus in ihrem gelben Kleid vom letzten Jahr. Der Himmel war so blau, wie sich's gehörte, hinter dem Hause knatterte der Rasenmäher wie ein uralter Traktor und aus der Kaffeemaschine kam nur heisser Dampf, als es an der Türe klingelte. Ich ging hin, öffnete und fragte: "Was wollen Sie?"
Ich mag Leute nicht, die mir unter der Wohnungstür Staubsauger oder Zeitschriften andrehen wollen, denn ich habe alles was ich brauche und noch viel mehr dazu.
Doch sie lächelte märchenhaft, was man heute nur noch selten sieht und quasselte munter drauflos, ohne dass ich so richtig zuhörte, denn ich war nicht besonders gut drauf. Ich wollte einfach meine Ruhe haben.
Aber dann musste ich etwas aufgeschnappt haben, wurde plötzlich munter und fragte, zwar immer noch nicht gerade freundlich: "Kann ich ihren Ausweis sehen, bitte!", weil Vertrauen gut, Kontrolle aber besser ist. Sie lächelte immer noch märchenhaft, ich sah mir den Ausweis genauer an, und traute meinen Augen kaum.
"Das kann ja nicht wahr sein", sagte ich mit belegter Stimme. "Aber eine richtige Fee habe ich mir anders vorgestellt. Mehr so - wie soll ich sagen -mit Schleiern und güldenen Schuh'n, Diadem im Haar und, natürlich, einem Zauberstab - Aber eben, die Zeiten haben sich wohl verändert."
"Und Sie arbeiten immer noch nach dieser alten Methode, Sie wissen, was ich meine - bei der jede Fee zu jedem hergelaufenen Fischer oder Holzfäller, zu den Fabrikarbeitern der < Sulzer medical>, oder zu völlig zerlumpten Fixern sagt: "Du hast drei Wünsche frei? - - Wo denken Sie denn hin, das können Sie doch heute nicht mehr bringen, sowas glaubt Ihnen kein Mensch! Aber wissen Sie was, lassen Sie mir mal den Katalog da, bitte, mit Bestellschein, samt zwei Kopien."
"Die Bestellnummer siebzehn", sagte sie mit zuckersüsser Stimme,"ewiges Leben samt zwei neuen Hüftgelenken und einem Herzschrittmacher - wohlverstanden, ist aber schon längst nicht mehr am Lager. Der grossen Nachfrage wegen erst wieder zweitausendundzwanzig lieferbar."
"Ach Du, mein Gott", sagte ich müde, "bis dann hat mich längst schon der Teufel geholt."
"Und auch diese Goldesel", fügte sie leise hinzu, "die grosse Goldtaler scheissen, sind nicht mehr im Sortiment, wegen den dauernden Einsprachen der Tierschutzorganisa- tionen."
"Und am nächsten Montag ist schon Einsendeschluss?" las ich verwirrt.
Ich hörte ein leises, pfupfendes Geräusch, schaute hin, und dort, wo sie gestanden, war nur noch ein blaues Räuchlein zu sehen, das sich kokett auf der Fussmatte räkelte. Über die steinernen Stufen des Treppenhauses hörte ich ein Klappern von Absätzen sich schnell entfernen. Wie ich den Lichtschacht hinunter guckte, sah ich ein Händchen, das eher wie ein Katzenpfötchen aussah, auf dem Handlauf nach unten rutschen.
Bevor ich in ein hysterisches Gelächter ausbreche blinzle ich fassungslos in die Sonne. Sie scheint dem Zustand einer Supernova um einiges nähergekommen zu sein. Ich schlucke leer und rufe der Entschwundenen eine letzte Frage hinterher: "Und die Frankatur wird tatsächlich vom Empfänger bezahlt?"
Die Kaffeemaschine spuckt nur noch heise Luft, ich fluche vor mich hin und trinke kalte Milch.
Meine Gehirn arbeitet mit Hochdruck: Alles wird anders, nichts bleibt wie es war. Was alles man sich wünschen könnte, einen feuerroten Ferrari mit zwölf Zylindern, eine weisse Villa am Gardasee. Campingfreuden am Mittelmeer, eine Kreuzfahrt in die Antarktis. Klubschulkurse gegen die Einsamkeit, einen Fensterplatz im Himmel, gleich neben dem lieben Gott.
"Das muss ich gleich meinem Bruder erzählen", geht es mir durch den Kopf, "vielleicht gibt es etwas Kombiniertes, er war doch schon als Kind eine Kanone im Wünschen, mal fragen, wie gut er's noch kann."
Und wie ich zum Fenster hinaus schaue, da sehe ich beim Bally drüben an der Ecke einen durch die Drehtür gehen, nicht wie ein gewöhnlicher Mensch, sondern auf drei Beinen, zwei aus Stahl und einem aus Fleisch und Blut. Er kauft sich dort wohl Schuhe, ja was denn sonst, und er sagt zur Verkäuferin, er wolle nur die Hälfte von einem Paar.
"Sie sehen ja selbst, den zweiten Schuh lass ich da, und wenn einer kommt . . , "Das geht leider nicht", sagt sie schroff, "suchen Sie sich doch selber einen, dem das andere Bein fehlt."
Ich gehe über die Strasse auf meinen zwei noch sicheren Beinen, und ich sage zu ihm: "Vielleicht kannst du annoncieren in der Zeitung oder im Internet. Suche Mann, Schuhgrösse zweiundvierzig mit Beinamputation rechts, zwecks Gründung einer Kaufgemeinschaft, ein Paar für Zwei. Und dann erzähle ich ihm von dieser total verrückten Sache mit der Fee. Eigentlich sei ich aud diesem Gebiet nicht so gut aber ich hätte einen Bruder, der war in der Schule Juniorenweltmeister im Wünsche ausdenken.
Und so sassen wir dann zu dritt draussen im Biergarten blätterten im vielseitigen Katalog, schwatzten darüber, was alles man sich wünschen könnte. Wir fanden aber auch heraus, wie schwer es war, sich einigen zu können, was denn wirklich das Leben sorglos macht. Was willst Du mit einem Ferrari, wenn du kein Geld hast, um Benzin zu kaufen. Drei Wünsche, das wurde uns klar, waren zu wenig, doch wir hatte Zeit bis am Montag. Wir bestellte öfters einen halben Valpolicella, und immer wieder für jeden ein Eingeklemmtes mit Schinken und Essiggurke, und da wir bis heute nicht gestorben sind, denken wir immer noch darüber nach, warum wir damals diesen Wunschzettel nicht abgeschickt haben.