Drei Texte Leben Liebe Tod
Drei Texte Leben Liebe Tod
2. Juni 2002
von rikki.o
Die Erinnerung an mein Leben (3)
Ich stehe hier an der Straße und warte. Ich warte auf meinen Händler, er bringt mir Leben. Schon sehr lange kaufe ich Leben, frisches, gutes Leben. Er bringt es mir und ich kaufe es. Ich warte und wenn er kommt kaufe ich es.
Das Leben in der Hand gehe ich nur wenige Schritte in eine Seitengasse. Ich kann es nicht erwarten von meinem neuen Leben zu kosten. Mein ganzer Körper will jetzt endlich von meinem neuen Leben probieren. Nur ein bisschen Leben und den Rest später. Mein neues Leben muss ich mir einteilen. Es ist wunderbar, wunderschön dieses neue Leben, mein Händler hat es mir verkauft.
Ich liege auf der Straße und das neue Leben ist in mir. Ich habe viel Leben genommen, der Rest reicht nicht mehr. Ich habe zu wenig von meinem Leben übrig gelassen.
Eine Ratte läuft mir über den Brustkorb, dann kommen sie, die Menschen. Erst einer, der holt dann den nächsten. Sie wissen, dass ich zu wenig von meinem Leben übrig habe – sie sprechen mit mir. Ich kann sie hören und ich kann sie sehen. Sie wollen mein Leben nicht und ich bleibe stumm. Ich bewege mich nicht mehr, der Rest meines Lebens liegt auf der Straße. Ich hatte viel zu viel Leben, jetzt ist nichts mehr übrig von meinem frischen, gutem Leben.
Die Erinnerung an meine Liebe (3)
Ihre Haut ist weich, wie Samt. Ihre Lippen sind fest. Ich streichele sie, sie liebt mich. Es erregt mich ihre Haut zu berühren, sie ist weich, wie Samt. Ich küsse ihre Lippen, sie sind fest.
Sie liegt da, sie erwarte mich täglich und liegt da, mit festen Lippen. Ein eigenartiger Geruch entschwindet ihrem Mund, doch ihre Lippen sind fest.
Ihr Bauch schwillt von Tag zu Tag mehr an, ganz wie eine Schwangere. Ich habe sie nicht geschwängert. Ihre Haut ist weich, wie Samt, meine Finger gleiten durch einen dünnen Flüssigkeitsfilm. Ihre Haut ist schwarz und grün.
Sie hat mich betrogen und ihr Bauch wächst. Heute füllt der Geruch ihres Mundes das ganze Haus. Sie liebt mich nicht mehr, sie liebt ihn. Meine Liebe liebt nur noch ihn, sie ist seine Konkubine. Ich werde mir eine neue Liebe suchen. Sie werde ich hinaustragen und begraben.
Meine neue Liebe hat Haut weich, wie Samt.
Die Erinnerung an meinen Tod (3)
Die Mutter, unsere Mutter ist Schwanger. Ihr Bauch wächst und keimt. Es wird nicht mehr lange dauern. Ich liege da und warte. Ich warte auf die Geburt.
Der Geburtskanal hat sich geöffnet. Ich kann hinein sehen. Es eröffnet sich der Schlund eines Vulkans. Er ist übersäht von lauter Rissen, in denen blutrote Lavaströme laufen. Ich liege da und sehe hin, genau hin.
Meine Familie steht um mich herum. Sie sehen es nicht, sie sind blind. Ihre Augen sind rot, blutunterlaufen. Die Geburt beginnt, die Kontraktionen eilen einander hinterher.
Das soll meine Familie sein, „seht ihr denn unsere Mutter nicht?“ Sie weinen und ich liege da. Sie sind Schafe, sie sind blind.
Das Kind kommt jetzt, zuerst eine kleine Spitze. Bin ich denn ihr Hirtenhund, sie schauen nur auf mich. Ich bleibe stumm. Eine knochige Hand kommt zum Vorschein. Ich sehe es aber sie stehen nur da.
Langsam presst sich der kahle Schädel hervor, die Augen sind nur leere Höhlen. Ich liege da und sie, sie weinen.
Es fehlt nur noch der zweite Fuß dann ist er da. Ich gebe auf! Meine Familie, die Schafe, können sich alleine um die Nachgeburt sorgen, darauf warte ich nicht.