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Drei Tage mit Örnie
Der Ofen
Ende März und die Terrasse ist wieder eröffnet. Die Professoren bekommen Tageslicht zu ihren gereichten Drinks und die Nachbarschaft darf wieder teilhaben an Holsten Edel, Zigaretten und nur dem HSV.
Thema ist wohl gerade der Dorsch, aber so genau kann man das nicht sagen. Vier Tische unterhalten sich mit und gegeneinander. Jeder Tisch hat dabei noch seine eigenen Nebenthemen zu besprechen. Eigentlich hat da jeder Gast sein eigenes Thema, das er in die Runde wirft.
Da denkt man, ich setz mich schön in den Vorgarten, schnapp mir meinen Laptop und lausche was nebenan so gequatscht wird. Aber mein Gott! Sind die Gespräche uninspirierend! Ein Gebrabbel von Fisch, dem HSV und irgendwer hat Geburtstag - möchte deswegen ein paar Bier trinken - schwappt hier zu mir rüber.
Mir fällt auf, wie unglaublich schnell betrunkene Leute labern und man weiß nie, wann sie auf die hingekrächzten Aussagen antworten. Da können ganze Passagen vergehen, bis Thema XY von vor fünf Minuten plötzlich wieder aufgegriffen wird. Kein Wunder, das die sich nebenan ständig in die Haare kriegen.
Was sich dort zurzeit aufhält ist einfach zu dumm fürs Miteinander. Das geht so lange gut, wie jeder der dort Anwesenden seinen Dünnschiss auf der Terrasse abladen kann, ohne eine sinnvolle Gegenrede zu erwarten.
Man könnte sich tatsächlich fragen, worauf die USA als nächstes ihr Augenmerk legen, nachdem sie sich aus Europa zurück gezogen haben werden.
Ich mein, Trump erzählt doch Quatsch, wenn er behauptet, die USA würde sich ab sofort mehr auf sich konzentrieren. Die haben Waffen! Ne Menge Waffen, und die werden von den Staaten auch benutzt. So war es immer und Trump ist nicht derjenige, der diesen riesigen Militärapparat still liegen lässt.
Deutschland schaut derweil in Richtung Jerusalem, verurteilt die Siedlungspolitik im Westjordanland öffentlich. Politische Kritik an Israel ist verdammt selten, aber es ergibt insofern Sinn, dass sich Deutschland, bzw. Europa mehr auf sich und die Ukraine konzentriert. Mit dem Nahen Osten will Europa nichts zu tun haben.
Die USA werden, genau wie Israel, starkes Interesse am syrischen Luftraum haben. Taiwan, China könnte es sein. Oder das Nordpolarmeer?
Ich habe keine Ahnung...vielleicht stell ich die Frage im Ofen.
"Der Trump bringt uns den Frieden, der macht auf Kumpel mit Putin und fickt die Ukraine!", sagt so'n Typ am Tresen sitzend, mit drei schwarzen Stumpen im Maul, die nach vorne stechen wenn er redet. Sein verwaschenes Cap trägt er zielsicher nach hinten und trinkt genüsslich an seinem Bacardi Cola. "Der übernimmt die ganzen Kernkraftwerke...", noch ein Schluck, "der wird die Ukraine besetzen, sich alle Bodenschätze in die Taschen stecken und dann wird der Trump schön alles nach und nach dem Russen geben. Damit der Putin dem Chinesen auf den Sack geht", philosophiert er weiter.
"Ich hab Geburtstag", stellt sein Bier neben den Deckel ab, "darum sag ich da jetzt auch mal was!", viel zu laut, "wir sind genau eine Wahl hinter Trump und diese Wahl kommt schon bald. Diese ganze Scheiße da, die pumpen tausend Milliarden in irgendwelche", Pause..."ich nehm noch 'n Helbing...", den er auch prompt eingeschenkt bekommt,"... Kriegsscheiße!".
"Bald zahlen wir mit unseren Zigaretten", zischt es zwischen den Stumpen her. "Darauf Prost", sagt der Geburtstagsidiot, kippt den Helbing und verschwindet wieder nach draußen.
Dort geht das Gespräch ohne jedweden roten Faden weiter. Ich jedenfalls habe meine Antwort bekommen und biete mein auf Wiedersehen an, denn ich will mich noch ein wenig frisch machen.
Malena und Hans-Christian schauen im Dschungel Pauli gegen Bayern. Ich glaube in der Atmosphäre gönn ich mir drei Bier. Ich muss eh mein Konto plündern, bevor am 01. wieder irgendeine Scheiße abgebucht wird und ich direkt pleite bin.
Malena ist insoweit ein seltener St. Pauli- Fan, als das sie auf gar keinen Fall gendern möchte, geradezu genervt von diesem Thema ist und Null Komma Null verstehen kann, warum man Schaumküsse heutzutage nicht mehr so nennen darf wie in ihrer Jugend.
Diese Diskussion führte sie einst sogar am Millerntor, erntete dafür äußerst wenig Verständnis, wovon sie sich aber nicht beirren ließ.
Ich möchte kein falsches Bild von ihr malen. Sie ist, wie es sich für einen St. Pauli-Fan gehört, von diesen Ausnahmen abgesehen, offen gegenüber der Welt, hasst die AFD und sucht die Probleme der Integration nicht bei unseren zugezogenen Mitbürger:innen, sondern bei dem mangelnden Integrationswillen unserer Politik.
Sie hat gerade eine Umschulung zur Kauffrau im Groß- und Außenhandel fertig, Prüfung eine glatte Eins. Aber da sie über 50 ist und in der Branche allgemein bekannt ist, wie schlecht die Schulen in der Erwachsenenbildung arbeiten, hat sie keine Chance auf einen Job. Über 60 Bewerbungen in zwei Monaten sind rausgegangen.
Nun ist sie zum Handeln gezwungen, das Arbeitslosengeld läuft aus.
Hans-Christian ist ein alter Ex-Hells Angel, zumindest behauptet er das. Ich denke, er ist Angels Supporter, was meilenweit von einer Hells Angels Mitgliedschaft entfernt ist. Es ist eine Art Fanclub, wobei mir nicht in den Kopf will, was für eine Art Fan man da ist. Steht man auf dem Kiez und feiert den Menschenhandel? Prostet man sich zu, wenn jemand aus dem Chapter wieder einen guten Drogendeal, Waffendeal...was weiß ich...zum Abschluss gebracht hat? Aber auch von Hans-Christian möchte ich kein unvollständiges Bild malen. Er ist der Typ Mensch, der auf Reisen immer ein Seil dabei hat, um im Falle des Falles aus einem brennenden Haus entkommen zu können. Er ist schon in Ordnung, gibt nur irgendwo mit seltsamen Eigenschaften an. Aber wer Feuerwehrmann ist, an COPD leidet als Folge dauernder Einsätze, der kann so schlecht nicht sein.
"Der Goldpreis steigt und steigt", sagt Hans-Christian. "Ja, scheiße!", sag ich. "Vor einem Jahr habe ich meine Unze mit Gewinn verkauft. Ging für die Ausbildung drauf. Was in diesem Jahr passiert, ist schon krass. Heute hätte ich noch einmal Tausend Euro mehr für die Unze bekommen."
"Nichts hättest du mehr bekommen!", entgegnet Malena. "Gold hat immer die gleiche Kaufkraft. Die Dinge, die du dir mit deiner Unze geleistet hast, kosten heute Tausend Euro mehr."
"Ja, ist auch was dran.", sag ich.
"Das war schon Quatsch vor der Wahl, und ist jetzt noch quätscher!" prostet Hans-Christian. "Genosse Arschloch", prosten wir zurück.
"Was soll das hier? Was Genosse Arschloch? Seit hier falsch, oder was?", zickt es vom Nebentisch.
"Hör mal zu, Karen!", zischt Malena zurück. "Das ist der Wehner! Der hat mehr im Kampf gegen die Nazis geopfert als du in deinem ganzen Leben gegen die AfD irgendwo posten und liken könntest!" Karen, matt. Malena, stolz.
"Was machst du denn jetzt? Jobben? Gastro?", frag ich? Etwas verlegen spricht sie, "...ähm, tatsächlich direkt die nächste Ausbildung.".
"Ha! Wie geil! Was denn?".
"Ich werde Schaffner!", sagt sie stolz.
"Zugbegleiterin?", frag ich. "Ja man, zwei Monate durchpowern und fertig! Montag geht es los. Und vor allem das Beste, ich werde übernommen!"
"Wie wenn aus kacke Gold wird.", sag ich.
"Das ja Quatsch!", stimmt Hans-Christian an, "sogar noch Quätscher!" stimmen wir zurück.
Das Spiel hält leider keine Überraschung parat. Die Bayern lassen nichts anbrennen und behalten die drei Punkte in München. Starke 1.Halbzeit von St. Pauli, keine schlechte 2., aber Bayern macht so viel Druck, dass St. Pauli irgendwann die Fehler machen muss, die dann auch kommen. Das 3:2 am Ende sieht spannend aus, war es aber nicht.
Nach dem Spiel schau ich noch im Ofen vorbei.
Als ich die Tür aufreiße, kommt mir der Sound von Andrea Berg entgegen, genau wie Ralf.
Sein Oberteil zeugt von einem harten Abend. Das Shirt vom Hals bis zum Dekolleté nass. Ralf fällt mir um den Hals. "Du musst mit mir tanzen! Niemand tanzt hier mit mir.", schreit er mir ins Ohr.
"Ich, äh... was?" Nun gut, tanz ich also mit ihm. Stepp links, Stepp rechts, den Ralf drehen lassen, nochmal drehen, kurzer Stepp, zu mir eindrehen, einen Kreis tanzen und Drehung.
"Ralf, ich wollt eigentlich ein Bier!", schrei ich gegen die Musik an und lass ihn sich noch einmal drehen. Er stoppt und bleibt schwankend stehen. "Wow, du kannst das ja richtig, aber mir ist schwindelig. Großes?", ein beißend süßlicher Geruch von Erbrochenem kommt mir entgegen, "ja, bitte."
"Den Höcke kann ich ja auch nicht leiden, aber die Weidel find ich klasse, die hätte hier einen Tag nach der Wahl direkt aufgeräumt.", sagt er völlig ausgewechselt hinter dem Tresen angekommen.
Ist wohl einer der Abende hier, wo man sich nur schämen kann, hier ein und auszugehen. Nur was soll man machen, wenn der Laden direkt nebenan ist. Familie und Nachbarschaft kann man sich nicht aussuchen.
"Ich komme aus Thüringen.", sagt ein weiterer Gast. "Ist ja klasse, dass ich hier so offen reden kann. Man traut sich ja nicht mehr seine Meinung irgendwo öffentlich zu äußern." "Doch, doch...," fährt Ralf fort," wir werden immer mehr, und nicht nur Deutsche, mehr und mehr Ausländer finden selbst das es zu viele von ihnen gibt. Jeder 4. will uns wählen!"
"Bitte schön.", grinst und stellt mir mein Bier hin.
"Nein Danke.", sag ich. "Ist mir heute eine Spur zu 33 hier."
Und bin auch schon wieder weg. Der Wecker klingelt eh früh.
Im Klinikum
"Hey Ocho, Mäusezahn." Was freu ich mich nach Hause zu kommen. Der Hund blickt kurz hoch, gähnt, schwänzelt einmal links rechts mit dem Schwanz - er freut sich auch.
Ich leg mich zu ihm auf den Boden. Zehn Minuten nappen bis ich weiter muss. War kein harter Tag heute, aber ich bin seit fünf Uhr Früh auf den Beinen.
Okay, ich muss los.
Ocho schaut wie jedes Mal, wenn ich gehe oben aus dem Fenster. Fast vorwurfsvoll sieht sie mir hinterher, weil ich sie nicht mitnehme. Aber Sorry, mein Hund. Ich kann dich nicht mit in das Krankenhaus nehmen.
"Moinsen, ich bin der Termin zur Thrombo-Spende um 14:30 Uhr.", erkläre ich mich. "Bitte ausfüllen und direkt in Raum eins oder drei durch.", erklärt sie.
Ich habe wenig Lust auf die nächsten 90 Minuten, aber irgendwie fühlt man sich gut nach der Spende. Schon ein wenig heldenhaft.
Das Anti-Gerinnungsmittel, damit mein Blut nicht in der Maschine stockt, lässt meine Zunge, meine Lippen und die Fingerspitzen eigenartig kribbeln. Als stände das High kurz bevor, nur da kommt keins.
"Das doch Blödsinn!", sagt so ein Typ neben mir.
"Ja, sind ja alle nett und freundlich, aber die haben einfach keine Zeit mehr für einen." antwortet eine ältere Dame neben ihm. Sie spendet nicht, begleitet den Typen nur. Ist das ihr Sohn?
"Ich habe das Kapaltunnelsyndrom.", fährt sie fort, "muss operiert werden. Spüre meine Finger nicht mehr."
"Ach, Gundel. Wir waren doch schon durch mit dem Thema." und wendet sich an die Schwester. "Könnte ich noch Calcium bekommen?"
"Wir müssen noch den Kohl kaufen, das weiß ich.", und bringt damit das Gespräch in eine neue Richtung.
"Weißkohl oder Spitzkohl?", fragt er sichtlich gelangweilt nach.
"Weißkohl. Und Mayonnaise. Möhren brauchen wir auch."
"Super Gundel, dies noch und das noch. Am Ende heißt es doch nur, das ganze Geld hier geht direkt wieder für den Einkauf drauf. Für den Kohl -7€, die Möhren noch...10€."
"Lieber für Gemüse, Mark, als dass du wieder direkt in die Kneipe läufst."
"Ja, ist ja gut. Nervt mich halt tierisch. Ich sitz hier ewig mit dieser scheiß Nadel im Arm und kann uns nicht einmal dafür belohnen."
"Wir haben auch noch Pfand zu Hause.", sagt sie beschwichtigend.
"Pfff, für den Einkauf reicht das längst nicht."
"Warte Mark, du hast da was." und streicht ihm zärtlich etwas von der Schulter. "Vielleicht sollten wir dieses Jahr auf Fuerte bleiben, länger als die drei Wochen, einfach dortbleiben", säuselt sie sich selbst etwas verträumt zu.
Da kommt die Schwester zurück.
"Bitte schön, ihr Cocktail." Sie reicht den Calciumdrink und er stürzt ihn mit einem Zug hinunter. "Dieses Kribbeln", sagt Mark, "hoffentlich hilft es."
"Trump haut die Zölle rauf, die Länder werden sich auf Rüstung konzentrieren, um die Wirtschaft am Laufen zu halten.", höre ich mich laut sagen als die Nachricht auf meinem Handy erscheint.
"Die Autoindustrie hat da bald eine Menge Kapazitäten frei", antwortet mir Gundel. Ich schau zu ihr rüber und muss lachen. Obwohl sie weiß, dass es hier keinen Anlass zur Freude gibt, lacht sie mit.
"In Frankreich spricht man vom l´avant-guerre, dem Vorkrieg.", meint Mark
"Und mit wem? Mit Trump?", entgegnet Gundel.
"Kein Plan, kann ich mir nicht vorstellen. Wir schaffen uns gerade überall Feinde, vielleicht sind wir tatsächlich nach Corona so am Arsch, dass nur noch Rüstung hilft.", überlegt Mark und ich füge hinzu, "die Idee, den Klimawandel zu nutzen und die Wirtschaft so zu pushen kam ja nicht so gut an."
"Wie meinst du das?"
"War ja Habecks großer Traum. Den Karren mit extremen Investitionen in den Klimawandel aus dem Dreck zu ziehen."
"Der Habeck ist mir tierisch auf die Nerven gegangen", sagt Gundel augenrollend, "wenn der im Fernsehen war, habe ich sofort auf Durchzug gestellt."
"Ja...", sage ich," schwer erträglich, aber recht hat er leider."
Der Rest ist Schweigen. Sind aber auch nur noch zwölf Minuten. 30 Sekunden Entnahme und den Ball kneten, 30 Sekunden Rückfluss. Das wiederhole ich zwei Dutzend Male, dann stöpselt mich die Krankenschwester ab.
"Auf Wiedersehen.", verabschiede ich mich in die Runde.
"Bis in vier Wochen Mister GalacticSuperstarPresidentMcHammergeil!" Hat sie natürlich nicht gesagt, aber so fühle ich mich gerade.
Ich sitze in der U-Bahn. "Manchmal muss man Medizin nehmen, um etwas zu reparieren.", spricht mich ein ganz in Orange gekleideter Mann an.
"Bitte?", sag ich und mach die Musik leiser.
"Niemand kennt das System besser als ich. Deshalb kann nur ich es reparieren. Für einen Euro."
"Okay, das ja günstig. Nimmst du ne Anzahlung?".
"Ungern" sagt er und hält mir seinen Becher hin. Ich schmeiß mein Kleingeld hinein, "reicht nicht ganz, um das System zu reparieren", und schau ihn achselzuckend an.
"Macht nichts", höre ich ihn noch im Drehen, "komm schon noch auf den Euro." Und er verschwindet aus der Tür.
Viel Glück im nächsten Abteil denk ich.
Wieder auf der Terrasse
"Entschuldigung, darf ich einmal zu ihnen kommen?"
"Worum gehts denn?"
"Firma AON. Es geht um die Strom- und Gasversorgung."
"Kein Interesse. Danke."
"Trotz der steigenden Kosten?"
"Kein Interesse! Danke!"
"Wie war das?" fragt meine Nichte.
"Penetrant, äußerst nervig und dein rotes Kostüm schmerzt in meinen Augen", antworte ich ihr.
"Die Klamotte ist kacke, stimmt, aber penetrant muss ich sein! Kein nein ist zu akzeptieren", schnippt sie mir entgegen, "und jetzt unterschreib das. Ich brauche die Provision."
Entgeistert schau ich sie an. "Nein heißt nicht mehr, nein? Denkst du nicht Nichte...", und muss schmunzeln, "...dass es der Welt schon beschissen genug geht? Ich unterschreibe bestimmt nicht bei diesem Atomverein."
"Atom, Wind, Sonne, Gas..., das ist mir doch komplett scheißegal!", schimpft sie, "ey, ich zahl vierstellig Miete für mein verkacktes WG-Zimmer! Mein Kater hat ne appe Pfote und ich sitz auf der Rechnung vom Tierarzt, die auf ewig bleibt. Scheiße, ich bekomme ja kaum was in den Kühlschrank."
"Du kommst gleich sowas von mit," sag ich, "in der Baracke spielen die Oi Angels und du brauchst dringend einen guten Abend!"
Da schaut Ralf über die Hecke. "Aber vorher kommt ihr noch auf ein Bier rüber und dann reden wir, was ich zahlen muss, dass du bei mir arbeitest."
"Meine Nichte wählt aber nicht die AFD", beantworte ich als onkeliger Beschützer.
"Boah was? Jetzt wegen die Tage oder was?"
"Das war gestern.", sag ich.
"Weißt du", fährt Ralf fort ", was der an Trinkgeld dagelassen hat? Hör ma Kleine, du redest den Leuten ein bisschen nach dem Mund und allein vom Tipp kommst du über die Runden." "Ja, ne danke. Ich habe keine Lust auf ne Nazi-Brown-Nose." Gute Antwort denke ich stolz. "Ach komm, ist doch dein Onkel, der immer von der Kooperative spricht. Kooperatisten dieser Welt vereinigt euch!"
"Hab ich ja auch recht mit.", sag ich. "Mit Nazis macht man keine gemeinsame Sache. Das ist auch keine Kooperation, wenn die ihren Hass bei dir abladen dürfen und du dafür fürstlich entlohnt wirst."
"Ach? Ist es nicht?" und lacht, "Ich muss wieder rein. Mädchen, überleg‘s dir. Besser in der Bar arbeiten, als wie ein Ampelmännchen durch die Stadt laufen." "Ja, aber muss ja nicht deine sein", und wendet sich mir zu. "Alles klar Onkel, ich werde noch arbeiten. Wir sehen uns später."
Da knallt es die Treppe runter und ein Hundenapf rollt durch die Haustür. Der Hund steht bellend am oberen Ende der Treppe. Gut, denk ich, den Hund füttern und ab zum Oppa bringen.
"Örnie, ich hab keinen Bock auf den Köter" und er wendet sich Ocho zu. Er nimmt ihren Kopf sanft in die Hände, krault sie hinter beiden Ohren. "Ich freu mich ja auch, du Kleine du, der Oppa wollt nur gleich noch in den Ofen rüber."
"Ja, nimm sie mit. Da ist nichts los heute."
"Machst du Witze? Da ist später noch Karaoke, ich sing die Internationale´ und ‚Meine Söhne bekommt ihr nicht´."
"Okay", ich lege ein charmant schelmisches Grinsen auf und lasse Ocho los. Sie huscht sofort an ihrem Oppa vorbei. "Sing im Ofen so laut, dass sie dich in Berlin hören können und bring den Köt vorher in die Wohnung hoch."
Ocho dreht sich auf dem Teppich im Flur dreimal im Kreis und macht es sich gemütlich.
Der Oppa nickt. "Hat sie gekackt?"
"Danke dir." Und ich wende mich ab.
"Hat sie gekackt?", ruft er mir ein zweites Mal hinterher.
Ich laufe noch ein paar Stufen. "Nein, gerade erst gegessen, Tchüsseldorf!"
Das Konzert
"Das ja Quatsch", sagt Hans-Christian. "Eine Band, die den neunziger Kram nehmen, der schon immer scheiße war, und da jetzt Punk raus machen."
"Du musst das mit der gewissen Ironie nehmen.", sag ich als die Band die Bühne betritt. Der Schlagzeuger ist lang und schlacksig, angezogen wie ein Tennisspieler. Noch zwei Typen kommen dazu. Der eine als Schlumpf, der andere als Artischocke verkleidet. Der Sänger sieht seltsam bodenständig aus, irgendwie so im Pädagogen Lehrerschick und dann ist da noch diese Frau an der Gitarre, ..."wegen ihr sind wir hier, oder?", wirft meine Nichte ein. Leopardenleggings, ein rosa Tütü und zwischen ihren Beinen ein dicker hängender Lederschwengel. Warum weiß ich nicht.
"Das ist Maria.", fahr ich fort und wende mich wieder an Hans-Christian. "Damals hast du bei Robbie nicht mitgesungen, weil alle Mädels auf Robbie standen und nicht auf dich. Aber heute! Wenn du hier aus voller Inbrunst ‚I´m loving angels instead‘ mitsingst, dann bist du der Mann, der heute da ist, und versteht, was die Mädels von damals gefühlt haben."
"Der Frauenanteil hier ist tatsächlich sehr hoch,", bemerkt Hans-Christian, "lirum larum, lass uns feiern!"
Ich quetsch mich zur Theke durch. Es ist brechend voll und die Band fängt gerade an. Ein Transparent mit zig gemalten Brüsten wird entrollt. So wie man früher Vögel gemalt hat. Nur auf dem Kopf und mit Punkten auf den Flügeln.
"TITTEN!", schreit Maria voller Stolz in das Mikro. "WHOOOOOO...!", kommt es aus der Menge zurück.
Wenn ich nur immerzu Augenkontakt mit dem Thekenpersonal halte, denke ich mir, bemerken die mich am ehesten.
"Ey, du schaust so creepy. Was möchtest du?", na super, "drei Bier, bitte."
Ich muss mich von der Menge mitnehmen lassen, schwimm nach und nach in Richtung Bühne und steh da nun mit meinen drei Bieren.
Da pogt mir eine Frau, die mir bis zur Brustwarze reicht, Ellenbogen voraus in die Seite. "Du musst tanzen, Junge! Sonst spring ich dir noch mal rein!".
"Boah! Fuck, mein Bier ey!" ich rette alle Biere.
"Ich find dich scheiße! So scheiße! So richtig, schschschschsch scheiße!"
Da nimmt Maria mit Gitarre auf dem Rücken Anlauf und springt bäuchlings in die Menge. Ich greif mit dem linken Arm nach oben, mit dem rechten balanciere ich die Biere. Und fuck! Habe ich gerade ihre Brust gesqueezt?
Maria zieht ihr Knie nach vorne und donnert gegen meine Stirn. Ich torkel zur Seite, da steht sie vor mir und zieht mir ihren Schwengel quer übers Gesicht. Stolpernd falle ich auf den Rücken.
Lass die Augen zu, denk ich, wie unangenehm ist das hier.
"Ey Digga, der ist doch safe tot!" Um mich herum bildet sich eine Traube, "nimm ihm ma´ einer die Biere ab."...
"So hart hab ich den Grabscher nun auch nicht geswoffelt." Geht so, denk ich, öffne die Augen und sage, "du bist unglaublich schnell! Gerade noch war ich von mir selbst überrascht und schon habe ich dein Knie im Gesicht."
Sie reicht mir ihre Hand. "Haste auch verdammt verdient!".
"Ja sorry." Sag ich, "war ein reiner Reflex, ich bin tatsächlich ein ziemlicher Idiot. Kann ich dir ein Bier anbieten?"
"Später vielleicht. Ich bin Maria. Wie heißt du?"
"Örnie, mein Name ist Örnie."
"Alles klar Leute. Es geht weiter! Geben wir Örnie eine zweite Chance, aber passt mir auf, dass er seine Hände bei sich behält!"
Ich für meinen Teil muss an die frische Luft.
"Oh Gott, Onkel. Wie peinlich war das denn?", zieht am Joint und reicht ihn mir weiter.
"Auf einer Skala von eins bis zehn? Zwölf!", sage ich.
Da kommt Hans-Christian dazu. "Du brauchst jetzt kein Gras. Du brauchst Schnaps! Viel Schnaps!"
"Schnaps, Gras... alles! Gib mal deinen Flachmann her."
"Aber vorsichtig.", warnt Hans-Christian, "Das ist Prima Feinsprit. Der löscht nicht nur Erinnerungen, zu viel davon und der Feinsprit löscht dich."
Ich setze an und nehme einen großen Schluck. Das Zeugs brennt wie Feuer. Ich muss würgen und aufpassen, dass mir nichts hochkommt. Doch unten angekommen, setzt ein herrliches scheiß-egal-Gefühl ein. "Widerlich! Scheiß drauf! Lass uns tanzen!"
Auf der Tanzfläche habe ich nur Augen für Maria und auch ihre Blicke treffen mich immer wieder. Sie ist so absolut voller Energie, so selbstbewusst, lebendig, kraftvoll. Sie raubt mir den Atem.
Und dann nach zig Covern der Kelly Family, Britney Spears, Robbie Williams und und und... ist das Konzert vorbei.
"Jetzt darfst du mir einen ausgeben, du Grabscher.", sagt sie zwinkernd und knufft mir in die Seite. "Oh wow. Dachte, ich hätte bei dir verkackt."
"Du hast eine zweite Chance, nutze sie."
Wir ziehen uns in eine Ecke zurück und reden dort stundenlang. Nicht über den Krieg, nicht über die Inflation, nicht über all die Sorgen, die sich momentan alle machen. Wir träumen vom Sommer, wir malen uns an einem Abend eine wunderschöne Zukunft aus. Wir trinken und lachen, lachen und trinken. Und dann küssen wir uns.
"Willst du bei mir frühstücken?", frage ich Maria. Sie gibt mir einen Kuss, schaut in meine Augen und antwortet "nichts lieber als das."
Das Frühstück
Ich reiße meine Augen auf. Das Licht blendet und nur langsam kommt Verstand in meinen Geist. Ich bin nicht allein, da liegt sie, auf der Seite und schnarcht sachte vor sich hin. Ich hatte ihr Frühstück versprochen.
Vorsichtig stehe ich auf, halte mich aufrecht an meiner Stehlampe fest, mache zwei Ausfallschritte nach vorne, fange mich an der Gardine und ziehe sie zufällig, aber geschickt zu. "Schlaf weiter", sag ich, "bin gleich mit Brötchen wieder da."
Auf der Straße bewege ich mich nur langsam vorwärts, meinen Zustand kann ich nicht verbergen. Der Atem schmeckt nach toten Hamstern, kalten Zigaretten und er klebt von all den Cola-Korn. Überall sind Leute.
Fahrradfahrer, die knapp an einem vorbeihuschen. "Ey!", schrei ich! "Mach ma vorsichtig du Penner!" Dafür, dass ich eine fantastische Nacht hatte, habe ich ganz schön schlechte Laune, denk ich mir. Aber es ist auch einfach zu früh. Zu früh für all die anderen. Ohne die Menschen wäre es ganz schick hier.
Im Kaiers angekommen stehe ich fragend vor dem Brötchenregal. "Was habe ich ihr versprochen?"
"Wie bitte?", fragt eine Dame neben mir.
"Ähm, ich frage mich, ob ich meinem One Night Stand tatsächlich acht Käsebrötchen versprochen habe."
"Wenn sie es versprochen haben, müssen sie es halten."
"Ja und wenn sie es für einen Witz hielt, dann bin ich der Depp."
"Mit acht Käsebrötchen...," sie überlegt, "...also ich finde es eigenartig, selten, aber auch lustig. Und Humor ist immer der Schlüssel. Ich glaube acht ist genau richtig, junger Mann."
"Das macht 14€", sagt die Frau an der Kasse, als plötzlich alle Telefone vibrieren und Alarm geben.
Die Menschen schauen sich an. Brennt es?
Als auch von draußen die Sirenen erklingen. Ich renne zur Tür, was sehe ich da am Himmel? Der Himmel färbt sich schwarz mit kleinen flirrenden, ...Dronen? Es müssen Dronen sein.
Da stoßen die ersten Richtung Boden mit gewaltigen Explosionen.
Ich schmeiße mich in Richtung Kasse, robbe den restlichen Meter.
Da schlägt etwas durch das Dach. Ein Knall. Eine Druckwelle erfasst mich und schleudert mich durch das Fenster auf die Straße.
Dunkler, schwarzer, schwerer Rauch um mich herum. Ich versuche mich aufzurichten, aber schaffe es nicht von den Knien hoch. Die Welt, sie dreht sich und sie dröhnt, bis tief in meinen Kopf.
Ich schleppe mich in Richtung Häuserwand, versuche wieder aufzustehen, der Brustkorb schmerzt, die Arme haben keine Kraft, da greift mir jemand unter, zieht mich hoch und ich stehe.
Einen Moment wird es ruhig, stumm erscheint der Pilz, ein grelles scharfes Licht.
Nichts mehr.