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Drei Banalitäten
Zwei Herren auf der Straße: der eine um die vierzig, etwa ein Meter achtzig groß, kräftiger Körperbau, tippe mal so um die neunzig Kilo, Durchschnittsgesicht, saubere Rasur, einziger Makel: das Muttermal unter dem linken Auge, nussbraunes, teilweise grau untersetztes Haar, kurzer Schnitt, dunkelblauer Anorak, eine Nummer zu klein, darunter ein grauer Pullover, enge Jeans, schwarz natürlich, stark kontrastierend mit den weißen Tennissocken, eine eher ungünstige Kombination zu den wieder schwarzen Lackschuhen. Der andere modisch eleganter gekleidet: Lackschuhe, dazu schwarzer Anzug mit roter Krawatte (dunkelblaues Hemd, einwandfreier Windsorknoten), darüber, durch die Kälte bedingt, ein grauer Wintermantel. Auch wenn etwas kleiner und dicklicher, so macht dieser Herr auf Frauen sicherlich den attraktiveren Eindruck, was vielleicht auch auf seine freundlichen Gesichtszüge zurückzuführen ist. Eben noch stillgestanden, eine kleine Unterredung, über was? kann ich leider nicht berichten, hatte dies wohl erforderlich gemacht, haben sie sich jetzt wieder im gemächlichen Schritt in Bewegung gesetzt. Der Kleine hat offensichtlich Probleme dem Tempo des größeren nachzukommen. Nach zehn Metern, oder waren es fünfzehn, schien dies auch der Vordermann erkannt zu haben, drehte sich um, gestikulierte auffallend merkwürdig mit seiner linken Hand, streckte die Zunge raus und ging in die Knie. Der Quirlige Eins-sechziger jubelte auf, ein Freudensprung in die Höhe, klatscht in die Hände, nimmt Anlauf, und - schwupps - schon saß er auf den Schultern des Herrn Anorak. Kindliche Freude kam in dem ohnehin schon strahlenden Gesicht des, tja ich würde schätzen, so um die sechzig Jahre, also in dem Gesicht des Älteren auf. Mit sichtbarer Anstrengung versuchte der jüngere Herr wieder auf die Beine zu kommen, die neunzig Kilo auf den Schultern schienen dieses Unterfangen dem stämmigen Mann etwas zu - im wahrsten Sinne des Wortes - erschweren. Endlich das Ziel seiner Bemühungen erreicht setzt sich der eben gewachsene Koloss wieder fort, die Straße entlang, immer die Straße entlang, um schließlich in der Menschenmasse zu verschwinden.
Ich schloß das Fenster. Genug von dem. Das war albern, muss wieder reinen Kopf bekommen. Betrachte die Tasse am Tisch: eine Tasse Kaffee. Mit Milch. Mit Zucker. Kaffee mit Milch und Zucker. Normalerweise trinke ich schwarzen Kaffee pur, im Winter allerdings neige ich dazu, schon seit meiner Jugendzeit, den Kaffee etwas zu erhellen, was eben nur mit Milch möglich - na gut, eventuell auch mit Sahne, was jedoch aufgrund des hohen Fettgehalts eben jener meiner Meinung nach nicht gerade vorteilhaft ist, ich versuche eben, gesundheitsbewußt zu leben - ist; also um zurückzukommen, im Winter menge ich dem Kaffee gerne Milch bei, ich weiß nicht wieso, vielleicht nicht nur als Aufhellung des Türkentranks sondern auch als Aufhellung des Gemüts, gerade im Winter, der Jahreszeit mit der geringsten Sonneneinstrahlung, demnach die dunkelste Jahreszeit, obendrein noch die Periode mit den kürzesten Tagen und den längsten Nächten, gerade in dieser schwarzdominierten Zeit ist es wichtig, so gut es geht Schwarzmalerei zu vermeiden - und diese Lebenseinstellung macht bei mir eben auch nicht vorm Kaffee halt. Zucker deswegen, weil ich den Milchgeschmack im Kaffee nicht ausstehen kann, der Süßstoff nimmt der Milch die geschmackliche Dominanz um schließlich selbst zu dominieren - lieber süßlich als milchig. Weiters soll angeblich der Konsum von Zucker die Wohlbefindlichkeit steigern, Glücksgefühle hervorrufen, kann es zwar objektiv nicht beurteilen, aber aus meiner Erfahrung heraus kann ich diese These nur bestätigen: lieber zwangsbeglückt als depressiv.
Erst jetzt fiel mir auf, wie unwirtlich kalt es im Zimmer war: ich hatte eindeutig das Fenster zu lange offen gehalten. Kontrollblick zum Fenster. Schmelzwasser anstatt der weißen Winterpracht am äußeren Fensterbrett bestätigte meine Einschätzung. Natürlich: es könnte auch an der mangelnden Isolierung zur kühlen Außenwelt liegen, allerdings würde dies nicht eine derart kurzzeitige Schneeschmelze bewirken - vor zwei Stunden hatte ich noch mit einem kleinen Teil des Fensterschnees einen Schneeball geformt und diesen ziellos weggeschleudert. Ich traf eine alte, eine sehr sehr alte Frau. Leider, oder auch nicht leider, eigentlich egal, sie wußte ohnehin nicht, von wo und daher auch von wem der kalte Gruß stammte. Insgeheim hatte ich sogar gelacht: Ein wütender Blick nach hinten einer zur Seite, dort spielten gerade Schulkinder, wahrscheinlich wurden diese von ihr auch verdächtigt, den Schneeball geworfen zu haben - überraschenderweise blieb die alte Dame ruhig, und schrie nicht, wie es bei betagteren Personen oft zu sehen ist, vorurteilend unüberlegt beweislos die Verdächtigten an - und schließlich ein Blick nach oben, wo sie nur den Himmel zu sehen erwarten konnte. Ein Zeichen aus dem Jenseits? Wer weiß, diese alte Dame hatte wohl jeden Augenblick damit zu rechnen, den Jordan zu überschreiten, ein Wunder eigentlich, dass sie diese aufregenden Momente am Vormittag relativ glimpflich - ohne gröbere Hertzattacken - überstand. Lautes und weithin hörbares Durchatmen. Schließlich, nachdem sie wieder zur Ruhe gekommen war, der Kreislauf stabilsiert, setzte sie einen kleinen Schritt als Zeichen ihrer Weiterreise. Einen Moment überlegte ich noch, weitere Schneebälle zu werfen, diesmal gezielt, als mein Blick - schlussendlich hatte ich mich entschieden, das Völkchen unter meiner Wohnung in Frieden ihren Tätigkeiten zu überlassen, mich also wieder auf das konzentrierte Beobachten des bunten Menschenkollektives zu vertiefen - auf zwei eigenwillige Herren traf.