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Drei Anrufe von drei Frauen
Drei Anrufe von drei Frauen
Mein Leben ist zwar -ganz unabhängig vom jeweiligen Wochentag- eh Scheiße, am beschissensten von allen Tagen ist jedoch der Freitag.
Warum?
Nun, weil ich grundsätzlich einmal die Woche -eben am Freitag- in die Stadt fahre, um Besorgungen zu machen.
Das wäre an sich noch kein Grund zur Verzweiflung, aber grundsätzlich werde ich dabei von Frauen angerufen, die irgendwas brauchen, was ich dann ausbaden darf.
Auftraggeber sind in der Regel Schwester, Schwägerin oder die abgetakelte Fregatte von Nachbarin, die moderne Variante einer biblischen Plage!
Ich war leider so dumm -und das bereue ich noch heute- ihr einmal meine Hilfe anzubieten, als sie sich das Bein gebrochen hatte und mir ihr Leid klagte, dass sie nicht einmal die nötigsten Dinge einkaufen könne. Als ich ihr vorschlug, die Besorgungen zu übernehmen, solange sie ans Haus gebunden sei, ahnte ich noch nicht, auf was ich mich da eingelassen hatte.
Als nächstes fragte sie mich, ob sie -natürlich nur, falls mir das nicht zu viele Umstände machte- meine Handynummer haben dürfe. Leider sei sie mittlerweile so vergesslich, dass sicher ab und an Dinge auf der Liste fehlten. Dann könne sie mich vielleicht ausnahmsweise einmal anrufen, wenn ich gerade unterwegs sei und ihr noch etwas einfiele.
Gutmütig -oder besser dämlich- wie ich nun einmal bin habe ich auch das getan.
Nun ja, mittlerweile ist ihr Bein seit Monaten wieder völlig in Ordnung und die alte Schabracke springt im Haus herum wie ein übermütiger Ziegenbock, das hält sie aber nicht davon ab, mich permanent anzuklingeln, sobald sie auch nur den leisen Verdacht hat, ich könne das Haus Richtung Geschäftszentrum verlassen.
Als ich nun heute wieder einmal aufbreche um meine Wocheneinkäufe zu erledigen, dauert es keine drei Minuten, als das Handy klingelt.
Allerdings ist es nicht die Schreckschraube, sondern meine Schwester. Als sie mir von ihrem Anliegen berichtet, wird mir jedoch klar, dass ich dafür lieber eine neue Großpackung Gebissreinigungstabletten für meine Nachbarin besorgt hätte.
"Bist Du bitte so lieb und bringst mir Tampons mit? Ich hab’s nicht mehr geschafft zum Einkaufen zu kommen und ich bekomme gleich Besuch. Bitte, bitte, bitte, ja? Danke!"
Ich will gerade mit "nein" antworten, als sie wieder aufgelegt hat.
Warum eigentlich immer ich?
Kann mir das vielleicht mal jemand sagen?
Geknickt fahre ich zum Supermarkt meines Vertrauens und lade den Einkaufswagen voll.
Den Gedanken an das, was mir noch bevorsteht, versuche ich vergeblich zu verdrängen und halte mich endlos lange vor den Alkoholika auf.
Schließlich ist ein weiteres Aufschieben nicht mehr möglich.
Ich habe alle nötigen Gänge durchquert und das, was ich brauche, in den Einkaufswagen verfrachtet.
In einiger Entfernung sehe ich den Eingang zur Hölle, dort beginnt der Gang mit den besagten Frauenartikeln.
Die Klimaanlage weht mir einen eisigen Hauch entgegen und lässt mich erschaudern. Meine Hände beginnen an dem langgezogenen Griff des Einkaufswagens abzugleiten. Sie sind nass.
Ich versuche mich zu sammeln und tief durchzuatmen.
Einen kurzen Augenblick habe ich dabei das Gefühl, dass mir meine Beine den Dienst versagen, aber es gelingt mir aufrecht stehen zu bleiben.
Machen sich Frauen eigentlich überhaupt keine Gedanken darüber, wie grausam es ist, so etwas von einem Mann zu verlangen?
Es ist dabei ja nicht einmal in erster Linie der Verlust an persönlicher Würde, der mir am meisten zu schaffen macht. Viel schlimmer ist, dass jede Kontaktaufnahme zum anderen Geschlecht damit behindert, schlicht unmöglich gemacht wird!
Wenn ich Freitags zum Einkaufen fahre, dann doch nicht nur, um mir die Flasche Dimple fürs Wochenende zu besorgen, damit ich für einige Stunden der Realität entfliehen und meine sinnlose Existenz vergessen kann. Es geht dabei doch um sehr viel mehr als die Artikel des täglichen Bedarfs ... es geht um das, um das es eigentlich immer geht, um Frauen!
Wenn ich einkaufe, dann doch natürlich auch deshalb, um eine potentielle zukünftige Lebensabschnittsgefährtin zu finden!
Ist das denn so schwer zu begreifen?
Wo soll man sonst noch die passende Frau finden, wenn nicht beim Einkaufen?
In der Disco vielleicht?
Was dort heutzutage an Mädels herumläuft, hätte man früher höchstens Topf schlagend auf einem Kindergeburtstag erwartet.
In der Kneipe am Eck?
Die Frauen, die dort anzutreffen sind, haben schon ihren Traumpartner gefunden, meist heißt er Jim oder Jack oder Johnny.
Bei Weiterbildungsmaßnahmen?
Ein Freund von mir, ebenfalls Single, war beziehungstechnisch so verzweifelt, dass er an Volkshochschulkursen wie "Mit Nadel und Faden" und "Töpferei leicht gemacht" teilnahm, nur um in Gesellschaft von Frauen zu sein.
Das war mir damals schon nicht geheuer.
Als ich ihn vor längerer Zeit abends besuchte, sagte er mir in der Tür stehend, dass es ihm jetzt gerade nicht so gut passe. Ich fragte ihn was los sei, aber er wollte nicht damit herausrücken.
Ich ahnte, dass etwas schlimmes im Gang sein müsse und bahnte mir gewaltsam meinen Weg in seine Wohnung.
Was ich dort sah, kann ich einfach nicht vergessen.
Noch heute wache ich manchmal schweißgebadet auf, weil mein Unterbewusstsein weiterhin versucht, die in mein Hirn eingebrannten Bilder zu verarbeiten.
Ich sah eine Horde Frauen, eingekesselt von Döschen in allen Farben und Größen!
Ich konnte es nicht glauben:
Rainer war tatsächlich Gastgeber einer Tupperparty, sogar Schnittchen hatte er bereit gestellt!
Aus einem kleinen Likörkelch ergoss sich schleimiggelbe Flüssigkeit in die vom Anpreisen der Ware raue Tupperfrau-Kehle.
Ich versuchte Haltung zu bewahren.
"Ist das Eierlikör?"
Rainer konnte mir nicht einmal in die Augen sehen.
"Es tut mir so Leid ...", flüsterte er.
Rückwärts gehend, mich nach allen Seiten absichernd verließ ich die Wohnung.
Ich hatte einen guten Freund verloren, er war keiner der unsrigen mehr.
An diesem Tage, als die Sonne unterging und mich in ihr rötliches Licht tauchte, hob ich eine Hand zum Himmel und schwor bei Gott als meinem Zeugen, dass ich niemals so weit sinken würde, in die Kreise von Volkshochschulkursen und Tupperparties einzutauchen, selbst wenn die Konsequenz sei als Einsiedler zu sterben!
Aber ich schweife zu weit ab.
Was ich damit eigentlich sagen will:
Jedem wird jetzt klar sein, dass der Einkauf die letzte Möglichkeit der heutigen Gesellschaft darstellt, Bekanntschaften mit dem anderen Geschlecht zu schließen.
Wie aber soll verdammt noch mal ein würdevoller Flirtverlauf mit bindungswilligen Vertretern des weiblichen Geschlechts stattfinden, wenn man ein Paket Tampons mit sich herumträgt?
Jede einigermaßen vernunftbegabte Frau muss denken, dass ich die entweder meiner Ehegattin respektive Freundin mitbringe oder dass ich irgendwie anders bin.
Mit solcherlei trübseligen Gedanken nähere ich mich dem Regal mit den Frauenartikeln.
Während ich versuche, möglichst desinteressiert wirkend am Regal vorbeizuschlendern, mustere ich aus dem Augenwinkel die Produktpalette.
Mein Mund ist wie ausgetrocknet.
Warum zum Teufel hat mir niemand gesagt, dass es so viele Marken gibt? Welche um alles in der Welt will sie davon denn haben?
Zurückrufen geht nicht. Ich würde mich ja vollends zum Affen machen, die Situation ist so schon schlimm genug!
Unentschlossen tigere ich vor dem Regal auf und ab, minutenlang.
Erste Schweißperlen stehen mir auf der Stirn.
In regelmäßigen Abständen schaue ich nach rechts und links den endlos erscheinenden Gang hinab, ob ich nicht vielleicht beobachtet werde.
Und wenn ich einfach die erstbeste Marke greife? Langsam nähert sich meine zitternde Hand einer grünen Packung. Mein Herz hämmert gegen die Rippen.
Natürlich biegt in diesem Moment eine hübsche junge Frau mit ihrem Einkaufswagen in meinen Gang ein! Sie sieht noch nicht her, aber das kann sich jeden Moment ändern!
Ich ziehe die Hand zurück und haste einige Meter weiter.
Langsam schiebt sie ihren Wagen an mir vorbei.
Etwas kurzatmig setze ich mein einnehmendstes Lächeln auf und versuche Augenkontakt herzustellen.
Sie blickt mich nicht an, kein Lächeln entrückt ihren Lippen, dann ist sie im nächsten Gang verschwunden.
Was habe ich falsch gemacht?
Mit einer bösen Vorahnung blicke ich auf das Regal hinter mir.
Toll! Musste ich meine Zuflucht ausgerechnet bei den Windeln suchen?
Klar! Papa ist eben kurz zum Supermarkt, für den eingeschissenen Sohnemann Windeln kaufen.
Scheiße!
Zum Glück sind in dem Regal keine Windeln in Großen-Größen.
Was hätten sich da noch für Assoziationsmöglichkeiten ergeben?
Sexspiele?
Inkontinenz?
Abartige inkontinente Sexspiele?
Wer weiß, vielleicht hebt sich mein grausames Schicksal die auch nur für den nächsten Einkauf in einem anderen Geschäft auf.
In jedem stinknormalen Supermarkt finden sich Dutzende Stolperfallen, über die sich kein Mann, der in einer glücklichen Beziehung lebt, im Klaren ist.
Tampons, Windeln, Toilettenpapier, Haftcreme, Wundschutzsalbe ...
Erst wenn man (wieder) Single ist, beginnt man das ganze Ausmaß der Tragödie zu begreifen.
Nervös gehe ich zurück zum Ort des Grauens, schaue mich um, ob die Luft rein ist, greife eine Packung und werfe sie in den Einkaufswagen.
Mein Adrenalinspiegel wandert noch immer in kritischen Höhen.
Mein Atem geht nur noch stoßweise.
Das definitiv letzte Mal, dass ich Dir einen Gefallen tue, Schwesterchen!
Schnellstmöglich verlasse ich den besagten Gang und schon ergibt sich das nächste Problem:
Ich brauche jetzt natürlich irgendwas, mit dem ich die Tampons bedecken kann, damit sie später nicht offen auf dem Rollband liegen.
Kurzzeitig überlege ich sogar, sie heimlich mitgehen zu lassen, aber das kann ich einfach nicht. Nicht, weil die moralischen Bedenken überwiegen, sondern weil ich bei meinem Glück vom Kaufhausdetektiv geschnappt würde und ich dann gleich mehreren Personen zu erklären hätte, was ich mit diesen Scheiß-Tampons wollte.
Meine Wahl fällt schließlich auf die Frankfurter Allgemeine, nicht zu klein und weniger peinlich als die Bild.
Jetzt habe ich alles zusammen und muss den letzten und schwierigsten Gang meistern, den an der Kasse vorbei.
Dort treffe ich die hübsche Frau wieder. Sie steht mit ihrem Einkaufswagen direkt vor mir.
Irgendwie muss ich sie ansprechen! Diese Chance muss ich nutzen, sonst werde ich mir später Vorwürfe machen.
"Hallo!", sage ich.
Da ist er, der Augenkontakt!
"Kennen wir uns?", fragt sie.
"Wir sind uns vorhin in einem Gang begegnet."
"Aha.", antwortet sie.
"Ich stand bei den Windeln", sage ich.
Oh Gott! Was rede ich für eine Scheiße?
"Sehr interessant", erwidert sie.
Ich fange leicht an zu stottern:
"Ich ... ich wollte nur, dass Sie wissen, dass ich da nicht etwa stand, um für mein Kind Besorgungen zu machen. Das haben Sie doch sicher gedacht, oder? Ich hab aber gar keine Kinder. Ich bin Single."
Nun lächelt sie zum ersten Mal. Mein Herz macht einen Sprung.
"Ehrlich gesagt, hatte ich mir überhaupt nichts dabei gedacht. Aber wenn wir schon dabei sind, ich bin auch Single. Allerdings ..."
Mein Handy klingelt.
Ich entschuldige mich höflich bei meiner Gesprächspartnerin und führe es zum Ohr.
"Einen Moment, bitte. Ja... was? Ein Überraschungsei? Du hast vielleicht Probleme!"
Ich stecke das Handy wieder ein.
"Meine kleine Nichte.", erkläre ich "Sie nervt ständig mit irgendwelchen Kleinigkeiten! Kinder sind so was von ätzend!"
"Ah so.", erwidert sie, während sie noch ihre Artikel auf das Laufband stellt.
Ich beginne in einigem Abstand auch mit dem Auspacken des Einkaufswagens, wobei ich peinlich darauf achte, dass die Tampons nicht zu sehen sind. Ich habe fachmännisch die Tageszeitung um sie geschlungen und plaziere sie von zwei Tüten Milch eingerahmt auf dem Band.
"Julia, kommst Du jetzt bitte?", ruft meine wieder einsilbig gewordene Flirtpartnerin.
Irritiert drehe ich mich um und sehe ein etwa siebenjähriges Mädchen, das eine "Wendy" in der Hand hält.
"Darf ich die haben, Mama?", ruft sie.
Oh mein Gott! Das Balg gehört zu ihr!
Was soll ich jetzt tun?
Wenn ich an der Situation noch etwas retten will, muss es schnell passieren!
Ich greife das Mädchen und nehme es auf den Arm.
"Hallo! Du bist aber eine ganz Süße!"
Dabei lächle ich in Richtung Mutter, die mich mit großen Augen anstarrt.
"Ich meinte natürlich nur, dass kleinere Kinder nervig sind. In dem Alter habe ich sie auch unwahrscheinlich gern, ganz besonders Mädchen! Ich schenk Dir die Wendy, Süße!"
Entsetzt starrt mich die Frau an.
Was? Habe ich etwas Falsches gesagt?
"Würden Sie wohl bitte mein Kind loslassen!", fordert sie mit gepresster Stimme.
"Mami! Ich hab’ Angst!"
"Dämliche Rotzgöre! Ich hab’ Dir doch überhaupt nichts getan!"
Die Mutter reißt mir förmlich den laufenden Meter aus den Armen, bezahlt ihre Waren und verlässt im Eiltempo das Geschäft. Dabei dreht sie sich noch zweimal eilig um, wohl um zu sehen, ob ich ihr folge.
Na toll! Wahrscheinlich denkt sie jetzt, dass meine bevorzugte Masche beim anderen Geschlecht eine Kasperlepuppe und Schokolade sind!
Soll sie doch gehen! Meinem geübten Auge ist eh nicht entgangen, dass ihre Hände und Arme deutliche Kratzspuren aufweisen. Das ist DAS untrügliche Zeichen, dass sie beziehungstechnisch am Ende ist!
Diese Art von Frauen sind von Männern enttäuscht und versuchen ihr Bedürfnis nach Nähe dadurch auszugleichen, dass sie sich eine Katze holen und sie abends stundenlang kuschelnderweise an sich pressen, während das bedauernswerte Tier versucht, durch verzweifelte Tatzenhiebe dem drohenden Erstickungstod zu entrinnen!
Überhaupt: Wie komme ich eigentlich dazu, ein Balg auf den Arm zu nehmen, wo ich Kinder so verabscheue?
Wahrscheinlich hat sie erst gestern ihrer Mutter einen Zettel mit nach Hause gebracht, auf dem steht, dass wieder Kopfläuse in der Schule im Umlauf sind. Brrr!
Ist es schon so weit mit mir gekommen, dass ich meine jahrzehntelang gepflegten Vorurteile einfach verleugne, nur um eine Frau kennen zu lernen?
Dann bin ich um nichts mehr besser als Rainer!
Ärgerlich räume ich die ersten Artikel, die die Verkäuferin eingescannt hat, in den Wagen zurück. Wir sind fast fertig. Nun ergreift sie die Zeitung. Dabei rutscht die grüne Packung heraus und fällt zu Boden.
"Hoppla!", ruft sie laut.
"Was war das? Entschuldigung, junger Mann! Ich hatte nicht bemerkt, dass da noch eine Packung Tampons unter der Zeitung lag!"
"Schon gut ...", murmle ich mit hochrotem Kopf und hebe das Paket vom Boden auf.
"Zum Glück waren es nur Tampons! Die fallen sich nicht so schnell kaputt. Stellen Sie sich mal vor, unter der Zeitung wären Eier statt Tampons gewesen!"
Warum lässt die blöde Kuh nicht gleich eine Durchsage machen?
"Kassenaufsicht bitte zur Kasse Vier. Dort ist einem potentiellen Kinderschänder eine Packung Tampons auf den Boden gefallen. Ich wiederhole: einmal heruntergefallene Tampons an Kasse Vier!"
Kann es jetzt nicht einfach einen Luftangriff geben, der den Supermarkt zusammenbombt und uns alle unter den Trümmern begräbt?
George, wo bist Du, wenn man Dich einmal wirklich braucht?
Unbehaglich drehe ich mich um. Hinter mir hat sich schon eine Schlange gebildet.
Einige schauen missmutig, andere erheitert.
Ein Mann nickt mir mit traurigen Augen zu. In seiner Hand hält er ein Paket Binden.
Ich bezahle und verlasse das Geschäft schnellstmöglich.
Die kühle Herbstluft treibt mir allmählich die Hitze aus dem Kopf.
Ich habe ja schon viele Demütigungen erlebt, besonders wenn es um Besorgungen für Frauen ging, aber das hier heute ist das schlimmste, was mir je widerfahren ist.
Das nächste halbe Jahr brauche ich mich hier nicht mehr sehen zu lassen.
Frustriert stapfe ich zu meinem Wagen.
Mein Handy klingelt zum dritten Mal an diesem Tage.
"Hallo? Frau Schmitt hier! Junger Mann, ich konnte nicht umhin mit anzusehen, wie sie vorhin das Haus verlassen haben. Sie erledigen nicht zufällig Einkäufe?"
Einen Moment überlege ich zu verneinen. Dann muss ich mit dem Ausladen meiner Ware aber bis in die tiefe Nacht warten, damit die Zicke nicht hinter der Gardine steht und bemerkt, dass ich gelogen habe.
"Ich bin gerade fertig geworden.", antworte ich.
"Könnten Sie einer alten Frau einen kleinen Gefallen tun?"
Ich seufze tief.
"Um was geht es denn?"
"Ich bräuchte noch ein Medikament aus der Apotheke. Wären Sie wohl so freundlich, es mir zu besorgen?"
Der Gedanke, es ihr zu besorgen, lässt mich frösteln, also verdränge ich ihn schnell wieder.
"Was soll es denn sein?", frage ich.
"Ich kann das gar nicht so gut aussprechen. Ich glaube ich diktiere Ihnen den Namen besser. Haben Sie etwas zum Schreiben dabei?"
Ich greife zu Kugelschreiber und Notizblock, die ich, seitdem ich meine Seele an sie verkauft habe, ständig mit mir führen muss.
"Es kann losgehen!"
"Also: der erste Buchstabe ist ein D. Haben sie das?"
"Ja ..."
"Der zweite ist ein O. Oder? Nein, Moment! Das kann auch ein Ö sein. Oder? Ach, meine Augen werden auch immer schlechter!"
Nach circa zehn Minuten hat sie es endlich geschafft, mir die nötigen Buchstaben zu diktieren.
Was soll’s, ist ja nicht meine Telefonrechnung.
In der Hoffnung, dass ihre Augen sie nicht gänzlich im Stich gelassen haben, stapfe ich mit dem Notizzettel ärgerlich zur nächstgelegenen Apotheke.
Bei den ganzen Chemikalien, die sich die alte Kuh einverleibt, würde es mich nicht wundern, wenn ihr nach ihrem Tod wegen möglicher Kontamination des Bodens keine Erdbestattung zugestanden würde.
Vor meinem geistigen Auge sehe ich sie neben einigen Atommüll-Fässern in einem verlassenen Salzstollen endgelagert ihre letzte Ruhe finden. Das baut mich ein wenig auf.
Alte Gewitterhexe!
Mein Betreten der Apotheke wird durch eine altmodische Türglocke angekündigt.
Ich muss nur kurz warten, dann nimmt eine wirklich wunderschön aussehende junge Frau im weißen Kittel ihren Platz hinter dem Verkaufstresen ein.
Ist das nur eine Illusion oder ist der Raum tatsächlich heller und freundlicher geworden, als sie ihn betrat?
Sie ist hübscher als alle Frauen, die mir diese Woche begegnet sind, überhaupt kein Vergleich zu der Tierquälerin mit ihrem verlausten Gör!
Wir lächeln uns an. Ich spüre förmlich, wie die Luft zwischen uns vibriert. Mich ergreift ein unbeschreibliches Gefühl und ich merke instinktiv, dass es ihr ebenso ergeht!
Natürlich ist sie in dieser Verkaufssituation zu sehr Profi, um sich wirklich etwas anmerken zu lassen, so bleibt es vorerst bei einem koketten
"Was darf es sein?",
aber in Gedanken sehe ich sie sich schon auf meinem Laken räkeln und sich mit einer Hand durch ihre langen braunen Haare fahren, mir die gleiche Frage noch einmal stellend.
Ich spreche in sanftem Ton:
"Dieses Medikament bräuchte ich. Haben sie das vorrätig?"
Sie schaut kurz auf den Zettel, lächelt und nickt.
"Einen Moment bitte."
Aus dem Radio im Nebenraum dringt die Stimme von Karen Carpenter an mein Ohr:
"Why do birds suddenly appear, every time you are near?"
Kann das noch Zufall sein?
Gedankenverloren schaue ich ihr hinterher. Sie muss das besagte Medikament aus einer Schublade ziehen, die über ihrem Kopf schwebt.
Sie streckt sich in die Höhe. Unter ihrem offenen Kittel sehe ich ein schwarzes Top, das sich nun ein ganz klein wenig in die Höhe schiebt und den Blick auf einen süßen, bezaubernden Bauchnabel freigibt.
Dieser Anblick entschädigt mich ein wenig für das Grauen im Supermarkt.
Sie ist vielleicht ein wenig jung für mich, ich schätze sie auf neunzehn, aber fragt Liebe je nach dem Alter?
Sie kommt zurück und drückt mir eine Schachtel in die Hand.
Ich bezahle lächelnd und versinke in ihren rehbraunen Augen.
"Die Anwendung sollte zweimal täglich erfolgen. Und gute Besserung!"
"Ähm, ja. Ist nicht für mich, aber ich werde es ausrichten."
Nun lächelt sie.
"Kein Problem. Es gibt mehr Leute als sie vielleicht denken, die haargenau dieselben Probleme haben."
"Danke."
Bescheuert, aber ich bin zu verwirrt, um geistreicher zu antworten.
"Kein Problem!", erwidert sie, noch immer lächelnd,
"Dafür sind wir ja schließlich da. Auf Wiedersehen."
Eine halbe Stunde später stehe ich vor dem Haus meiner Schwester und klingle.
Meine kleine Nichte öffnet.
"Hast Du an mein Überraschungsei gedacht?"
Zornig fixiere ich sie.
Am liebsten würde ich ihr sagen, sie solle sich ihr Überraschungsei in den Arsch schieben, da sie dann aber garantiert zu heulen anfinge, halte ich den Mund.
Meine Schwester kommt an die Tür.
"Hast Du die Tampons bekommen?", fragt sie erwartungsvoll.
Am liebsten würde ich ihr sagen, sie solle sich ihre Tampons in den Arsch schieben, da sie aber für eine andere Körperöffnung gedacht sind, halte ich wiederum den Mund.
"Möchtest Du noch auf eine Tasse Kaffee hereinkommen?", fragt sie mich.
"Nein, ich möchte lieber gleich in den Wald fahren und mich erschießen."
Mit diesen Worten steige ich in meinem Wagen und fahre weiter.
Nach zehn Minuten komme ich zu Hause an und entlade vor Wut kochend meinen Kofferraum.
Die Hexe von nebenan hat wohl schon am Fenster gestanden und gewartet, denn sie kommt zu meinem Wagen.
"Haben Sie meine Arznei bekommen, junger Mann?"
"Ihre Arznei? Ihre ARZNEI? Ja, die habe ich dabei!"
Ich drücke ihr die Schachtel in die Hand und überlege kurz.
"Frau Schmitt, schieben Sie sich Ihre Arznei in den Arsch!"
Gekränkt geht die Alte ins Haus.
Ich habe das Gefühl, in der nächsten Zeit muss ich für sie keine Besorgungen mehr erledigen.
Kann mir nur recht sein!
Überhaupt: Was habe ich denn so falsches gesagt?
Was soll man sonst schon großartig anderes machen mit Hämorrhoidal-Zäpfchen?
Abgekämpft und um einige Erniedrigungen reicher lasse ich mich wenig später auf mein Sofa fallen.
Ich hatte einen beschissenen Tag, wie immer, wenn ich für Frauen Besorgungen mache, das Wochenende kann also beruhigt kommen.
Wie immer werde ich versuchen, meine deprimierenden Erlebnisse im Alkohol zu ertränken. Mit einem Unterschied:
Dieses Wochenende werde ich zwei Flaschen brauchen ...