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Draußen ist Flohmarkt
Das Aquarium interessierte niemanden. „Kein Wunder“, sagte Eule. Wer gehe auch zu einem Flohmarkt, um so etwas Großes und Teures anzuschaffen? Man schlendere mal rüber und nehme irgendwas mit, für einen Euro.
„Blöd nur, dass wir damit so viel Arbeit hatten“, sagte Oliver. „Hat ja kaum ins Auto gepasst.“
Eule zuckte die Schultern und drehte sich eine Zigarette. Hinter ihrem Stand lag bereits jetzt alles voller Stummel. Oliver rauchte seit Kurzem weniger. Neidisch sah er beim Drehen zu.
Das mit dem Aquarium, sagte Eule, das mache nichts. Da habe er schon mit gerechnet. Er leckte an der Klebefläche des Zigarettenpapiers.
„Und was machst du dann damit?“, fragte Oliver.
Eule zündete die Zigarette an.
„Wegschmeißen?“, schlug er vor.
Die Luft roch nach frühem Morgen und Eules Zigarette. Oliver rieb nervös die Fingerspitzen aneinander. „Darf ich mir eine drehen?“
Eule grinste. „Jetzt schon?“ Er sah auf sein Handy. „Ist gleich erst neun Uhr. Du hast gesagt, nicht mehr vor Nachmittag.“
„Der ist weit weg, wenn man um sechs aufsteht.“
Eule zog den Tabakbeutel aus der Tasche. Oliver versuchte, beim Griff danach nicht gierig zu wirken. Während er drehte, blickte er immer wieder hoch zum Aquarium.
„Wir hätten die Scheiben auch besser sauber machen sollen“, stellte er fest.
Eule stierte ziellos vor sich hin, mit diesen Glubschaugen, die ihm seinen Spitznamen eingebracht hatten. „Kann sein“, sagte er.
Oliver versuchte, sein Benzinfeuerzeug lässig aufschnappen zu lassen und ließ es dabei fallen. Fluchend hob er es wieder auf. Normalerweise kommentierte Eule solche Missgeschicke, aber heute sagte er nichts.
„Und wenn du mit dem Preis runtergehst?“
Eule schüttelte den Kopf.
„Hat fast 150 Euro gekostet. Dreißig ist es locker noch wert. Wenn ich die nicht kriege, schmeiße ich es weg.“
„Ebay?“
Wieder schüttelte Eule den Kopf, viel ungeduldiger als zuvor, wohl auch, weil sie schon über Ebay gesprochen hatten. „Zu stressig“, sagte er. „Mit dem ganzen Verschicken, das lohnt sich nicht. Und da kann es auch für einen Euro weggehen. Außerdem können die mich jetzt jederzeit in den Knast bestellen.“
Oliver dachte darüber nach. „Ja, da würdest du wohl eine miese Bewertung kriegen. Sobald ich in drei Jahren draußen bin, schicke ich es los, könntest du schreiben. Das glaubt dir doch kein Mensch.“
„Nee, das glaubt keiner.“
Oliver glaubte es selbst nicht, dabei hatte er in der Verhandlung auf der Zuschauerbank gesessen. Er fragte sich, ob Eule es glaubte.
Ein klappriger Typ in Jogginghose und Metallica-T-Shirt kaufte eine VHS-Kassette mit einem Endzeitfilm. Er zahlte zwar nicht den Euro, mit dem die Kassetten ausgezeichnet waren, aber immerhin fünfzig Cent. Fünf weitere Filme für einen Euro und fünfzig handelte er aus, Horror und Action. Für fünf Euro, sagte Eule, lege er richtig was drauf. Er holte einen der Pornos aus der Kiste unter dem Tisch hervor. Das Werk hieß Trächtige Milchkühe, aber der Kunde grinste nur unsicher und ging weiter.
Oliver sagte, dass er das nicht gedacht hätte, dass Eule noch welche von den Kassetten los wird. Da habe er Glück gehabt.
„Da ja, da habe ich Glück gehabt“, bestätigte Eule. „Auf dem Aquarium bleibe ich wohl hängen.“
„Die Pornos musst du auch wegschmeißen“, sagte Oliver. „Kein Mensch guckt mehr Pornos. Jedenfalls nicht so. Wenn du Titten sehen willst, gibst du es einfach bei Google ein.“
So ein richtig klassischer Porno auf Kassette sei was anderes, sagte Eule. Das verhalte sich wie Schallplatten zu MP3s.
Es wurde warm und Eule zog seinen Pullover aus. Wie er das aushielt, fragte Oliver sich, als sein Blick auf den tätowierten Unterarm fiel. Da war ihr Name drauf, in so einer verschnörkelten Schrift, als wäre sie eine Elbenprinzessin. Ihr Name auf diesem dünnen Arm.
„Kann ich mir noch eine drehen?“
Eule lachte.
„Du reduzierst ganz schön krass.“ Er äffte Olivers stolze Stimme nach an dem Abend, als er den Entschluss zum Reduzieren bekannt gegeben hatte: „Ich will es reduzieren.“
Oliver dachte an Knastfilme, in denen die Gefangenen Zigaretten als Währung benutzen. Eule lachte noch ein bisschen und gab schließlich den Tabak raus.
Ein Mädchen in einer schlabberigen Hose, die scheinbar aus lauter bunten Lappen zusammengenäht war, kaufte ein paar von Eules Techno-CDs. Sie steckte sie in ihren Rucksack und sah das Aquarium an.
„Und das verkaufst du auch?“, fragte sie.
Eule überlegte kurz.
„Vierzig Euro“, sagte er.
Sie rümpfte die Nase, so dass ihre große Brille vor ihrem Gesicht herumtanzte.
„Das ist zu teuer“, meinte sie und ging weiter.
Eule sah ihr hinterher. Er schlug Oliver mit dem Handrücken gegen die Brust. Oliver bekam Rauch in den falschen Eingang und begann, zu husten.
„Sorry“, sagte Eule. „Aber ich meine, was war das denn gerade? Was sollte die Frage? Wenn sie es wirklich hätte haben wollen, hätte sie wohl mindestens noch ein Angebot abgewartet.“
„Vierzig Euro ist echt zu teuer“, sagte Oliver und hüstelte ein letztes Mal. „Ich dachte, du wolltest dreißig haben, und das ist schon zu viel.“
Eule riss seine Eulenaugen weit auf und keifte, es sei noch mindestens fünfzig wert. Ein paar Leute drehten sich um, auch das Mädchen in der Lappenhose. Sie durchwühlte gerade am Nachbarstand mit den vergilbten Büchern eine Plastikkiste voller Groschenromane.
„Kannst du ruhig gucken, du blöde Schnalle“, flüsterte Eule.
„Bleib mal locker“, sagte Oliver. „Ich hab doch gesagt, du kannst es auch bei mir unterstellen.“
Eule tippte sich an die Stirn.
„Und dann hole ich es in drei Jahren wieder ab, oder was? Blödsinn, Alter. Alles kommt weg, bevor ich rein gehe. Vielleicht bin ich in drei Jahren tot. Das kann passieren drin. Nicht, dass ich es nicht verdient hätte.“
Olivers Herzschlag schien kurz auszusetzen.
„Ach, quatsch“, sagte er. „Du warst total zugedröhnt. Mit deiner Geschichte, mit dem Entzug und der Psychose. Dein Anwalt ist eine Flasche, sonst hätte er da viel mehr von gemacht.“
„Das interessiert kein Schwein drinnen“, sagte Eule. „Da bin ich Kinderficker, und dann machen sie mich kalt. Ist auch okay, ich habe es ja verdient.“
Er streichelte ihren Namen auf seinem Arm. Das ist so ein Hartz-IV-Ding, hatte Oliver zu ihm gesagt, als die Tätowierung neu gewesen war. Der Name deiner Blagen auf dem Unterarm. Da war er betrunken gewesen, aber Eule hatte ihn trotzdem rausgeschmissen.
Einen Monat lang kein Anruf, keine SMS, kein WhatsApp. Irgendwann war Oliver das Gras ausgegangen. Er hatte seinen Stolz hinuntergeschluckt und Eule angerufen. „Vertickst du eigentlich noch?“, hatte er gefragt, als hätten sie jahrelang nichts voneinander gehört.
„Klar“, hatte Eule gesagt. „Komm vorbei.“
Heike war damals schon mit Emily ausgezogen, aber seine Tochter war oft bei ihm gewesen, bis es passierte. Sie hatte jetzt ein neues Handy. Die Nummer hatten sie Eule nicht gegeben.
„Du hast sie doch gar nicht“, sagte Oliver. „Hast du doch gar nicht. Hast du selbst gesagt. Nur gestreichelt, und du warst ja total zu.“
„Mann, halt die Fresse.“ Eule spuckte auf den Boden voller Stummel. Eine alte Frau blieb stehen, um sich die übereinander gestapelten Teller mit dem Batman-Zeichen anzusehen. Sie schnaufte ungeduldig und huschte weiter an den Bücherstand.
„Juckt kein Schwein“, sagte Eule. „Ist auch richtig so. War einfach widerlich, was ich gemacht hab.“
Da war ein Junge in Jeans und Lederjacke und mit viel Gel in den Haaren. Er interessierte sich nicht für die Videos, nicht für die DVDs und auch nicht für die Teller. Stattdessen nahm er das Aquarium in Augenschein. Er beugte sich vor und studierte die Längs- und die Querseiten. Für die Seite, die nicht dem Markt zugewandt war, musste er hinter den Stand treten.
„Darf ich?“, fragte er.
„Klar“, sagte Eule.
Der Junge in der Lederjacke drückte sich an ihnen vorbei. Er beugte sich wieder vor und es sah aus, als wolle er das Aquarium umarmen. Nachdem er sich wieder gerade hingestellt hatte, betrachtete er nachdenklich den Abstand seiner Hände. Ein Nicken. Zurück vor dem Stand schob er die Lippen wie zum Kuss vor und zupfte an seinen Bartstoppeln.
„Was willst du dafür haben?“
Vierzig Euro, dachte Oliver. Fünfzig Euro, dreißig Euro, hundert Euro, und dann ist er weg, und das wird den ganzen Tag so weitergehen.
„Einen Euro“, sagte Eule. Eine erstaunte Nachfrage und Finger, die zum Ohr gingen wie die eines strengen Lehrers, wenn er sagt: Ich habe mich ja wohl verhört. Eule wiederholte den Preis. Der Käufer klatschte in die Hände und sagte: „Sauber, Alter, ich hole Leute zum Tragen helfen!“
Als er außer Hörweite war, fragte Oliver: „Und was war das?“
Eule zuckte die Schultern. „Scheiß doch drauf. Mitnehmen kann ich es eh nicht.“
„Konntest du doch vorher auch schon nicht.“
„Scheiß doch drauf.“
Vom Stand mit den vergilbten Büchern aus blitzte das Mädchen in der Lappenhose Eule böse an. Er hatte den neuen Preis laut und deutlich genannt und dabei zu ihr gesehen.
„Da guckt sie“, stellte er zufrieden fest. „Als hätte sie es haben wollen. Wollte sie eh nicht.“
„Jetzt ist es weg“, sagte Oliver.
„Ja“, sagte Eule. „Mehr wollte ich auch gar nicht.“