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DownTown City Gott
An den Türen der Diskothek stehen die Menschen an. Sie plaudern sich lauthals an und versuchen die Ausläufer der von innen wummernden Bässe zu übertönen. Ich atme die frische Luft ein, bevor ich die eisern klirrenden Metalltreppen hoch zum Eingang schreite. Es fühlt sich falsch an, aber es darf sich nicht falsch anfühlen.
„Du bist wahrscheinlich ein Spießer!“, denke ich mir, steige die letzte Stufe hoch und trete durch die Tür. Die Musik ist nun spürbar und es gelingt mir nicht, meinen Herzschlag von denen aus den Lautsprecher kommenden Druckwellen zu unterscheiden. Es fühlt sich an wie Gewehrschüsse, irgendwie beängstigend, doch was mich beruhigt ist die kühle Luft, die aus der Klimaanlage über mein Gesicht streift und mir Abkühlung bringt. Durch die Masse kämpfend bahne ich mir meinen Weg zur Bar, Menschen, die vor Alkohol kaum noch stehen können in der Quere. Ein Mädchen kippt mir direkt vor die Füße und ehe ich mich versehe steige ich durch Unachtsamkeit auf ihr Kleid. Ich bemerke das Missgeschick zuerst nicht, erst als ich die entsetzten Gesichter ihrer Freundinnen sehe, bequeme ich mich zu Boden zu schauen und nach kurzem Erschrecken durchfährt mich ein Gefühl von Stolz, denn es ist nicht einfach bei so einem knappen Kleid mit dem Fuß ein Stück Stoff zu erwischen.
Über Umwege gelange ich zu den Ausläufern der Bar. Das letzte Stück ist das schwerste, schließlich macht keiner gerne die Bahn frei, wenn man auf seinen Drink wartet. Erst versuche ich mich sittlich hinter eine Schlange aus Menschen zu stellen, die ich für wartend empfinde. Nach einiger Zeit- ich bin ein schneller Lernen- bemerke ich, dass Sitten hier nichts wert sind und boxe mich diskret und immer freundlich blickend bis hin zur Bar. Nach einiger Zeit des Ignoriertwerdens dreht sich der Barkeeper mir zu. Ich sage ihm, dass ich ein Bier trinken möchte. Da die Interferenzen der unseren Schallwellen mit denen der Musik eine Kommunikation schier unmöglich machen, bin ich gezwungen meinen Wunsch nach Bier nicht nur verbal, sondern auch durch Gestik und Mimik zu übermitteln.
„Warte kurz!“, sagt er.
„Okay!“, sage ich.
Ich drehe der Bar meinen Rücken zu und beobachte durch die Effekte der Lichtanlage hindurch die Masse auf der Tanzfläche. Mein Blick bleibt bei einem Jungen hängen, der durch überaus exzentrische Tanzbewegungen versucht, die Aufmerksamkeit eines vor ihm tanzenden Mädchens zu bekommen. Die ihm entgegenkommende Ignoranz des Mädchens stachelt ihn sichtbar zu immer höheren tänzerischen Leistungen an. Da diese unbemerkt bleiben, bedient er sich der offensiveren Tanzvariante mit viel Körperkontakt. Es klappt: Er wird bemerkt! Das Mädchen dreht sich um, sieht den Jungen und ich bin mir sich ihre sich verdrehenden Augen zu sehen, bevor sie sich wieder umdreht und das Weite sucht, weg vom Jungen, weit weg. Er ist nicht ihr Niveau. Ich spüre eine Berührung am Rücken, von der ich zunächst denke, es sei die einer Person, die sich hinter meinem Rücken entlangschlängelt. Ich schenke ihr keiner Beachtung. Wenige Sekunden später, spüre ich sie wieder. Ich drehe mich um und der Barkeeper brüllt mir etwas ins Gesicht, das ich kaum verstehe.
„Bier haben wir nicht mehr! Nur drüben an der großen Bar noch!“, sagt er.
„Okay!“, sage ich.
Ich breche auf, ohne Ziel. Ich will nicht mehr zur anderen Bar. Ich nehme einen anderen Weg durch die Diskothek, bei dem man weniger Körperkraft zum Durchkommen braucht. Rechts sehe ich ein Schild mit der Aufschrift „Männer“ auf einer Tür. Ich drücke sie auf und trete ins WC ein. Dem Aussehen der Pissoirs zufolge, scheint die Trefferquote der Männer hier gering zu sein. Auch wenn ich nur klein muss, ziehe ich mich in eine Kabine zurück, in der Hoffnung größerem Ekel zu entgehen. Ich öffne den Gürtel und die Hose und schrecke kurz hoch, als etwas gegen die Klotür rempelt. Wahrscheinlich ein Betrunkener. Beim Herumblicken fallen mir die Schmierereien auf den Wänden der Kabine auf. Ich sehe mich genauer um und lese die Eddingaufschriften, die viele hier hinterlassen haben. Liebesbotschaften, Witze, kleine Figuren. Irgendwo rechts an der Wand sehe ich einen Schriftzug: „DownTown City Gott – unsere Religion! Party für immer!“. Ich seufze und denke: Ich bin mir sicher, ich bin Atheist.