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Down To Earth

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11.07.2019
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Down To Earth

Sein Flug aus Hongkong hatte deutlich Verspätung und er musste nach Hause. So schnell wie möglich. Aber erst musste er seinen Anschlussflug erreichen. „A Gentleman will walk but never run“ - an diese Textzeile von Sting dachte Werkmann, als er durch die langen Gänge des Frankfurter Flughafens hastete. Geschmeidig wich er den Leuten im Terminal aus, er versuchte so gradlinig wie möglich voran zu kommen. Aber laufen, nein, das kam für ihn nicht in Frage, auch wenn er sich beeilen musste. Dabei behinderte ihn sein Rollkoffer, den er hinter sich her zog und sich immer wieder mit seinen Fersen daran stieß.

Als er noch immer um 20 Uhr Ortszeit in Hongkong in der First Class Lounge saß, war es in seiner Heimat München 3 Uhr morgens. Seit Stunden hatte er von seiner Frau nichts mehr gehört oder gelesen. Sie hatten eine sonderbare Auseinandersetzung per WhatsApp gehabt, es hatte sich irgendwie aufgeschaukelt, schon wieder. Er hatte in den letzten Monaten intensiv gearbeitet, war viel auf Reisen gewesen und sie hatten deswegen auch wenig Zeit miteinander verbracht. Fast über den gleichen Zeitraum hatten sich ihre Auseinandersetzungen jedoch auch gehäuft und gesteigert. Immer mehr wurde zu einem Diskussionspunkt, immer häufiger fehlte etwas, ihm wie ihr. Sie fasste ihn nicht mehr an, er war die zahlreichen Abweisungen mittlerweile leid und näherte sich ihr nun auch nicht mehr, weder körperlich, noch geistig. Jetzt wollte er mit ihr endlich wieder einen vertrauten Urlaub verbringen, auf dem Schiff, allein, nur sie und er. Doch hatte sie gerade vollkommen überraschend vorgeschlagen, ihre beste Freundin auf die Hurtigruten-Kreuzfahrt mitzunehmen. Die Freundin sei ja noch nie auf einer Kreuzfahrt gewesen, habe doch eine schwierige Zeit hinter sich, das wüsste er doch, wie er das ignorieren könne, sie brauche das jetzt, es würde ihr gut tun, er könne doch auch zu Hause bleiben, wenn ihm das zu viel sei, die Ruhe täte ihm doch sicher auch gut. Dabei wollte er die fast sieben Tage Entrücktheit nur mit ihr alleine verbringen, diese Reise hatten sie sich schon vor Jahren versprochen, entlang der Küste Norwegens, zwischen Bergen und Kirkenes und mit Abstechern in den Trollfjord und den Geirangerfjord. Und dann vielleicht Stockholm, ein schönes Hotel, schicke Restaurants, Bars, Cafés. Sex. Endlich wieder mal Sex. Natürlich wollte er die Freundin nicht dabei haben. Wieso will sie sie dabei haben? Er bekam ein mulmiges Gefühl der Einsamkeit. Nach dem er die Konversation auf WhatsApp wieder und wieder durchgelesen hatte, legte er das Handy zur Seite. Werkmann schloss die Augen, um zur Ruhe zu kommen. Er holte tief Luft, folgte seinem Atem, spürte seinen Füße auf dem Boden nach, die Hände auf dem Schoß, er nahm seinen Atem an der Nasenspitze wahr. Einatmen, Ausatmen. An etwas anderes denken, nein, an nichts denken. Nur Atmen. Ein. Aus. Nach ein paar Atemzügen nahm er Geräusche wahr, Klopfen, Schlürfen, Klacken, Zischen, Rascheln, Ticken, Schleifen, Rattern, Rollen, es wurde immer vielschichtiger und auf einmal erzählten die Geräusche ihre Geschichten. Das volumige Rauschen der Klimanlage, er konnte sich leicht die riesigen Rohre vorstellen, durch die die Luft hier hinein- und heraus gewälzt wird. Frauenabsätze klackten über den dunkel grau gefliesten Boden. Reisende schoben ihre Koffer und ihre Rollen klackten über die Fugen wie das “Tack-Tack Tack-Tack” der Züge auf den Gleisen. Der junge Mann neben ihm seufzte nervös, jemand schlürfte durch die Gänge, als hätte er oder sie Pantoffeln an. Jemand räusperte sich mehrmals, er konnte den Speichel am Rachen fast selbst spüren.

Eine Tür fiel ins Schloss. Vermutlich in der Küche wurde eine Metalltür zugeschlagen, Werkmann stellte sich diese Tür vor: dünner, vierkantiger Edelstahl eines Unterschranks, in der kleine Kunststoffeimer oder ähnliches gelagert wurden. Etwas klappert, er vermutet, dass ein Löffel auf einer Untertasse umher rutscht, aber es könnte auch ein Messer auf einem Teller oder eine Gabel in einer kleinen Porzellanschüssel sein. Eine Glasschüssel hätte einen anderen Klang, dachte er, dunkler, musikalischer. Eine Zeitung wurde aufgeschlagen, das Zischen der Dampfdüse der Kaffeemaschine, eine Tasse wurde auf eine Untertasse gestellt, Personal stapelte neue Teller auf, wieder helle Absatzklänge, jemand zog die Nase hoch, ein Servierwagen rollte über die Fugen und Tassen tanzten mit einer kurzen zeitlichen Verzögerung zum Takt, wieder das Räuspern. Eine schwere Tür knallte zu, schnelle Schritte zeugten von Eile, jemand zog den Teleskop-Griff aus einem Rollkoffer, ein Signal des Aufbruchs, dem sofort das Klacken über den Fliesenboden folgte. Ein Stuhl wurde über den Boden gerückt, Werkmann stellte sich vor, wie die Person beim Aufstehen mit den Beinen den Stuhl nach hinten schob. Hosen rieben sich beim Gehen raschelnd auf Kniehöhe. Das Knacken einer PET Flasche und immer wieder das Klacken von Tellern und Besteck und das wacklige Klappern von auf Rolltabletts gefahrenen Kaffeetassen. Werkmann lächelte.

Als er in Frankfurt gelandet war, war es weit nach 17 Uhr. Noch im Flugzeug hatte er sein Smartphone eingeschaltet und nachgesehen, ob seine Frau etwas geschrieben hatte. Ausser ein paar mails aus dem Büro hatte er keine Nachrichten erhalten.

„Down to Earth“, schrieb er wie immer und: „hoffe, dass ich den Flieger nach MUC noch bekomme. Bis nachher, Robert.“ Danach packte er seine Sachen und hastete als einer der Ersten aus dem Flieger, zunächst über die steil aufsteigende Fluggastbrücke zur Rolltreppe auf der er zwei Stufen auf einmal nahm und dann weiter durch die endlosen Gänge des Frankfurter Flughafens. Während er zügig voran schritt, schaute er immer wieder auf sein Handy. Nichts. Die Durchsagen zu seinem Flug trieben ihn weiter an: „Last Call for LH 116 to Munich. All Passengers please proceed to Gate 32“.

Am Gate 32 legte er sein Smartphone auf den Scanner und der Durchgang zur Fluggastbrücke öffnete sich. Abwesend nickte er dem Bodenpersonal zu, eilte weiter zum Einstieg, schob den Griff zurück in den Rollkoffer und betrat das Flugzeug. Die Flugbegleiterin erkannte ihn und empfing ihn beim Einsteigen mit einem freundlichen Gruß, „Hallo Herr Werkmann, das war jetzt aber knapp. Schön Sie wieder an Bord zu haben“. Sie lächelte ihn aufrichtig erfreut an, da er stets ein angenehmer Fluggast war, der sich höflich und zurückhaltend verhielt, doch Werkmann ging schweigend an ihr vorbei und verstaute seinen Koffer im Gepäckfach. Er hatte sie nicht einmal angeschaut. Noch mit dem Gefühl des Getriebenen nahm er seinen Lieblingssitz 3A ein, empfand dann aber sogleich eine wohltuende Ersatzgeborgenheit. Seine Sekretärin hatte die Anweisung, wann immer möglich ihm diesen Platz zu sichern. Er schaute auf die Uhr, es war 17:44 Uhr. Seine Frau war zuletzt um 17:29 Uhr bei WhatsApp online, sie hatte seine Nachricht gelesen, aber nicht beantwortet.

„Alles in Ordnung?“ fragte sie ihn, als sie bei ihren letzten Kontrollgang vor dem Abflug an seiner Sitzreihe vorbeikam.

„Wie bitte?“

„Gehts Ihnen gut, Herr Werkmann?“

„Ja, ja, danke“, beschwichtigte er irritiert. Er lächelte sie kurz dankbar an.

„Stellen Sie bitte noch Ihr Smartphone auf Flugmodus, bitte.“

Ein letzter Blick in WhatsApp, es war 17:45. Seine Frau war jetzt auch online.

„Ach ja. Klar. Natürlich.“

Werkmann holte nochmals tief Luft und schaute aus dem Fenster. Er schloss die Augen und versuchte seinen Gedanken zu entfliehen, aber es gelang ihm nicht. Er fühlte sich verraten und leer. Warum antwortete sie nicht, warum ist sie online und heisst ihn nicht willkommen, so wie sonst? Haben sie wirklich solche Differenzen? Wegen ihrer Urlaubspläne? Ist das nicht ein Luxusproblem, nichts Existenzielles, etwas doch eher Alltägliches? Das ist doch alles so albern, dachte er und schlief ein.

Als sie in München landeten griff er hastig nach seinem Smartphone. Noch während sie auf dem Rollfeld waren strich Werkmann über die Bildschirmoberfläche und deaktivierte den Flugmodus. Er schaltete das Handy stumm. Nach wenigen Sekunden vibrierte es in seinen Händen und nacheinander erschienen zwei WhatsApp-Meldungen auf dem Bildschirm. Erst untereinander, dann fächerten sie sich übereinander. Unter dem Namen seiner Frau stand: „Zwei Mitteilungen“.

„Ich ziehe aus“ stand in der Ersten.

„Ich ziehe aus“ in der Zweiten.

 

Hallo @Handyliteratur ,

ich sehe, du bist schon seit ein paar Monaten hier angemeldet, aber dies ist deine erste Geschichte, die du hier hereinstellst und deswegen auf jeden Fall, so wie es hier Brauch ist: herzlich willkommen in der Wortkriegerfamilie.

Ich gehe davon aus, dass du bereits so einige tiefere Blicke in die Geschichten und Kritiken hast werfen können und du von daher weißt, dass auch Neuzugänge oftmals den Wind von vorne bekommen als seien sie alte gestählte Hasen, denen schon ein dickes Fell gewachsen ist.

Dieser Vorspann war mir jetzt wichtig, weil ich leider einiges an deiner Geschichte auf der To-Do-Liste sehe und hoffe, dass dich die Wucht nicht allzu sehr trifft.

Ich schildere dir, bevor wir beide mit dem Textkram loslegen, wie so mein Gesamteindruck von deiner Geschichte ist.
Ein im Grunde genommen einsamer Ehemann, gebeutelt durch seinen Job, oft genug mit dem Flugzeug von A nach B unterwegs spürt auf dem Rückflug, dass sich das Verhalten seiner Frau geändert hat. Ein aus seiner Sicht nicht nennenswerter Disput führt offensichtlich zum Schweigen seiner Frau, was ihn wegen seiner Unüblichkeit in große Unsicherheit wirft und gedanklich während des Heimfluges begleitet.

Wenn du dir den Plot anschaust, hast du dir schon ganz schön was zugetraut, denn der gibt für sich genommen sehr wenig her an Möglichkeiten, Spannung aufzubauen, den Leser mit interessanten Details drankleben zu lassen und bis zum Ende mitzunehmen.
Dazu gehört schon was, sich ein ansich schlichtes Thema vorzunehmen und daraus eine Geschichte zu machen. Da haben es alle die einfacher, die über Dinge fabulieren, die der Leser nicht kennt, ja vielleicht auch deswegen nicht kennen kann, weil der Autor es gerade vor ihren Augen erschafft.
Ich will damit sagen, dass es oftmals fast zum Scheitern verurteilt ist, wenn man sich ein Alltagsthema vorknöpft, weil jeder sich da sofort in all seinen eigenen Alltagsaktivitäten sieht und sich als Leser fragt, ob er das wirklich lesen möchte.

Ich versuche es dir mit einem plakativen Beispiel zu demonstrieren. Würdest du nicht auch ein wenig die Augenbrauen hochziehen, wenn ich dir stolz verkünden würde, dass ich vorhabe eine Geschichte über das Abwaschen eines Topfes zu schreiben? Du würdest garantiert bereits mit dieser Ankündigung die Lust verlieren, diese Geschichte zu lesen.
Weshalb? Du kennst mich ja gar nicht. Genau, weil es gelinde gesagt, arschlangweilig ist, einen Topf abzuwaschen und das dann auch noch zu beschreiben.
Nungut, die wahren Genies unter den Autoren würden aus selbst so einem billigen langweiligen Plot noch etwas Interessantes basteln, aber wir sind hier ja nicht die Versammlung der Genies, sondern wir alle arbeiten hart an der Qualität der Geschichten, angefangen vom Plot bis hin zum richtig gesetzten Komma.

Da dein Titel, der übrigens sehr gut passt und mir deswegen gefallen hat, weil er eigentlich viel verspricht, mich animiert hat, dich anzuklicken und ich ja nicht wissen konnte, welch schnöder Alltag sich hinter deinem Plot verbirgt, bin ich dementsprechend am Ende der Geschichte etwas enttäuscht.
Ich hatte da Spannenderes, Interessanteres, Ungewöhnlicheres erwartet.
Du kennst selbst dich als Leser und weißt, welche Gefühle ein enttäuschter Leser hat und wie hundsgemein er dann urteilt. Ein enttäuschter Leser findet dann die gesamte Geschichte einfach mau und vergisst sie auf der Stelle drüber oder ärgert sich, dafür den Preis des Buches bezahlt zu haben und so weiter.
Das alles willst du ja gerade vermeiden.
Daher lautet mein grundsätzlicher Rat an dich: bitte suche dir für deine zukünftigen Themen Sachverhalte aus, die den Leser fesseln könnten. Das können gerne Alltagsthemen sein, gar keine Frage, du musst kein zweiter Tolkien werden, um beachtet zu werden. Aber wenn du dich an alltägliche Themen ranmachst, dann muss ! in der Geschichte ganz besonders Interessantes oder Ungewöhnliches passieren.
Lesen bedeutet für viele, dass sie abtauchen können in eine neue andere hochspannende, phantasievolle Welt. Gerade raus aus dem Alltag.

Insoweit hat es deine Geschichte bei mir schwer, als etwas besonders Lesenswertes zu gelten.
Ich hoffe, du kannst das nachvollziehen, denn wie ich oben beschrieben habe, passiert nichts in deiner Geschichte, was man nicht schon entweder selbst erlebt hat oder aber in x Romanen, Geschichten und Filmen dargestellt bekommen hat.

So und nun zur Textarbeit:

Sein Rollkoffer war eine Behinderung, dauernd stieß er mit seinen Fersen an den hinter ihm her gezerrten Koffer.
Man versucht meist Wortwiederholungen zu vermeiden und hier steht zweimal Koffer also würde es reichen, wenn du einen wegstreichst. "Sein Rollkoffer behinderte ihn, denn dauernd stieß er mit seinen Fersen an."
Sobald du ein Verb zum Substantiv machst, verliert es an Kraft, bitte versuche, wie ich es gemacht habe, aus "Behinderung" behindern zu machen. Ich habe jetzt deinen Text nicht akribisch darauf untersucht, ob es noch mehr solche Stellen gibt, aber es lohnt immer darauf nochmals besonders zu achten. Verben bringen Lebendigkeit in eine Geschichte, während das dazugehörige Substantiv das Gegenteil bewirkt.

Er wollte unbedingt den Anschlussflug erreichen. Er musste in diese Maschine. Er wollte so schnell wie möglich nach Hause.
HIer ist nicht genug Wumm drin. Erst der dritte Satz macht dem Leser klar, dass er nach Hause muss!!! Dass es für ihn wirklich wichtig ist. Und genau das solltest du in einem einzigen Satz deutlich machen.
Je mehr man (ich neige dazu auch oft) Dinge wiederholt, indem man sie nur mit anderen Worten inhaltlich wieder und wieder schreibt, desto mehr verwässert man die Aussagekraft.
Ich suche grad nach einem Beispiel...hm...
Ein Polizist ruft: Halt! Stehen bleiben!
Sofort danach sagt er: Bleiben Sie stehen, ich habe eben Halt gerufen.
Und danach sagt er noch: So bleiben Sie doch endlich stehen. Wieso hören Sie nicht auf mein Halt?
Würdest du als Täter den noch ernst nehmen oder weiter laufen?
Und würdest du, wenn nur "Halt! Stehen bleiben!" gerufen wird, dich nicht höchst unsicher fühlen, was wohl jetzt gleich passiert, wenn du weiterläufst?

Sein Flug aus Hongkong hatte schon deutlich Verspätung
Hier ging es mir um das Wort "schon", ich nenne sie immer Füllworte, weil sie vollkommen entbehrlich sind. In der wörtlichen Rede sind sie manchmal wichtig,weil sie dem Gesprochenen das Authentische verleihen, aber im normalen erzählenden Text hemmen sie nur den Lesefluss.
Es gibt irgendwo im Internet, so meine ich noch zu entsinnen, eine Internetseite, da kann man seinen Text reinstellen und es werden einem all die Worte aufgezeigt, die entbehrlich sind. Da staunt man manchmal, was man alles so in einen Text mogelt, ohne dass es Aussagekraft hat.

Als er noch immer um 20 Uhr in Hongkong in der First Class Lounge saß, war es daheim in München 3 Uhr morgens.
Auch hier die Worte "noch immer"

Sie hatten eine sonderbare Auseinandersetzung per WhatsApp gehabt, es hat sich irgendwie aufgeschaukelt, schon wieder.
Einmal wechselst du hier die Zeit, ich glaube, das passiert einem leicht mal, sollte aber beim Korrekturlesen auffallen. Und dann wäre genau hier die Stelle, wo du den Schlagabtausch zwischen dem Protagonisten und seiner Frau wieder geben könntest. DAS möchte der Leser doch nun wissen, was hat sie geschrieben, was er und wieso gab es da Unstimmigkeiten.

Sie kamen auf keinen grünen Zweig, es blieb ungelöst und er bekam ein mulmiges Gefühl der Einsamkeit.
Unbedingt hätte hier der Leser zum Zuschauer der Auseinandersetzung werden müssen. Du verschenkst hier gute Möglichkeiten, interessant zu werden. Und dann ist das immer so eine Sache mit Floskeln wie "sie kamen auf keinen grünen Zweig". In Dialogen wäre so etwas durchaus denkbar, weil es den Typen, der da grad sabbelt, eventuell charakterisieren kann. Und es gibt durchaus auch Texte, da gehört so eine gewisse Floskelflapsigkeit hinein. Aber hier besagt es inhaltlich nichts bis auf, dass es irgendwie zwischen den beiden unentschieden scheint und es wirkt von daher etwas beliebig. Aber genau diesen Effekt willst du ja nicht erzielen.

So richtig kommt er dennoch nicht zur Ruhe. Dabei spricht wirklich niemand hier. Die Lounge war nicht voll. Aber ist es still?
Bei diesem Absatz habe ich mich gefragt, was du aussagen möchtest. Eigentlich möchtest du doch hinüberleiten in die Meditation deines Protagonisten, nicht wahr? Dann ist das hier zu umständlich. Wie wäre es, wenn du einfach auf den Punkt kommst und beschreibst, wie nervös er sich fühlte und er deswegen beschließt in die eigene Versenkung zu gehen? Und dann
Wirklich niemand sprach und man konnte alles hören.
dann kannst du diesen Satz weglassen. Er bringt nicht weiter.

An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass mir die Aufzählung all dessen, was er so wahrnimmt, nachdem er sich in sich hinein versenkt hat, sehr gut gefallen hat. Da blitzt für mich ein Autor hervor, der ein guter Beobachter und Zuhörer ist. Was er so alles hört, habe ich als Highlight deiner Geschichte bewertet. Siehe da, dachte ich, wenn er will, der Autor, dann kann er richtig gut loslegen mit seinen Beschreibungen.

, jemand schlürfte durch die Gänge, als hätte er oder sie Pantoffeln an.
schlurfte

Jemand räusperte sich mehrmals, er konnte den Speichel am Rachen fast selbst spüren.
lach, das ist so ein Satz, den ich übrigens für gelungen halte, da schüttelt es einen, nicht wahr?

Die Tür zur Toilette fiel ins Schloss.
Eine Tür würde ich schreiben, denn es gibt garantiert dort mehrere Toilettentüren. Es geht ja um den Klang, nicht um gerade DIE Tür.
In der Küche wurde eine Metalltür zugeschlagen,
Das klingt auf einmal so als wüsste er, dass es eine Küche ist und ich frage mich, wie hat er sich da so auskennen können. Es reicht, wenn du nur von der Metalltür schreibst, um die geht es ja auch nur.
l, eine Gabel klapperte am Geschirr,
Du brauchst die Küche nicht für das Geschirrklappern, es geht ja auch hier nur um das Geräusch. Aber eine Gabel klapperte am Geschirr ist sehr oberflächlich. Woher weiß dein Protagonist, dass es eine Gabel ist? Könnte doch auch ein Löffel sein und es wäre doch auch nicht schlimm, wenn er nicht exakt raushören kann, was er da hört. Das wäre noch zusätzlich sehr wirklch. Und Geschirr ist viel zu ungenau. Teller, Tasse, Schüssel, Schale, Tellerchen, lass ihn doch vermuten, dass ein Löffel gegen den Rand eines Porzellantellers klopft. Als Beispiel.

jemand zog den Teleskop-Griff aus dessen Rollkoffer,
Ich weiß, es klingt jetzt nach Erbsenzählerei, aber "dessen" ist ungenau. Dein Protagonist weiß nicht, ob es dessen Koffer ist, aber er weiß, dass es "ein" Koffer ist.

Hosen rieben beim Gehen auf Kniehöhe und schafften ein Rascheln.
Hier machst du wieder das Verb zum Substantiv. Wie wäre es mit: Hosen rieben sich raschelnd beim Gehen auf Kniehöhe?

Als er in Frankfurt gelandet ist, ist es weit nach 17 Uhr. Noch im Flugzeug hat er sein Smartphone eingeschaltet und nachgesehen, ob seine Frau etwas geschrieben hat. Ausser ein paar mails aus dem Büro hatte er keine Nachrichten erhalten.
Schaust du hier nochmals bitte über die Verwendung deiner Zeiten? Da gerät ein wenig was durcheinander.

, er stieg in den Flieger ein und fiel in den Sitz 3A, am Fenster, sein Lieblingsplatz.
Müsste es nicht heißen: seinen Lieb....?
3A war seine Standard-Reservierung und mit einer leichten Ersatzgeborgenheit nahm er seinen Sitzplatz ein.
Merkst du was?Hier wiederholst du den Satz von eben nochmals mit anderen Worten. Ich würde mich für eine Formulierung entscheiden, wobei mir das Wort Ersatzgeborgenheit sehr gut gefallen hat. Verquicke doch in einem Satz Ersatzgeborgenheit mit Lieblingsplatz, dann ist es prägnanter und wirkt auch intensiver.

Sie lächelte ihn aufrichtig erfreut an, da er stets ein angenehmer Fluggast war, der sich höflich und zurückhaltend verhielt. Nur selten arbeitete er während des Fluges, meist las er die Zeitung oder ein Buch, sehr selten döste er vor sich hin, doch er war stets präsent. Ja, das hatte ihr gefallen, er war stets präsent. Er nahm den Raum um sich ein, seine Anwesenheit war sichtbar und spürbar, selbst wenn er schlief. Er hatte eine anziehende Aura, mit der er auch gleichermaßen Distanz wahrte ohne arrogant zu wirken. Sein Verhalten war souverän, er führte sich rücksichtsvoll auf und machte einen bescheidenen Eindruck. Daher war sie überrascht, dass er ihren Gruß nicht erwiderte. Stattdessen stapfte er fahrig an ihr vorbei.
Zum einen nimmst du da einen deutliche Cut vor, indem du die Perspektive wechselst. Das macht auch Sinn, weil du durch die Beobachtungen der Flugbegleiterin die angespannte Situation des Protagonisten verstärken willst.
Homogener hätte ich gefunden, wenn du bei ihm geblieben wärst. Man könnte das alles nämlich auch aus seiner Perspektive schildern. Er ist so angespannt, dass er an ihr vorbei geht. Dann aber merkt, dass er sich gar nicht begrüsst hat. Und sich dann noch umdreht, aber der Leser spürt: er tut es nicht aus Freude am Wiedererkennen, sondern aus gewohnter Höflichkeit.
Vielleicht lässt du ihn noch ein Pardon, hab Sie ganz übersehen, murmeln oder so.
Aber mir macht, wenn du bei der Sichtweise der Flugbegleiterin bleiben möchtest, der gesamte Abschnitt etwas Sorge. Klar, die Flugbegleiterin schildert ihn aus ihrer Sicht, anders geht es ja nicht. Aber auch wenn ihre Gedanken nachvollziehbar sind, so wird hier der Protagonist komplett über den Klee gelobt und das passt jetzt so rein gar nicht da hin. Du willst darstellen, dass sie sich wundert, weshalb ein so angenehmer Passagier jetzt so distanziert ist. Schon klar, aber diese Lobhudeleien wirken kontraproduktiv auf mich.

„Alles in Ordnung?“ fragte sie ihn, als sie bei ihren letzten Kontrollgang vor dem Abflug an seiner Sitzreihe vorbeikam.
Genau diesen Satz, den du auch aus seiner Perspektive beschreiben kannst, würde ich nehmen und ein wenig ausbauen. Dem Leser wird anhand ihrer Frage klar, dass sie etwas an ihm entdeckt hat, was ihm, weil er sonst so anders ist, so auffällt, dass sie ihn darauf anspricht. Dass eine Flugbegleiterin es tut, heißt ja für den Leser auch, dass sie ihn auf jeden Fall schätzt, er also vermutlich all das ist, was sie sich oben denkt. Mir würde es reichen, wenn ich ihr Verhalten ihm gegenüber erlebe.

Das Ende übrigens finde ich gelungen und zwar auch, weil zweimal diese Whatapp-Nachricht da steht und sonst nichts.

Lieben Gruß
lakita

 

Vielen Dank für Dein ausführliches Feedback! In der Tat bin ich ins Schwitzen geraten, der Gegenwind ist recht eisig.... Ich danke Dir für Deine wertvollen Hinweise und Anmerkungen, ich werde sie mir nochmal in aller Ruhe ansehen.

Das Ganze könnte für mich problematisch werden (oder ein Katalysator zur Genialität) ;-), da die meisten meiner kleinen Geschichten von genau solchen alltäglichen Szenen handeln, von denen ich aber behaupte, dass sie den meisten Lesern in ihrer Tiefe oder jeweiligen Bedeutung in ihrem eigenen Leben entgehen. Vielleicht ist das aber auch ein kapitaler Irrtum. Natürlich gibt es viele Leute, die schon in einer Lounge saßen, aber sicher sehr wenige, die diese Geräusche in dieser Intensität wahrgenommen haben. Es freut mich sehr, dass Dir diese Stelle gefallen hat. Sie war mir auch deshalb wichtig, weil ich die Sensibilität des Mannes herausarbeiten wollte. Also kein schnöder Business Kasper, der einfach durch die Welt reist und großartige Geschäfte abwickelt. Daher sollte aber auch die Flugbegleiterin ihn als sensibel und angenehm reflektieren und darum habe ich ihre Sicht auf ihn eingebaut. Vielleicht zuviel Lobhudelei, das ist gut möglich!

Vielen Dank nochmal und viele Grüße, der Handyliterat

 
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Hallo, ich bin ganz neu hier und versuche mich zum ersten Mal an einer Kritik, deshalb wird sie wohl auch nicht so ausführlich - es wurde ja schon viel gesagt. Zum Anfang muss ich gleich sagen, dass mir die Geschichte direkt sympathisch war, weil ich nah am Frankfurter Flughafen wohne, mein Vater arbeitet da und ich kenne den Flughafen ziemlich gut. Die ersten Zeilen fand ich auch klasse, dann begannen Dinge, die mich störten.

„. Geschmeidig wich er den Leuten im Terminal aus, er versuchte so gradlinig es geht voran zu kommen.
Hier ein Problem mit der Zeit. Es ging, müsste man sagen, "wie möglich" wäre deutlich schöner und nicht so umgangssprachlich.

Er wollte unbedingt den Anschlussflug erreichen. Er musste in diese Maschine. Er wollte so schnell wie möglich nach Hause.
Das finde ich irgendwie nicht doppelt, sondern dreifach gemoppelt. Der mittlere Satz könnte einfach weg-

Als er noch immer um 20 Uhr in Hongkong in der First Class Lounge saß, war es daheim in München 3 Uhr morgens. Seit Stunden hatte er von seiner Frau nichts mehr gehört oder gelesen. Sie hatten eine sonderbare Auseinandersetzung per WhatsApp gehabt, es hat sich irgendwie aufgeschaukelt, schon wieder. Sie kamen auf keinen grünen Zweig, es blieb ungelöst und er bekam ein mulmiges Gefühl der Einsamkeit.
Zeit, wie schon erwähnt und hier würde man sich schon wenigstens eine Andeutung wünschen, worum es in dem Streit eigentlich geht. Und das mit dem grünen Zweig ist eine blöde Floskel, da könnte man was originelleres schreiben.

Nach ein paar Atemzügen nahm er Geräusche wahr, Klopfen, Schlürfen, Klacken, Zischen, Rascheln, Ticken, Schleifen, Rattern, Rollen, es wurde immer vielschichtiger und auf einmal erzählten die Geräusche ihre Geschichten. Wirklich niemand sprach und man konnte alles hören. Das volumige Rauschen der Klimanlage, er konnte sich leicht die riesigen Rohre vorstellen, durch die die Luft hier hinein- und heraus gewälzt wird. Frauenabsätze klackten über den dunkel grau gefliesten Boden. Reisende schoben ihre Koffer und ihre Rollen klackten über die Fugen wie das “Tack-Tack Tack-Tack” der Züge auf den Gleisen. Der junge Mann neben ihm seufzte nervös, jemand schlürfte durch die Gänge, als hätte er oder sie Pantoffeln an. Jemand räusperte sich mehrmals, er konnte den Speichel am Rachen fast selbst spüren.
Diese detaillierte Beschreibung finde ich schön, da entstehen Bilder im Kopf. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das Wort "volumig" existiert. Und was soll das überhaupt heißen? Voluminös? Eine andere Beschreibung für das Geräusch wäre besser. Tiefes Rauschen, was auch immer.

Der zweite Absatz im Cafe war aber arg lang da wurde es etwas langweilig.

„Down to Earth“, schrieb er wie immer und: „hoffe, dass ich den Flieger nach MUC noch bekomme. Bis nachher, Robert.“ Danach packte er seine Sachen und hastete als einer der Ersten aus dem Flieger,
Hier fehlt mir ein Stück meiner realen Erfahrung, ein Halbsatz wie "wobei er sich an schnatternden Touristen und quengelnden Kindern vorbeischieben musste". Oder sowas ähnliches mit anderen genervten Businessleuten. Man kommt praktisch nie einfach schnell aus dem Flieger weil immer alle gleichzeitig aufstehen.

3A war seine Standard-Reservierung und mit einer leichten Ersatzgeborgenheit nahm er seinen Sitzplatz ein. Seine Sekretärin hatte die Anweisung, wann immer möglich ihm diesen Platz zu sichern. Regelmäßig flog er zwischen Frankfurt und München, manchmal auch dreimal die Woche und meist mit der gleichen Fluggesellschaft. Daher kannte er die verschiedenen Flugzeugtypen, die auf dieser Strecke verkehrten und auch die Gesichter, sowohl der Crew als auch mancher Passagiere. Frau Rendel, die erfahrene Flugbegleiterin...
Ich finde die müsste keinen Namen haben, völlig unwichtige Nebenfigur, aber vielleicht nur mein Geschmack.

Der nächste Absatz hat mich etwas enttäuscht. Es klang bisher irgendwie dramatisch aber ein Streit um eine Kreuzfahrt war dann schon ganz schön banal.

Dass sie sich am Ende trennen will, hat es vielleicht etwas gerettet, aber nach der Kreuzfahrtgeschichte hat es trotzdem nicht mehr dafür gesorgt dass ich den Protagonisten und sein Problem ernst nehme.

So, ich hoffe ich habe nicht zu sehr wiederholt, was mein Vorredner gesagt hat, ich finde die Geschichte ganz nett aber sie ist nicht wirklich spannend. Ich hätte es gut gefunden, tiefer in den Kopf des Protagonisten zu schauen, mehr innere Konflikte und vor allem auch Eigenheiten zu finden denn einen Charakter erkennt man kaum.

Also, die Detailbeschreibungen waren teilweise sehr schön, insgesamt hast du schon noch etwas Arbeit vor dir, das nächste Mal vielleicht ein etwas ungewöhnlicheres Thema und/oder mehr Innenschau.

Hoffe ich war nicht zu hart für den ersten Versuch (also von mir, als Kritiker), bald könnt ihr meine Ergüsse auch zerreißen :-)

Oh ich sehe ich habe das mit den Zitaten etwas verkackt (sorry für den Ausdruck), das muss ich mir noch mal genauer anschauen wie das geht, ich hoffe der Kommentar ist trotzdem verständlich.

 

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