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Dorf und Dörfliches

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04.08.2002
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Dorf und Dörfliches

Seit zwei Tagen hatte Elsa ganz offensichtlich Magenprobleme. Sie sprach mit niemandem darüber. Sie versuchte auch, sich nichts anmerken zu lassen. Sie war eine starke Persönlichkeit. Aber es gibt Dinge, die lassen sich nicht verheimlichen. Jedenfalls nicht, wenn es um die Intimsphäre schlecht bestellt ist und man sich mit neunzehn anderen Kühen den Stall teilen muß.
Der Bauer hatte es zuerst mit einem starken Abführmittel versucht. Das war aber genau das Falsche, denn abführen konnte Elsa schon vorher besser als gewünscht. Nun war es Abend geworden und Elsa hatte diesen eindringlich geduldigen Blick aufgesetzt, der den Bauern in dem Beschluß bestärkte, den Tierarzt zu rufen.
Der Bauer ging ins Haus, zog sich die Stiefel aus. Er streifte die Jacke ab und entledigte sich seiner Hosen, des Pullovers und des Hemdes. Er zog sich die Hauswäsche an, wusch sich die Hände und schlurfte in die Küche. Tee stand auf dem Ofen, Brot schmierte er sich. Er nahm die Zeitung vom Morgen noch einmal zur Hand. Er blätterte und aß und er trank Tee.
Seine Frau war in die Stadt gefahren und besuchte dort ihre Schwester. Er war allein im Haus.
Er sah auf die Uhr. Kurz vor Acht. Der Bauer erhob sich müde von der Küchenbank und wechselte in die Stube hinüber. Nachrichten schauen, Tatort schauen. Gegen kurz vor zehn klingelt das Telefon, seine Frau würde erst Morgen früh nachhause kommen. Er legte den Hörer auf und ging zum Sofa zurück. Ließ sich in die weichen Polster fallen.
Gegen elf Uhr raffte er sich auf, um noch einmal nach Elsa zu sehen. Und richtig, es ging ihr nicht gut. Also rief er um kurz vor zwölf den Tierarzt an. Der schien schon geschlafen zu haben, war etwas Wortkarg, als sie über das Wetter sprachen und die letzte Ernte. Also kam der Bauer bald zur Sache und stattete Bericht ab über Elsa. Der Doktor wollte sich das gleich morgen ansehen, aber der Bauer bestand auf einen sofortigen Besuch. Es stände viel auf dem Spiel, das Leben eines Tieres und vor allem das Überleben eines Kleinbauers in harten Zeiten. Der Doktor hatte ein Einsehen und machte sich um Mitternacht auf den Weg zu dem Bauern und zu Elsa, die in einem zugigen Kuhstall stand und geduldig aber starr geradeaus schaute, dabei besorgt nach innen auf das Rumoren ihres Magens hörte.
Der Doktor fuhr erst um ein Uhr auf dem Hof vor. Er hatte eine Reifenpanne gehabt. Er mußte den Bauern wecken, denn der hatte sich kurz hingelegt. So machten sie sich bald zusammen auf in den Kuhstall.
Der Bauer schaltete die Lampe an und die Sicherung flog raus. Er hatte keine Heile mehr im Haus, das fand er binnen einer halben Stunde heraus. Also griff er zur Petroleumlampe und der Bauer und der Doktor schritten wortlos an den Kühen vorbei bis hin zu Elsa.
Elsa hatte nie Angst vor dem Tierarzt gehabt. Fast hatte man den Eindruck, sie freute sich bei dem Wiedersehen. Der Doktor sah sie sich an. Er nahm das Thermometer aus seiner Tasche und hob Elsas Schwanz an, um das Thermometer in den After einzuführen. Der Bauer, Elsa und der Tierarzt warteten geduldig zwei Minuten. Dann zog der Arzt das Thermometer heraus, der Bauer hob die Lampe und beide lasen in Elsas Rücken das Ergebnis ab. Elsa hatte kein Fieber. Elsa gab auch gut Milch, bekundete der Bauer auf die Frage des Doktors. Aber sie hatte Durchfall. Irgend etwas stimme mit ihrem Magen nicht. Der Doktor wischte sich mit der Hand über Stirn und Augen. Er schien ein wenig müde. Wieder griff er zu seiner Tasche und holte eine Spritze hervor, dazu ein Vitaminpräparat. Im Halbdunkel zog er die Spritze auf. Im Halbdunkel verabreichte er Elsa diese Spritze. Der Bauer sah skeptisch auf Elsa, dann skeptisch auf den Doktor. Dieser packte seine Sachen zusammen und gemeinsam schritten die beiden an den Kühen vorbei nach draussen. Der Doktor wünschte eine gute Nacht und empfahl dem Bauern am Mittag wieder anzurufen, falls Elsa nicht wieder auf dem Damm sei, bis dahin.
Der Bauer schlurfte zurück ins Haus, zog sich um und hockte sich noch kurz vor den Fernseher. Es war halb vier in der Nacht, als er den Tierarzt erneut anrief. Elsa ginge es schon viel besser, sagte er. Sie fräße schon wieder.
Zwei Tage später konnte man in der Zeitung von dem mysteriösen Mord an einem Bauern im Holsteinischen lesen. Die Frau des Opfers gab an, er hätte keine Feinde gehabt, geraubt worden sei auch nichts.
Nach weiteren zwei Wochen gab die Witwe die Bauerei auf. Sie verkaufte den Hof zu einem anständigen Preis, das Vieh wurde auf einer Auktion versteigert. Elsa ging mit drei anderen Kühen auf eine Bauerei im Nachbardorf. Es war drei Uhr nachts, als Elsas neuer Besitzer den Tierarzt anrief. Er hätte da eine Kuh gekauft und mit der stimme irgend etwas nicht. Scheint der Magen zu sein.

 

Hallo alonsky!

Nette Geschichte. Interessant, mal über etwas über eine Kuh als Hauptfigur zu lesen.
Vor allem das Ende scheint mir gelungen. Ich fand den Text auf den Schluss hin etwas merkwürdig, aber dann hast du schließlich doch noch alles überraschend aufgeklärt.

Grüße - Michael :)

 

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