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Doppeltes Ich

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31.01.2010
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Doppeltes Ich

Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete Peter von Falström die Demonstranten durch die getönten Scheiben seines Wagens. Der Chauffeur zuckte mit den Achseln. „Da kommen wir nicht durch“, meinte der Fahrer, den Kopf leicht nach hinten gedreht. „Ich fürchte, wir müssen einen Umweg fahren und dann den Hintereingang nehmen.“

„Ja, fahren Sie“, ordnete von Falström an und lehnte sich wieder zurück. Mit einer Handbewegung strich er einen Fussel von seinem dunkelblauen Designeranzug ab. „Nicht zu verstehen, dass so ein paar hirnlose Spinner andere Leute behindern können. Was tut die Polizei eigentlich?“, dachte er. Es war die heiße Zeit des Wahlkampfes. Am nächsten Wochenende sollte das Europäische Parlament und der Präsident der Kommission gewählt werden. Über den Wahlausgang machte sich von Falström keine Gedanken. Er war sicher, dass die Volkspartei – vielleicht zusammen mit den Europäischen Freiheitlichen Liberalen und der kleinen rechten Sozialdemokratischen Internationalen Bewegung wieder die Mehrheit erhalten würde. Für die Demonstranten vor ihm schien das aber nur ein Ansporn zu sein, noch lauter zu krakeelen. Die kleine Gruppe mit den Transparenten, die die Straße blockierten, hatte sich die Zentrale der FEY Ltd. als Ziel ihres politischen Eifers ausgesucht. Ein großes Werbeplakat des Unternehmens am Straßenrand war schon mit Farbbeuteln beworfen worden, ohne dass die Luxemburger Polizei eingeschritten wäre. Der englische und französische Text war nun nicht mehr lesbar, aber der deutsche Werbespruch ließ sich noch einigermaßen erraten:

„Der beste Schutz vor Siechtum und Verfall im Alter war bisher, jung zu sterben. Die beste Methode wieder jung zu werden sind nun wir - FEY"

stand darauf oder hatte jedenfalls vor der Farbbeutelattacke darauf gestanden. Gut, von Falström fand keinen Gefallen an dem Werbespruch, aber deshalb musste man das Unternehmen doch nicht gleich so hassen.

Die Buchstaben FEY standen für den englischen Begriff „For Ever Young.“ Das war zugegebenermaßen eine leichte Übertreibung. Denn auch das Unternehmen hatte keine Methode erfunden, den Alterungsprozess des menschlichen Körpers zu stoppen. Immerhin bot die Firma aber ihren Kunden die Möglichkeit, das Leben doch verjüngt fortzusetzen und nun von Neuem zu altern.

Ein ziehender Schmerz durchzuckte seinen Unterleib. Von Falström krümmte sich etwas, atmete vorsichtig aus. Es wurde Zeit, dass FEY ihm einen neuen Körper beschaffte. Sein alter taugte nicht mehr viel als Herberge. Der Krebs hatte ihn zerfressen, ohne Hoffnung auf Heilung. Und selbst wenn, was sollte er im Alter von 73 Jahren eigentlich noch von seinem Organismus erwarten? Er konnte doch nur noch warten, dass der körperliche Verfall in einem Zerfall überging. Von Falström schüttelte unwillkürlich sein schütteres und ergrautes (Färbemittel lehnte er ab) Haupt. FEY jedoch bot die Lösung all seiner Probleme. In Laboratorien des Unternehmens wuchs ein genetisch völlig identischer jugendlicher Körper für von Falström heran, herangezogen aus einer Zelle von ihm.

Genau das war es, was den Demonstranten an FEY störte. Von Menschenzüchtung war die Rede, jede Demut gegen die Schöpfung sei abhanden gekommen, behaupteten sie. Einige der besonders religiösen Eiferer meinten sogar, mit ihren Aktivitäten gegen FEY dessen Kunden sogar einen Gefallen zu tun. Für sie war der Tod so eine Art Beförderung und brachte die Seelen zu Gott. Und dieser Weg zu Gott, so verbreiteten sie, dürfe keinem Menschen vorenthalten werden. Entweder bringe man ihn damit um das Paradies oder um seine gerechte Strafe in der Hölle. Hinzu kommt, die Dienstleistungen von FEY waren nicht besonders billig. Dieser Umstand wiederum bewog besonders sozial engagierte Personen zu der Kritik, nur wenige Reiche kämen in den Genuss einer neuen Jugend, was wiederum nicht hinnehmbar sei. Wenn nicht alle, dann eben gar keiner. Für von Falström bewiesen all diese Argumente aber nur sein schon früh herausgebildetes Urteil, dass die meistens Menschen, insbesondere wenn sie als Masse handelten, nicht sonderlich intelligent waren.

Sein Wagen bog nun in eine Seitenstraße ab, um das FEY-Gebäude von der anderen Seite aus anzufahren. Von Falström bemerkte, dass neben Demonstranten mit christlichen Symbolen offenbar auch Muslime zu der Gruppe gehörten. Noch vor einigen Jahren wäre dies undenkbar gewesen. Der große Moro-Aufstand, der wie ein alles verheerender Orkan über Westeuropa fegte, lag selbst erst 15 Jahre zurück. Auslöser der bürgerkriegsähnlichen Zustände war – wie oft bei historischen Ereignissen – eine Kleinigkeit gewesen. Entweder in einem Ort in Deutschland oder in Frankreich – gesichert war eigentlich nur, dass es ein Ort in Grenznähe gewesen war – hatte eine politische Partei, die eingebürgerte Muslime vertrat, die Mehrheit im Stadtrat erhalten und stellte auch den neuen Bürgermeister. Als dieser Bürgermeister eine allgemeine Pflicht zum Tragen eines Kopftuches für alle Frauen in seinem Amtsbereich verkündete, stürmten „Westler“ das Rathaus und knüpften ihren neuen Bürgermeister kurzerhand am nächsten Baum auf. Wie ein Flächenbrand breiteten sich daraufhin in ganz West-Europa Kämpfe zwischen der im Laufe der Zeit zahlreich gewordenen islamischen Bevölkerung und den Vertretern des alten christlichen Glaubens ein Bürgerkrieg aus, anfangs mit durchaus beachtlichen Erfolgen der Mohammedaner. Für einige Monate entstand sogar ein Kalifat im Raum zwischen Straßburg und Stuttgart, bis amerikanische Truppen dem ganzen Spuk ein Ende machten. Die USA (dass war jedenfalls die offizielle staatstragende Ansicht im Europa nach dem Aufstand, die jedem Schulkind beigebracht wurde) waren mal wieder die Retter des Abendlandes. Russland hatte dies nicht vermocht. Zwar nutzte es die Chance, als „europäische Macht“ den „christlichen Brüdern“ zu Hilfe zu eilen und seinen Einfluss zu vergrößern. Bald aber erreichte die Aufstandswelle auch den asiatischen Teil des Landes selbst und die Herren im Kreml brauchten jeden Soldaten, um wenigstens ihr Land bis zum Ural halten zu können. Russland wurde tatsächlich wieder zu einem rein europäischen Land, die Eroberungen aus alten Zarenzeiten in Asien gingen vollends verloren. Nach der Niederschlagung des sogenannten Moro-Aufstandes in West- und Mitteleuropa war bei den christlichen Siegern von religiöser Toleranz – jedenfalls, soweit es um den Islam ging - nicht mehr viel die Rede. Nur kleine muslimische Bevölkerungsteile blieben in Europa, die Masse wurde in die Länder ihrer Vorväter – die sie zum Teil schon seit Generationen nicht mehr gesehen hatten – zurück getrieben. Nun aber, über ein Jahrzehnt später, vereinte offenbar der Kampf gegen einen Dritten die früheren Feinde und Konkurrenten um das Seelenheil.

Ohne größere weitere Störungen erreichte der Wagen von Falströms den Hintereingang des FEY-Gebäudes. Weitere Werbeplakate hingen hier:

„Schlagen Sie den Tod ein Schnippchen“

las von Fallström und:

„Sterben tun immer nur die anderen. Aber einmal sind auch Sie der andere. Wir können etwas dagegen tun.“

Von Falström bezeichnete sich selbst nicht als gläubig. Nicht, dass er Religionen ablehnte. An den Glaubenskrieg des Moro-Aufstandes hatte er gut verdient, eigentlich war sein Unternehmen sogar nur deshalb groß geworden. Und sein jüngerer Bruder war damals umgekommen. Das war auch etwas Gutes, denn die Sozialbehörden fragten seither nicht mehr bei ihm an, ob er nicht seinen Verwandten unterstützen könne. Von Falström hatte natürlich jede derartige Anfrage entrüstet abgewiesen. Nicht, dass er seinen Bruder keine Chance im Unternehmen gegeben hätte. Aber der gute Manfred versagte natürlich auch hier. Nun gut. Von Falström war nicht der Mann, der einem ausgemachten Loser eine zweite Chance gab. Sollten die sozialen Dienste ihren Job machen.

Sein Bruder war schon lange tot. Aber von Falström wollte leben. Im Gegensatz zu vielen seiner Mitmenschen, die sorglos einen Tag nach den anderen verschwendeten, war von Falström das eigene Ende ständig schmerzlich bewusst. Wahrscheinlich lebte er deswegen immer schon am Rande einer Depression. In jungen Jahren hatte er auf den medizinischen Fortschritt gesetzt. Gut, hier gab es tatsächlich Erfolge zu verzeichnen. Selbst viele Männer erreichen nun die Hundert. Aber es waren alte Greise, an der Lebensqualität mangelt es jeden von ihnen Und alle Mittelchen, die versprachen, das Absterben der Körperzellen zu verhindern, erwiesen sich letztendlich als fataler Fehlschlag. Sicher, man konnte zwischenzeitlich Zellen die Unsterblichkeit geben, aber sie entwickelten sich damit unweigerlich zu Krebszellen. Und was nützte es, wenn einige Körperzellen in Reagenzgläsern immer weiter Jahrhunderte lang wuchern konnten, das Individuum aber nach wie vor endete?

Ein anderer Rettungsanker schien für von Falström zunächst die Idee, dass irgendetwas von einem selbst den körperlichen Tod überlebte und die Persönlichkeit dadurch irgendwie fortexistierte. Einer bestimmten Religion hatte von Falström sich trotzdem nie zugewandt. Alle diese Lehren waren ihm zu konstruiert, teilweise sogar bereits wissenschaftlich widerlegt. Religion war für ihm immer schon nur ein oft recht nützliches Herrschaftsinstrument, Gleichwohl hatte von Falström sich gefragt, ob die in den meisten Religionen enthaltene Vorstellung von einer Weiterexistenz nach dem Tod mehr als nur eine Trost-Funktion hatte, ob sie vielleicht doch auf ein Grundwissen der Menschheit zurückging. Es gab Berichte von Wiedergeburtsfällen. Aber sobald die Geschichten konkret wurden – jemand erkannte etwa einen Verwandten aus dem früheren Leben wieder – spielten sie irgendwo in einem fernen Land der Dritten Welt und waren schlichtweg nicht überprüfbar. Und „Rückführungen“ unter Hypnose erwiesen sich als noch weniger aussagekräftig. Einzelheiten konnten nie überprüft werden und alle genannten Daten hätte sich der Betreffende auch zuvor anlesen können. Nahtoderlebnisse deuteten zwar ebenfalls auf eine Forstexistenz hin, aber gegen sie sprach, dass alle, die davon berichten konnten, eben noch nicht wirklich richtig tot waren. Also alles nur Illusion? Selbst Geistergeschichten ging von Falström nach, nachweisbar war – bis auf Poltergeistphänomene – keine einzige. Und bei den wenigen belegten Poltergeistern sprach alles dafür, dass nicht ein Geist, sondern ein lebender Mensch mit unbewussten telekinetischen Fähigkeiten die Ereignisse verursachte. Im Übrigen schlossen sich alle drei Indizien für ein Weiterleben nach dem Tode gegenseitig aus. Wer in alten Gemäuern herumspukte, konnte schlecht im Himmel sein und wer als jemand anderes wieder geboren wurde, dürfte kaum als Geist an anderer Stelle auf Erden weilen. Und überhaupt: Wie sollte eine Seele ohne Körper existieren? Wie sollte sie etwas wahrnehmen und ohne neuronale Zellen denken können?

Einzig der Umstand, dass ab und an offenbar tatsächlich unerklärliche paranormale Phänomene wie Telepathie oder Telekinese auftraten, bewog von Falström zu der Annahme, dass es möglicherweise doch irgendetwas außerhalb der normalen Sinneswahrnehmungen gab. Aber das war ihm zu wenig, um mit irgendwelchen Hoffnungen sterben zu können. Und überhaupt, irgendeine Funktion einer weiter existierenden Seele war nicht zu erkennen. Die Natur brachte jedoch nur das hervor, für was sie ein zweckmäßig war. Einziger Daseinszweck von Lebewesen war. So dachte Falström, sich möglichst oft fortzupflanzen. Insoweit erfüllten bei höheren Tierarten zwar auch Großeltern noch einen biologischen Zweck – sie konnten die Aufzucht der Jungen weiterhin helfend unterstützen – dann aber wurden sie nicht mehr gebraucht und ihre Materie konnte wiederverwendet werden. Die Intelligenz beim Menschen hatte sich nur deshalb herausgebildet, weil er damit besser überleben konnte und gegenüber anderen Arten im Vorteil war. Pech für ihn, dass damit ihm gleichzeitig auch der absehbare Tod bewusst wurde. Aber das war letztendlich für die biologische Arterhaltung ohne Belang. Nein, eine auch ohne Körper weiterlebende Seele passte da nicht in den natürlichen Lauf der Dinge. Für sie gab es keine sinnvolle Aufgabe mehr.

Nicht dass Peter von Falström bei solchen Gedanken die Existenz einer Seele an sich verneinte. Seele war für ihn nur ein anderer Ausdruck für das Programm, was sich selbst im biologischen Computer, Gehirn genannt, installiert hatte. Aber genau so, wie ein Programm für elektronische Rechner ins Nichts entschwand, wenn sein Trägermedium zerstört wurde, so blieb auch nichts von der Seele übrig, wenn die Substanz, in der sie verkörpert war, außer Funktion geriet. Für diese Ansicht sprach insbesondere, dass als Folge von Hirnverletzungen oder –eingriffen es immer wieder bei den Betroffenen zu Persönlichkeitsänderungen kam. Wenn aber die Persönlichkeit durch organische Funktionen der Materie gebildet wurde, dann war für eine gesondert und vor allem unabhängig von der Materie existierende Seele kein Raum. Vor langer Zeit einmal hatte von Falström außerdem eine Geschichte eines amerikanischen Horrorautors gelesen. Sein Nachname klang deutsch, aber an mehr konnte sich von Falström nicht erinnern. Dieser Autor schilderte in seiner Erzählung, dass Wesen außerhalb der menschlichen Existenzebene quasi die Menschen züchteten, um sich dann an ihren Seelen gütlich zu tun. Diesen Gedanken empfand von Falström als so erschreckend, dass er versuchte, diese Geschichte aus seinem Gedächtnis zu verbannen. Nur einmal wurde er daran erinnert, als er las, dass in der altägyptischen Vorstellungswelt nach dem Tode ein Seelenfresser lauern konnte. Jener Auto, dessen Namen ihm entfallen war, hatte da wohl abgeschrieben.

Gerade das Bild, was sich von Falström von der Seele machte, passte zu dem Konzept von FEY. Genau wie ein Programm von einem alten Computer auf ein neues Gerät überspielt werden konnte, so versprach FEY, werde das Unternehmen die Persönlichkeit vom alten in einen neu gezüchteten Körper transferieren. Wie genau das funktionieren sollte, ließ die Werbung von FEY offen. Von Falström wusste nur soviel, dass die Methode auf Patente von Jungbrunnen zurückging. Jungbrunnen war ein Wiener Unternehmen gewesen, das sich demselben Ziel wie jetzt FEY gewidmet hatte. Es war allerdings ziemlich rasch in Konkurs gefallen und FEY konnte sich – wie man hörte – relativ preiswert in das Erbe von Jungbrunnen einkaufen.

Das Problem von Jungbrunnen lag nicht in der Übertragung der Bewusstseinsinhalte in ein anderes Gehirn. Jungbrunnen war an den Körpern selbst gescheitert. Sicher, auch menschliche Körper konnten schon seit längere Zeit problemlos geklont werden. Nur niemand schaffte es – abgesehen davon, dass dies wohl kaum auch jemand wünschen würde - in einem Babykörper, dessen Gehirn noch nicht aus entwickelt war, das Bewusstsein eines erwachsenen, älteren Menschen ohne Schaden transferieren. Die Alternative, einfach den Körper von selbst weiter wachsen zu lassen, war aber auch ausgeschlossen. Denn wie sollte verhindert werden, dass sich in dem Klon eine eigene Persönlichkeit bildete? Die Kunden wollten jugendliche Körper von 18 bis 20 Jahren. Und wer wollte schon solange auf eine Transferierung warten? Jungbrunnen meinte, die Lösung gefunden zu haben. Die Zellen wurden in einem Schnellverfahren zu einem ausgewachsenen Menschen heran gezüchtet, dabei aber im künstlichen Koma gehalten. Nach sieben Monaten sollte dann aus einer Eizelle ein menschlicher Körper im biologischen Alter von genau siebzehneindreiviertel Jahren entstanden sein.

Das klang gut und kam an. Erste geschäftliche Erfolge von Jungbrunnen blieben nicht aus. Nach rund zwei Jahren Lebenszeit rächte sich allerdings das künstlich beschleunigte Wachstum. Die neuen Körper begannen rapide zu altern und zwei Monate später war das transferierte Bewusstsein wieder in einem greisen Körper gefangen. Keiner der Kunden von Jungbrunnen überlebte das dritte Jahr nach der Transferierung. Das einstige Superangebot von Jungbrunnen war nur noch eine – und dann auch nur kurzfristige - Alternative für Leute, deren Lebenserwartung schon jetzt weit unter zwei Jahren lag.

FEY jedoch versprach, das Problem der Schnellalterung gelöst zu haben. Die ersten Kunden von FEY lebten jetzt bereits mehr als fünf Jahre und ihre Körper entsprachen auch in etwa denen von fünfundzwanzigjährigen Menschen. Für von Falström wurde das Angebot von FEY zur einzigen Chance auf Rettung vor seiner aggressiven Krebserkrankung. So hatte er einen nicht unerheblichen Teil seines angesammelten Vermögens für einen neuen Körper ausgegeben. Gestern dann war die Nachricht des Unternehmens gekommen. Sein neues Ich war zur Übertragung der Seele bereit.

Von Falström ließ seinen Fahrer halten. Der junge Mann in einen nicht ganz so feinen Anzug wie Falström sprang heraus und öffnete seinem Chef die Tür. Den angebotenen Arm zur Stütze wies von Falström dann aber zurück. Die letzten Meter konnte sein alter Körper auch noch alleine zurücklegen.

Peter von Falström wurde von einem der Geschäftsführer von FEY sowie zwei weiß gekleideten und ausnahmslos hübschen Krankenschwestern empfangen. Er durfte dann seinen neuen Körper in Augenschein nehmen. Ein junger Mann lag nackt mit geschlossenen Augen in einem mit Nährflüssigkeit gefüllten Tank, der oben durchsichtig war. Ein zum Mund und Nase geführter Schlauch sorgte für die Atemgase. „Ja, ich glaube, so sah ich damals aus“, sagte von Falström, aber ein Kloß in der Kehle sorgte dafür, dass er mehr krächzte als sprach.

„Kommen Sie, der Notar wartet“, sagte der Geschäftsführer.

„Der Notar?“

„Sie wissen doch, formaljuristisch müssen Sie ihr Eigentum und alle ihre Rechte auf den neuen Körper übertragen. Denn er gilt – natürlich wieder nur rein juristisch – als anderer Mensch“, erläuterte der Geschäftsführer mit einem freundlichen Lächeln.

Von Falström sah ihn etwas verwirrt an. „Ja, wir sprachen seinerzeit darüber. Es ist alles in Ordnung“, brachte er dann heraus.

„Gut dann kommen Sie bitte. Die Transferierung dauert einundzwanzig Tage, vier Stunden und zwischen fünf und 16 Minuten. Ich hoffe, Sie haben schon als Briefwähler ihre Stimme zur Wahl abgegeben. Denn zum Wahllokal können Sie, wenn wir einmal begonnen haben, nicht mehr gehen.“

Peter von Falström nickte. „Das habe ich. Aber ich denke, ob ich nun es getan habe oder nicht, meine Stimmer wird nichts ändern. Der Wahlausgang wird keine große Überraschung sein.“

Sein Gesprächspartner nickte zustimmend. „Da haben Sie ganz recht. Die Umfragen sind ja eindeutig.“

Der Notar bestand darauf, von Falström ausführlich über alle juristischen Konsequenzen zu belehren und brauchte dazu geschlagene vierzig Minuten. Als er endlich fertig war, unterzeichnete von Falström die Dokumente, die seinem zukünftigen Ich als seinen Rechtsnachfolger einsetzten. Dann brachten ihn die Krankenschwestern in einem Untersuchungsraum, ihm wurde Blut abgenommen und dann beschäftigte sich ein Arzt noch einmal eingehend mit ihm. Erst war es ihm unangenehm, sich auszuziehen, vor allem weil die Krankenschwestern anwesend waren, dann zuckte er nur mit den Schultern und entledigte sich seiner Kleidung. Denn seinen neuen Körper hatten eh schon alle nackt in dem Tank gesehen. Den Stich der Spritze spürte von Falström nicht. Er blickte in das freundliche Gesicht des Arztes. „Auf Wiedersehen“, sagte dieser, „wenn wir uns wieder sprechen, sind Sie ein junger Mann.“ Die letzten Worte verschwanden allerdings schon in einem Nebel, der sich rasch des Bewusstseins bemächtigte.

„Er wacht nicht auf. Vielleicht krepiert er doch gleich hier. Dann wäre das Problem gelöst.“

Eine andere Stimme antwortete. „Herr von Falström, ich bitte Sie. Schließlich ist es doch ...“

Von Falström stöhnte. Der Krebs fraß wieder in ihm und der Schmerz vertrieb die blassen Nebelwolken. Er schlug die Augen auf. Mehrere Personen standen um ihn herum. Langsam wurde das Bild klarer. Der Arzt von vorhin – es war doch erst vorhin gewesen? – blickte ihn ernst an, der Geschäftsführer von FEY stand daneben, sein freundlicher Gesichtsausdruck war jedoch einem zerknirschten und eingefallenen wirkenden Antlitz gewichen.

„Was ist los?“, krächzte von Falström. „Was hat nicht geklappt. Warum geht es nicht los?“

Der freundliche Geschäftsführer kratzte sich am Hinterkopf. „Geklappt hat eigentlich alles und die Transferierung ist gut gelaufen.“

Von Falström verdrehte die Augen um den Rest von sich selbst zu begutachten. „Das ist nicht der bestellte Körper“, brachte er dann mühselig, aber schon etwas klarer heraus. Langsam wich die Betäubung aus ihm.

„Nein.“ Ein junger Mann, der von Falström irgendwie bekannt vor kam, trat vor. „Meine Transferierung ist gut verlaufen. Ich bin im neuen jungen Körper. Das da...“, er zeigte auf den Mann auf dem Bett, „ist nur der alte Rest von mir, den zu entsorgen sich diese feine Firma außer Stande sieht.“

Der Geschäftsführer breitete hilflos die Arme aus. „Es liegt doch nicht an uns. Die neue Regierung, die ...“

„Kann mir einer endlich sagen, was hier vor sich geht“, schimpfte nun von Falström. Noch immer war sein Körper steif, das Leben wollte sich nicht so recht wieder einfinden. Nur eines war ihm klar geworden. Er befand sich immer noch in seiner alten, kranken Hülle. Deshalb war ihm das Auftreten des jungen Mannes auch nicht so recht verständlich. „Was läuft hier ab? Ein großartiges Betrugsmanöver?“ fragte er schließlich.

„Nein, um Himmelswillen nein“, stieß nun der Geschäftsführer hervor. „FEY ist absolut seriös. Niemand wird hier betrogen.“

Von Falström schaffte es, mit einem Finger auf den jungen Mann zu deuten, von dem ihn immer noch nicht einfiel, wo er ihn schon einmal gesehen hatte. Aber er war ihm bekannt, verdammt bekannt. „Und wer ist das da?“ fragte er dann nach einer Atempause.

Der junge Mann, der einen Edelanzug trug, wie ihn von Falström liebte, zupfte seine Krawatte zurecht. „Ich bin Peter von Falström“, sagte er dann langsam und überdeutlich. Ich wurde transferiert und ich bin in meinem neuen, bestellten Körper.“

„Ich bin hier“, beharrte nun von Falström auf dem Bett. „Also doch Betrug. Ich ...“

Der Geschäftsführer unterbrach ihn. „Lassen Sie es mich erklären, bitte. In unserem Gesprächen hatte ich bereits mehrmals darauf hingewiesen, dass die Transferierung der Persönlichkeit unserer Kunden im Prinzip genauso abläuft, wie das Verschieben einer Datei in einem Computersystem.“

„Ich bin aber nicht verschoben worden. Ich bin immer noch ich im alten Körper, verdammt.“

Verlegen lächelte der Geschäftsführer. „Ja und nein. Das Verschieben einer Datei läuft so ab. Erst wird an die neue Stelle eine exakte Kopie der Datei erzeugt und dann die alte Version gelöscht. Wir haben in Ihrem neuen Körper eine exakte Kopie Ihrer selbst, Ihrer Erinnerungen, Ihrer Gefühle, eben alles, was in Ihrem Gehirn gespeichert war, übertragen können. Mit Fug und Recht ist deshalb dies hier...“ er deutete auf den jungen Mann im Edelanzug – „dies hier sind Sie! Einzig mit dem Löschen des Datensatzes an der ursprünglichen Stelle, wenn ich bei meinem Beispiel bleiben darf, gibt es ein Problem. Wir haben eine neue Europäische Regierung. Und es ist leider nicht die, die wir alle hier vor der Wahl erwartet haben. Die Umfragen lagen bedauerlicher Weise vollkommen neben der Wirklichkeit. Die Pansozialistische Partei der Arbeit hat in Koalition mit der ökologischen Ethik-Bewegung die Mehrheit im Parlament und die neue Kommission gebildet. Nun - und diese Leute waren schon nie unsere Freunde gewesen. In einer ihrer ersten Verordnungen erklärten sie das „Löschen“ der Persönlichkeit im alten Körper nach der Transferierung zu Mord. Es läuft eine Klage dagegen beim Gerichtshof, aber wir konnten Ihren alten Körper nicht so lange im Koma halten. Und jetzt sind Sie, gibt es Sie, nun, wie soll ich sagen ...“

Der junge Mann schob den Geschäftsführer energisch bei Seite. „Ja, lieber Peter. Es gibt mich zweimal. Einmal in der neuen, einmal in der alten Version. Du bist die alte Version. Lege Hand an Dich, dann schonst Du Dein, nein, mein Vermögen und ich brauche Dich nicht noch Monate oder gar Jahre durchzuschleppen. Aber nein, das wirst Du nicht tun, ich kenne mich ja.“

„Wenn wir beim Gerichtshof gewinnen, und ich gehe zuversichtlich davon aus, das wir es tun, dann können wir immer noch...“, begann der Geschäftsführer.

Der junge von Falström lachte kalt. „Glauben Sie im Ernst, dieser alte Körper wird sich freiwillig zum Löschen bei Ihnen einfinden? Er hängt an seinem Leben und wenn es noch so mickrig ist.“

Für einen Moment schwiegen alle Anwesenden. Der alte von Falström versuchte sich aufzurichten und blickte dabei an sich herunter. „Ich habe nichts an“, stellte er fest. „Gebt mir gefälligst eine Decke! Ich bin schließlich nicht irgendwer, ich bin...“

„Nein, ich bin!“ Der junge von Falström schaute höhnisch auf den Alten herab. „Ich bin Du. Aber mit einem Unterschied. Alles Vermögen von Dir wurde notariell auf mich übertragen. Du bist jetzt ein Nichts, Du bist weniger als Manfred es je gewesen ist.“

Der Geschäftsführer breitete wieder die Arme aus. „Aber meine Herren...“, begann er.

„Nichts da!“ rief nun der junge von Falström aus und zeigte unhöflich auf den Geschäftsführer. „Sie werden mir helfen, den Alten da in einem billigen Heim unterzubringen. Wenn ich Pech habe, macht er noch zwei Jahre. Ich erwarte eine Beteiligung an den Kosten von Ihnen. Sie müssen mir da im Wege der Kulanz entgegen kommen.“

„Aber unser Unternehmen kann doch nichts dafür. Wir ...“ Die beiden Männer entfernten sich gestikulierend aus dem Raum. Der zurückgebliebene Arzt blickte auf den alten von Falström. „Ich schicke eine Schwester, die Sie mit Kleidung versorgt“, sagte er. Dann ging er ebenfalls zur Tür. Im Türrahmen drehte sich der Arzt noch einmal um. „Es tut mir Leid“, meinte er leise und ging dann hinaus.

 

Mit zusammengekniffenen Augen betrachte Peter von Falström die Demonstranten durch die getönten Scheiben seines Wagens
- schon der erste Satz,

lieber JensS,

gibt einen Geschmack von dem, was auf einen Leser wartet: Flüchtigkeit

... betrachte ...
- gönn ihm bitte noch ein te - und Adjektivitis
zusammengekniffenen / getönten
, dem sich fröhlich Poessessivpronomen zugesellen
seines Wagens /sein Chauffeur
, womit Peter v. F. sich als bürgerlicher Mensch darstellt, der sich gut-hegelisch über Besitz & Eigentum definiert, an dem kein Makel sein darf
Mit einer Handbewegung strich er einen Fussel von seinem dunkelblauen Designeranzug ab.
Weiterhin entbehrlich ein sich:
„?“, dachte er bei sich.
Bei wem könnte er sonst noch gedacht haben?

Gelegentlich gibt's Zuordnungsprobleme:

Die kleine Gruppe mit den Transparenten, die die Straße blockierten, hatte ...
Die Transparente (die ... blockierten, Plural) oder doch die kleine Gruppe (die blockierte, Sing.)?, wie's der Rest des Satzes zeigt.

..., aber der deutsche Werbespruch lies sich noch einigermaßen erraten:
ließ, nicht von lesen, sondern lassen.

..., das Leben doch verjüngt fortzusetzen und nun von neuem an zu altern.
an entbehrlich, von Neuem
Und selbst wenn, was sollte er im Alter von 73 Jahren eigentlich noch von seinem Organismus erwarten?
Eigentlich ist eigentlich immer entbehrlich. Denn was wollte er uneigentlich?

Er konnte doch nur noch warten, dass der körperliche Verfall in einem Zerfall überging.
Akkusativ besser, wenn nicht gar Verfall eh der Weg zum Zerfall, und somit entbehrlich.

Hinzu kom,
Ich sag ma' nix ...

usw.

Da hilft nur Korrekturlesen (ggfs. von einem andern), kürzen & straffen ...

Gruß

Friedel

 

Danke für die Hinweise. Einige (wahrscheinlich nicht alle) Fehler habe ich korrigiert. Fehler fallen mir oft erst nach langer Zeit auf, nachdem ich den Text gelesen habe.

 

Hallo,

ja, mir fällt es auch immer schwer meine Rechtschreibfehler zu finden. :-)
Eine zweite Person lesen lassen hilft oder die Geschichte einfach noch ein oder zwei Wochen ruhen lassen, bevor man sie hochlädt und dann vorher noch einmal drübergehen.

Aber nun zu deiner Geschichte. Ich finde den Plot ganz ansprechend, auch wenn die Idee nicht ganz neu ist. Du solltest die Geschichte aber noch etwas straffen. Ich persönlich fand es sehr schwer bis zum Ende durchzuhalten, vorallem da der Protagonist mir nicht sehr sympathisch war.

Also die nächste Geschichte etwas knackiger schreiben und ich werde sie mir gern wieder durchlesen.

Mit freundlichem Gruß

Sascha

 

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