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Donauinsel - stromaufwärts
Es ist weit nach Mitternacht als ich aus dem Schlaf erwache. Ich lese ein paar Seiten in einem Buch welches vom Weggehen erzählt. Müde stehe ich auf, gehe ins Bad. Dabei summe ich vor mich hin, fühle mich in eine angenehme Stimmung versetzt. Nachdem ich mich abgetrocknet habe, wasche ich mir den Staub der Donauinsel mit duftender Seife von der Haut und drehe den Wasserhahn auf. Die Wohnung ist leer als ich sie betrete und es umhüllt mich eine angenehme Ruhe, die vertraute Atmosphäre meines Zuhauses.
Ich fahre mit der Straßenbahn durchs nächtliche Wien. Die Insel hüllt mich ein mit Finsternis. Die Bäume haben intensive schwarze Blattmuster in den etwas helleren Himmel gezeichnet, Schwarz auf Dunkelgrau. Ein Vogel wird durch meine Schritte aufgescheucht, er ruft nicht, nur sein Flügelschlag ist hörbar.
Die Nacht liegt über der Stadt und ich gehe durch die Wiese hinüber zum Spielplatz. Hinter dem Klettergerüst verborgen sitzen besondere Menschen auf klobigen Holzbänken, rauchen, trinken und sprechen mit angeregten Stimmen. Ich schiebe mich behutsam durch die Wortfetzen. Bei ihnen angekommen verabschiede ich mich herzlich und umarme kurz meinen guten Freund. Dieser Moment ist oft wichtig für mich. Ein paar Sekunden in denen ich weder angespannt noch in mir verloren bin, sondern frei von alldem.
Maus kommt mit Bernhard und wir albern zusammen mit Liz auf dem Kinderspielplatz unserer noch in Bruchstücken erhaltenen Kindheit nach. Wir schaukeln mit dem Gefühl der Schwerelosigkeit und tänzeln über bewegliche Stangen, fühlen wie es ist, wenn man eine kurze Zeit auf das Gleichgewicht, die alles ausgleichende Balance verzichtet, meint den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Durch das flotte Gehen vom Spielplatz, hin zur Wiese, hat sich mein Körper, der sich endlich erwärmt hatte, schnell wieder abgekühlt. Das Handtuch welches um meine Füße gewickelt liegt, ist feucht und kalt.
Robert versucht einmal mehr Weinflaschen und Dosen zu retten die der Strom als Treibholz missdeutet und mit sich zieht, während Bernhard Anne auf den Schultern trägt. Ebenso wie er sie vorhin vom Parkplatz hierher auf seinem Rücken zum Wasser getragen hat. Ob er sie durch das Leben trägt kommt mir in den Sinn?
Die Sonne verbrennt die Haut und die Sonnenmilch wird dankbar weitergereicht. Es ist schön die Worte anderer Menschen vorzutragen, einzutauchen in ihre Gedankenwelt, bemüht, ihre Stimmungen im Leserhythmus aufleben zu lassen. Den selbst geschriebenen Geschichten lauschen zu dürfen, ist ein ganz ungeahnt aufwühlendes Erleben. Jeder wählt nach dem Zufallsprinzip die Texte eines anderen aus. Pokorny liest von den Himmelsschafen und wirkt auf seine ihm eigene Art selbst wie ein kleines Schäfchen welches seinen Platz in der Herde nicht findet.
Willi ist tief im Gedanken versunken während er den Texten der anderen, aber auch den eigenen lauscht. Er scheint mir angenehm berührt zu sein von der unerwarteten Zugehörigkeit aus dem Nichts heraus und der Erkenntnis wie Alltägliches seiner Hingabe zum Surrealen zugänglich ist.
Liz möchte selbst nicht laut lesen. Es ist ok. Keiner bedrängt sie, keiner versucht sie zu überreden. Es ist schön, dass sie zulässt, dass wir ihre Geschichten vorlesen. Und mir fällt eine ganz neue Facette an ihr auf als ich sie mit meiner Meinung konfrontiere doch „eh eine Goscherte“ zu sein. Sie ist darüber derart perplex, dass ich mir eine Weile Gedanken darüber mache, was hinter ihrem offenen Ausdruck für ein selbstkritischer Innendruck unerkannt schlummern mag.
Ich verlasse den Supermarkt mit Bierdosen als Ersatz für jene welche die Donau ständig mit sich nimmt. Irgendwo ein paar Kilometersteine weiter sitzt wahrscheinlich ein Sandler und glaubt voll Vertrauen endlich an die Wunder Jesu. Er macht Wasser zu Wein und liebevolle Engel füllen ihn in Flaschen ab. Wenn dann auch noch Dosen mit Bier herangetragen werden ist der Mensch bekehrt.
Wir sprechen über meine Erfahrungssuche im Norden. Klara, welche zuvor auf dem Spielplatz erwähnt hat, zur Zeit lieber Karla zu heißen, bekommt eine Ahnung von Sehnsucht ins Gesicht geschrieben. Um ihr Plaudern über Philosophen und Studium stülpt sie einen Schmollmund und sagt „Ich will das au-uch.“
Als ich Aqua meine Motivation sage nach Norden zu fahren, nimmt sein Gesichtausdruck die schon vertraute Erschütterung an, wenn etwas im Gespräch mit Menschen ihn berührt. Ich erzähle auch Anne davon neue Fragestellungen zu suchen, einfach mal zu schauen was Leben ist. Sie selbst spielt mit dem Gedanken nach Afrika zu gehen für eine Zeit um Menschen zu helfen. Ob sie dort den Abgründen ins Auge schauen wird, die mitunter verdrängt, auf Leinwänden mit Kohlestaub gezeichnet, herankommen?
Wir betrachten das Wasser, sehen wie die Sonne sich an der Wasseroberfläche in tausende kleine Sternchen bricht. Wir sprechen über die Wellen die an die Steine schlagen, hervorgerufen von den großen Ausflugsschiffen die gegen den Strom fahren. Welche Emotionen dabei wach werden und wie Menschen zu allen Zeiten wohl ähnliche Empfindungen gehabt und niedergeschrieben haben. Ist es ein Plagiatsvergehen das Gleiche zu fühlen wie Shakespeare oder E.A.Poe?
Endlich sind wir befreit von den vielen kleinen und großen Insekten und gehen zu ihnen auf die Wiese zurück. Es gibt herrlich duftendes Brot mit Sonnenblumenkernen. Schwarzes gibt es und weißes. Der Wein schmeckt ausgezeichnet und der Käse dazu, ein Genuss. Bernhards Freund ist völlig verwirrt vom Wassertau der aus den Bäumen auf ihn heruntertropft. Die Angst ist groß, dass es seltsamer Schleim sein könnte, ausgespieen von den Bäumen oder auf ihnen lebendem Getier. Eine große Spinne verirrt sich ausgerechnet in Judiths Ausschnitt und begibt sich auf eine Erkundungsreise unterhalb des schwarzen Stoffgewebes, krabbelt über ihre Haut. Solche Dinge passieren immer nur ihr, sagt sie.
Gemeinsam gehen wir hinauf zum Parkplatz an der Floridsdorferbrücke wo wir Judith, Liz und Porcupine herzlich begrüßen. Susi hat sich in der Hundeleine verfangen. Sie ist unglaublich gutmütig, versucht keinerlei Ausbruchsversuch aus der misslichen Lage und fügt sich den ebenso unaufgeregten Händen ihres Frauchens.
Wir verlassen die kleine Gruppe im Gastgarten des Cafes wo sie auf uns warten und gehen zurück zur U-Bahn-Station. Dort steigt mit einiger Verspätung endlich Anne mit ihren Freunden aus dem Zug. Nachdem wir uns freudig umarmt haben, fährt sie davon. Nach ein paar Suchtelefonaten nach der Maus im Heuhaufen und dem Begrüßen von Pokorny und Aqualung steige ich selbst wieder in die U-Bahn und fahre nach Hause.
Ich freue mich schon sehr auf diesen Nachmittag. Es ist wunderschön auf Menschen zu treffen, die mir trotz aller Fremdheit so wunderbar nah und vertraut sind.