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Donatella
Im kalten Schein des Mondes lag Donatella Longo in ihrem Bett - wenn man es als Bett bezeichnen mochte, denn es bestand nur aus einer Anhäufung von Stroh und einer alten zerlumpten Decke - in der hintersten Ecke des Stalles und litt an schlimmen Unterleibskrämpfen. Sie wusste, dass es jetzt so weit war. Bereits am frühen Nachmittag begannen die Schmerzen und sie teilte es Tomaso Puccinelli, dem Sohn des Stallherren für den sie arbeitete, mit. Doch von dem brauchte sie keine Hilfe erwarten. Seit einem Jahr nahm er sich jede Nacht von ihr, was er wollte, und nun, da sie seinen Bastard gebahr, leugnete er, sie jemals angerührt zu haben.
Donatella hatte niemanden, der ihr in diesen Stunden beistand. Sie wusste nichts vom Kinderkriegen, sie war selbst fast noch eins. Ihre Eltern, die sehr krank waren, starben vor zwölf Monaten. Seitdem lebte und arbeitete die Fünfzehnjährige in Paolo Puccinellis Stall. Abgesehen von den nächtlichen Besuchen des Sohnes, ging es ihr nicht schlecht, sie hatte ein Dach über dem Kopf und bekam genug zu Essen. Aber als sie Tomaso erklärte, dass sie ein Kind von ihm erwartete, schlug er sie und schrie sie an, sie solle sich ja nicht einbilden, den Balg behalten zu können. Er wird alles leugnen, wenn sie im Dorf oder in der Stadt jemandem davon erzählte; ihr würde so wie so keiner glauben, denn sie sei nur eine kleine, dumme Waise ohne Verstand.
Donatellas Fruchtblase war geplatzt und die trübe Flüssigkeit entleerte sich in einem Schwall auf ihrem Bett. Sie spürte, dass das Kind aus ihr heraus wollte und fing an zu pressen. Nach drei qualvollen Stunden hatte sie die Geburt endlich überstanden und war am Ende ihrer Kräfte. Mit einem rostigen Messer zerschnitt sie die Nabelschnur und wickelte das Kind in einen ihrer alten Lumpen ein. Sie presste es dicht an ihren Körper, um ihm Wärme zu spenden und schlief mit den Gedanken ein, ihr Baby niemals herzugeben, egal was die Leute im Dorf sagen. Sie wird ihre eigene kleine Familie aufbauen, vielleicht konnte sie ja von hier fort gehen.
Am frühen Morgen, die Sonne war noch nicht aufgegangen, wurde Donatella unsanft von Tomaso Puccinelli geweckt. Er wollte das Kind holen.
"Nein Tomaso, das dürft Ihr nicht tun." flehte Donatella ihn an. "Ihr dürft mir mein Baby nicht wegnehmen. Es ist doch alles was ich habe. Ich verspreche Euch, dass es Euch keine Umstände machen wird. Ich kümmere mich allein um alles, es wird meine Aufgaben hier im Stall nicht beeinträchtigen. Ich bitte Euch nur um dieses Eine."
"Ich werde heute in die Stadt gehen", erwiderte Tomaso, "und den Bischof bitten, das Kind zu nehmen. Du kannst es nicht behalten."
Tomaso verließ den Stall und ließ die schluchzende Donatella zurück. Sie hielt ihr Kind fest und wiegte es hin und her. Sie wusste, dass sie die kleine Maria niemals wiedersehen würde, wenn Tomaso sie in die Stadt brachte. Alle kranken Menschen und unerwünschten Kinder wurden zum Bischof gebracht und kehrten nie wieder in ihre Dörfer zurück. Es hieß, dass der Bischof sie an die größeren Städte vermittelte, in denen es bessere Ärzte gab, die sich um die Kranken kümmerten. Aber es rankten sich auch genügend Gerüchte darum, so zum Beispiel, dass gerade die Kinder an Barbaren, die im Wald leben, geopfert werden, damit diese nicht über die Stadt herfallen. Angeblich fressen sie die Kinder mit Haut und Haaren. Nein, das konnte Donatella nicht zulassen. Sie packte eine Tasche mit ihren wenigen Habseligkeiten zusammen, stahl etwas Brot und Wasser aus der Küche und schlich sich mit der kleinen Maria vom Hof.
Sie folgte der Hauptstraße nach Norden. Soviel sie wusste, lag in diese Richtung ein kleines Dorf, von dem sie sich erhoffte, jemand würde sie dort eine Weile aufnehmen.
Donatella lief den ganzen Tag hindurch, ohne sich eine größere Pause zu gönnen.
Es begann bereits zu dämmern, als sie hinter sich plötzlich Pferdehufe wahrnahm.
"Da ist sie." hörte sie die Rufe.
Sie begann zu laufen, aber die Reiter näherten sich ihr immer weiter. Maria fest umschlungen verließ Donatella den Weg und rannte in den Wald. Das dichte Blätterwerk erschwerte ihr die Flucht, aber die Pferde hatten nun ebenfalls größere Mühe ihr zu folgen. Die Reiter ließen ihre Jagdhunde von den Leinen und Donatella sah sie zähnefletschend auf sich zuhasten. Der Schnellste von ihnen hatte sie nach wenigen Augenblicken erreicht und riss Donatella Longo zu Boden. Schützend beugte sie sich über ihr Baby und rechnete damit von dem Hund zerfleischt zu werden. Doch dieser ließ von ihr ab und trat winselnd zurück. Auch die anderen Hunde näherten sich ihr nicht, sondern legten sich unterwürfig auf den Boden. Sie fixierten einen Punkt, der sich über Donatella befinden musste. Sie schaute nach vorn und bemerkte, dass sie zu Füßen eines edel gekleideten Herren lag. Er hielt ihr seine mit schwarzem Samt behandschuhte Hand entgegen. Donatella ergriff sie und ließ sich auf die Beine helfen. Sie konnte das Gesicht des fremden Mannes nicht erkennen, da dieser einen großen, schwarzen Zylinder mit einer untypisch breiten Krempe trug. Ihr fiel auf, dass er ganz und gar in schwarz gekleidet war. Sein Gewand bestand aus feinster Seide, das mit blutroten, samtenen Ornamenten durchsetzt war. Sein weiter, schwerer Umhang hüllte Donatella ein und sie verlor das Bewusstsein.
Als sie erwachte, befand sie sich gewaschen und duftend in einem weichen Bett wieder. Neben ihr stand eine kleine Kinderwiege, in der Maria friedlich schlummerte.
Donatella rief die Ereignisse des vergangenen Tages in ihr Gedächtnis. Sie konnte sich nur vage an den geheimnisvollen Mann erinnern.
Das geräumige Zimmer mit der hohen kunstvoll bemalten Decke und den teuren Möbeln beeindruckten sie. Auf einem Tisch befanden sich die kostbarsten Speisen, als wären sie für sie allein bereit gestellt worden. Noch nie hatte sie soviel Reichtum gesehen. Sie musste sich im Heim dieses Herren befinden. Jedoch konnte sie sich keines größeren Gutes in dieser Gegend entsinnen.
Donatella schritt auf die Tür zu und betätigte die Klinke. Sie war verschlossen. Ihr wurde mulmig bei dem Gedanken, hier eingsperrt zu sein. Warum sollte man sich erst um sie kümmern und dann hinter Schloss und Riegel verwahren wie ein Tier?
Sie suchte nach einem Ausweg. Aus dem Fenster konnte sie nicht flüchten, denn es ging steil hinab, die Spitzen des Nadelwaldes befanden sich unter ihr. Wie riesig musste dieses Schloss wohl sein?
Da fiel ihr ein, wie sie einmal einer Erzählung gelauscht hatte, in der es um eine alte Burg ging, deren Räume durch unzählige Geheimgänge miteinander verbunden waren. Man musste nur ein bestimmtes Buch aus dem Regal nehmen und schon öffnete sich eine verborgene Tür.
In diesem Zimmer gab es kein Bücherregal. Sie untersuchte die Wände, aber nichts ließ auf eine Fluchtmöglichkeit schließen.
Donatella lehnte sich verzweifelt an einen Bettpfosten. Plötzlich hörte sie ein Schloss klicken. Das Geräusch kam nicht von der Tür. Sie betrachtete den Pfosten näher und stellte fest, dass er nicht aus einem Stück bestand wie die anderen. Sie konnte den Mittelteil nach rechts und links drehen. Irgendwo hatte sie eine Tür geöffnet. Sie studierte die Wände von neuem und bemerkte, dass das große Gemälde nicht nur ein gewöhnliches Bild war. Die Tür dahinter war einen kleinen Spalt breit geöffnet. Sie blickte in einen niedrigen dunklen Gang, der sich auf ihrer Augenhöhe befand und in die Gemäuer des Schlosses führte. Sie würde auf allen Vieren kriechen müssen.
Donatella riss das Bettzeug von den Kissen. Eines verwendete sie als Tragetasche für Maria, so dass sie sie vor ihrer Brust tragen konnte. In den zweiten Bezug steckte sie das viele Essen hinein, dass auf dem Tisch stand. Sie zündete eine Kerze an, kletterte auf einen Stuhl und stieg in den spinnenweben verhangenen Gang hinein.
Bald hatte sie sich die Knie auf den harten Steinen aufgescheuert. Sie schien eine Ewigkeit in diesem röhrenartigen Gang zu verbringen. Die Kerze war bereits um ein Drittel ihrer Länge herunter gebrannt.
Irgendwann erreichte Donatella eine sehr enge Wendeltreppe. Sie führte weit hinunter und je tiefer sie hinab stieg, desto mehr Geräusche nahm sie wahr, deren Ursprung im Kellergewölbe des Schlosses sein mussten. Sie klangen nach menschlichen Schreien und Klagelauten. Bei jedem Ton zögerte Donatella ihren Fuß auf die nächste Stufe zu setzen. Aber sie hatte keine andere Wahl, zurück in dieses Zimmer wollte sie nicht gehen. Zögernd ging sie weiter. Am Ende der Treppe stoß sie auf eine Tür. Sie presste ihr Ohr an das spröde Holz und lauschte. Dahinter mussten sich Menschen befinden, die an schrecklichen Qualen litten.
Heißes Wachs rann über ihre Finger, sie ließ die Kerze vor Schreck fallen und diese erlosch. Großartig, dachte Donatella, jetzt stand sie in der kalten Dunkelheit eines ungeheuerlichen Kellers und wusste nicht wie sie weiter verfahren sollte. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie vor Kälte zitterte; das dünne Nachthemd, das sie am Leib trug, spendete ihr kaum Wärme. Die kleine Maria hing schlaff in der Tragetasche und rührte sich kaum, auch ihre Haut war sehr kalt. Donatella musste etwas unternehmen. Sie drückte ihr Baby fest an sich, holte einmal tief Luft und tastete nach dem Türgriff.
Durch einen schmalen Spalt fiel flackerndes Licht auf Donatellas Augen. Es war niemand zu sehen. Sie öffnete die Tür ein weiteres Stück und streckte den Kopf hinaus. Sie blickte auf ein breites Kellergewölbe, an dessen Wänden in regelmäßigen Abständen brennende Fackeln angebracht waren. Die Wehlaute der Menschen hörte sie jetzt viel deutlicher. Sie befürchtete in einem Verlies zu sein. Trotzdem musste sie weitergehen, sie musste sich und die kleine Maria in Sicherheit bringen. Von ihrem Standpunkt aus konnte sie nur in eine Richtung gehen, denn sie befand sich an der Stirnseite des Kellers. Sie griff nach einer der Fackeln, mit der sie sich im Notfall verteidigen wollte und lief los.
Donatella bewegte sich auf die Gefangenen zu, das war ihr klar, denn sie vernahm mittlerweile einzelne Stimmen. Sie spielte mit dem Gedanken die Menschen zu befreien, dann würden diese ihr helfen hier heraus zu kommen. Aber das war nur ein Hirngespinst, denn wie sollte sie an den Wachen vorbei kommen, die sicher aufgestellt waren. Sie schaute sich nach Verstecken um, damit sie nicht entdeckt wird, falls ihr die Wachen entgegen kommen sollten. Jedoch umgaben sie nur grobe Steinwände, sie konnte nur zurück fliehen.
Als sie an eine Biegung gelangte, hielt sie kurz inne. Sie versuchte vorsichtig um die Kurve herum zu blicken und sah Gitterstäbe, hinter denen unzählige, verwahrloste Menschen eingepfercht waren. Ein kleiner Junge bemerkte sie, unter Tränen flehte er: "Hilf uns."
Jetzt schauten weitere Gefangene auf Donatella. Sie drängten sich noch mehr gegen das Gitter, streckten ihr ihre Hände entgegen und baten sie sie zu befreien.
"Gibt es hier keine Wachen?" fragte sie und schritt an das Gefängnis heran.
"Nein, die kommen erst nachts." antwortete ein alter Mann, dessen Augen schrecklich entzündet waren.
"Wer seid ihr?" wollte Donatella wissen, aber sie erkannte bereits einige der Menschen; es waren die Kranken aus ihrem Dorf, die zum Bischoff gebracht worden waren, um von guten Ärzten behandelt zu werden.
"Du bist hier im Schloss von Gianluca de Monteleone." sagte ein Mann, dem ein Arm fehlte. "Er hat mit der katholischen Kirche ein Abkommen, dass alle Kranken, alle Taugenichtse, alle unerwünschten Kinder und überhaupt alle, die nicht gern unter den Stadt- und Dorfbewohnern gesehen werden, ihm übergeben werden müssen. Dann lässt de Montleone und seine Sippschaft die ´anständigen´ Bürger in Frieden."
"Du bist doch die kleine Donatella Longo?" wollte eine schwächliche, alte Frau wissen. "Deine Eltern waren auch hier."
"Nein, das ist nicht wahr!" entgegnete Donatella. "Sie sind in ihrem zu Hause gestorben!"
"Ja, das hat man dir erzählt", fuhr die Alte fort, "aber in Wirklichkeit wurden sie an die dämonischen Blutsauger geopfert."
"Geopfert? Was meint Ihr mit geopfert?" Donatella war irritiert. "Wer ist dieser Gianluca de Monteleone? Und wo sind wir hier?"
"Er ist ein Vampir." sagte der kleine Junge.
Donatella wurde schwarz vor Augen. Bei dem Gedanken, dass ein Vampir ihrem kleinen Baby das lebensspendende Blut aussaugen könnte, verlor sie fast das Bewusstsein.
"Hey, reiß dich zusammen Mädchen." riefen die kranken Gefangenen. "Lass uns hier raus!"
Donatella gab den Gefangenen den Großteil ihres Essens und versprach Hilfe zu holen. Doch diese verstummten plötzlich, ihre Gesichter wurden kreidebleich. Donatella wollte wissen, was mit ihnen los sei, aber sie deuteten nur auf etwas, das sich hinter ihr im Verlies befand. Ängstlich drehte sie sich um. Vor ihr stand der fremdartige Mann, der sie letzte Nacht im Wald gerettet hatte. Er war noch genauso gekleidet, den Hut wieder tief ins Gesicht gezogen. Sie konnte nicht begreifen, wie er so geräuschlos hinter ihr auftauchen konnte. Sie drückte ihr Baby fest an sich und rannte weg. Wahllos lief sie durch das Kellergewölbe bis sie eine Tür fand. Als sie sie fast erreicht hatte, stand ihr Verfolger plötzlich wie aus der kühlen Luft geformt im Türrahmen. Donatella stürzte vor Schreck auf den steinigen Boden und blieb rücklings liegen.
Der Vampir beugte sich über sie und fragte: "Warum lauft Ihr vor mir davon?"
"Ich... Ich..." stammelte Donatella.
"Schscht." Der Vampir legte ihr seinen Zeigefinger auf die Lippen. Dann berührte er ihre Augenlider und schickte sie ins Land der Träume.
Silbernes Mondlicht warf unregelmäßige Muster auf Donatellas Nachthemd. Sie versuchte den Schlaf aus ihrem Körper zu verdrängen und ihre Gedanken zu ordnen. Am Fußende des Bettes saß im Dunkeln eine Gestalt. Donatella wich augenblicklich zurück.
"Ihr braucht keine Angst vor mir zu haben." sagte die Gestalt und Donatella wusste, dass es der Vampir war.
"Wo ist mein Baby?" verlangte sie zu wissen.
"Es wird liebevoll umsorgt." antwortete der Vampir mit flüsternder, ruhiger Stimme.
"Ich möchte zu ihr."
"Bald meine Liebe. Erlaubt mir zuerst, mich Euch vorzustellen."
Donatella hielt es für besser zu tun, was der Vampir wollte, denn sie hoffte Maria dann lebend wieder zu sehen.
"Mein Name ist Euch sicher schon bekannt." begann der Vampir zu sprechen. "Ich bin Gianluca de Monteleone. Ihr befindet Euch hier auf meinem Schloss. Ich bin nicht das Monster, welches Ihr in mir seht. Wir Wesen der Nacht haben einzig eine andere Lebensweise als ihr Sterblichen ..."
"Ja ihr saugt Menschen das Blut aus deren Körpern!" fiel Donatella ihm ins Wort.
"Menschliches Blut ist leider unsere einzige Nahrungsquelle. Aber dafür eröffnet sich uns das ganze Universum, wir sind unsterblich. Wäret Ihr eine von uns, würdet ich mich verstehen."
"Eine von euch? Niemals!"
"Ihr hättet die Macht über alle Lebewesen", fuhr de Monteleone fort, "Was habt Ihr bisher in Eurem kurzen Leben erfahren, außer Schmerzen, Qualen und Pein? Ich könnte Euch das Paradies auf Erden bieten, wenn Ihr mich lassen würdet."
"Ich will Euer Paradies nicht", erwiderte Donatella, "es erscheint mir mehr wie die Hölle auf Erden. Ihr könnt Euch nur während der Nacht aus Eurem Versteck wagen und alle Menschen fürchten und hassen Euch. Ihr müsst sehr einsam sein."
"Das ist wahr. Deshalb erweitern wir unsere Gemeinde ab und an. Doch viele der jungen Vampire gehen fort von hier."
Der Vampir schaute Donatella nicht mehr direkt an, sondern sah gedankenverloren an ihr vorbei. Sie wusste nicht, was sie ihm antworten sollte und so verlangte sie erneut nach Maria.
Der Vampir beachtete ihre Frage jedoch nicht, sondern fuhr fort: "Donatella, ich möchte, dass Ihr hier bei mir auf meinem Schloss bleibt und meinesgleichen werdet. Es wird Euch an nichts fehlen."
Donatella sah ihn mit großen Augen an. "Nein", sagte sie, "ich weiß Euer Angebot sehr zu schätzen, aber ich kann es nicht annehmen. Ich habe eine kleine Tochter, die mich braucht."
"Ich verlange nicht von Euch, dass Ihr Eure Tochter aufgebt. Ihr könnt sie hier am Hofe großziehen und wenn sie Eure mütterliche Sorge nicht mehr benötigt, werdet Ihr ein Kind der Dunkelheit."
Der Vampir erhob sich und wandte sich zum Gehen. Vor der Tür drehte er sich um und sagte: "Bitte denkt über meine Worte nach. Ich lasse Euch jetzt Eure Tochter bringen."
Maria Longo strahlte über ihr gesamtes kleines Gesicht, als sie in den Armen ihrer Mutter lag. Ihre rosige Haut duftete nach Feilchen; sie war längst nicht mehr so schwach wie bei Donatellas Flucht durch die Gewölbe des Schlosses. Erschöpft legte sie sich mit ihrer Tochter in das weiche Bett und suchte nach einer Lösung ihrer Situation. Sie brauchte eine sichere Unterkunft und Geborgenheit, um Maria all das geben zu können, das sie selbst nicht hatte. Auf einem Schloss in dem so viel Reichtum und Luxus herrschte, standen Maria alle Möglichkeiten offen, sie würde studieren können, wahrscheinlich bekam sie sogar einen Privatlehrer.
Aber an diesem Hofe lebten keine Menschen. Auch wenn Gianluca de Monteleone ihr versicherte, sie könnten ihr menschliches Dasein weiter leben, würde es tatsächlich funktionieren? Mensch und Vampir unter einem Dach? Nein, das konnte nicht gut gehen. Vampire sind Jäger, Menschen die Beute. Und dann die Gefangenen unten im Verlies. Donatella würde niemals in dem Bewusstsein existieren können, dass sie wie Tiere gehalten werden und darauf warten, das nächste Nachtmahl dieser Ungeheuer zu werden. Aber war Gianluca de Monteleone ein Ungeheuer? Er war das erste Wesen seit dem Tod ihrer Eltern, der Donatella Longo respektvoll behandelt hatte. Er hatte sie gerettet und wollte er ihr Schlechtes tun, hätte er sie und Maria sicher längst getötet. Und wen trifft die Schuld, dass alle kranken und unerwünschten Menschen hierher gebracht wurden? Gianluca? Oder den Bischof? Wenn der Bischof all diese Menschen nicht ausliefern würde, wer wären dann die Opfer der Vampire? Fragen über Fragen, Donatella war zu müde, um passende Antworten zu finden.
Als sie erwachte, war es noch immer dunkel. Oder war bereits eine weitere Nacht angebrochen? Sie konnte es nicht sagen. Maria war nicht mehr bei ihr. Gianluca saß an ihrem Bett.
"Wo ist mein Baby?" fragte sie.
"Es geht ihm gut." antwortete der Vampir und beugte sich auf Donatella herab. Sie spürte seine Lippen an ihrem Hals. Gelähmt vor Angst wartete sie auf den alles zerstörenden Biss. Der Vampir benetzte mit seiner Zunge Donatellas Halsschlagader, ihr Puls pochte wild an seinem Mund. Die langen Fingernägel des Vampirs schlitzten ihr Nachthemd auf und entblösten eine fröstelnde Brust. Der Vampir folgte mit seiner Zunge der prall gefüllten Vene und ließ plötzlich von ihr ab. Seine Finger berührten sachte ihren Körper.
"Donatella, bitte bleibt bei mir." bat er und beugte sich wieder herab, um sanft an ihrer erstarrten Brustwarze zu saugen.
Sie bebte unter seinen Berührungen. Ihr Körper wollte es zulassen, aber ihr Verstand schrie die Namen ihrer Eltern, die dieser Blutsauger getötet hatte.
"Nein, ich habe sie nur von ihren Qualen erlöst." sagte de Monteleone und sah ihr tief in die Augen. "Ich empfange Eure Gedanken."
Zum ersten Mal konnte Donatella seine eisblauen Augen sehen.
"Eure Eltern waren sehr krank. Ich habe ihren Schmerzen ein Ende bereitet."
"Nein!" Donatella stieß ihn von sich weg und rannte aus dem Zimmer.
Sie lief einen langen Korridor entlang und vergewisserte sich über die Schulter blickend, dass de Monteleone ihr nicht folgte. Aber als sie sich wieder nach vorn drehte, prallte sie direkt gegen ihn. Sie wollte sich ihm entreißen, aber er hielt sie mit eisernem Griff fest.
Mit seinem spitz gefeilten Fingernagel durchstach er die feine Haut an Donatellas Hals, ein dicker Blutstropfen quoll hervor. Der Vampir fing ihn mit seiner Zunge auf. Er lockerte seinen Griff und hauchte Donatella ins Ohr: "Ich bitte Euch noch einmal, bleibt bei mir."
"Lasst mich gehen!" sagte Donatella und stieg eine breite Treppe hinab. Sie wollte nicht in diesem Dämonenschloss bleiben. Wenn sie ihr Baby wiedergefunden hatte, würde sie schnellstmöglich von hier verschwinden.
Sie betrat ein geöffnetes Zimmer. Am hinteren Ende des Raumes stand ein Kinderbettchen. Sie trat näher heran und bemerkte sofort, dass mit Maria etwas nicht stimmte. Sie sah selbst im Schein des Mondes viel zu blass aus. Donatella schob die Zudecke zurück und erblickte die beiden Male am Hals ihres Babys. Sie sank in sich zusammen und wäre auf den Fußboden gestürzt, hätte Gianluca de Monteleone sie nicht aufgefangen.
Er hielt ihr einen Becher an den Mund bedeutete ihr zu trinken. Er sagte, es wäre ein starker Wein, der ihren Kreislauf stabilisieren sollte. Mehr im Unbewussten schluckte sie das Getränk. Es war dickflüssiger als Wein und fühlte sich warm in ihrer Kehle an.
"Was war da drin?" wollte sie wissen, aber der Vampir antwortete ihr nicht. Sie wurde in ein Bett gelegt. Donatella spürte, wie ihr Körper von Minute zu Minute schwächer wurde. Wahrscheinlich würde sie sterben. Der Gedanke an den Tod beunruhigte sie nicht, es war ihr egal. Ihre Tochter war tot, sie hatte keinen Grund weiter zu leben.
Plötzlich füllte sich ihr Geist wieder mit Leben. Es strömte durch jede einzelne Zelle. Sie wurde kräftiger und konnte wieder klar denken. Als sie sich aufsetzte, bemerkte sie Gianluca de Montelone, der in der gegenüber liegenden Ecke des Zimmers saß und sie beobachtete.
"Willkommen in meinem Heim." begrüßte er sie.
"Wie meint Ihr das?" fragte Donatella.
"Ihr seid von nun an ein Vampir, meine Liebe."
"Was redet Ihr da? Ich, ein Vampir? Das ist nicht möglich."
"In dem Kelch, den ich Euch vorhin gab, war kein Wein. Er enthielt mein Blut. Ihr habt es getrunken und nun seid Ihr eine von uns."
"Nein! Das habt Ihr nicht getan! DAS HABT IHR NICHT GETAN!" Sie sprang aus dem Bett und schlug auf den Vampir ein. Doch dieser zeigte sich unbeeindruckt und brachte sie in den Keller. Er legte sich mit ihr zusammen in einen geräumigen Sarg.
Donatella wartete bis er fest eingeschlafen war. Dann öffnete sie leise den Deckel und stieg heraus. Ihr Blick fiel auf einen verzierten Schlüssel, den der Gianluca an einer Kette um den Hals trug. Sie tastete nach dem Verschluss und löste ihn. Der Vampir murmelte etwas Unverständliches und Donatella glaubte schon, er würde aufwachen. Schnell zog sie den Schlüssel von der Kette und klappte den Sargdeckel herunter.
Als sie sich dem Verlies näherte und die Gerüche der Gefangenen einatmete, überkam sie ein schwindelerregendes Verlangen nach rohem Fleisch. Diese tierische Gier widerte sie an, aber sie konnte sie nicht abstellen. In ihren Ohren vernahm sie die einzelne Pulsschläge der Menschen, sie waren zu laut, als dass sie es ertragen konnte.
"Was ist mit dir, Mädchen." wollte ein alter Gefangener wissen. Seine Haut schien so dünn zu sein, dass das Blut in seinen Venen durchschimmerte. "Oh, mein Gott, du bist eine von ihnen!"
Sie musste hier raus, bevor sie nicht mehr wusste, was sie tat. Sie warf den Schlüssel in das Gefängnis und lief fort.
Donatella stürmte aus dem Schloss ins Freie. Die senkrecht am Himmel stehende Sonne bohrte ihre Strahlen wie glühende Messerspitzen in ihr Fleisch. Sie ließ es zu, von dem gelben Licht zerschnitten zu werden. Bald würde Donatella Longo wieder bei Ihrer Tochter sein.