Dominanz
"Wie sieht es nun aus? Verträgst du noch was?" Es war eine runzlige, schmierige Glatze, die diese unheilvollen Worte von sich gab. Eine Glatze mit riesigen Glupschaugen, angewachsenen Ohrläppchen und einer langen, schmalen Nase. Er hatte nicht mal den Ansatz eines Halses, dieser Mann, wer auch immer er sein mochte. Während er predigte, bewegte er seinen Oberkörper ganz langsam vor und zurück, als säße er auf einem dieser Spielplatzpferdchen, auf denen kleine Kinder hin und her wippen.
Doch der Fremde saß nicht, er stand auf seinen zittrigen, dünnen Beinen, in teure Versacehosen gehüllt. Es war ein unbehaglicher Anblick, als hätte ein Mathematikprofessor Bauarbeiterjeans an.
"Kannst du dein Schicksal begreifen? Den Sinn all dessen? Töricht, das zu glauben. Wie ein Kleinkind liegst du da, ganz nackt, schreist nach der rettenden Brust deiner Mutter, kannst nicht gehen, besitzt keine Artikulation. Trotzdem möchtest du mir sagen, daß du hier eigentlich der Chef bist? Da schenke ich doch lieber irgendwelchen Politikeransprachen mehr Glauben. Nein, in Wirklichkeit bist du ein Nichts, eine Fliege in meiner Suppe, die in der cremigen Flüssigkeit eingesperrt ist und nur noch um wenige Sekunden, möglicherweise auch Minuten kämpft. Du kommst da unter keinen Umständen mehr raus, denn deine abgetrennten Flügel lasse ich auf meiner Zunge zergehen und werde deswegen wohl nicht mal furzen müssen. Ist das nicht schön?"
Sein Blick wanderte durch die Räume, die plötzlich leer zu sein schienen, zum offenen Fenster, hinaus auf die kahle Ziegelwand des gegenüberliegenden Hauses. Diese Seitengasse war von allen hektischen Stadtgeräuschen isoliert, mit Ausnahme der Ambulanzsirene. Ein sadistisches Grinsen ließ verlautbaren, daß ich mir keine Hoffnungen machen sollte.
"Ironie des Schicksals, nicht wahr? Irgendein reicher Penner hat den Champuskorken ins Auge bekommen und schon kommt der Krankenwagen, während hier vor mir eine einsame, verzweifelte Frau liegt und sich kein Arsch um sie kümmert. Ähm, beinahe hätte ich's vergessen, diese Frage hörst du sicherlich sehr oft, aber, du weißt schon, wie war ich? Nach meiner Einschätzung war ich recht gut, immerhin habe ich ihn in Öffnungen gesteckt, in denen vor mir bestimmt noch keiner war. Hups, was sag ich da, diese Öffnungen gab es vorher ja noch gar nicht."
Er lachte wie ein Wiesel, zwar konnte ich mich nicht erinnern, je eins gesehen zu haben, aber wenn, dann sähe es garantiert so aus.
"Aber du, na ja, du wirktest ein wenig verkrampft, woran auch immer das liegen könnte. Du solltest mal was dagegen tun, einen Psychologen aufsuchen oder so, keine Ahnung, so kann es jedenfalls nicht weitergehen. Halt, schau mich nicht an, schau mich nicht an du gottverdammte Nutte, ich sage es dir kein zweites Mal!"
Nachdem seine Schreie verstummt waren, bewegte er sich so träge vor wie ein Dinosaurierskelett und beugte sich über mich. Dunkelheit.
"Ich habe da mal einen Film gesehen, da hat ein Typ einfach so den Augapfel eines Wärters rausgeschnitten. Tut mir leid, mir fehlt in dieser Hinsicht noch die technische Raffinesse, aber das Resultat ist hoffe ich das gleiche."
Es folgte eine lange Pause, mein Kopf geriet in Panik, mein Gehörsinn vermischte die Wirklichkeit mit lauten inneren Rufen und Schreien, die allesamt der Unterwelt entsprungen waren.
"Was wollte ich hier eigentlich? Ich rede wohl zuviel, nun habe ich mein Ziel tatsächlich vergessen. Also nochmal, ich holte dich in mein Auto, wir fuhren hierher, ich fickte dich, schlitzte deinen gepiercten Bauch auf, stach in deine Schenkel ein, zerschlug deine Arme, ähm, was wollte ich? Kannst du es mir sagen? Ach nein, tut mir Leid, hätte ich fast vergessen, dein Kehlkopf ist ja irgendwie verdammt stark zugedrückt, nicht wahr? Ach ja, jetzt habe ich's wieder, dich töten. Das wollte ich noch machen. Kopf, Hals oder Herz? Schwere Entscheidung, was denkst du? Ja, du hast recht, dein Hals ist so schön."
Zu schön, um zu leben. Ich bin nun die Frau, deren Asche in den Rhein geschüttet wird, die Frau, die eine Ewigkeit eins mit dem Wasser sein wird. Ich bin eine von jährlich tausenden Frauen, die eine eigene Nummer im Polizeiregister erhalten. Ich bin eine der unzähligen Frauen, deren Tod nie gerächt wurde.
[Beitrag editiert von: zorenmaya am 21.02.2002 um 00:59]