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ding dong

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11.12.2001
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ding dong

Randolf starrte verzweifelt auf das weiße Papier, das vor ihm auf seinem antiken Schreibtisch lag. Vor einer Stunde hatte er "Idee" an den oberen Rand geschrieben, seitdem wartete er auf eine. Er fuhr sich mit der Hand durch das verschwitzte Haar und nahm seine Brille ab. Während er sie verbissen putzte, starrte er aus dem Fenster.
Draußen war die Sonne im Begriff unterzugehen, tauchte die kleinen Einfamilienhäuser in ein sanftes rot. Noch immer konnte man Kinder schreien hören, irgendwo stritt sich eine Mutter mit ihrer Tochter. Als er auf die weißen Wolken starrte, die wie an unsichtbaren Fäden gezogen durch die Kulisse schwebten, durchflutete eine tiefe Sentimentalität sein Herz. So tief und kitschig, wie ein Kinderkarusell bei Sonnenuntergang in Zeitlupe, das man des öfteren in schlechten Filmen sah.
"Scheiße" brüllte er und schmiss ein Buch von irgendeinem neuen Schriftsteller durch das Zimmer, der dachte, er müsse die vermoderten Satzverschachtelungen des letzten Jahrhunderts nicht nur wiederbeleben, sondern auch komplizierter machen.
"Das Komplexe für Jedermann verständlich ausdrücken, ohne seine Essenz zu verfälschen. Das ist die wahre Kunst!" rief er "Wenn mir doch bloß etwas Komplexes einfallen würde.".
Inzwischen tigerte Randolf auf und ab, wobei er jedesmal kurz vor der Wand eine gereizte Wendung vornahm und üble Flüche vor sich hin murmelte.
Er zog im gehen eine Zigarette aus seiner Hemdtasche und zündete sie theatralisch an. Dann seufzte er, blieb stehen und lies sich zurück in seinen Sessel fallen. Dort blies er einige Zeit still Rauchwolken gen Zimmerdecke.

Plötzlich drückte er die Zigarette panisch in dem überquellenden Aschenbecher aus. Eine Idee hatte seinen Kopf betreten, so wie eine interessierte Käuferin eine Wohnung. Jetzt musste er es ihr so bequem wie möglich machen, ja sie gar einsperren.
Er stützte den Kopf in die Hand und kaute nervös auf der nikotingelben Oberlippe, nur um dann abermals fluchend aufzuspringen. Sie taugte nichts. Es gab zu viele Widersprüche in ihr. Man könnte sagen, die Interessentin an seinem Oberstübchen leide an einer schweren Krankheit, die äußerlich jedoch nicht erkennbar war.
Er schenkte sich ein Glas Irischen Whiskey ein, den er von seiner Ex zur Trennung bekommen hatte. Ein makaberes Luder. Er trank ihn in einem Zug aus und wollte gerade die Flasche öffnen, um sich einen zweiten zu genehmigen, als ihn ein Geräusch von unten aufhorchen lies.
Er öffnete seine Zimmertür und lauschte ins Treppenhaus, konnte jedoch kein Geräusch orten. Als er die Tür gerade wieder schließen wollte, hörte er ein dezentes "DingDong" von der Eingangstür her.
Es hatte geklingelt.
Er fluchte zum X-ten Mal an diesem Tag, stellte die Flasche auf seinen Tisch, steckte die Zigaretten ein und ging die Treppen hinunter. Unten trat er vorsichtig ans Wohnzimmerfenster heran und spähte zum Gartentor.
Vor diesem stand ein kleiner Mann, der mit schief gelegtem Kopf zu dem Fenster schaute, hinter dem Randolf stand. Er war komplett in Schwarz gekleidet, eine Hand ruhte auf dem Tor, die andere steckte in der Manteltasche. Ein schwarzer Hut verdeckte das spärliche, kohlrabenschwarze Haar, das unter ihm hervorquoll. Die Augen waren eingefallen und ausdruckslos. Trotzdem war der Blick auf unangenehme Weise bohrend.
Randolf seufzte kurz, belegte innerlich alle Vertreter mit einem Fluch und ging zur Tür. "Mal sehen, was der Vogel will" dachte er.
Draußen schaute er nervös die Straße entlang. Es war noch immer hell, eine Gruppe Kinder rannte einem Jungen mit einem Modellauto hinterher, ein Mädchen fuhr rauchend auf einem Fahrrad an ihm vorbei. Ein typischer Vorstadt-Sommerabend eben.
Der Typ grinste ihn schief an, als Randolf auf ihn zukam.
"Guten Abend, mein Name ist Luzifer, aber meine Freunde nenn mich auch Luz" sagte er, wobei er seine Oberlippe nicht ganz unter Kontrolle zu haben schien, die hin und wieder ein Zischen zwischen die Worte schmuggelte.
"Guten Abend. Womit kann ich ihnen behilflich sein?" antworte Randolf, stieß auf und zündete sich eine Zigarette an.
"Es handelt sich um ein Geschäft, dass ich ihnen vorschlagen möchte. Ein sehr lukratives, um genau zu sein!"
"Na dann schießen sie mal los" antwortete er und blies dem kleinen Mann eine Rauchwolke ins Gesicht.
"Also, die Sache ist folgende" fuhr der Kleine ungerührt fort "ich habe durch gewisse Quellen erfahren, dass sie finanziell in einer kleinen Krise stecken".
Ein Lächeln huschte über sein schiefes Gesicht. Randolf horchte auf.
"Da ich auch weiß, dass sie eine Tochter und Schulden haben, schließe ich daraus, dass nicht nur sie in gewissen Schwierigkeiten stecken. Ich hingegen habe dererlei Probleme nicht und werde sie wohl auch nie haben".
Der Kleine stieß ein paar krächzende Lacher aus.
"Allerdings bin ich der Vorstand einer Art Clubs. Nun steigt die Popularität und, ich will ganz ehrlich mit ihnen sein, die Macht des Vorstandes mit jedem neuen Mitglied. Das ist der Punkt, in dem wir ins Geschäft kommen können."
Randolf hatte sich inzwischen auf das Tor gestützt und starrte gebannt auf den Mund des Kleinen, der sich mit unglaublicher Geschwindigkeit bewegte.
"Sie werden Mitglied in meinem Club, ohne einen Pfennig dafür zahlen zu müssen, und dieser nimmt ihnen dafür gewissermaßen die Ecken des Lebens." wieder stieß er einige Lacher aus.
"Das klingt interessant. Worin bestehen die Leistungen von ihnen genau?" stammelte Randolf und starrte jetzt auf seine Nase, die rhythmisch zu den Bewegungen des Mundes zitterte.
"Das kann man nicht nach einem Muster klassifizieren. Es ist von Seele zu Seele verschieden. Unter anderem helfen wir ihnen, die Leiden einer Krankheit schneller zu überwinden, wir bezahlen ihnen ein feudales Begräbnis, wir kümmern uns um ihre Feinde oder tilgen ihre Schulden" der Mann grinste jetzt breit, faulige Zähne kamen dabei zum Vorschein.
"Interessiert?"
Randolf dachte kurz nach, sein alkoholvernebelter Geist war verwirrt. Der Vorschlag klang verlockend.
"Wenn die Lösung auf all deiner Probleme an der Tür klingelt, dann muss es einen Haken geben" dachte er.
"Was muss ich machen, um dem Club beizutreten?"
"Das ist einfach. Wir bekräftigen die Sache hier mit Handschlag. Ihre Adresse kenne ich ja bereits. Die einzige Bedingung ist, dass Sie meine dominante Position anerkennen"
"Was bedeutet das denn nun?"
"Na ja, eigentlich nur, dass, wenn ich eine Bitte von Ihnen ablehne, Sie nicht jammern dürfen" der Kleine lachte wieder.
"Und ich muss nichts kaufen?"
"Nein, wir sind doch kein Buchclub"

Randolf dachte nicht mehr lange nach, starrte noch eine Weile in die Augen des Kleinen, als habe er seinen Geldbeutel in ihnen verloren, und gab ihm die Hand, die sich so kalt anfühlte, dass er an der langen Beständigkeit des Vorstands zweifelte.
Dann steckte der Kleine ihm noch eine schwarze Visitenkarte zu, die bis zum Rand mit merkwürdigen, unleserlichen Goldziffern beschriftet war.
Randolf wandte sich um und wollte gerade ins Haus gehen, als ihm einfiel, dass er den Namen des Mannes vergessen hatte. Er drehte sich um, aber der war spurlos verschwunden.

Oben in seinem Arbeitszimmer betrachtete er die Karte noch eine Weile gedankenverloren. Es war anscheinend doch noch ein guter Tag geworden. Er versuchte sich an das Gesicht des Kleinen zu erinnern, aber es gelang ihm nicht, was ihn aber auch nicht weiter störte. Draußen war die Sonne jetzt ganz untergegangen und es kehrte eine angenehme Stille ein.
"Vielleicht konnten sie ja sogar etwas wegen seinem Ideenmangel machen" dachte er.
Bei diesem Gedanken war es fast so, als ob die Karte in seiner Hand vibrierte. Er schaute sie an und plötzlich konnte er die Schrift auf ihr Lesen:
"ERLEDIGT" stand in großen Lettern in der Mitte der Karte.
Er wunderte sich, dass ihm das noch nicht früher aufgefallen war, schenkte sich noch ein Glas Whiskey ein, zündete sich eine Zigarette an und verstarb an einem Herzinfarkt.

[ 15.07.2002, 13:58: Beitrag editiert von: olafson ]

 

Hallo Olafson!

Interessante Geschichte, allerdings ziemlich vorhersehbar.
Zum einen wegen der häufigen Erwähnung der Zigaretten, zum anderen wegen der schwarzen Gestalt namens Luzifer.
So kam mir Randolf etwas naiv vor, weil ihm die Gestalt nicht argwöhnisch gemacht hat; vielmehr hat er ihr blind vertraut.

Was mir positiv aufgefallen ist, ist die teilweise gute Ausdrucksweise wie

...die wie an unsichtbaren Fäden gezogen durch die Kulisse schwebten, durchflutete eine tiefe Sentimentalität sein Herz.
Liest sich schön, der Satz.

Viele Grüße,
Michael

 

Na klar, Michael,

ist ja bewusst so gemacht. Ich wollte erreichen, dass der Typ an das TEUFEL-MÄRCHEN-KLISCHEE erinnert und Randolf ist natürlich extrem naiv. Man kann das alles etwas symbolisch sehen (wenn man's nicht kann, dann hab ich was falsch gemacht) so nach dem Motto: Naiver Autor fällt auf schmierigen und für die Außenstehenden (hier: der Leser) erkennbaren "Seelenfänger" herein und verkauft sich. Dadurch werden scheinbar alle seine Probleme verbannt, aber es ist sein Tod.

Da fällt mir ein: Besser wäre es, wenn der Teufel von ihm wöchentlich eine Geschichte verlangen würde und das die einzige Bedingung wäre! Was haltet Ihr davon?

Liebe Grüße,
Olafson

 

Hi Olafson!

Ja, der Schluss/der Tod kommt ein wenig plötzlich. Aber wöchentlich eine Geschichte halte ich auch für zu einfach gestrickt. Es müsste schon ein bisschen mehr Knalleffekt haben. Es ist immerhin der Teufel!
Zum Lesen war die Geschichte nicht schlecht, wie gesagt, den Schluss würd ich mir noch mal überlegen.
Wenn du ihn sterben lassen willst, kannst du vielleicht das mit dem Tod/dem Seelenfangen noch mehr hervorheben, so als ob es das Gelbe vom Ei wäre, das einzige, was was Randolf unbedingt und jetzt auf der Stelle braucht und haben muss....Und nur Luz kann es ihm geben. Weißt du, was ich meine?

Liebe Grüße
Babs

 

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