Was ist neu

Dimensionen

Mitglied
Beitritt
29.10.2011
Beiträge
1

Dimensionen

Dimensionen

Sie nervte mich eine halbe Nacht lang, dann schlug ich sie tot. Dauernd war sie mir ums Ohr herumgeflogen, hatte mit einer unerträglich hohen Frequenz gezirpt, war zeitweilig ganz still, vermutlich auf der Lauer. Anfangs hatte ich blindlings um mich geschlagen und dabei meist mein oben liegendes Ohr erwischt. Ich hatte die Decke über den Kopf gezogen, kurzfristig geht sowas, dann wird’s zu warm. Ich brauche nachts frische Luft! Jetzt klebt der zermatschte Körper der Stechmücke über dem Kopfende meines Bettes. Andere Menschen haben Hirschgeweihe und Leopardenfelle als Jagdtrophäen in der Wohnung. Ich nicht. Ich habe nur die tote Schnake. Sonst nichts. Ich will sie in ihrer Rauhfaserumgebung belassen; vielleicht schreckt der Kadaver ja Artgenossen ab. Das tapfere Schneiderlein weiland hatte sieben Fliegen auf einen Streich erledigt; das will ich mir nicht antun. Ich bin maßlos stolz auf die eine Schnake, mein Jagdglück, bei dem ich mich selbst selbstlos als Köder dargeboten hatte.

Doch kurz zurück zur Tapete. Ich stelle mir vor, dass die Trophäe im Zuge einer turnusmäßigen Wohnungsrenovierung verloren gehen könnte. Im Mietvertrag steht zwar, dass ich renovieren muss, man schreibt mir aber nicht vor, wie dies zu geschehen hat. Ich stelle mir eine Trophäen erhaltende Wohnungs-renovierung so vor, dass ich nicht zur großen Lammfellrolle greife und zu mordsschweren Kübeln voll Dispersionsfarbe, sondern mich auf ein umweltfreundliches Tippex-Fluid auf Wasserbasis reduziere. Bei der Dimension der Fläschchen lupfe ich mir gewiss keinen Bruch an: ein doppeltes Kirschwasser wäre schwerer! Und wenn ich dann quadratmillimeterweise im ganzen Schlafzimmer um den Schnakenleichnam herumstreiche, erfülle ich gleichzeitig die Renovierungsbedingungen des Mietvertrags. Genial, gell?

Es kommt halt im Leben oftmals auf die Dimensionen an; als bescheidener Mensch schätze ich die unausgestopfte „Muck“ wie andere Menschen einen Zwölfender à la Jägermeister. Ich streiche meine Wohnung mit Tippex-Fluid, wohlgemerkt: auf Wasserbasis, und denke über weitere Minimierungen üblicher Dimensionen nach. Beim Geschirrspülen hatte ich jüngst die Knoblauchpresse in der Hand und sinnierte, ob ich damit vielleicht auch Spätzle machen könnte. Die Spatzenpresse sieht ja ganz ähnlich aus und funktioniert genauso. Oder Kartoffelpüree. Es dauert halt verflixt lang, aber was soll's? Ich hab' ja Zeit!


Paul Rasch, Oktober 2011

 

Hej Holzwurm,

der Reihe nach:

Ich hatte die Decke über den Kopf gezogen, kurzfristig geht sowas, dann wird’s zu warm. Ich brauche nachts frische Luft!
Hier verlässt Du die begonnene Mückenerzählung und sprichst über günstige Schlafbedingungen (die recht allgemeingültig sind: Die meisten Menschen brauchen nachts frische Luft, ansonsten wäre die Angewohnheit des Unter-der-Bettdecke-schlafens bestimmt stärker verbreitet).
Deinem Mücken-Erzählstrang tut das nicht gut.

Jetzt klebt der zermatschte Körper der Stechmücke über dem Kopfende meines Bettes.
Das finde ich inkonsequent (erzählt). Wie hat er sie erwischt?

Das tapfere Schneiderlein weiland hatte sieben Fliegen auf einen Streich erledigt; das will ich mir nicht antun.
Wieder so ein Schlenker, diesmal zu einem Märchen. Auf mich wirkt er wie überflüssiger Füllstoff, weil er nicht eindeutig ist. Der Satz nach dem Semikolon könnte bedeuten, dass ENTWEDER noch sechs weitere Mücken herumgeschwirrt sind ODER es ziemlich anstrengend war, die eine Mücke zu erledigen ODER dass es für das tapfere Schneiderlein ziemlich anstrengend war.

Ich bin maßlos stolz auf die eine Schnake, mein Jagdglück, bei dem ich mich selbst selbstlos als Köder dargeboten hatte.
Kann weg

Doch kurz zurück zur Tapete.
Das ist ein rhetorischer Einschub, der sich gut für einen Vortrag eignet, weil er dem Zuhörer einen Anhalts- und Orientierungspunkt liefert, den der vllt bitter nötig hat. Hier finde ich ihn eher ungünstig, weil er von der Handlung weg- und in einen Vortrag hineinführt. (außerdem: War vorher schon einmal explizit von der Tapete die Rede? Ich finde da nix).

Und wenn ich dann quadratmillimeterweise im ganzen Schlafzimmer um den Schnakenleichnam herumstreiche, erfülle ich gleichzeitig die Renovierungsbedingungen des Mietvertrags. Genial, gell?
Geht es um Dimensionen oder Genialität?

Es kommt halt im Leben oftmals auf die Dimensionen an
Ah, doch um Dimensionen.

Tippex-Fluid, wohlgemerkt: auf Wasserbasis
Das erwähntest Du bereits :)

und denke über weitere Minimierungen üblicher Dimensionen nach.
Und jetzt zeigt sich: Es geht nicht um Dimensionen, sondern um die "Minimierungen üblicher Dimensionen", nach dem Motto: Angenommen, ich wäre Däumelinchen, was könnte ich dann wozu benutzen.

Es dauert halt verflixt lang, aber was soll's? Ich hab' ja Zeit!
Ach so? Klingt nach einer (beinahe) spannenderen Geschichte als dieser hier.;)

Eine Frage, die man im Anschluss an die Lektüre Deiner Geschichte diskutieren könnte, wäre der Sinn und Zweck von Jagdtrophäen (jeglicher Größe).

Viel Spaß noch hier & herzlich willkommen,

LG
Ane

 

Hallo Holzwurm,

und herzlich willkommen auf kg.de.

Leider kann ich in deiner Geschichte nur wenig Philosophisches entdecken. Vielleicht passt sie besser nach Alltag, Gesellschaft oder Sonstige?

Beste Grüße
Tserk

 

Hey Holzwurm,
Da schließe ich mich Tserk an, deine Geschichte würde eher in eine dieser Kategorien passen.
Insgesamt fand ich sie jedoch ganz humorvoll. Auch die mehr als anspielende Anspielung auf die human weit verbreitete Sucht nach Abgrenzung und Eigenlob kam gut heraus, wäre allerdings wie erwähnt passender in der Rubrik Gesellschaft aufgehoben.

Doch kurz zurück zur Tapete.
und
Genial, gell?
Haben mich stocken lassen. Auch wenn es ohne Frage möglich und auch allein in der Hand des Schreibers liegt, passt diese direkte Wende an den Leser nicht ins Bild, außerdem war mir das ",gell?" einfach zu umgangssprachlich.
Ansonsten aber eine nette Geschichte für zwischendurch.

Liebe Grüße,
autorschneider

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom