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Dieter

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11.05.2002
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Dieter

Dieter (überarbeitet am 29.08.02)

Dieter

Ein blasser Strahl Frühlingssonne stahl sich durch die beschlagenen Scheiben der Plattenbauwohnung in der Lübbenauer Neustadt. Melanie hielt einen dicken Briefumschlag mit der Adresse ihrer Cousine Annika ans Licht. "Ziemlich schwergewichtig für 'alles klar ich komme' als Antwort auf eine Hochzeitseinladung", sinnierte die zierliche, blondgelockte Frau, während sie den Brief in ihren langen, schlanken Fingern wog. Voller Vorfreude auf Annikas fröhlich-naives Geschreibsel griff sie schließlich zum Brieföffner.

Melanie und Annika waren Cousinen, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Seit Kindesbeinen waren die beiden dick miteinander befreundet; leider war durch Mels Umzug nach Berlin der Kontakt etwas eingeschlafen. Melanie war ein richtiges "Pflänzchen" zwar wunderschön anzuschauen aber gesundheitlich nicht stabil und sehr sensibel. Annika war das krasse Gegenteil dazu, pummelig, klein, dunkelhaarig mit einer großen gebogenen Nase. Sie war robust, sehr lebenslustig und immer noch auf der Suche nach "Mr. Right". Den schien sie laut Brief wieder mal nicht gefunden zu haben, stellte Melanie amüsiert fest. Hoppla, ihr schien es diesmal sogar ziemlich dreckig zu gehen. Und Dieter hieß der Gute auch noch. Diesen Dieter hatte Annika in der Disko "Nightflyer" kennengelernt. So wie sie ihn beschrieb, war er eine gelungene Mischung aus Tom Cruise und Cozy Powell. Zur Erklärung: Cozy Powell war ein bekannter Rockdrummer, der bei einem Autounfall leider viel zu früh verstarb. Andrea, Annikas 'kleine Schwester' war ein großer Fan von ihm und besuchte sämtliche Rockkonzerte, bei denen der an den Drumms saß.

Mit eiskalten Fingerspitzen, den Brief dicht vor ihrer Nase las Melanie:
"Er tanzte gut, total im Rhythmus und er wirkte auf mich vom ersten Augenblick an sehr selbstverliebt. Er weis bestimmt, wie gut er aussieht! Bilde ich es mir nur ein oder schaut er tatsächlich in meine Richtung. Jetzt geht er von der Tanzfläche, wohl zur Bar. Gleichzeitig drehte ich mich um und guckte in seine Richtung. "Glotz nicht so auffällig" ermahnte mich meine Schwester.
"Gönne mir doch mal einen schönen Mann, du bist doch eh in festen Händen. "
"Wenn ich ehrlich bin, bin ich es manchmal ganz schön leid in festen Händen zu sein. Ich glaube auf diesen Schönling könnte ich doch nicht so abfahren. Der kommt mir so vor wie so ein ganz ausgekochter Herzensbrecher."
Kann das wahr sein, er lässt die Bar links liegen und arbeitet sich in unsere Richtung vor. Schwarzes mittelanges Haar mit tief in die Stirn fallenden Ponysträhnen, hellblaue Augen, toll! Mel, ich kann Dir sagen, als er mich anlächelte, da war ich hin und weg. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, gibt es mir einen Stich ins Herz."
Melanie schenkte sich eine Tasse starken Bohnenkaffee ein. Die Tasse fest mit ihren beiden klammen Händen umfasst, vertiefte sie sich erneut in Annikas Brief:
- "Na, reichlich voll der Schuppen, heute Abend". - Das war an mich gerichtet! - "Stimmt, man kann froh sein einen festen Stehplatz zu haben. An Tanzen ist zur Zeit gar nicht zu denken."
Aber irgendwie schafften wir es dennoch einen Platz auf der Tanzfläche zu finden. Ich tanzte auf der Stelle, die Arme dicht am Körper, ich remple nun mal nicht gerne Leute an. Der Platz um Dieter wurde unterdessen immer größer, er tanzte ganz wild, fuhrwerkte mit den Armen in der Luft, und beschaffte mir so auch mehr Freiraum zum Tanzen. Mel, was jetzt kommt ist abgedroschenerweise das übliche: "Möchtest du etwas trinken? Wie heißt du? Woher kommst du? Bist du öfters in dem Schuppen?" Diese Fragen, schon hundertmal gehabt, aber bei Dieter war es etwas anderes. Du weist, seine Ausstrahlung. Schöne Menschen haben eine schöne Ausstrahlung, logisch. Trotzdem, im Rückblick denke ich, ich war zur falschen Zeit am falschen Ort. Andererseits, bestimmt hätte ich viel versäumt, wenn ich ihm nie über den Weg gelaufen wäre. So ist nun mal die Liebe.
Wie gesagt, wir kamen ins Gespräch. Er ist in der Ex-DDR aufgewachsen, genauer gesagt in Lübbenau im Spreewald. Seine Eltern hatten eine gutgehende Arztpraxis und sie lebten auch zu Honeckers Zeiten recht gut für die damaligen Verhältnisse. So konnten sie ihrem Sohnemann ein Architekturstudium ermöglichen. "Wir Lausitzer sind ein nettes Volk, wir halten zusammen, besonders wir Sorben."
"Serben? !"
"Sorben, das ist ein in den Spreewald eingewanderter slawischer Volksstamm. Wir haben sogar eine eigene Sprache. - Hier ist es wirklich zu laut, man versteht ja sein eigenes Wort nicht mehr. - Komm lass uns wo anders hingehen."
"Das ging aber schnell", mokierte sich meine Schwester Andrea, als wir uns Richtung Ausgang zubewegten.
"Pass nur auf, der ist ein gesuchter Vergewaltiger und Killer. Morgen stehe ich in der Bildzeitung", raunte ich meiner Schwester beim Hinausgehen ins Ohr. Sie denkt wohl, weil sie Mutter von zwei minderjährigen Kindern ist, könnte sie mich auch so behandeln. Ich kann schon auf mich selbst aufpassen. Schwesterchen zog ein missbilliges Gesicht. Da tauchte plötzlich eine bildschöne junge Frau an der Seite eines etwas fade aussehenden Mannes mit Vollbart auf. Sie musterte Dieter und mich und sagte dann im Vorbeigehen zu mir: "Du wirst diese Bekanntschaft noch bitter bereuen." Ich schaute Dieter an, der ein etwas merkwürdiges Gesicht zog: "Ist wohl bekifft, die junge Dame, wa." .-.

Die Tür ging auf und herein rauschte Melanies Schwiegermama in spe: "Na Melli, du siehst ja heute so käsig aus. Es wird dich hoffentlich kein Klapperstorch ins Beinchen gebissen haben -ha, ha, ha." Nervig war diese Frau: groß, schwer, laut und mit einem Hang, die Leute zu betütern. "Tschüss, Ma" rief ihr Melanie zu "ich muss noch mal schnell zur Post." Sie zog ihr warmes Fleece-Shirt über. Der Brief verschwand in der tiefen Beuteltasche. Entronnen, Gott sei Dank! Sie schwang sich auf ihr Fahrrad und trat wild in die Pedale. Mit hochrotem Gesicht und völlig außer Atem hielt sie bei der Holzbrücke am 'Lehder Fließ' an und kramte den Brief aus ihrer Shirt-Tasche:

"Es gehört eigentlich zu meinen Grundsätzen, Du weist Mel, dass ich nie mit einem Mann am ersten Abend ins Bett gehe. Mit Dieter war das etwas anderes. "Hab ich mir gedacht, dass das jetzt kommt", liebe Mel, höre ich Dich jetzt sagen. Aber Du bist auch kein Kind von Traurigkeit - gewesen, obwohl Du auf die Leute so einen gesitteten Eindruck machst. Bevor Du Deinen Dieter kennengelernt hattest, da war doch diese heiße Affäre mit dem Typen den Du auf der Potsdamer Schlössernacht kennengelernt hast. Sein Name fällt mir nicht mehr ein, ich weis nur noch, dass ihr beide so blödsinnige Kosenamen für einander hattet. "Diddelmaus" hattest Du ihn genannt.
Wie gesagt, es war ein toller Abend und Nacht, wenn Du so willst. Wir sind noch durch die Stadt gezogen, albern wie zwei kleine Kinder. In der Nähe der "Hauptwache" hatten wir einige Cocktails in dem Bistro "Planet Radio" geschlürft. Vollgestopft war dieser Laden mit Yuppies - Tschuldigung, Du gehörst ja auch zu dieser Gattung, wenn man es genau nimmt. Dann wollten wir noch weiter, zu einem Weinlokal am "Römer", aber da war nichts mehr los, alles geschlossen, es war wohl schon zu spät. Ob zu mir oder zu dir, die Frage stellten wir gar nicht. Wir waren halt so drauf, liefen durch die Stadt, ließen uns treiben - wenn ich mich jetzt wieder daran zurückerinnere seufz ... lassen wir das. Irgendwann als wir auf dem "Eisernen Steg" über den Main gingen, sagte Dieter, da drüben hinter dem "Museumsufer" in Sachsenhausen wohne er. "Wusste gar nicht, dass Du vom anderen Ufer bist", sagte ich. Du merkst Melanie, wie sich der Alkoholkonsum auf unseren Blödheitsgrad auswirkte.
Dies hier ist schon eine flotte Frankfurter Wohngegend. Die Mietpreise sind auch nicht die niedrigsten, aber Dieter mit seinem Architektengehalt konnte sich das ja locker leisten. Er hatte auch keine Mietwohnung, selbstverständlich bewohnte er in Frankfurt-Sachsenhausen eine Eigentumswohnung, genauer gesagt, eine Penthousewohnung. Diese befand sich in einem etwas höheren Wohnblock, der die putzigen kleinen Fachwerkhäuser in diesem Stadtteil überragte. Wir stiegen in den Fahrstuhl und fuhren in den obersten Stock. Viel später wurde mir auch klar, warum er diese Wohnlage gewählt hat. Hier konnte ihm niemand ins Fenster gucken und sich darüber aufregen, dass sich auf seiner "Spielwiese", diesem Kingsize-Bett, jeden Abend eine andere 'Mieze' amüsierte." -
Melanie unterdrückte einen Würgereiz. Sie schluckte trocken und las weiter:
"Wow, wie gesagt beeindruckend war seine Wohnung. Alles in rot gehalten - "Zuhälterwohnung" - höre ich Dich jetzt sagen. Ne, dazu war sie zu geschmackvoll eingerichtet. Und erst dieser Spiegel im Flur, er erinnerte mich an einen Theatergarderobenspiegel mit seinen vielen Glühbirnen rundherum. Ich sah ihn hinter mir im Spiegel auf mich zukommen. Er umfasste mich locker mit seinen muskulösen Armen: "Wie Morgana Lafayr siehst Du aus",
"???"
"Diese Zauberin aus der König-Arthur-Sage", sprach er und gab mir einen zarten Kuss auf die Schläfen.
Wie gesagt Mel, diese Wohnung, dieser Mann, ich war in einer ganz anderen Welt: Französisches Bett in Nobelausführung, Rückwand und Zimmerdecke über diesem Lusttummelplatz verspiegelt, hier leuchteten auch viele Glühbirnen, aber in gedämpftem Rotton. Neben dem Bett stand - wie praktisch - ein 50er-Jahre Bosch-Kühlschrank, darauf ein Ice-Crasher, auf dem runden Tischchen linker Seite nahm ein stählerner Designerobstkorb gefüllt mit köstlich duftenden Orangen, Mandarinen und Pampelmusen viel Platz ein.
Während wir um vier Uhr morgens mit Champagner aus sehr teuer aussehenden Designerkelchen anstießen, natürlich war in dieser Nacht nicht an Schlaf zu denken, öffnete sich per Knopfdruck der dunkelgraue Schrank in Front zu unserem Bett. Ein überdimensionaler Breitwandfernseher erschien. Mel, wenn Du denkst, jetzt kommt ein heißer Porno über den Bildschirm gelaufen, hast Du Dich getäuscht. Sonnenaufgang am Byleguhrer See war angesagt, aufgenommen mit seiner Handfilmkamera, "... damit ich meine schöne Brandenburger Heimat jederzeit in diesem kalten Frankfurt abrufen kann".
Ja Mel, wenn auch Schlafzimmer und Bad zur Luxusklasse zählten (stopp das Bad hatte ich ganz vergessen, Whirlpool - wenn schon, denn schon - beeindruckend das in die Wand eingebaute Meerwasseraquarium in Form eines großen Bullauges, durch das man beim Baden bunte Fische, die zwischen den fächelnden rostroten Wasserpflanzen und den knallroten Korallen hin- und herschwammen beobachten konnte), die Küche konnte man vergessen. Die befand sich in der ehemaligen Besenkammer und bestand aus einem Mikrowellengerät und einem Regal voller Lebensmittelkonserven. "Ich esse fast immer außerhalb meiner vier Wänden", erklärte er mir "nur im äußersten Notfall greife ich zum Dosenöffner und wärme mir was in der Mikrowelle auf. Meine kreative Energie habe ich für den Ausbau meiner restlichen Zimmer verwendet."
"Schlafzimmer, Nobelbad, Besenkammerküche, hat er auch ein Wohnzimmer?" möchtest Du bestimmt jetzt wissen. Ja, aber natürlich kein gewöhnliches, bei ihm ist alles außergewöhnlich. Sein Wohnzimmer ist eine überdachte Dachterrasse, bestückt mit weißen Rattan-Möbeln, umrahmt mit Kübeln exotischer Pflanzen. In der kühleren Jahreszeit ist das Ganze ein verglaster Wintergarten.
Nach unserem Frühstück das aus eisgekühltem Champagner und frischen Erdbeeren bestand, fielen wir beide in einen tiefen Erschöpfungsschlaf, aus dem ich unsanft um zwei Uhr mittags von lautem Handyklingeln geweckt wurde. Du musst wissen Mel, sein Handy hat den Tonfall einer Sirene. Schwupps, war er aus dem Bett und weg. Ich hörte vom Bad her einige Wortfetzen "Sorgen hast Du Dir gemacht, weil die ganze Zeit nur die Mailbox geschaltet war, brauchst Du nicht, es ist alles in Ordnung ...", "... ist doch nicht so ungewöhnlich bei mir... " "... sehen uns ... " "... ich ruf Dich vorher nochmals an". Damals war ich so saublöd und dachte mir nichts dabei oder verdrängte es, weil aufkommende Eifersucht das letzte war, was ich in dieser Zeit gebrauchen konnte.
"Hey Annika", sagte er zu mir "ich muss jetzt zacki zacki zu einem wichtigen Meeting und danach habe ich hoffentlich noch Zeit fürs Fitness-Studio" und ich Trottel glaubte es ihm damals auch noch.
Tja, Mel ich bin ein leicht zu beeindruckender Mensch, dieser Mann, diese Wohnung, das sind alles ganz andere Dimensionen für mich. Ich, als kleine Angestellte in der Stadtverwaltung, ich brannte darauf mal seine Architekturentwürfe oder besser noch ein von ihm entworfenes fertiggebautes Haus zu sehen! Du hast für meine Euphorie kein Verständnis, ich weis. Deine ganze Lebenseinstellung ist viel bodenständiger. Ich könnte wetten, Dein Dieter arbeitet fleißig und zielstrebig als Beamter in einer Verwaltung und ist gerade dabei sich ein Nest für seine zukünftige Kleinfamilie zu errichten. Ein Häuschen im Grünen müsste es sein, mit großem Garten, am besten noch mit Jägerzaun!"
- "Ha, ha, ha" - Melanie strich das Papier glatt und las weiter. Nun schien Dieter sehr viel Zeit mit ihrer Cousine Annika zu verbringen. Ja, und sein erstes architektonisches Meisterstück, ein Mehrfamilienhaus im Landhausstil in der Nähe von Cottbus, wollte er ihr auch noch zeigen. Ein hohes Tier im Berliner Bundestag hatte es ihm in Auftrag gegeben. -
"Und wenn wir dann im schönen Brandenburg sind, können wir gleich einen Abstecher in den Spreewald machen. Ich habe damals in meiner Studienzeit ein Kahnfahrerpatent erworben. Wir leihen uns dann so einen Kahn und ich stake dich durch die Fließe."
"In Lübbenau wohnen doch auch Deine Eltern..." - Ich wollte gerade fragen, ob seine Mutter auch gut 'Plinsen' backen kann aber der plötzlich abweisend wirkende Blick ließ mich verstummen. Ja Mel, im Rückblick, diese Reaktion ist typisch für einen bindungsscheuen Mann.
Wenn ich im Nachhinein auch eine Stinkwut auf Dieter habe, die Anfangzeit unserer Beziehung - Quatsch, das war es natürlich nicht, Dieter mochte keine Beziehungen - war wirklich traumhaft. Zumal mir im letzten August das heiße, stickige Büro, die manchmal stressige Arbeit und insbesondere einige trotz des strahlenden Sonnenscheins immer trübselig guckende Arbeitskolleginnen gewaltig auf den Geist gingen. Allen voran war Yvonne manchmal für mich schwer zu ertragen. Als sie damals bei uns im Büro angefangen hatte, mochte ich sie recht gern. Sie war ein fröhliches "Hip-Hop-Girlie", das frei von der Leber weg fröhlich-freche Bemerkungen losließ, die ihr niemand für übel nahm. Die Liebe zum Rap und Hip-Hop sind bei ihr noch geblieben, aber seit ihr Freund Roger, ein GI, wieder nach Amerika ging, war mit ihr nicht mehr viel los. Besonders schlimm wurde es, als er sich dort in eine wunderschöne Afroamerikanerin verliebte und Yvonne sogar in seinem Brief ein Foto von ihr beilegte. "Eine echte 'Black Beauty' ", sagte sie damals achselzuckend. Am Bruch der Beziehung finde ich, waren damals hauptsächlich ihre Eltern schuld - "... ein Neger kommt uns nicht ins Haus."
Meine andere Kollegin, die Tabea, war ganz happy, als ich ihr erzählte, dass ich jemanden kennengelernt hatte mit dem ich mich öfters treffe. Du Mel, die dachte tatsächlich, nach Thomas krieg ich keinen Mann mehr ab!"
Also dieses kleine, blonde Heavy-Metal-Luder Tabea wollte mit ins Schwimmbad gehen, folgerte Melanie aus Annikas Brief. Da hatte sie eine Verabredung mit Dieter und diese Tabea wollte wissen, ob der Typ wirklich so toll aussieht. Mit ihrem großen Schwarm, den charismatischen Gitaristen Joey De Maio der Metallband 'Manowar', konnte er es bestimmt nicht aufnehmen, aber gucken wird man wohl dürfen. Eine etwas merkwürdige Verabredung übrigens. Annika schrieb: " Er rief mich an und sagte: "Komm um kurz nach drei Uhr ins 2,50 m Becken, da wirst Du mich sehen."
"Gut", sagte ich "dass Du kein Nichtschwimmer bist, das hätte nicht zu unserer wassersportliebenden Familie gepasst."
'Familie', das war wieder ein Reizwort für ihn. Deshalb dieses fast minutenlange Schweigen am anderen Ende der Leitung. "Ich bin kein Familienmensch, tschüss" kam noch aus dem Hörer und dann wurde aufgelegt.
Das Schwimmbad war propenvoll, kein Wunder bei dem Wetter. Aber wie soll man da jemanden finden?
"So ich geh jetzt schwimmen. - Schau das Kiosk hat auf, der neue 'Metallhammer' müsste schon da sein. Wenn Du mich suchst, ich bin vorne im 2,50 m - Becken." Jetzt war ich sie los, ich wollte sie nicht dabei haben. Erstens hatte ich Angst von Dieter versetzt zu werden und außerdem könnte sie ihm eigentlich ganz gut gefallen. "Quatsch", dachte ich gleich darauf, als ich mich von der Leiter abstieß und ins kühle Wasser gleiten ließ" sie ist mit ihren 21 Jahren doch viel zu jung für ihn." Dieter im vollen Schwimmbecken zu erkennen war ein Suchspiel. Die Leute mussten mich wohl für blöde halten, ich die hin- und herschwamm und jeden Vorbeischwimmenden ins Gesicht schaute. Dummerweise hatten hier auch viele Männer Badekappen auf. Dieter wird doch wohl nicht so unter Geschmacksverirrung leiden und mit Badekappe hier aufkreuzen? Ich finde Badekappen bei Männer ätzend. Da tauchte plötzlich etwas unter mir durch und grapschte mich dabei in die Wade. "Der Weiße Hai lebt doch normalerweise im Meer", dachte ich. Dieter tauchte neben mir auf. Der "Wadengrabscher" war auch die einzige Berührung, die er innerhalb des Schwimmbades zwischen uns zuließ. Wir schwammen noch einige Runden. Er ist wirklich ein guter Schwimmer, taucht auch gerne und mag Windsurfen. Hand in Hand durchs Schwimmbad gehen und dann verliebt auf der Badematte kuscheln, das konnte ich mir abschminken. Nicht mal ans gegenseitige Eincremen war zu denken. Wenigstens hat er auf Tabea einen tollen Eindruck gemacht. Als er mal Richtung Toiletten ging, raunte sie mir zu: "Der sieht aber süß aus. Und den hast du im 'Nightflyer' kennengelernt, krass!"
Mel, als wir kurz darauf dank dieser Hitzewelle am "Waldsee" verabredet waren, da war er ganz anders als damals im Schwimmbad. Der "Waldsee" ist eine Art Geheimtipp. Er ist auch kein Badesee in diesem Sinne. Die Naturschützer sehen es recht ungern, wenn sich Badegäste hierher verirren. Deshalb waren außer einem Pärchen, das hier das FKK-Baden genoss und uns niemand da.
Wir durchschwammen den ganzen See. Romantisch, dieses klare Wasser, die weißen Seerosen. Die blaugrünen Tannenzweige vom nahen Wald berühren fast das Wasser. Nadelholz-Monokultur - nennen ihn die ansässigen Naturschützer - ich finde ihn romantisch, basta. Der See war recht tief, das Wasser eiskalt und wir bibberten ganz schön nach dem Schwimmen. Dem wussten wir aber rasch abzuhelfen. Die Gänsehaut, die ich dann hatte, kam nicht vom kalten Wasser."-
Melanie wischte sich mit dem Taschentuch die Augen. So, jetzt sah sie wieder deutlicher und konnte weiterlesen. Offensichtlich verbrachte nun Dieter nicht mehr so viel Zeit mit Annika. Der Brief lies durchblicken, Dieter fühlt sich eingeengt, Annika klammert. Tja, dachte Melanie, im Gegensatz zu ihrem häuslichen Ex-Freund Thomas ist Dieter ein Nomade. Sie schaute aufs Fließ, etwas Weißes trieb auf dem Wasser. Ein Brautkranz mit weißen Rosen schlingerte am Pfeilkraut vorbei. Hastig griff sie nach einem Stock und fischte das Gebilde heraus. Das Ganze entpuppte sich als ein Stück weggeschmissenes Toilettenpapier. Der Förster wird sich über diesen Umweltfrevel tierisch aufregen. Na, wie es aussieht scheint allmählich das Kapitel Dieter für Annika vorbei zu sein. Fröstelnd schlang Melanie die Arme um ihre Knie und las weiter:
" Es wird Zeit, dass ich mal die Augen öffne und klar sehe. Du hast recht Mel, dem geschah so aber ein bisschen wurde mir dabei nachgeholfen. Diejenige, die mir einen entscheidenden Tipp (unbewusst) gab war Sylvia. Das ist eine Freundin von mir. Wir kennen uns aus dem Samstags-Aerobic-Kurs im Sportverein. Eine Bekannte Sylvias, Nelly, - die ich auch flüchtig kenne - hat ziemliche Probleme, erklärte mir Sylvia als wir nach dem Sport noch einen Schoppen im Vereinshaus trinken gingen. Sie hatte in der Disco "Nightflyer" einen gutaussehenden Mann kennengelernt, der ihr leider nach kurzer Bekanntschaft sehr weh getan hat. - "Nightflyer" - bei diesem Wort gab es mir einen Stich. Seit ich Dieter kennengelernt hatte, war ich nicht mehr dort gewesen. Ihm gefiel es angeblich nicht in dieser Disco. "Zu laut und zu eng, nicht mein Ding", hatte er damals zu mir gesagt, als ich nochmals mit ihm dorthin zum Tanzen gehen wollte.
"Du musst wissen", erklärte mir Sylvia und nahm einen großen Schluck Apfelweinschorle, "als sie ihn besuchen wollte, um ihm einen Beutel Orangen mitzubringen, er lag mit einer schweren Erkältung im Bett, stand doch so eine aufgedonnerte Tussi vor seiner Sachsenhäuser Wohnung und läutete bei ihm Sturm." Ich verschluckte mich am Apfelwein.
Zu Hause suchte ich schnell Nellys Nummer heraus und versuchte sie anzurufen. Als ich ihr vor kurzem wegen eines Treffens unserer Gruppe zum Waldlauf eine Nachricht hinterlassen hatte, schmachtete "Jon Bonjovi" aus ihrem Anrufbeantworter: "Thank You, For Loving Me". Aber nun kam stattdessen: "Denn, Du trägst keine Liebe in Dir", von "Echt". Ich hinterließ ihr die Nachricht, dass sie mich mal bei Gelegenheit zurückrufen soll. Da kam lange nichts. Auch bei unseren Treffen, Aerobic oder Waldlauf, hielt sie sich fern. Als unser Verein einen Kurs in "Cardio-Kick-Box-Aerobic" anbot, tauchte sie wieder bei uns auf. Sie war recht wortkarg und steigerte sich bis zur Erschöpfung in die Übungen hinein. Ich schaute sie mir bei unseren Entspannungs- und Dehnungspausen genauer an. Blondes dünnes Haar, hochgebundener straffer Pferdeschwanz, spitzes, ungeschminktes Gesicht, ziemlich mager und man sah es ihr an, dass sie erst zwanzig Jahre alt war. Dieter zählte 38 Lenze. Wenn er etwas mit ihr gehabt hätte, befand er sich höchstwahrscheinlich in einem akuten Anfall von Midlifecrisis. Ich bot ihr an, sie nach dem Kurs nach Hause zu fahren. Sie hatte zwar ihr Rad dabei, war aber zu kaputt, um den weiten Weg zurückzufahren. Ich versuchte mich ein bisschen an sie heranzutasten. Ausfragen war nicht, sie war verschlossen wie eine Auster. "Ach, es ist doch alles Scheiße", sagte sie beim Aussteigen. Jetzt war die Gelegenheit da, ich würde etwas genaueres erfahren. Ich schlug vor, zusammen in das Eiscafé gegenüber ihrer Wohnung zu gehen. Da sollte sie sich bei einem Cappuccino den Frust von der Seele reden. Den Namen ihres Ex-Lovers wollte sie mir nicht nennen. Es könnte ja jemand sein, den ich oder Sylvia kannte. Und wir, die beiden "Klasseweiber" hätten doch bei jedem Mann Erfolg und würden sie nur auslachen, wenn ein Bekannter von uns sie so "verarscht" hätte. Auf jeden Fall war der Verflossene beträchtlich älter als Nelly und seine neue "Tussi" wäre auch in seinem Alter, oder noch steinälter. "Seine Neue heißt Meggy, vermutlich der Kurzname zu Margarete oder so was Altmodischem. Sie hat kurzes schwarzes Haar." Woher sie die Informationen habe, fragte ich sie. "Von Nadine, die du auch kennst. Wenn sie mal länger im Büro arbeitete, konnte sie von ihrem Fenster im 10. Stock ins Schlafzimmer sehen, da ging was ab!" Sie kicherte hinter vorgehaltener Hand. Wenn sie mit Dieter zusammengewesen sein sollte, wäre sie ihm auf Dauer bestimmt zu verklemmt gewesen, dachte ich. "So um halb sieben kam dann diese schwarzhaarige Tussi an, kramte ihren Schlüssel aus der Tasche und ging eiligen Schrittes zu ihrer Wohnung. Kurz darauf kam dann so ein schwarzhaariger Mann, klingelte kurz und wurde sofort hereingelassen. Das ist der Blödmann, mit dem ich kurze Zeit zusammen war!" Ihre Augen wurden feucht, die Gesichtszüge entgleisten. Sie nahm ihre Servierte und schnäuzte sich hinein. Als sie sich wieder beruhigt hatte, fragte ich, woher Nadine diese Meggy kannte. "Vom Sehen her" antwortete Nelly "Nadine geht mit ihren Kollegen öfters in das kleine Café in der Nähe ihres Arbeitsplatzes. Da sieht sie Meggy dann bei einer Latte Macchiato auf dem Stuhl sitzen, das Gesicht der Sonne zugewandt. Sie wollte sie schon mal darauf ansprechen, dass man alles von ihrem Bürofenster beobachten kann, und dass das peinlich ist. Aber irgendwie kam sie nicht so zum Zuge. Stattdessen erzählte Meggy ihrerseits, dass sie in einer düsteren 'Äppelwoikneipe' um die Ecke kellnert und zwischendurch mal Sonne und frische Luft tanken möchte. Nadine fand die Tussi sogar sehr nett, die dumme Nuss", schloss sie ihre Schilderung.
Mel, Du denkst wohl jetzt, so einen Aufwand wegen so einem Fatzke, aber zu Hause angekommen, suchte ich schnell Nadines Telefonnummer." -
"Stimmt genau", dachte Melanie beim Durchlesen. Annika rief ihre ehemalige Arbeitskollegin tatsächlich an, zwecks eines Beobachtungstermin in ihrem Bürohochhaus. Na dann viel Spaß auf der Pirsch! Melanie holte ihre Lesebrille heraus, die Schrift wurde immer kleiner:
"Nadine rief mich zurück: "Ey, wusste gar nicht, dass du voyeuristisch veranlagt bist!" Ich erklärte es ihr so wie es war, und dass ich gerne wüsste, ob der schwarzhaarige Mann ein Bekannter von mir ist. "Komm am Mittwoch vorbei, wie ich mich erinnere haben sie immer mittwochs gevögelt - und vergiss dein Fernglas nicht!" Um vier Uhr wollte Nadine Feierabend machen. Ich war viel zu früh da. Also, entschloss ich mich, mir die "Äppelwoikneipe" anzusehen. Schon verwunderlich, dass zwei Gassen hinter der Parkanlage und dem Firmenkomplex, die Gegend so abfällt. Hässliche graubraune Hausfassaden, Fragmente von Plakaten, auf dem Bürgersteig weggeworfenes Papier, Zigarettenkippen. "Bei Tante Traute", das war wohl die Kneipe, in der Meggy kellnerte. Ich öffnete die Glastür neben dem eingebeulten Zigarettenautomat. Sogleich schlug mir abgestandene, verräucherte Luft entgegen. "Sripingponggong", tönte der Spielautomat in der Ecke. Der glatzköpfige Mann in der speckigen dunkelblauen Strickjacke schlug wütend auf die "Dattelmaschine". Ich wollte schon wieder gehen, da sah ich hinter der Theke eine dunkelhaarige Frau agieren. "Tach, was wolle se", sprach mich in Frankfurter Dialekt der Wirt an. Er kam auf mich zu und wischte sich die Hände an seiner Schürze ab. "Eine Cola Light, bitte". Er drehte sich um in Richtung Theke, seine Schultern zuckten. Er lachte mich aus. Was blöderes als eine "Cola Light" war mir auch nicht eingefallen.
In dieser Spelunke war ganz schön übles Volk, Leute mit denen ich normalerweise nie etwas zu tun habe. Die Unterhaltung zwischen zwei abgerissen wirkenden Männern bestand fast nur aus den Wörtern "Bullen" und "Säue" und natürlich auch in der zusammengesetzten Variante. Die "Alte" in der lachsroten Weste über ihrer Kittelschürze beklagte sich, dass ihr Sohn nach dem Überfall auf die Apotheke ins Gefängnis, anstatt zur Entgiftung kam.
"Mäggiche, komm doch mal her", lallte eine der abgerissenen Vogelscheuchen. Die Frau mit dem schwarzen Pagenkopf kam hinter der Theke hervor. Sie mochte so Anfang vierzig sein. Lächerlich, dass Frauen ab einem bestimmten Alter so gern Comic-Shirts und Leggins anziehen. Leggins sind sowieso out. Also, die besagte Meggy trug ein knallrotes Sweatshirt mit "Speedy Gonzales" und schwarze Glanzleggins. Die beiden Männer machten eine witzige Bemerkung und Meggy lachte. Und wie sie lachte, sie hat ja ein Gebiss wie ein Pferd! Die Figur war eigentlich okay, schlanker als ich es bin. Ich habe Größe 40. Sie müsste 38er, wenn nicht sogar 36er Klamotten tragen können. Jetzt schlang der eine Typ, in der abgewetzten Jacke, den Arm um sie und zog sie zu sich auf seinen Stuhl. Sie wieherte immer noch so blöd. Gott, lass die beiden Liebenden zwei Menschen sein, die ich nicht kenne."
"Aber hallo, Annika scheint ja diese Meggi ziemlich 'gefressen' zu haben", dachte Melanie und ging zum nächsten Briefbogen über:
"Nadine führte mich durch 'ihr' Büro, gab dabei an wie ein Sack voller Flöhe. Wie toll doch hier alles wäre, was für ein interessantes Aufgabengebiet sie hat. "Du bist ja auch manchmal ganz schön lange an deinem Arbeitsplatz".
"Ach, das ist eine andere Geschichte", erwiderte sie. Sie hatte damals Mist gebaut und wollte ihren Fehler ungesehen ausbügeln. Normalerweise sind nach sechs Uhr nur noch die Putzfrauen und vielleicht ein oder zwei übereifrige Sachbearbeiter da. Sie hatte mit ihrer Datenbank, dem Access-Programm, eine Beziehung zu Excel und Word/Serienbriefe herstellen wollen, das Ganze ist ihr dann abgestürzt. Also, so was gibt es auch, ein Computer mit einer Beziehungsmacke!
"Wenn heute noch jemand da sein sollte, dann ist es nur die türkische Putzfrau. Grüße sie, sie lässt dich dann sowieso in Ruhe, sie versteht nämlich kein Wort Deutsch. - Und wenn das Pärchen im Schlafzimmer auftauchen sollte, ruf mich an. Die Nelly wollte wissen, ob ihr Verflossener immer noch die schwarzhaarige Tussi bumst."
Tollen Ausblick hatte man von hier oben. In den späten Septembertagen geht die Sonne früher unter und in vielen Räumen brannte Licht. Zumal haben ab einer gewissen Höhe manche Zimmer nicht einmal mehr Gardinen. Halb sieben war inzwischen vorbei und nichts tat sich. Nun war es sieben Uhr, immer noch nichts, dafür klingelte das Telefon. Nadine fragte nach, ob heute "Tote Hose" bei Meggy wäre, da leuchtete gegenüber, zwei Stockwerke unter mir ein großes rechteckiges Wohnungsfenster auf, das die ganze Zeit über noch dunkel war. Nervös nahm ich Nadines "Flower-Fairy" aus dem Blumentopf und drehte den Stab zwischen meinen Fingern. Eine Frau in leuchtendrotem Sweatshirt ging mit schnellen Schritten Richtung Bett. Sie zog das Shirt über den Kopf. Die schwarzen Haare standen ihr nun vom Kopf ab, wie bei Harry Potter. In der Schlafzimmertür erschien nackt ein schwarzhaariger Mann mit dem Aussehen von Tom Cruise, Dieter!!!
Er hatte wohl nicht daran gedacht, dass die Wohnung im Gegensatz zu der Seinigen in Sachsenhausen voll einsehbar ist, wenn das gegenüberliegende Gebäude auch nur ein Bürohochhaus war.
Der Blumentopf landete in Scherben auf dem Boden. Die roten Blüten des Weihnachtssterns zusammen mit der nassen Blumenerde verschmutzten den hellen Teppichboden. Dazwischen lag die "Flower-Fairy" mit zerbrochenen Flügeln.
"Hallo, was ist! Ist alles in Ordnung bei dir! Soll ich einen Arzt oder einen Krankenwagen holen?", hörte ich Nadine in den Hörer rufen.
So, das war es mit Dieter. Nun wollte ich nichts mehr von ihm wissen. Er im umgekehrten Fall auch nicht, denn er rief nicht mehr an. - Stopp, später kamen wir noch mal kurz zusammen - aber das hat noch Zeit."-

Melanie schaute auf, als sie das Geräusch von Fahrradreifen auf dem sandigen Boden vernahm. Es war Arne, der Pächter des Campingplatzes in Nähe der "Quodda". Ein Bauernbursche mit einem ausgeprägten Geschäftssinn. Nach der Wende hatte er den etwas verkommenen Zeltplatz seines Vaters zu einer gut florierenden Ferienanlage mit Bootsverleih ausgebaut. Er hielt sein Rad an und schaute Melanie über die Schultern: "Hey Mel, du guckst jar nich' fröhlich aus der Wäsche, schlechte Nachrichten, wa? Hoffentlich haste keinen Ärger mit dem Finanzamt." Wenn doch Arne nur nicht solche Augen hätte, hellgrün mit braunen Sprengeln. Und dann dieser Blick!
"Nein", Melanie errötete, "es ist nur ein Brief meiner Cousine. Sie hat wieder mal Liebeskummer."
"Wenn der wüsste!" Melanie fuhr mit dem Lesen fort.

Nun war 'Tabula raca' angesagt. Annika wollte gern von Dieter loskommen, aber wurde immer wieder mit ihm konfrontiert. Nicht allein, dass er immer noch von Nadine zusammen mit Meggi gesichtet wurde, jetzt trieb er es ausgerechnet mit der eingebildeten Verkäuferin der Boutique "Heidi". "In Ihrer Größe führen wir so was nicht" hatte sie einmal zu Annika gesagt, als sie dieses modische kurze Kleid mit dem raffinierten Ausschnitt anprobieren wollte. Aha, Martina heißt die Gute. Laut Brief hatte er sie in die Disko "Nightflyer" ausgeführt und eine rote Rose geschenkt. Und zu allem Überdruss grüßte er sie über die Hörerwunschsendung "Hithop" mit: "Ich wünsch mir für meinen allerliebsten Schatz Martina, 'Hero' von 'Enrique Iglesias', dein Dieter aus dem Spreewald." Annika schrieb: "Mir wäre es vielleicht mal gelungen ihn in meiner Traumwelt ganz nach hinten zu verbannen aber der nächste Hammer ließ nicht lange auf sich warten. Ich schaltete "Wer wird Millionär?" ein und wer war diese tranige Kandidatin, die Günther Jauch schon bei der 100 DM Frage zur Verzweiflung brachte, eine blonde Martina. Dann machte die Kamera einen Schwenk zum Publikum, wo der Partner dieser Unglücklichen saß, dreimal darfst Du raten: Dieter!
Welcher Laubbaum ist nicht nur auf Friedhöfen beheimatet: Ist es A: die Heulbirke, B: die Weinrebe, C: die Trauerweide oder D: das Trübahorn? Irrsinnig schwer. Ganz selten fliegt ein Kandidat schon bei der ersten Frage heraus.
Am Tag nach dieser Fernsehsendung wollte ich in ihre Boutique gehen und ein T-Shirt kaufen, das ich mit meinem restlichen Pfennig-Kleingeld aus der alten DM-Währung bezahlen würde. Dann hätte ich nebenbei noch so eine nette kleine Bemerkung zur "Weinrebe" fallen lassen, das war ihre falsche Antwort in der Sendung. Aber ich glaube, die Heulbirke, Weinrebe, Trauerweide und das Trübahorn hatten sie infiziert. Sie lief mit roten Augen und zerknüllten Taschentücher in ihrem Laden herum. Das war kein Heuschnupfen - ich schwör es dir. Ich kam gar nicht zum Zuge, sie überließ ihrer Mitarbeiterin das Ruder und ging nach Hause. Das zum Thema Martina.
Dann hatte die Tabea in letzter Zeit so komische Anwandlungen. Sie war in Superstimmung, ohne dass eine Tournee von Manowar sich ankündigt; und der Clou, mit Ronny, ihrem Freund, war Schluss und trotzdem behielt sie ihre gute Laune bei. Einen Tag auf den anderen war sie dann völlig deprimiert und verschlossen. Sie konkurrierte quasi mit unserer Yvonne in Sachen schlechter Laune. Auf mich war sie in letzter Zeit auch nicht gut zu sprechen. Vielleicht gehe ich ihr auf den Keks, weil ich wegen der Sache mit Dieter immer so trübsinnig bin. Oder ist es etwas anderes. Meine Arbeitskollegin Anja kam hinzu, grüßte mich kurz und warf mir gleichzeitig einen bösen Blick zu. Ich hielt mich derweil am Fax-Gerät auf. Tabea und Anja tuschelten etwas. Das Wort "Nightflyer" höre ich ein paar mal aus der geflüsterten Unterhaltung heraus. Tabea hasst diese Disko. "Da kommt nur diese Pop-Scheiße, die den ganzen Tag über im Radio läuft", aber sie war in letzter Zeit mal dort, weil sie nicht wusste, wohin sie sonst hätte gehen können. Ich warf einen vorsichtigen Blick auf ihren Bildschirmschoner. Aber da lief nur "True Metall Will Never Die". Ich war froh, dass sich meine Vermutung nicht bestätigt hatte.
Nun komme ich zu dem obligatorischen Rummelplatzbesuch unserer Behörde auf der Frankfurter "Dippemess'". Wir waren nicht gerade ein fröhlicher Haufen Leute als wir auf die Kirmes gingen. Yvonne war da noch am erträglichsten. Sie bemühte sich wenigstens fröhlich zu sein und unterhielt sich mit mir. Anja und Tabea verhielten sich mir gegenüber so verschlossen. Weis der Geier!
Das Wetter konnte jeden Moment umschlagen. Dunkle Wolken, passend zu unserer Stimmung, zogen über den Himmel. Die Sonne kam mit einem grellen Strahl zwischen einer Wolkenwand hervor, der den blauschwarzen Himmel noch dunkler wirken ließ. "Fein, die Sonne scheint", rief Yvonne, "lasst uns eine Runde auf der 'Riesenkrake' fahren." Tabea kippte den Rest ihres Bieres herunter: "Das ist doch nur was für kleine Kinder." Aber sie stieg trotzdem mit ein und ihr wurde es auch als erstes übel. Krampfhaft hielt sie sich an der Haltestange fest und blieb stocksteif sitzen, anstatt sich den Bewegungen des Karussells anzupassen. Dann kam was kommen musste - nein das meine ich nicht, Tabea kotzte erst später - die Wolken entluden sich und wir wurden alle bis auf die Knochen nass. Die Fahrerei schien kein Ende zu nehmen und zu unser allen Erbauen dudelte auch noch "Hero" aus den Lautsprechern. Der Donner grollte, es hagelte und man sah Menschenmassen mit eingezogenem Genick und hochgestellten Krägen ins Festzelt rennen. Drinnen war man wenigstens vor den Witterungseinflüssen geschützt aber dafür musste man die Musik einer Stimmungskapelle ertragen. "Mm", schwärmte Yvonne, "da vorne gibt es Calamares". Es roch nach altem Friteusenfett. "Umpf..." erst die Fahrt in dem Riesentintenfischkarussell und dann noch die gebratenen Fangarme dieses Tieres. Das war zuviel für Tabea. Mit den Händen vor dem Mund rannte sie Richtung Toilettenwagen. "Ist die schwanger?", frage Janina, unsere Azubi.
"Nein" antwortete Anja "nur zu viel Kummer, zu viel Suff."
"Darf ich mal neugierig sein?" fragte ich, während ich mich auf der kippelige Holzbank niederließ "was hat eigentlich die Tabea in letzter Zeit?"
"Die Antwort kann ich dir gerne geben." Anja lehnte sich vor und dämpfte ihre Stimme: "Tabeas Freund, nicht der Ronnie, der danach, hat es á la Naddel mit ihr gemacht."
"???"
"Er hat die Beziehung per Handy beendet. 'Leia4e'".
Ich erblasste: "Was ist das für eine Sprache, ist das etwa sorbisch?"
"Ne, das heißt: 'Liebling es ist aus, forever'. Das ist die neue SMS-Sprache, falls Du das noch nicht weist."
In dem Augenblick betrat Tabea mit einem leichtem Grünstich im Gesicht das Festzelt und Anja verstummte. Ich stocherte in meinen Pommes frites herum. Irgendwie hatten die so einen komischen Beigeschmack. Tabea schien sich wieder erholt zu haben. Sie bestellte einen Doppelten Jägermeister und kippte ihn auf einmal hinunter. "Dsching- Dsching- Dschingiskhan" tönte die Stimmungscombo im Hintergrund. In diesem Moment gesellte sich ein Rocker-Typ á la "Hells Angels" zu uns: Lange hellbraune Lockenmähne, seine Lederjacke war zu eng für den mächtigen Oberkörper, hellbraune Locken kräuselten sich aus seiner aufgeknüpfte Hemdbrust. Er hatte Tabea entdeckt und schaute auf ihr T-Shirt. "Manowar finde ich cool." Dann wandte er sich an uns: "Wenn Ihr die Musik hier auch so Scheiße findet, ab ca. neun Uhr spielt im anderen Zelt eine ganz gute Coverband, 'Tommy And The Moondogs'." Er setzte sich neben Tabea. "Ich bin der Rainer", stellte er sich vor. Tabea und Rainer kamen sich im Laufe des Abends näher. Irgendwann kam sie dann auf ihren 'Verflossenen' zu sprechen. "Ich habe kurz nach meiner längeren Partnerschaft mit Ronny einen 'Spreewälder' kennengelernt. Aber dieser Typ, der zur Zeit in Frankfurt wohnt, war ein notorischer Frauenheld. Sollte dieser Fährmann mal einen Kahn besetzt mit 10 Frauen durch die Fließe staken, 8 davon landen anschließend bei ihm im Bett. Dieter hieß er auch noch - wie altmodisch."
Nun war ich mit dem Kotzen an der Reihe.
Die dumme Tabea war auf mich doch allen Ernstes sauer, weil ich "sie mit Dieter zusammengebracht hatte". Du verstehst das nicht Mel, warte ich erkläre es Dir. Damals im Schwimmbad wollte der Dieter angeblich nichts mehr von mir wissen und hätte sich doch prompt in Tabea verliebt; das behauptete sie zumindestens. Sie hatte sich daraufhin öfters mit ihm getroffen, der absolute Traummann zärtlich, wild und ideenreich zugleich. Und zu allem hatte er so viel Ausdauer im Bett. Sie schwebte, wie viele ihre Vorgängerinnen, auf Wolke Sieben. Dann kam sie dahinter, dass er außer mit ihr noch mit anderen Frauen ausgeht. Und nicht nur ausgeht, wohlgemerkt. Sie ließ dann mal so eine Bemerkung fallen, dass er eigentlich besser nach Salt Lake City auswandern sollte. Bei den Mormonen wäre die Vielweiberei völlig normal. Da war er etwas verärgert. Ihr Fehler war, dass sie anfing Bedingungen zu stellen. Er sollte sich mit keiner anderen Frau mehr treffen, sonst wäre sie weg - endgültig. "Leia4e", das war die logische Schlussfolgerung daraus. Dafür hatte sich der coole Rainer, der aus dem Festzelt, bei ihr gemeldet. Die beiden gingen in letzter Zeit öfters gemeinsam auf Heavy-Metall-Events in der Offenbacher Hafenbahn. Vielleicht wird mehr daraus. So schnell wie Tabea kann ich mich leider nicht trösten. Die hat's gut, die hat ihren Rainer und ihren Gitarrengott zum Anschwärmen.
Auch Yvonne scheint es zur Zeit sehr gut zu gehen. Wenn mich nicht alles täuscht, schwebt sie auf Wolke sieben: "Here she comes, singing along the streets - singing Do Wa Diddy Di Di Dumm Di Di Do", sie sang den alten Manfred-Mann-Hit in GI-mäßig abgewandelter Form, mit einem Text der einem das Blut ins Gesicht steigen lässt. Lang war es her, seit sie letztmals diesen Song in der Version der Soldaten der Lincoln-Kaserne sang. Sie hatte kürzlich die "Disco On Ice" besucht. Sie ging nämlich immer samstags hin, da war die "Black Music Night". "Die Leute waren cool drauf und die Beats fett", schwärmte sie. Insbesondere scheint sie von einem gewissen "Eis-Opa" fasziniert zu sein. "Ist das etwa der Ötzi?" fragte Anja.
"Nein, ich nenn ihn nur so, weil er älter ist als der Durchschnitt der Eis-Disco-Besucher. Er ist bestimmt weit über dreißig, sieht aber noch sehr gut aus." Als sie sich in der Eiserneuerungspause für ein Bier an der "Pistenbar" angestellt hatte, kam sie ins Gespräch mit dem "Eis-Opa". Später drehten sie gemeinsam ihre Runden auf dem Eis. "Der ist so cool, ein echter Traumtyp."
"Na, dich scheint es ja ganz schön erwischt zu haben."
"Ja, er ist einfach - obercool!!! - 'Und jetzt ändern wir die Laufrichtung.' " Sie demonstrierte mir, auf was für originelle Art er die näselnde Ansagerin imitieren konnte.
"Er ist einfach immer nur gut drauf und so lustig. Dann hat er auch noch viel Interesse an Black Music. Er hat mir gesagt, das was ihr heutzutage hört, Missy Elliot oder Woutanclan ist auch ganz okay, schade nur dass die wenigstens von euch die schönen alten Platten vom Motown-Level noch kennen, zum Beispiel "The Three Degrees" mit "Dirty Old Man" oder die "Temptations" mit "Papa Was An Rolling Stone." - Stell dir vor, er hat mich eingeladen, mit ihm zusammen so ein paar alte Scheiben anzuhören."
"Schön für dich."
"Ich glaube, ich bin ganz schön in ihn verknallt. Aber irgendwie hatte ich von Anfang an so ein kleines ungutes Gefühl im Hinterkopf. Ich befürchte, dass er nicht lange bei jemanden bleibt. Aber wir wollen ja nichts überstürzen. Carpe diem, nutze den Tag."
Da zuckte ich etwas zusammen, das war eigentlich eine Dieter-typische Redensart. Nutze den Tag (und jede Frau, die da kommt).
"Es ist ja schön, dass auch ab und zu Leute meines Alters bei der 'Disco On Ice' vertreten sind. Ich glaube, ich muss mich auch wieder mal auf die Kufen schwingen."
Da wurde Yvonne knallrot im Gesicht. "Nein, das geht nicht", erwiderte sie hektisch "du weist gar nicht, was bei der Eisdisko abgeht. Da sind viel zu viele Leute auf einmal auf dem Eis. Zusammenstöße zählen zur Tagesordnung. Ich bin eine geübte Läuferin und auch einigermaßen sportlich veranlagt. Wenn ich mal hingeschmissen werde, habe ich höchstens mal einen dicken blauen Fleck am Hintern, weil ich weis, wie ich zu fallen habe. Bei dir sehe ich schwarz. Wenn du dumm hinfällst, ist schon mal ein Armbruch drin oder eine Gehirnerschütterung."
"... oder ein paar gebrochene Rippen, vielleicht sogar ein mittelschweres Schädel-Hirn-Trauma. Keine Angst, ich komme nicht vorbei und nehme dir deinen 'Eis-Opa' weg."
Die Sache mit dem "Eis-Opa" ließ mir keine Ruhe. Mel, du hältst mich inzwischen bestimmt für eine Stalkerin, aber ich musste Gewissheit haben und ging an einem "Black-Music-Night-Abend" auf ein Bier in die "Pistenbar". Für Leute, die nicht Eislaufen wollen, sondern nur zusehen, befindet sich hier ein abgetrennter Bereich. Yvonne hatte Recht, die Eisfläche war wirklich stark bevölkert. Nein danke, Lust zum Laufen hatte ich da nicht. Den Leuten schien es aber wenig auszumachen, mit schwingenden Armbewegungen und fröhlichen Gesichtern fuhren sie bei mir in Augenhöhe an der Bande vorbei. Schön dass die "Pistenbar" etwas höher gelegen war, da hatte man etwas Überblick auf das Gedränge auf dem Eis. Mel, dreimal darfst du raten, wer der dunkelhaarige Typ, der "Eis-Opa" war, der mit Yvonne Hand in Hand auf dem Eis dahinglitt - Dieter!!!
Ich bin nichts wie raus, ich glaube ich habe sogar vergessen mein Bier zu bezahlen. Mit einem "Kavalierstart" fuhr ich mit meinem Auto los. Yvonne und Dieter - nein -! Nach uns beiden Grufties, Meggy und mir, hatte er wohl wieder mal Lust auf etwas Junges. Aber warum ausgerechnet Yvonne! Tabea, die er wie du weist, zuvor hatte, ist sehr attraktiv und kapriziös. Yvonne hingegen wirkt manchmal noch so kindlich-naiv. Sie ist eigentlich ein hübsches Mädchen, aber wie sie sich zurechtmacht! Die schwarzgefärbten Haare, mit unzähligen Haarspängchen straff aus dem Gesicht gezogen, dazu dieser Teint, kalkweiß geschminkt, knallrote Lippen und dazu noch diese hässlichen Piercing an Kinn und Augenbrauen. Dann trägt sie immer "Streetwear" sprich Kleider die so oversized sind, dass sie darin fast ersäuft. Dazu megahohe Plateauturnschuhe. Etwas anderes als Turnschuhe zieht sie nie an - und auf so etwas steht Dieter!!!" Nun war Yvonne an der Reihe, nicht mehr mit mir zu sprechen. Ein Grund genug, Dieter nicht mehr mit dem Arsch anzugucken, findest Du nicht?"-
Melanie strich sich eine Strähne ihres langen blonden Haares hinters Ohr. "Jetzt hat sie sich auch noch mit der netten Yvonne überworfen, alles nur wegen diesem Sch....Dieter". Eine Stechmücke setzte zur Landung auf Melanies Arm an. Mit voller Wucht schlug sie auf ihren Oberarm, so dass nur noch ein paar blutige Fragmente der Schnake übrigblieben. Sie setzte ihre Lesebrille zurecht und las weiter: "Ob die Sache mit Dieter langen Bestand hatte, fragst Du Dich sicherlich. Ich kann Dir darauf nur eine Antwort geben - nein!
Yvonne hatte mit ihm Schluss gemacht und Dieter schien es sehr getroffen zu haben.
Mel, Du willst wohl wissen, warum Yvonne die Bekanntschaft beendet hatte. Aus dem einen Grund: Vielweiberei. Die arme, gebeutelte Yvonne, erst die Enttäuschung mit ihrem Roger und dann sah sie Dieter zusammen mit einer Frau. Engumschlungen gingen sie zur Wohnungstür, Dieter steckte den Wohnungsschlüssel ins Schloss und hielt der starkgeschminkten Frau die Tür mit der vollendeten Eleganz eines alten Kavaliers auf. Die arme Yvonne hatte an diesem Tag bei einem Antiquariat eine uralte "Supremes"-Schallplatte ergattert. Die wollte sie Dieter schenken, weil sie ihn so sehr lieb hatte. Und dann das!" -
Melanie hatte einen sauren Geschmack im Mund, ihre Lippen fühlten sich trocken an. "Okay, ich bring es über mich, ich lese auch noch den Rest dieser Essay über Dieter.“ Nach der Trennung von Dieter und Yvonne hatte Annika öfters komische Anrufe, meistens in ihrer Abwesenheit, auf ihrem Anrufbeantworter. So liebeskrank wie sie war, bezog sie solche Anrufe, die jeder von uns mal hat auf sich und Dieter. Meistens hörte sie nur Rauschen oder entfernten Straßenlärm. Als dann mal so ein besoffener Idiot weit nach Mitternacht auf ihr Band sprach: "Hallo meine Süße mir geht's jar nich’ jut. Hier vorne ist der Rhein - nein der Main - icke glob ick geh da rein", glaubte sie es wäre Dieter, aufgrund dieser Lausitzer Mundart. Sie durchforstete in den nächsten Tagen sämtliche regionale und überregionale Zeitungen, aber kein Ersoffener im Main, Nidda oder Rhein war da erwähnt. Sie wollte eigentlich keinen Fuß mehr in die Disko "Nightflyer" setzen, aber nach diesem komischen Anruf zog sie irgendetwas da hin. Sie schrieb: "Mir dröhnte "Get Your Bitch Up" von "The Prodigy" entgegen. Nanu, ganz neue Klänge in diesem Laden. An der Theke saßen Tabea und Rainer. "Ja, wir haben uns diese Musik gewünscht, besser gesagt eine CD mitgebracht", erklärte Tabea. "übrigens, der Dieter ist auch da."
"Der interessiert mich genauso wenig wie ein umknickender Reishalm in China", antwortete ich. Das stimmte alles gar nicht, aber das musste die dumme Tabea ja nicht wissen." -
"Tja", dachte Melanie "der Rest ist eigentlich vorhersehbar". Dieter hatte ihr Cousinchen wieder "herumgekriegt". So wie die immer noch gefühlsmäßig an ihm hing, trotz allem, hatte er ein leichtes Spiel mit ihr (Zitat von Plato: Liebe ist eine gefährliche Geisteskrankheit.). Eine fröhliche Tanz-Nacht, einige Cocktails spendiert, zu ihr in die Wohnung, wieder mal einige Versprechungen mit Spreewaldbesuch und Hausbesichtigung gemacht und schon ist sie kirre. Alles in Butter, schien Annika gedacht zu haben. Sie hatten noch zusammen gefrühstückt, waren guter Dinge. Als sie ihn später mal anrufen wollte, sagte eine freundliche Frauenstimme am Telefon: "Die von Ihnen gewählte Rufnummer ist nicht vergeben." Kurz nach dem er seine Rufnummer geändert hatte, schrieb er ihr auf dem PC einen Abschiedsbrief. Die Unterschrift setze er noch per Hand darunter, immerhin. Jetzt endlich müsste Annika diesen Dieter doch endgültig vergessen. Aber ihr war nicht zu helfen. Tabea stellte einige Vermutungen an, warum er der Disko "Nightflyer" fernblieb und prompt machte sich Annika Sorgen. Mit zwei tiefen Zornesfalten auf der Stirn las Melanie weiter: "Ich wollte es erst nicht, aber dann parkte ich mein Auto doch in der Nähe seiner Sachsenhäuser Wohnung. Vor seinem Wohnblock stand ein Porsche mit dem Kennzeichen OSL - gilt für den Bereich Oberspreewald-Lausitz, zu dem natürlich auch Lübbenau gehört. Ich überlegte ernsthaft, ob ich auf den Klingelknopf drücken sollte. Mel, nimm es mir nicht übel aber ich habe halt eine lebhafte Phantasie. Ich dachte, vielleicht liegt er mit einem Herzinfarkt im Krankenhaus und denkt sehnsuchtsvoll an seine einzige wahre Liebe - mich. Natürlich kann er von dort aus nicht anrufen, Handys sind in Krankenhäuser streng verboten und meine Nummer hat er nicht mehr im Kopf.
Mein Zeigefinger schwebte über den etwas angegilbten Klingelknopf aber bevor ich ihn berührte ging die Tür auf und ein dunkelhaariger, untersetzter Mann mit rötlichem Gesicht stand davor. Er schaute mich kurz an: "Du wolltest bestimmt zu Dieter". Ich lief knallrot an, räusperte mich: "Ich bin eine ehemalige Bekannte von ihm, meine Freunde und ich haben ihn seit Ewigkeiten nicht mehr in Frankfurt gesehen, kann es sein, dass er krank ist oder ist er dienstlich im Raum Brandenburg? Sie wissen ja, er ist ein vielbeschäftigter Architekt."
"Nö", er sprach mit dem typischen Lausitzer Dialekt, genau wie Dieter, "icke bin hier der Architekt! Dieter hat sich nur in meine Frankfurter Wohnung eingenistet. Hat bestimmt viel Spaß gehabt, der Schlawiner. - Wollte mal die Prüfung in der Architektenkammer machen, hat sie geschmissen - Versagensangst. Ne, das einzige was der kann ist Kahnfahren und modeln. Arbeitet ab und zu als Dressman auf Modeschauen. Weist du, inzwischen ist er wieder in Lübbenau. Er hat es in Frankfurt nicht mehr ausgehalten. Da war eine Frau, die hat ihm andauernd nachgestellt, bombardierte ihn mit Telefonanrufen. 'Stalkerin', wie man es auf neudeutsch sagt." Mir blieb der Mund offen. Alles erstunken und erlogen, von wegen toller Wohnung und Superjob. Diese liebeskranke Frau geschieht ihm recht!
"Und wie geht es ihm nun in Lübbenau?" fragte ich "er hat sich bei keiner seiner mir bekannten Freundinnen gemeldet."
Er kratzte sich an seinem feisten Kinn und guckte mit seinen hellblauen Schweinsäugelein Richtung Himmel: "Es scheint sich um etwas sehr Ernstes zu handeln."
"Was hat er", fragte ich entsetzt, "ist er schwer krank?"
"Viel schlimmer", antwortete er. "Tschüss". Er stieg in seinen Porsche und lachte sich schier krank. Komischer Kauz, daraus wurde ich nicht schlau.
So, das war die Sache mit Dieter. Vergessen wir es, ich freue mich schon auf Deine Hochzeit."

Melanie nahm den langen Brief, zerknüllte ihn und pfefferte ihn in den Fließ, wo er gemächlich Richtung Hauptspree dahindümpelte.
Annika wartete vergeblich auf ein Antwortschreiben von Melanie. Stattdessen bekam sie eines Abends einen Anruf von einer ihr unbekannten Frau mit einer angenehm weichen Stimme, die sie einfach mit Vornamen ansprach und duzte: "Hei Annika, du bist doch bestimmt zur Hochzeit am 31. März in Lehde eingeladen. Komm an diesem Tag um viertel nach drei an den Landungssteg am "Freilandmuseum". Auf Höhe des Cafés und des Briefkastens siehst du einen sehr großen, schwarzgestrichenen Kahn. In den steigst du ein. Viel Spaß wünsche ich dir."
"Bestimmt so ein sorbischer Hochzeitsbrauch", dachte Annika.
Der Zeitpunkt der Vermählung rückte näher. Man überlegte, ob man mit dem Auto fahren oder die Bahn vorziehen sollte. Man einigte sich aufs Auto und akzeptierte letztendlich, dass Annika alleine in ihrem Fahrzeug bleiben wollte. Jedem das seine, sie wird schon ihre Gründe haben.
"Aber in Lübbenau wartest du auf uns am Bahnhof. Es kennt sich niemand von uns hier aus und du warst ja schon mal mit dem Fahrrad in dieser Gegend."
Sie fuhr auf der Hauptstraße Richtung Lehde, im Schlepptau die Autos der restlichen Fa-
milienmitglieder. Die Bäume hatten schon die ersten grünen Knospen. Frühlingsgrün! Dazu blauer Himmel, was will man mehr?
"Warum ist mir eigentlich Dieter nicht über den Weg gelaufen, als ich letzten Sommer im Spreewald war?" fragte sich Annika. "Aber da hätte er mich vielleicht gar nicht beachtet, wenn ich ihm begegnet wäre. Ich wog damals 10 kg mehr als heute und meine Haare waren "straßenköterblond" - noch nicht ebenholzfarben, wie ich sie jetzt trage. - Ob er wohl zur Hochzeit eingeladen ist?" Dieser Gedanke verursachte ihr ein Kribbeln in der Bauchgegend.
Sie parkte ihr Auto auf dem großen Parkplatz vor dem "Freilandmuseum Lehde." Aus dem orangefarbenen Opel Manta neben an dröhnte: "She got wheels of steels". Also gibt es unter den Spreewäldern auch Heavy Metall Fans. Stopp, das Auto hatte ja ein Frankfurter Kennzeichen und der Typ hinter dem Lenkrad sah aus, wie Tabeas Rainer. Was will der denn hier?
"Komm schon", rief Andrea, ihre beiden Kinder hinter sich herziehend, "wir sind schon ganz schön spät dran".
Sie liefen das letzte Stück durch das romantische Lagunendorf Lehde (liegt quasi auf einer Insel, umgeben von Fließen) zum "Café Venedig" zu Fuß. Der Kuckuck rief, die Luft war frühlingshaft mild und es roch nach Teer. Die Kähne mussten vor der Sommersaison noch mal ordentlich abgedichtet werden. Man hatte das Gefühl in einer ganz anderen Welt zu sein, weit weg von allem. Annika dachte: "Wäre das schön jetzt noch eine Woche Urlaub hier zu verbringen und mal alles hinter mir lassen", da stand sie plötzlich einem dunkelhaarigen, ihr sehr bekannten Mann gegenüber. Seine blauen, mandelförmigen Augen wurden schmal und eine Zornesfalte erschien zwischen seinen Augenbrauen: "Annika, was machst Du hier, was soll das!"
Ihre Knie begannen zu zittern und sie wollte gerade sagen: "Ich kann doch nichts dafür, dass ich zu dieser Hochzeit eingeladen wurde", da fiel ihr auf, dass er irgendwie anders gekleidet war als sonst. Eine bildschöne Frau mit hochgesteckter blonder Lockenpracht und einem Hochzeitskleid, das sich wie eine Überportion Zuckerwatte um sie bauschte, in vielen Lagen weißen Damast und Stoffmargeriten, kam aus der Gaststätte - Melanie. Nur das Gesicht, das sie zog, passte überhaupt nicht zu dieser Lichtgestalt.
"Darf ich dir meine Braut vorstellen", sagte Dieter überflüssigerweise, "Melanie".
"Gratuliere, ich kenne Melanie, sie ist meine Cousine".
"Ich weis Bescheid, Melanie hat viel über Dich erzählt. Ich hoffte, du tauchst nicht bei unserer Hochzeit auf", sagte er ausnahmsweise mal ehrlich.
"Ich habe sie damals auf der Potsdamer Schlössernacht kennengelernt" er sah Melanie nach, die mit hängenden Schultern im Gastraum verschwand. "Sie ist die Liebe meines Lebens. Ich habe nach ihr unzählige Frauen gehabt aber keine von ihnen konnte ihr das Wasser reichen. Die Begegnung mit ihr hatte von Anfang an mehr Tiefe gehabt als je bei uns" fügte er hinzu während er stirnrunzelnd auf die Glastür schaute. "Jetzt wird bald die Braut entführt, das passt mir gar nicht, bin ein bisschen eifersüchtig, bin halt auch nur ein Mensch."
Annika schluckte trocken. Also, eifersüchtig kann dieser Mann auch sein, wenn er richtig verliebt ist. Aber jetzt war keine Zeit mehr um Trübsinn zu blasen, auf ihrer Armbanduhr war es kurz vor drei. Viertel nach musste sie am Heimatmuseum sein und es war noch ein ordentliches Stück Weg zu laufen. Auch Dieter sah auf die Uhr, blies seine schwarzen Ponysträhnen zurück und rief Melanie etwas zu, das wie "Viel Spaß" klang.
Den hatte sie später auch. Sie wurde auf den starken Armen von Arne in den Hochwald verschleppt. Das Moos im Wald war weich und den beiden ging es sehr gut.

Der beschriebene Kahn schaukelte im Wasser. Darin saßen, dicht an dicht, die unterschiedlichsten Frauen und es kamen immer mehr dazu. Sie schaute genauer hin und vor Schreck wäre sie fast ins Fließ gefallen. Da saßen einträchtig nebeneinander Nelly, Meggy, Tabea, Yvonne, Martina und noch eine große Anzahl mehr oder weniger hübscher Damen, die sie aber nicht persönlich kannte. Eine rassige, schwarzhaarige Frau trat auf sie zu: "Tag, ich bin die Angelika, kannst mich Geli nennen". Das war die Stimme am Telefon und - genau die Frau, die sie damals im "Nightflyer" vor Dieter gewarnt hatte. Liebe Leser ihr erinnert euch hoffentlich noch! Trotz guter Vorsätze und nettem Ehemann traf sich Geli ab und zu noch mit Dieter, die Gefühle waren halt stärker. Als er auch mit ihr endgültig Schluss machte und von seiner geplanten Hochzeit im "Café Venedig" erzählte, stibitzte sie ihm sein Notebook und wählte alle verfügbaren Telefonnummern, der hier eingetragenen Frauen an. Die meisten waren begeistert von dem Vorhaben und kamen nach Lehde gereist. Annika balancierte sich zu dem freien Platz neben Nelly vor. Der Kahn schaukelte hin und her. "Fuck, ich bekomme ja ganz nasse Füße", motzte Tabea. "Der Fährmann soll endlich kommen."
Nelly warf einen Blick auf ihre Armbanduhr: "Komisch, normalerweise kommt er immer zu früh."
Meggy bekam einen Lachkrampf und die anderen Bootsinsassinnen hatten bald Seitenstiche vor Lachen, aufgrund Nellys unbeabsichtigter zweideutiger Bemerkung.
Dieter, der bewaffnet mit einer langen Ruderstange aus dem Bootsschuppen kam, hätte beinahe einen tödlichen Herzinfarkt erlitten. Er traute seinen Augen nicht, ein Boot voller "Ehemaliger"!
"Du bist reichlich spät", rief Geli ihm zu "beeile dich ein bisschen, wir wollen heute noch gern nach 'Wotschofska', da geben wir dir auch alle miteinander einen Spreewälder Kräuterlikör aus."
Der schöne Dieter sah nun Tom Cruise sehr ähnlich - besser gesagt wie der gute Tom in der Drehpause nach einer fünfstündigen Bettszene mit Pamela Anderson. "Du siehst so müde aus" sagte mitleidvoll Lucie aus Lübbenau. "Wenn du willst, brauchst du uns auch nur bis zur Gaststätte 'Venedig' staken. Da soll eine große Hochzeit stattfinden."
Mit zitternden Armen steuerte er auf die Mitte des Fließes zu. Ein Schwall kaltes Spreewasser ergoss sich über die Füße der Fahrgäste in der ersten Reihe. Innerhalb kurzer Zeit versank der Kahn - der Titanic nicht unähnlich - im Spreekanal. Am Ufer stand eine großgewachsene rothaarige Frau und lachte irre - Beate - die Stalkerin. Sie hatte die Löcher in den Kahn gebohrt. Aber keine Sorge, die Fließe haben höchstens eine Wassertiefe von 1,50 m, da ertrinkt man nicht so leicht.

 

Oh Schreck! :eek:

Nichts für ungut, aber die Story ist echt viel zu überladen mit Details. Das ist ja extrem.

Jedes kleine Kinkerlitzchen, was für den Handlungsverlauf keinerlei Bedeutung hat, wird erwähnt, und dann auch noch in langen, aneinandergehängten Aufzählungen.

Humorvoll soll die Story wohl auch klingen, aber auf mich wirkt sie nur zynisch und überkritisch, besonders gegen bestimmte Sorten von Menschen (zum Beispiel das völlig übertriebene und eifersüchtig klingende Herausstellen von "gutaussehenden" und "nicht gutaussehenden" Menschen und die Warnung vor "Dieters"). Ist eigentlich schade, weil man die Story wirklich witzig gestalten könnte, wenn man sie sich nicht durch Gefühle "davonlaufen" läßt. Ich habe den Eindruck, der Autor will irgendwelche bitteren Gefühle durch die Story loswerden und nur dadurch wird sie so uneffektiv beschrieben.

Nee, war nichts für mich, habe es nicht einmal geschafft, bis zum Ende zu kommen, also weiß ich nicht, was noch weiterhin passiert ist.

Es ist besser, wenn man sich auf das Wesentliche beschränkt, was für die Handlung wichtig ist und das dann schön ausschmückt. Sieh' Dir die Story doch noch mal genau an und überarbeite sie, einen schlechten Stil hast Du nämlich nicht, im Gegenteil. :)

[ 14.05.2002, 05:10: Beitrag editiert von: Roswitha ]

 

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