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Dieser Morgen...
Der selbe Vorfall aus 4 Verschiedenen Erzähler-Perspektiven...
Allwissender Erzähler
Es war nichts besonderes an diesem Morgen. Der Regen fiel monoton vom Himmel und die Ampel tat das was sie immer tat am morgen kurz vor 8: Sie tauschte ihre Farbe, untersagt den Schülern „ihre“ Straße jetzt zu passieren. Es waren ohnehin nicht mehr viele Schüler unterwegs, die meisten waren schon dort wo sie hin mussten. Einzig und allein ein Mädchen stand an der Ampel und verfluchte den Morgen, an dem ihr Wecker nicht geklingelt hatte. Und sie war nicht die Einzige – auch der Fahrer des dunkel-blauen Passat trat auf das Gaspedal, denn ihm zeigte die Ampel grün, aber er fuhr zu schnell, denn das Meeting an diesem Morgen war wichtig. Der Regenvorhang versperrte ihm die Sicht, und so sah er nicht den kleinen Jungen, der aus Angst zu spät zu kommen, die Straße bei Rot überquerte. Ihr Zusammenstoß auf dem nassen Asphalt war kurz, aber das Blut floss und vermischte sich mit dem Regen, der auch in dieser Sekunde weiterprasselte, denn es war nichts besonderes an diesem Morgen. Das Mädchen rannte, der Mann erstarte und der Junge lag nur da. Leblos. Verzweifelt brüllte der Mann in das Handy, und das Mädchen beschwor den Jungen zu leben, der Junge bekam nichts mit. Menschen sammelten sich um die drei, aber keiner tat etwas. Der Krankenwagen kam und nahm ihn mit. Der Mann und das Mädchen blieben zurück.
Es war nichts besonderes an diesem Morgen.
Ich-Erzähler
Die Ampel ist grün. Nein, sie war es – kurz vor meiner Nase springt sie um. Seufzend bremse ich ab und lehne mich mit einer Hand gegen den grauen Metallpfeiler. Es ist einer dieser typischen Tage an denen alles schief geht, sogar das Wetter scheint sich darauf eingestellt zu haben. Der sanfte Regen rinnt mir das Gesicht hinab, durchtränkt meine Jacke, meine Hose. Und die Uhr sagt mir, dass es kurz vor 8 ist.
Vor mir fährt ein Mädchen über die Straße - Das Rot der Ampel leuchtet mir entgegen, hält mich zurück. Warum eigentlich, frage ich mich. Die Straße ist leer – so leer wie das Mathe-Heft in meinem Schulranzen, dort auf der Seite wo eigentlich die Hausaufgaben sein sollten. Hatte ich schon erwähnt, dass dieses einer dieser Tage ist? Ja, sicher habe ich das. Mit den Fingern trommle ich den Rhythmus des stärker werden Regens mit, und kämpfe mit mir, ob ich die Ampel trotz der Signalfarbe überqueren soll. Nein – ich werde es nicht tun, das würde mein Gewissen nicht zulassen, hier kommt wohl das kleine Mädchen in mir durch.
Der Zeiger auf der Uhr schleicht dahin, aber die Ampel hat kein Erbarmen. Aber da... na bitte, es gibt doch einen Grund warum ich nicht über die Straße fahre: Ein Auto nähert sich, nähert sich schnell. Da hat anscheinend noch jemand verschlafen – es ist ja beruhigend zu wissen, dass ich nicht alleine mit meinem Schicksal bin – aber so schnell würde ich trotzdem nicht fahren. Wie gut, dass ich noch auf dieser Seite der Ampel stehe. Dann geht alles ganz schnell. Aus meinem Augenwinkel sehe ich eine bunte Regenjacke, die ganz offensichtlich kein Interesse an den Farben des Metallpfeilers hat. In Zeitlupe sehe ich, wie das Auto – es ist blau – bremst, aber der nasse Asphalt hat andere Ziele. In Sekundenschnelle schlittern Regenjacke und Auto aufeinander zu. Ich lasse mein Fahrrad fallen, schreie. Es knallt, dann ist es für einen kurzen Moment still. Angewurzelt stehe ich neben meinem gefallendem Fahrrad, mein leeres Matheheft, flattert im Wind. Ich sehe das Blut tropfen und endlich setzen sich meine Füße in Bewegung, automatisch ohne mein zutun. Lebe, bitte Lebe, ist alles was ich denken kann.
Das Blut vermischt sich mit dem Wasser, als ich neben dem kleinen Körper knie, und sanft auf ihn einrede. Es ruft keine Reaktion hervor, aber ich rede weiter, rede weiter auch für mich selber. Erzähle vom Sommer, vom Winter, vom Frühling, vom Herbst und sage, dass alles gut wird. Ich hoffe es ist so. Neben mir steht der Fahrer des Autos, hilflos, Ausschau haltend nach dem Krankenwagen. Einige Schüler fahren vorbei, andere bleiben stehen. Und das Blut vermischt sich mit dem Wasser auf meiner Hose, bis der Krankenwagen kommt. Mein Gott, bitte lebe, flüstere ich dem Regen entgegen.
Die Ampel ist längst wieder grün.
Erlebte Rede
Sie blickte die Straße vor ihn entlang, sah die Ampel und trat ein wenig fester in die Pedale, um nicht das Signal-rot zu erwischen. Der Regen lief ihr durch das Gesicht und wurde von ihrer Hose aufgesaugt. Schon jetzt hatte sie keine sehr gute Meinung von diesem Tage, und als die Ampel umsprang, wusste sie dass sie zu spät kommen würde. Im Übrigen war es auch egal, ob sie zu spät käme, Ärger würde sie so oder so bekommen, denn sie hatte die Hausaufgaben nicht gemacht. Ohne ihren Wecker, der nicht geklingelt hatte, wäre das alles nicht geschehen. Sie hätte Zeit gehabt, die Aufgaben zu machen, Zeit gehabt früh genug das Haus zu verlassen. Nun stand sie um kurz vor 8 neben dem Metallpfeiler und wartete, dass sie umspringen würde. Neben ihr fuhr ein Mädchen trotz eindeutiger Farbe über die Straße, aber sie blieb stehen, der Regen schien ein Nein auf den verkehrsleere Asphalt zu schreiben. Sie fühle wie die Nässe langsam auch ihre Jacke durchweichte und klamm machte – es war ein unangenehmes Gefühl. Ihre Finger verspürten den Rhythmus des Wassers und gaben sie dem Metall weiter. Der Blick wanderte, sah nicht viel durch den Vorhang, aber sah das Auto das sich schnell näherte. Und still dankte sie ihrem Gefühl nicht die Straße überquert zu haben. Ein Kind schien diesen siebten Sinn nicht gehabt zu haben, ihre blauen Augen folgten ihm auf die Straße, dorthin wo das Auto zu schlittern begann. Sie spürte wie ein Schrei ihre Kehle erklomm, aber es war zu spät. Das Auto stand nun, das Kind lag vor ihm, und sie rannte zu dem Blutfleck auf dem Boden.
Neben ihr stand der Fahrer, auf ihrer Hose lag der Kopf des Kindes, und ihre leise Stimme flehte den Kleinen an nicht zu sterben. Die Stille wurde unerträglich und die Sirene des Krankenwagens durchschnitt grausam und schrill diesen Morgen. Im übrigen würde sie den Matheunterricht nun ganz verpassen, aber was machte das schon, an diesem Morgen?!
Innerer Monolog
Komm schon ... ein bisschen schneller nur ... warum hat dieser dumme Wecker heute morgen nicht geklingelt? Ich krieg die Krise ... grade heute ... egal, Hauptsache der klingelt Samstag ... komm schon Ampel, bleib grün... grün hörst du?! ... Hey, ich hab grün gesagt, nicht rot. ... Ich krieg die Krise... muss das grade heute sein... oh scheiße ... Mathe ... das wird ein scheiß Tag ich merk das schon... hab ich das Heft eingepackt... ja... oh jetzt weiß ich auch wieder warum ich so früh aufstehen wollte... welcher Tag ist heute eigentlich? Donnerstag... der war doch grade erst... komm schon Ampel, hab ein wenig mitleid mit mir... nein? Danke auch gut. ... hey, Mädel ich würde nicht über die Straße fahren ... sie ist leer... fahr ich ich? Ich fahr... nein ich fahr nicht... die Ampel springt sicher gleich um, oder? .... Nein, ich gucke nicht auf meine Uhr... gleich fäng die Schule an... komm schon, Ampel... ohoh, nettes Auto, nur ‚n bisschen schnell, was meinst du Ampel? ... Na super, die Hose war auch schon mal trockener... öch, ne da kommt schon wieder so ne Horde Kleinkinder....Junge, halt an! Bist du denn lebensmüde? ... Kleinkinder... halt an! ... Oh Gott... Oh Gott... Oh Gott… Was soll ich tun? … Blut wird heller wenn es sich mit Wasser vermischt… was denk ich da? ... Beweg dich... Lauf... Lauf zu dem Kind... Junge, wach auf... Ich will nicht das er tot ist... er darf nicht tot sein... nein... Puls... Puls fühlen... stabile Seitenlage... Bein anwinkeln, Arm unter Oberkörper... scheiße was kommt jetzt?! ... hilfe... du darfst nicht sterben... das ist nicht wahr... ich schlafe, ich träume, ich will aufwachen ... Lebe, Junge, Lebe... Leute steht nicht so rum! ... Tut was... Stirb nicht, Kleiner... Krankenwagen, wo bleibt der verdammte Krankenwagen... Steht nicht so rum Leute... Mein Gott, stellt die Sirene leiser, ihr erschreckt den Kleinen... ja ich war dabei, oder wonach sieht das hier aus?... Leute, stellt nicht so dumme Fragen, der Junge stirbt mir unter den Händen weg... du darfst nicht sterben... nicht heute... morgen auch nicht... mathe... egal... Lebe ... auf wiedersehen, kleiner... Kämpfe, überlebe... ich glaube an dich. ...
Anne Schüler