Diese Tage
Sein Hand mit den breiten Fingernägeln, sein Arm, mit den hellen Haaren bedeckt und den leicht herausstehenden Adern durchzogen, sein rauer Ellenbogen, der muskulöse Oberarm, die leicht verbrannte Schulter, an der die Haut begann sich zu pellen, die herausstehenden Schlüsselbeinknochen, die von einer dünnen Haut bedeckt waren, jedoch trotzdem genau zu erkennen waren, sein Hals, an dem die Haut am weichsten war, sein Kinn, sein Mund, den er geschlossen hielt, seine Nase, seine Augen, die sich geschlossen in seinem stimmigen Gesicht befanden. So reglos lag er da. Sein schlafender Körper, neben dem meinen. Wie oft hatte ich bereits neben ihm gelegen, war neben ihm aufgewacht, hatte ihn beobachtet, solange bis er es selbst im Schlaf mitbekam und erwachte. Wie oft hatte ich ihn angelächelt und er hatte sich verlegen in seinem Kissen vergraben. Wie oft waren wir danach noch Stunden im Bett geblieben, hatten einfach nur dagelegen und uns geliebt. Oft, sehr oft, es war eines der vielen Male, doch an diesem Mal war irgendetwas anders als sonst. Dieses Mal spuckte ein falscher Gedanke durch meinen Kopf. Dieses Mal verspürte ich ein Gefühl von Wehmut. Wehmut nach diesen Tagen. Denn ich wusste, dass es der letzte dieser Tage sein würde.
Er begann sich zu regen, nach einer Weile öffnete er seine Augen. Die stechenden blauen Augen blickten mich an und ich lächelte. Er kniff die Augen wieder zu und drehte sich in sein Kissen. Ich rückte näher an ihn ran und küsste seinen Hals. Er wagte es, seinen Blick aus dem Kissen zu nehmen und richtete ihn erneut auf mich. Ich konnte noch nie lange in diese Augen gucken, auch dieses Mal senkte ich verlegen den Blick und ließ mich küssen. Er schlang seinen Arm um mich und streichelte meinen Bauch, ich merkte wie er an meinen Haaren roch. Wie ich das vermissen würde.
Wie immer lagen wir da und redeten. Alles schien sinnvoll, mein Leben machte einen vollkommenden Eindruck auf mich. Das hatte ich schon immer am meisten geliebt an diesen Tagen, es gab nichts worum man sich Sorgen machen musste, denn wenn es Sorgen gab, war es nie einer dieser Tage. Solche Tage verliefen anders. Solche Tage waren mir egal. Diese Tage nicht.
Wir schwiegen. Schweigen, das konnten wir gut. Reden ist leichter als schweigen. Wenn man schweigt, dann muss man die Stille ertragen. Diese Stille ertrug ich, mit ihm an meiner Seite. Andere hatten nicht die Gabe mir die Kraft dafür zu geben. Er schon. Nur er? Würde ich also nie wieder schweigen können ohne mich zu quälen zu müssen?
Ich verspürte Durst und blickte in sein Gesicht, um ihn nach der Wasserflasche zu bitten. Er verstand und reichte sie mir. Er verstand mich oft ohne Worte. Kein anderer tat dies. Würde er auch das verstehen?
Ich las ihm vor. Ein Roman aus den Achtzigern, den wir einige Tage zuvor auf einem Flohmarkt ergattert hatten. Er liebte es meiner Stimme zu lauschen und meinen Mund beim Formen der Buchstaben und Wörter zu beobachten. Er hatte einen Sinn für das Tiefere. Einen Sinn für etwas, dass ich nicht verstand.
Seine Hände hielten meine Hüfte. Ich legte vorsichtig meine Hände auf seine verbrannte Schulter und küsste ihn. Ich schaute in seine stechenden Augen. Ich zwang mich den Blick zu halten, während ich mich von ihm löste. Langsam drehte ich mich um und ging. Nach ein paar Metern schaute ich zurück, sein Blick verriet mir, er hatte auch dieses Mal verstanden. Ohne Worte