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Dies Somnium
Blitzschnell füllte sich der Pappbecher mit der brauen, dunklen Flüssigkeit. Er hatte mal wieder keinen eigenen mitgebracht. Wozu auch. Pappbecher werden hier immer noch angeboten, wenn auch mit einem kleinen Aufpreis auf den ohnehin schon überteuerten Kaffee. Kaffee wird auch immer teurer.
Ich hatte noch gar nicht meinen Geldschein aus den unendlichen Tiefen meines Geldbeutels gekramt, da schaute der Kassierer hinter der Theke mich auch schon mit ungeduldigen Augen an. Ein bisschen älter als ich, Mitte zwanzig. Wohl ein Nebenjob, während er studieren geht. Kaum habe ich bezahlt, drängt sich schon der nächste hinter mir an den Tresen und lässt lautstark seine Bestellung verkünden. Gekonnt ignorierte ich ihn und versuchte mir einen Weg zur Tür zu bahnen, was einfacher gesagt als getan war. Selbst noch um dreizehn Uhr standen hier die Leute schlangenweise für ihren Morgenkaffee an, den sie, sobald sie das Café verließen, hastig hinunter schluckten, um möglichst bald von dem erhofften Effekt profitieren zu können. Dabei macht doch Kaffee eigentlich letzten endlich nur noch müder. Ich wette, sie taten das alle eigentlich nur aus dem selben Grund wie ich. Sie versuchten sich vorzutäuschen jetzt wacher zu sein und gaben dafür jeden Tag 3,50€ aus. Das war die einfachste und schnellste Methode um überhaupt in den Tag starten zu können, bei den meisten klappt es sogar nicht mehr anders. Das nennt man dann eine Sucht oder Abhängigkeit, was schlimm enden kann, jedoch nicht unbedingt bei Kaffee.
Als ich mich nun erfolgreich durch die Menschenmenge bis hin zur Tür geschlagen habe, versuchte ich mir in Erinnerung zu rufen, warum ich eigentlich auch wie diese Menschen um mich herum all diesen Blödsinn machte. Draußen angekommen überwältigte mich das Stadtleben so sehr, dass ich fast wieder zurück in das Café taumelte. Gerade konnte ich mich noch fassen und an einer in der Nähe stehende Straßenlaterne anlehnen, bevor ich schnell zu atmen anfing. Es half nichts. Ich würde mich nie daran gewöhnen können. Langsam blickte ich rüber zum Park, der Oase der Stadt, in der ich lebte. Nur bis dort musste ich es schaffen, nur bis dort und nicht weiter. Ich versuchte mich langsam ganz gerade aufzurichten und konzentrierte mich zudem stark drauf meinen frischen Kaffee nicht zu verschütten, nur um zu merken, dass genau das bereits geschehen war. Seufzend setzte ich meinen Weg fort und ließ meine Beine die Hauptarbeit erledigen. Halb in den Himmel blickend und somit größtenteils blind für den Verkehr um mich herum versuchte ich den Zebrastreifen zu erreichen, der mich sicher auf die andere Seite der Straße bringen würde. Als ich jedoch nach dem zwölften Auto immer noch nicht passieren konnte, schaute ich mir die Straße ein zweites Mal an. Habe ich nicht hier Weiß auf Grau gesehen? Wo sind die Streifen hin? Kann ich mich wirklich so vertan haben? Kopfschüttelnd versuchte ich eine andere Möglichkeit den Park zu erreichen auszumachen. Dort hinten war eine Ampel, da war ich mir sicher. Jedoch würde das einen großen Umweg mit sich ziehen. Mein Ziel war es jedoch so schnell wie möglich in der Oase anzukommen. Nach langem Hin und Her beschloss ich einfach den Asphalt hier und jetzt zu überqueren, gerade standen zudem sämtliche Autos an den Ampeln und warteten auf irgendein Lämpchen das Grün leuchten soll. Wahnsinn! Alle lassen sich von einem Lämpchen sagen, wie sie sich verhalten sollen. Ich setzte meinen rechten Fuß langsam nach vorne über den Bürgersteig hinweg. Das war deshalb eine so schwierige Aufgabe, weil man hier den Höhenunterschied im Hinterkopf behalten musste. Es ging also jetzt ein Stück runter, wo eigentlich vorhin die ganze Zeit kein "runter" oder "hoch" sondern nur ein "gerade" war. Während sich mein Kopf noch mit dieser äußerst komplizierten Lage auseinander setzte, traf mein Fuß auch schon auf dem Asphalt auf. Erstaunlich, dass man selbst durch die Schuhe fühlen konnte, auf welchem Boden man gerade läuft. Der hier war viel wärmer als der Weg für uns Fußgänger. Schnell zog ich, jetzt mit der neuen Situation vertraut, den zweiten Fuß nach und stand nur dort. Am Rand der Straße, auf meine beiden Füße schauend. Als ich die ersten Schritte machte und mich langsam auf die Mitte zu bewegte, ignorierte ich die Zurufe der anderen Passanten auf dem Gehweg hinter mir. Alles Langweiler, die immer nur auf denen ihnen vorgegebenen Wegen liefen und sich nicht trauten, etwas anders zu machen. Dummerweise gelang es mir jedoch immer schlechter wegzuhören, je weiter ich fort schritt. So kam es, dass ich mitten auf der Straße meinen Kopf nach rechts neigte, nur um sicher zu gehen woher die plötzlich auftauchenden, immer lauter werdenden schrillen Geräusche her kamen. Dann sprangen die Bilder wie bei einem Daumenkino blitzartige vor meinen Augen vorbei. Zwei Scheinwerfer, eine Windschutzscheibe, weit aufgerissene Augen hinter dreckigen Brillengläsern, Hände fest um ein Lenkrad geklammert, ein Mund so weit geöffnet, dass ein Zahnarzt nur davon träumen könnte, und dann, ganz untypisch für einen Daumenkino, alles plötzlich weiß.
Ihm ist wohl die Tinte ausgegangen. Oder er hatte keine Bleistifte mehr. Das war das erste, was mir in den Sinn kam. Ich öffnete die Augen und schaute in die erbarmungslos grell scheinende Sonne. Lieber schaute ich weg, als auf eine Wolke zu warten. Ich rieb mir über die Schläfe und schaute an mir herunter. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich saß. Nach all dem Gehen ein angenehmes Gefühl. Eine Tasche lag neben der Bank. Moment, wieso Bank? Langsam glitt ich das lackierte Holz entlang, dass schon an manchen Stellen splitterte, und wurde am kühlen Metall der Seitenlehnen brutal gestoppt. Erst jetzt viel mir auf, wie sehr der Boden sich verändert hatte. Statt endlosem Grau mit vereinzelten weißen Kaugummiflecken erstreckte sich jetzt unter mir eine endlose grüne Fläche. Grasgrün, denn es war eben dieses Gras. Erstaunt hob ich meinen Kopf. Nach einer endlosen Reise durch die Stadtwüste war ich nun endlich in der Oase angelangt. Benebelt versuchte ich die vergangenen Ereignisse Revue passieren zu lassen. Das Gefühl erinnerte mich an etwas. An etwas, was ich fasst jeden Morgen fühle, wenn ich von meinem schrillen Wecker aus einer viel zu kurzen Schlafphase gerissen wurde. Ich wollte irgendetwas auf keinen Fall vergessen. Fieberhaft legte ich den Kopf in meine Hände und dachte angestrengt weiter nach.
Mein Nacken begann an der Stelle zu jucken, wo der Pullover ihn leicht berührte. Als ich meine Hand kurz hob um mich dort zu kratzen, sah ich keinen einleuchtenden Grund meine Hand die vorherige Position wieder zurück zu führen. Mir war sogar unklar, warum meine andere Hand überhaupt noch so war. Mit einer solchen plötzlichen Frische und Stärke durchströmt, stand ich auf, griff nach der Tasche neben der Bank, die wohl mir gehörte und nahm mir spontan vor einem Weg zu folgen, der knapp vor der Bank verlief.
Kurz zurück blickend versuchte ich mich zu erinnern was eben geschehen war.
Einsam stand dort ein Kaffeebecher an der Stelle, wo ich eben gesessen hatte.