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Dier 68er Psychose

Beitritt
08.10.2001
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Dier 68er Psychose

Der Mann mit der Banane in der Hand fühlt sich gut, sagt er und das er früher mal beim Schauspringen gar nicht so schlecht gewesen sei. Überhaupt sei er ein ganz wilder Hund gewesen damals und hätte sogar schon mal mit Cohn Bendit zusammen in einer Wanne gelegen und den klassischen Loriot Sketch nachgespielt. Natürlich seien sie damals betrunken gewesen und nicht nur das, sagt er und überhaupt seien die Dinge damals noch exzessiver angegangen worden. Das Hauptquartier des Sozialistischen Studentenbundes hätte damals Feuer gefangen, allein durch die Reibung all der kopulierenden Pärchen. Wobei man damals ja nie von Pärchen sprechen konnte, wie er betont. Die Flammen im SSB hätte die Feuerwehr erst nach drei Wochen in den Griff bekommen. So eine Hitze hätte da geherrscht, sagt er. Aber nicht das wir denken es sei damals um Sex gegangen, nein, sagt er, schließlich habe man das nicht zum Spaß gemacht. Sex habe ihm noch nie Spaß bereitet. Das sei eine riesen Mission gewesen damals mit dem Ziel sich zu befreien. Tatsächlich sei er am Ende sogar so frei gewesen sagt er, das er durch Wände laufen konnte und das ihn irgendwann keiner mehr sehen konnte und er sich schließlich selbst völlig aus den Augen verloren hatte. Erst vor kurzen hätte er sich wieder getroffen und sich ein bisschen mit sich über die alten Zeiten unterhalten und dabei habe er gemeinsam mit sich eine Flasche Rotwein getrunken und ein wenig Rohypnol eingenommen. Zuviel Rohypnol sagt er.
„Nehmen Sie bitte ihre Tropfen!“ sage ich.
Das sei aber eine komische braune Farbe, ob da Atosil mit dabei sei, fragt er und das er diesen bitteren Geschmack nicht leiden könne und dass das Leben so schon bitter genug sei.
„Nehmen Sie bitte ihre Tropfen!“ sage ich.
Ob er eigentlich die Geschichte vom Schauspringen schon mal erzählt hätte fragt er und das er damals einer der besten Schauspringer gewesen sei. Er sei dann immer mit Anlauf gegen eine Wand gesprungen sagt er und er hätte sich dabei bestimmt 3000mal gedreht in der Luft bevor er mit voller Wucht gegen die Mauer gedonnert sei. Das sei noch vor seiner freien Phase gewesen, da wäre er einfach durchgesprungen. Dann als er auf dem Boden aufschlug, sei er immer sofort wieder aufgestanden und hätte seinen Leitsatz gerufen. Dass das alles zwar nicht politisch gewesen sei, er sich aber mitten im Widerstand befunden hätte. Solche Witze sein damals noch gut angekommen, sagt er.
„Nehmen Sie bitte ihre Tropfen!“ sage ich.
Na gut sagt er, schluckt seine Tropfen und läuft langsam ins Raucherzimmer der Station.

 

Du beschreibst offensichtlich die Sichtweise eines Patienten einer psychiatrischen Einrichtung.

Die Geschichte lässt sich ganz nett lesen, besonders das ewige, exzessive, fantastische Labern des Patienten hast du gut beschrieben. Denn das immer wiederkehrende "sagt er" lässt den Leser die Situation gut nachfühlen.

Die Geschichte besitzt einen interessanten Ansatz, eine Standardsituation (Medikamentenvergabe) in einer psychiatrischen Anstalt zu beschreiben, währenddessen der Patient einfach nicht aufhören kann, seine Wahnvorstellungen zu schildern.

10 Pluspunkte in der Rubrik Originalität! :)

 

Erst vor kurzen hätte er sich wieder getroffen und sich ein bisschen mit sich über die alten Zeiten unterhalten und dabei habe er gemeinsam mit sich eine Flasche Rotwein getrunken und ein wenig Rohypnol eingenommen. Zuviel Rohypnol sagt er.
Dieser Abschnitt spiegelt recht anschaulich das Krankheitsbild des Protagonisten wider.
An manch anderen Stellen hingegen klingt er mir zu normal, als würde er als älterer Mann halt ziemlich übertreibend Schwänke aus der 68er Zeit erzählen, etwa hier:
Natürlich seien sie damals betrunken gewesen und nicht nur das, sagt er und überhaupt seien die Dinge damals noch exzessiver angegangen worden. Das Hauptquartier des Sozialistischen Studentenbundes hätte damals Feuer gefangen, allein durch die Reibung all der kopulierenden Pärchen. Wobei man damals ja nie von Pärchen sprechen konnte, wie er betont.

Die Situation "Medikamentenausgabe" ist gut gewählt für einen solchen "Plausch", kann aber auch als zu eintönig, zu klischeehaft interpretiert werden, was nichts anderes als eine Anregung bedeutet, vielleicht deinem Prot ein wenig mehr "Spielraum" zu geben, etwa im Therapeutengespräch oder beim Essen.

Die Geschichte ist nämlich ausbaubar, das Thema gibt allein durch die psychotische Betrachtung einer politisch brisanten Zeit nicht nur Erzählstoff, sondern auch Platz für Humor und Gesellschaftskritik, alles unter dem legitimen Schalkkostüm der Erkrankung.

Ich komme darauf, weil dein Prot ja bereits in diesen wenigen Sätzen seinen Hang zur Übertreibung offenbahrt. Und da der Pfleger/ die Pflegerin ihm phasenweise auch zuhört, hast du eine Kontrastperson schon eingeführt. Andere sind etwa Mitpatienten oder Angehörige.
Hier könntest du vielleicht eine Figur einführen, die gegen die 68er Bewegung war, aber versehentlich einen Drogencocktail bekommen hat und nun auch behandelt wird. Eine Entwicklung in diese Richtung würde der Geschichte wahrscheinlich eine tiefere Beurteilung einbringen als die meinige:

Eine kurze Situationsbeschreibung eines psychotischen Alt-68ers, die ansatzweise das Potential einer Weiterführung in sich birgt, jedoch leider durch viele Kommafehler den Lesefluss einschränkt.

Gruß Jan

 
Zuletzt bearbeitet:

Ein bisken mehr Speck auf den Knochen hätte dem ganzen noch besser getan, so wirkt die Rahmenhandlung mit dem Tropfennehmer nur als Aufhänger für ein paar - zugegebenermaßen gute - Gags, die größtenteils ins Schwarze treffen (Das Hauptquartier des Sozialistischen Studentenbundes hätte damals Feuer gefangen, allein durch die Reibung all der kopulierenden Pärchen. Herrlich!).


"Dier 68er Psychose"
Wortspiel oder Schreibfehler?

 

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