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Diebesgut

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04.08.2002
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Diebesgut

Barcelona ist die europäische Stadt, mit der höchsten Taschendiebstahlquote. Abgeschlagen folgt Rom auf dem zweiten Platz.
Mit den Händen in den Taschen schlenderten wir also die Ramblas hinunter und konnten uns noch nicht so ganz entspannen, auch wenn hier der Frühling der Norddeutschen Tiefebene schon um 10 Grad voraus war, auch wenn die Menschen um uns her keine besondere Notiz von uns nahmen und auch wenn am Mittag noch kein dichtes Menschengedränge die Taschendiebe ermutigen konnte.
Wir hatten uns auf der Arbeit kennen gelernt, was freilich bescheuert klingt. Wir waren einfach Kollegen und fuhren über das verlängerte Wochenende nach Barcelona.
Kann man ja mal machen. Der Flug war wirklich günstig und die Pension recht zentral gelegen und ebenfalls für wenig Geld zu mieten.
Gut, wir waren vor ein paar Monaten ein Paar gewesen. Du hattest mir einen Krankenbesuch abgestattet, weil du dich ein wenig verantwortlich gefühlt hattest, als ich beim Aufrichten mit dem Kopf unter die Schranktür gekracht war; beim Herabbücken war sie noch geschlossen gewesen.
Platzwunde; 5 Stiche; Gehirnerschütterung und 4 Tage krankgeschrieben. Alles halb so schlimm.
Als du wieder gehen wolltest, passierte es: wir umarmten uns zum Abschied und hielten uns den Moment zu lange aneinander und dann war es auch schon um uns geschehen.
Es folgten 2 Monate des Glücks, es folgten 2 Monate des Leids und was dann noch übrig blieb, waren zwei Kollegen mit gemeinsamer Vergangenheit.
Wir waren also doch nicht einfach nur zwei Arbeitskollegen, die über das verlängerte Wochenende nach Barcelona fuhren, aber was wir waren, das wussten wir selbst nicht so genau.
Am frühen Abend, zurück in der Pension, wolltest du dich umziehen. Es war wärmer, als gedacht und aus einem Kleid ohne Taschen kann einem auch keiner etwas stehlen. Verblüffende Logik. Ich musste mich umdrehen, als wenn ich nicht schon alles gesehen und ertastet hätte!
Doch der Spiegel hing gerade richtig und lüftete Geheimnisse, die ich schon entschlüsselt glaubte und die mich neu auf Schatzsuche gehen lassen wollten.
Warum hatten wir uns damals bloß getrennt? Warum konnte ich nicht bei dir bleiben?
Du hast dich noch ein wenig geschminkt, dabei sahst du ohnehin hinreisend aus.
Als wir bald darauf Richtung Gotisches Viertel schlenderten, streiften sich unsere Handrücken einige Male versehentlich und verschämt gingen wir darüber hinweg und plauderten über die Arbeit und über dies und das. Doch als wir unter der bläulich beleuchteten Fassade der Casa Battlò standen, kapitulierte ich. Ich wollte augenblicklich und sofort mit fliegenden Fahnen untergehen. Das hier war keine Schlacht, in der ich irgendeine Chance gehabt hätte. Es war das reinste Himmelfahrtskommando, in das ich mich auch noch freiwillig gestürzt hatte. Ohne weiteres Aufbäumen ergab ich mich dir nun! Ich wollte mich unterwerfen, wollte schmachtend in deinen Kerkern kaserniert sein. Du solltest mit mir hart ins Gericht gehen und keine Gnade kennen. Und ich wollte dennoch wimmernd dein Erbarmen erflehen.
Aber du, mit deinem weiten Herzen, hast einfach meinen stammelnden Mund geküsst; hast meine flatternden Hände genommen und das dumpfe Licht meiner Seele erstrahlen lassen.
Wir zogen uns in einen dunklen Hauseingang zurück und unsere Finger fanden Stellen aneinander, die kein Taschendieb je bei seinen Opfern erreicht hätte.
Wir musste das Gotische Viertel unentdeckt lassen. Die Sagrada Família haben wir nie gesehen, der Park Güell bleibt uns unbekannt; Ein Schicksal, das er mit allen weiteren Sehenswürdigkeiten der katalanischen Metropole gutmütig teilt.
Aber wir entdeckten einander unter dem löchrigen Himmelbettdach unseres kleinen Pensionszimmers in der Via Mallorca. Ich erforschte Hügel und saftige Täler, du erobertest Tiefen und steile Höhen.
Ich habe gelesen, dass Barcelona die europäische Stadt mit der höchsten Taschendiebstahlquote sei. Keine Ahnung, ob das stimmt. Mir aber wurde in der Via Mallorca von einer Kollegin das Herz gestohlen, was freilich bescheuert klingt, aber ich hoffe, sie gibt es nie wieder her.

 

Hallo alonsky,

nach acht Jahren Abstinenz postet du wieder hier. Alle Achtung - und ein Fingerzeig, nie mehr zu behaupten, dass die alten Accounts, von denen man jahrelang nichts gelesen hat, gelöscht werden sollten ;).

Deine kleine Geschichte gefällt mir mit ein paar Abstrichen ganz gut.
Was mich jedoch sehr stört ist die Ansprache in der zweiten Person. Ich war (leider) noch nie in Barcelona und habe mich nicht in den Erzähler verliebt.

Aber wir entdeckten einander unter dem löchrigen Himmelbettdach unseres kleinen Pensionszimmers in der Via Mallorca. Ich erforschte Hügel und saftige Täler, du erobertest Tiefen und steile Höhen.
So, dieser Teil wird in zwei Sätzen abgespeist. DAS geht aber gar nicht. Hier wird es doch in der Rubrik R/Erotik erst spannend! Ich möchte das auch nicht meiner Fantasie überlassen müssen, sondern etwas darüber lesen können.

Zum Ende hätte ich auch nicht die Kollegin bemüht, die das Herz stiehlt, sondern eine Frau, eine Geliebte, ein wunderbarer Mensch oder ähnlich. Kollegin hört sich so trocken an.

Am Rande noch: Kleine Zahlen bis circa zwölf bitte ausschreiben.

Deine Erzählmelodie hat was; ich würde mich freuen, mehr von dir zu lesen und hoffe nicht, dass du wieder acht Jahre wartest :).

Liebe Grüße
bernadette

 

Hallo bernadette,
du hast hoffentlich nicht so lange gewartet!
Ich habe es acht (um deinen Hinweis zu beherzigen) Jahre gar nicht mehr versucht und plötzlich überkam es mich.
Da bin ich schon froh über eine wohlwollende Auseinandersetzung mit dem kleinen Text.
Eigentlich fand ich ich selbst, dass die Erotik viel zu kurz kommt, aber, Siegfried Lenz beeinflusst, wie ich innerlich nun mal bin, traute ich mich noch nicht, direkter zu werden.
Ich freue mich über deine Hinweise und will versuchen am Ball zu bleiben!

 

Respekt! Eine sehr schöne Geschichte!
Locker flockig geschrieben, einfach gut zu lesen. Eigentlich bin ich nur einmal hängen geblieben, gleich zu Anfang:

Mit den Händen in den Taschen schlenderten wir also die Ramblas hinunter und konnten uns noch nicht so ganz entspannen, auch wenn hier der Frühling der Norddeutschen Tiefebene schon um 10 Grad voraus war, auch wenn die Menschen um uns her keine besondere Notiz von uns nahmen und auch wenn am Mittag noch kein dichtes Menschengedränge die Taschendiebe ermutigen konnte.
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Wahrscheinlich hast Du die "auch wenns" extra geschrieben, mir waren sie aber zuviel.

Ich wollte augenblicklich und sofort mit fliegenden Fahnen untergehen. Das hier war keine Schlacht, in der ich irgendeine Chance gehabt hätte. Es war das reinste Himmelfahrtskommando, in das ich mich auch noch freiwillig gestürzt hatte. Ohne weiteres Aufbäumen ergab ich mich dir nun! Ich wollte mich unterwerfen, wollte schmachtend in deinen Kerkern kaserniert sein. Du solltest mit mir hart ins Gericht gehen und keine Gnade kennen. Und ich wollte dennoch wimmernd dein Erbarmen erflehen.
Aber du, mit deinem weiten Herzen, hast einfach meinen stammelnden Mund geküsst; hast meine flatternden Hände genommen und das dumpfe Licht meiner Seele erstrahlen lassen.

Persönlich finde ich das eine sehr schöne Passage. Ein guter Schuß Erotik, knisternde Gedanken. Nichts halbseidenes. Gefällt mir ausserordentlich gut.

Fazit. Eine gelungene Geschichte. Das sie in dem mir gut bekannten Barcelona spielt, macht es mir noch um einiges leichter, dann fällt mir zu "Ramblas" direkt etwas ein, obwohl Du noch ein bis zwei Sätze zum Flair der Ramblas hättest schreiben können, um die Stimmung zu vertiefen (Die Vogel- und Blumenhändler, der Brunnen, die Bäume und Zeitungsverkäufen, rechts der Markt "La Bouqueria" etc.).

Gruß, Buddy

 

Hallo Buddy,
freut mich, dass du Stellung genommen hast. Und freut mich natürlich auch, dass dir Diebesgut gefallen hat.
Die "auch wenn´s" waren natürlich beabsichtigt, aber besonders schön ist diese Art der Aufzählung vielleicht tatsächlich nicht; also Danke für den Hinweis!

Zu der Ramblas habe ich überlegt, ob ich sie ausschmücken soll oder nicht. Letztlich habe ich mich entschieden, die ganze Geschichte sehr kurz zu halten. Ich wollte auch verdeutlichen, dass der Protagonist keine Augen für die Schönheit der Stadt hat, weil er noch zu verunsichert war; wegen seiner Reisebegleitung, die er ja einmal geliebt hatte und die nun wieder ganz nahe bei ihm war. Die Begründung für diese Verunsicherung schiebt er zwar auf die Taschendiebstahlquote, aber ich hoffe es wird dann klarer, dass diese ungeklärte Beziehung der eigendliche Grund ist.
Später wird Barcelona dann ja fast egal und doch hat die schöne Stadt natürlich entscheidenden Einfluß auf das Liebescomeback.

Ich werde deine Hinweise aber gerne in Ruhe weiter bedenken.
Vielen Dank also!
Gruß Alonsky

 

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