Diebesgut
Barcelona ist die europäische Stadt, mit der höchsten Taschendiebstahlquote. Abgeschlagen folgt Rom auf dem zweiten Platz.
Mit den Händen in den Taschen schlenderten wir also die Ramblas hinunter und konnten uns noch nicht so ganz entspannen, auch wenn hier der Frühling der Norddeutschen Tiefebene schon um 10 Grad voraus war, auch wenn die Menschen um uns her keine besondere Notiz von uns nahmen und auch wenn am Mittag noch kein dichtes Menschengedränge die Taschendiebe ermutigen konnte.
Wir hatten uns auf der Arbeit kennen gelernt, was freilich bescheuert klingt. Wir waren einfach Kollegen und fuhren über das verlängerte Wochenende nach Barcelona.
Kann man ja mal machen. Der Flug war wirklich günstig und die Pension recht zentral gelegen und ebenfalls für wenig Geld zu mieten.
Gut, wir waren vor ein paar Monaten ein Paar gewesen. Du hattest mir einen Krankenbesuch abgestattet, weil du dich ein wenig verantwortlich gefühlt hattest, als ich beim Aufrichten mit dem Kopf unter die Schranktür gekracht war; beim Herabbücken war sie noch geschlossen gewesen.
Platzwunde; 5 Stiche; Gehirnerschütterung und 4 Tage krankgeschrieben. Alles halb so schlimm.
Als du wieder gehen wolltest, passierte es: wir umarmten uns zum Abschied und hielten uns den Moment zu lange aneinander und dann war es auch schon um uns geschehen.
Es folgten 2 Monate des Glücks, es folgten 2 Monate des Leids und was dann noch übrig blieb, waren zwei Kollegen mit gemeinsamer Vergangenheit.
Wir waren also doch nicht einfach nur zwei Arbeitskollegen, die über das verlängerte Wochenende nach Barcelona fuhren, aber was wir waren, das wussten wir selbst nicht so genau.
Am frühen Abend, zurück in der Pension, wolltest du dich umziehen. Es war wärmer, als gedacht und aus einem Kleid ohne Taschen kann einem auch keiner etwas stehlen. Verblüffende Logik. Ich musste mich umdrehen, als wenn ich nicht schon alles gesehen und ertastet hätte!
Doch der Spiegel hing gerade richtig und lüftete Geheimnisse, die ich schon entschlüsselt glaubte und die mich neu auf Schatzsuche gehen lassen wollten.
Warum hatten wir uns damals bloß getrennt? Warum konnte ich nicht bei dir bleiben?
Du hast dich noch ein wenig geschminkt, dabei sahst du ohnehin hinreisend aus.
Als wir bald darauf Richtung Gotisches Viertel schlenderten, streiften sich unsere Handrücken einige Male versehentlich und verschämt gingen wir darüber hinweg und plauderten über die Arbeit und über dies und das. Doch als wir unter der bläulich beleuchteten Fassade der Casa Battlò standen, kapitulierte ich. Ich wollte augenblicklich und sofort mit fliegenden Fahnen untergehen. Das hier war keine Schlacht, in der ich irgendeine Chance gehabt hätte. Es war das reinste Himmelfahrtskommando, in das ich mich auch noch freiwillig gestürzt hatte. Ohne weiteres Aufbäumen ergab ich mich dir nun! Ich wollte mich unterwerfen, wollte schmachtend in deinen Kerkern kaserniert sein. Du solltest mit mir hart ins Gericht gehen und keine Gnade kennen. Und ich wollte dennoch wimmernd dein Erbarmen erflehen.
Aber du, mit deinem weiten Herzen, hast einfach meinen stammelnden Mund geküsst; hast meine flatternden Hände genommen und das dumpfe Licht meiner Seele erstrahlen lassen.
Wir zogen uns in einen dunklen Hauseingang zurück und unsere Finger fanden Stellen aneinander, die kein Taschendieb je bei seinen Opfern erreicht hätte.
Wir musste das Gotische Viertel unentdeckt lassen. Die Sagrada Família haben wir nie gesehen, der Park Güell bleibt uns unbekannt; Ein Schicksal, das er mit allen weiteren Sehenswürdigkeiten der katalanischen Metropole gutmütig teilt.
Aber wir entdeckten einander unter dem löchrigen Himmelbettdach unseres kleinen Pensionszimmers in der Via Mallorca. Ich erforschte Hügel und saftige Täler, du erobertest Tiefen und steile Höhen.
Ich habe gelesen, dass Barcelona die europäische Stadt mit der höchsten Taschendiebstahlquote sei. Keine Ahnung, ob das stimmt. Mir aber wurde in der Via Mallorca von einer Kollegin das Herz gestohlen, was freilich bescheuert klingt, aber ich hoffe, sie gibt es nie wieder her.