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Die Zwerge der Erkenntnis

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26.08.2002
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Die Zwerge der Erkenntnis

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Tief unten in der Erde leben zum Beispiel die Wo-wir-sind-da-sind-wir-Zwerge in unterirdischen Dörfern und Städten, manchmal die Wowi-sidasi-wis genannt, die in Höhlen geboren werden und aufwachsen und die gerne verschiedene Theorien über die Welt aufstellen, - welche in der Regel niemanden interessieren, noch nicht einmal sie selber.

Die Wo-wir-sind-da-sind-wir-Zwerge hatten bis vor zwanzig Jahren keinen Zugang zur Erdoberfläche und kannten von Blumen, Gras, Sträuchern und Bäumen nur die Wurzeln, wohingegen alles Überirdische, wie zum Beispiel Wolken, unbekannt war. Da Wolken unbekannt waren, waren sie unvorstellbar, und weil sie unvorstellbar waren, konnte es sie nicht geben; der ausschlaggebende Beweis dafür war, dass es kein Wort für Wolken gab; erst als vor zwanzig Jahren der Durchbruch zur Erdoberfläche glückte, und die Zwerge erstmals Wolken sichteten, entwickelte sich eine Diskussion, in der es die ersten zwölf Jahre darum ging, ob es Wolken überhaupt geben könne, obwohl es sie 1.) zwar gibt, aber 2.) trotz allem früher nicht gab!

Und als man sich mehrheitlich einigte, dass es sie gab (weil es sie nun mal einfach gab!), wurde diskutiert, ob es sie auch wirklich gab und anschließend, ob es sie auch wirklich in echt gab.
Zunächst hatte man ja schmerzlicherweise die Theorie aufgeben müssen, wonach die Erdoberfläche die Grenze des Universums darstellte. Jedenfalls war es kulturell schwierig für die Wo-wir-sind-da-sind-wir-Zwerge. Die neu gefundene Begrenzung des Universums war in der Folgezeit der Himmel, was weit genug weg war für die Zwerge, bis einer von ihnen die Theorie aufstellte (sein Name war Mit-mir-nicht-ihr-Idioten, kurz: Mimi-ni-i-idioti), dass es auch hinter dem Himmel noch irgendetwas geben könne, was er Dito-ve-a nannte (die Totalverarschung), und wo es möglicherweise bessere Zwergengrütze gebe. Mimi-ni-i-idiotis’s Behauptungen wurden zurückgewiesen mit dem Argument, dass es schon reiche, dass es jetzt Himmel und Wolken und dergleichen gebe, und dass man nicht auch zusätzlich noch irgendetwas dahinter brauchen könne.

Sofort erschien eine Reihe von Büchern von Sachverständigen. Die wichtigsten Vertreter waren die So-ni-scho-wi-wa-ses (Soll-nicht-schon-wieder-was-sein-s), die sagten, dass es nichts dahinter gebe, weil es nicht gut wäre, wenn es was dahinter gibt. Noch einen bedeutenden Schritt weiter ging ein wissenschaftlicher Kreis, der sich die Wi-wo-ke-re-Schule nannte (Wir-wollen-keine-Realität). Dort wurde gefragt, wozu man Wolken und Himmel überhaupt brauche, wenn sie nur schlechte Stimmung verbreiten. Sie forderten, die Existenz solcher im Grunde überflüssigen Dinge rückgängig zu machen und die kulturelle Gesundheit des Zwergenvolkes wieder herzustellen. Sie forderten gleichzeitig die Abschaffung der Wörter ‚dahinter‘, ‚darüber‘, ‚Realität‘ und ‚Gnoseologie‘. Damit waren sie zu weit gegangen und scheiterten; auf das Wort ‚Gnoseologie ‘ wollten die Wo-wir-sind-da-sind-wir-Zwerge nicht verzichten, woraufhin sich die reaktionäre Bewegung in eine Aktiengesellschaft zur Verbesserung der Wirklichkeit umwandelte, aber es führt vom Thema weg, darüber zu berichten, abgesehen davon, dass niemand es verstanden hat... sogar die Verfasser der Thesen bekamen zum Schluss psychische Probleme... nämlich nachdem sie bewiesen hatten, dass es sie selbst nicht geben konnte. Während ihres letzten Kongresses verurteilten sie den Vorstand der Wirklichkeitsverbesserungsaktiengesellschaft zum Tod durch Tomati-gurkigung (eine von ihnen neu erfundene Art von Steinigung, nur mit reifen Tomaten und eingelegten Knoblauchgurken als Geschossen, und eine sehr... langwierige Angelegenheit).

Mimini-i-idioti aber lebte verkannt und einsam weiter, wie es sich für weitsichtige Menschen gehört, bis die ersten Marsbewohner vor kurzem mit Raumschiffen landeten, was aber schon wieder unser Thema nicht wirklich in echt berührt, abgesehen davon, dass es unterirdische Zwerge sowieso nicht gibt - oder hat einer von euch schon mal welche gesehen? Seht ihr!? Sagte ich es doch!


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Hello FlicFlac -

sehr amüsant - und wenn es denn einen Gott gibt, der letzte Ursache ist, frage ich mich wieder, wo kommt der eigentlich her? :D

'...unbekannt war. Da Wolken unbekannt waren, waren sie unvorstellbar, und weil sie unvorstellbar waren...'

Viele Grüße vom gox

 

Hallo FlicFlac,


endlich eine neue Satire von dir.

wurde diskutiert, ob es sie auch wirklich gab und anschließend, ob es sie auch wirklich in echt gab.

Sehr schöner Satz, und genauso ist es (nicht nur bei den Zwergen, die es nicht gibt) :thumbsup:

Die vielen "waren" im Mittelteil solltest du nochmal prüfen.


Viele Grüße
Tom

 

Hallo FlicFlac,

hm...so richtig glücklich bin ich nicht mit deiner Satire, zum einen, weil ich nicht wirklich sicher bin, erkannt zu haben, an welchem Phänomen du gesellschaftliche Kritik üben wolltest und zum anderen, weil es sprachlich schwierig zu lesen war.

Wolltest du die Engstirnigkeit anprangern? Nur dasjenige, was der Mensch sieht ist auch existent? Ein bisschen musste ich an die Diskussion über den Zustand der Erde denken, an die Kirche, die sich lange Zeit weigerte zu akzeptieren, dass die Erde eine Kugel ist (wobei auch schon damals keiner so recht erläutern konnte, wieso , wenn sie eine Scheibe war, nicht alle Meere über die Kante wegflossen *fg*).

Wenn du deinen Text jemandem vorliest, dann wird dir selbst auffallen, dass du manchmal nicht flüssig formuliert hast. Ich bring anstelle von nem Haufen Textarbeit einfach ein Beispiel zur Veranschaulichung:


Tief unten in der Erde leben zum Beispiel die Wo-wir-sind-da-sind-wir-Zwerge in unterirdischen Dörfern und Städten, manchmal die Wowi-sidasi-wis genannt, die in Höhlen geboren werden und aufwachsen und die gerne verschiedene Theorien über die Welt aufstellen, - welche in der Regel niemanden interessieren, noch nicht einmal sie selber.

Boah, wasn langer Satz, ich dachte nur ich hab darauf das Patent. :D

Also ich würde den umformlieren und zwar z.B. so:

Tief unten in der Erde, in unterirdischen Dörfern und Städten leben die Wo-wir-sind-da-sind-wir-Zwerge, manchmal die Wowi-sidasi-wis genannt. Obwohl sie in Höhlen geboren werden und darin aufwachsen, stellen sie gerne verschiedene Theorien über die Welt auf, welche in der Regel niemanden interessieren. Noch nicht einmal sie selbst.

Ich meinte jetzt nicht, lieber FlicFlac, dass du es genauso übernehmen musst, aber ich wollte dir bezüglich des Satzklangs deutlich machen, dass es etwas runder klingt.

Lieben Gruß
lakita

 

Hi Flicflac,


Während ihres letzten Kongresses verurteilten sie den Vorstand der Wirklichkeitsverbesserungsaktiengesellschaft zum Tod durch Tomati-gurkigung (eine von ihnen neu erfundene Art von Steinigung, nur mit reifen Tomaten und eingelegten Knoblauchgurken als Geschossen, und eine sehr... langwierige Angelegenheit).

Das gefiel mir am besten an deinem Text :).

Mir ist der ganze Inhalt etwas zu träge. Du versuchst dieses Beweis-Prinzip unserer Gesellschaft anzukreiden und dafür waren mir die Zwerge einfach zu sehr weg, weil ich leider immer an Schneewittchen denken muss, wenn ich das Wort Zwerg lese :D. Aber das ist mein Problem.

Lieber Gruß
ber

 

Hallo Flici!
Mir gefällt deine Geschichte sehr gut, ich find weder den Satzbau zu kompliziert, noch die vielen "waren" störend! Und deine Intention und die Aussage deiner Story kommen sehr gut rüber. Die menschliche Engstirnigkeit ist durchaus erkennbar... ein Grund warum ich so gut schmunzeln konnte... ich hab mich gleich wieder erkannt! ;) Was auch gut ist, ist dass man sich an keiner Stelle deiner Geschichte langweilt. Sie ist von Anfang bis Ende spannend!
Mach weiter so!!! :thumbsup:
Tschüss
ET

 

Hey Flic,

hat mir auch gefallen, die Geschichte! Wenn die kleinen Wichte so weitermachen, werden sie bald einen Wittgenstein und später einen Derrida hervorbringen - womit die Postmoderne endlich in der ihr angemessenen Gesellschaftsform Verbreitung finden wird.
Nicht so toll fand ich die seltsamen Namen, obwohl die Namen anderen Geschichten von Dir eine besondere Würze geben.
Der Text hat mich an eine der Sufi-Geschichten erinnert, die von Urteilsfähigkeit handeln:

"Ich möchte kein Mensch sein", sagte die Schlange.
"Wenn ich ein Mensch wäre, wer würde dann die Nüsse für mich horten?" fragte das Eichhörnchen.
"Die Leute", erklärte die Ratte, "haben solche schwachen Zähne, dass sie fast gar nichts nagen können!"
"Und was ihre Schnelligkeit betrifft...", brachte der Esel vor, "so können sie im Vergleich zu mir überhaupt nicht rennen."

lg Fritz

 

Hallo FlicFlac!

Deine Zwergengeschichte hat mir sehr gut gefallen. Seltsamerweise begegnen mir diese Zwerge sehr häufig ... oder gehöre ich vielleicht selber dazu????

Gruß,
Theo

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo an alle und danke für die vielen Anregungen, danke danke!


Als erstes @Lakita, die hat am meisten geschrieben ;) :

Du fragst dich/mich, um was es mir im Text gehen könnte, und danach zeigen mir deine Fragen/Mutmaßungen, du hast die Richtung ziemlich erfasst.
Also sage ich dazu nur: ja, so ungefähr. Wie du weißt, erkläre ich nicht gerne meine Texte, sondern streite lieber über Stil- oder Inhaltsfragen... :)
Beschränktheit des Denkens und die Fähigkeit, nur zu sehen, was man sehen will, bzw. zu ignorieren, was dem eigenen Bild widerspricht - sind immer noch aktuelle Phänomene in unserem Leben. Dass die Welt eine Scheibe ist, hat, glaube ich, T. Pratchett bewiesen.

Zu deinen Tipps bezüglich des Textflusses - mir schwebt beim Schreiben und Lesen immer ein bestimmter Rhythmus vor; hier passt er mir gerade durch das Verquere, das sich auch in der philosophischen oder wissenschaftlichen Literatur finden lässt. Das "sprachlich Schwierige" - es sei ein Anklang daran. Allerdings finde ich es nicht "wirklich" schwer zu lesen oder vorzulesen. Auch den von dir zitierten Satz nicht - er ist nur leicht angeschwierigt.

Tief unten in der Erde leben zum Beispiel die Wo-wir-sind-da-sind-wir-Zwerge in unterirdischen Dörfern und Städten, manchmal die Wowi-sidasi-wis genannt, die in Höhlen geboren werden und aufwachsen und die gerne verschiedene Theorien über die Welt aufstellen, - welche in der Regel niemanden interessieren, noch nicht einmal sie selber.

Indes, den letzten Satz abzuspalten - wie in deinem Vorschlag - habe ich mir auch überlegt, aber dann fiel mir Hegel ein und ich ließ es stehen.
Deine Anmerkung ist ja nicht falsch - und die Regel sollte sein, einfache und kurze Sätze zu schreiben, außer man hat einen Grund, es anders zu machen. Keine Regel ist absolut, und auch Kafka oder Bernhard oder Marias (sogenannte Weltliteratur) haben mit Sätzen operiert, aus den man Pullis stricken könnte, wenn es in ihren Texten passte. Ohne mich mit jenen in sonstiger Hinsicht zu vergleichen, versteht sich.


@gox
Freut mich, dass du amüsiert warst, kenne ich dich doch als feinen Textestricker.

Die von dir zitierten "waren" sehen (zugegeben) schrecklich aus, wie du sie outest, aber auch sie stören mich nicht beim Vortrag - weil sie in meinen Texttakten den Rhythmus stützen. Ich lese die Texte grundsätzlich laut, bevor ich sie "rausgebe". (An dieser Textstelle wird tatsächlich extra das waren betont, wenn ichs vorlese).


wenn es denn einen Gott gibt, der letzte Ursache ist, frage ich mich wieder, wo kommt der eigentlich her?
Deine philosophische Frage nach dem vorigen Gott entspringt der beschränkten Semantik menschlicher Sprache (vorher oder nachher sind Konzepte menschlicher Erfahrungswelt und haben intergalaktisch-physikalisch natürlich keine Relevanz, schon gar nicht für einen Gott, der außerhalb der Zeit steht, also zu jedem Zeitpunkt ist; ich fragte mich auch immer, was jenseits des Weltalls sei - also worin es sich denn bitte ausdehne - aber diese Frage hat sich nun geklärt, ich habe die Physiker verstanden: Es gibt in einem dreidimensionalen Raum-Zeit-Kontinuum eben einfach kein Außen; das Universum ist ein Rosinenkuchen, in welchem sich beim Aufbacken die Galaxien voneinander weg bewegen, ohne dass die Teigmasse sich verändert; alles klar jetzt :Pfeif: ?).


@Tom
Oh danke, jemand freut sich; ich freue mich auch immer, von dir Neues zu lesen; klingt jetzt wie Sülzen, ist aber so.

@teo + @bernadette
Beide sprecht ihr die Zwerge an. Ja, die sind schon häufig anzutreffen. Und nicht nur, wenn man Schneewittchen heißt. Bernadette, um deutlicher zu werden, hätte ich die Geschichte "Die Zwerggehirne der Erkenntnis" nennen müssen (denn das sind wir). Ob ein Text träge oder spannend gefunden wird, hängt außerdem ja auch immer mit davon ab, ob einen das Thema interessiert. Vielleicht baue ich das nächste Mal bewusst Schneewittchen :D für dich ein!


@ETderAlien
Einfach nur danke - es tut gut, verstanden zu werden :) .
Du nennst dich wohl auch nicht umsonst ETderAlien, habe ich recht??


@DerGuteFritz

Wenn die kleinen Wichte so weitermachen, werden sie bald einen Wittgenstein und später einen Derrida hervorbringen - womit die Postmoderne endlich in der ihr angemessenen Gesellschaftsform Verbreitung finden wird.
Das ist trefflichst formuliert. Man kommt nicht drum herum.


Tschüß und nochmal danke für die vielfältige Reaktion,
Flic

 

Flic: Ich bin schon neugierig, was nach der Postmoderne kommt! Vielleicht war diese Richtung so unvermeidlich wie die kleinen Fliegen (Drosophila oder so ähnlich), die immer dann auftauchen, wenn einer den Biomüll zu lange stehen lässt.

Sehr lustig finde ich die tiefsinnigen Fragen und Einsichten, die als Reaktion auf diese Geschichte zustande gekommen sind ;)

 

Es gibt in einem dreidimensionalen Raum-Zeit-Kontinuum eben einfach kein Außen; das Universum ist ein Rosinenkuchen, in welchem sich beim Aufbacken die Galaxien voneinander weg bewegen, ohne dass die Teigmasse sich verändert; alles klar jetzt :Pfeif:

Ich bin auch ein Blödmann - auf so was Primitives hätte ich auch selbst kommen können! Unter einem Gott habe ich mir zwar immer ein filigraneres Wesen vorgestellt als eine immer innen befindliche Rosine, aber im Physikunterricht war ich ziemlich schlecht.
"Nichts ist drinnen, nichts ist draußen: Denn was innen, das ist außen" :D

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo gox,

zum Glück gibt es ja Leute wie mich, welche die wo physikalische Sachen dann erläutern, nich?
Allerdings ist nicht GOTT eine Rosine, sondern die Galaxien sind die Rosinen in dargestelltem Kuchen, nich wahr. GOTT ist außerhalb der Dimensionen, nich?, und somit auch außerhalb der Zeit. Biege die Zeitachse gleichmäßig um einen Punkt, so dass sie zu einem Kreis wird, und sofort

1. hat Zeit keine Richtung mehr*, und
2. ist der Mittelpunkt von allen Zeitpunkten (auf der Kreislinie) gleich weit entfernt.

Siehst du, und genau da befindet sich GOTT. Nich?


*Womit nachher und vorher aufhören zu existieren

 

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