die zweite Chance
Mein ganzes Leben zieht nochmals in Bildern an mir vorbei: die Schulzeit, mein erster Kuss, die Arbeit im Kinderspital, meine Hochzeit, die Geburten meiner Kinder, die letzten Jahre meines Lebens und dann nur noch die Dunkelheit. Alles rund um mich herum ist schwarz. Doch nein, nicht ganz, weiterhinten seh ich einen hellen Fleck. Ich geh auf ihn zu. Das ist wohl der berühmte Tunnel von dem immer erzählt wird. Plötzlich sehe ich wie jemand auf mich zukommt. Wer das wohl ist? Meine Mutter? Mein Bruder? Oder vielleicht mein Ehemann? Es wird schliesslich gesagt, dass man von einer Person abgeholt wird, die man am meisten geliebt hat.
Nein, es ist niemand den ich kenne. Dieser junge Mann, was der wohl von mir will?
- Hallo Jenny.
Jenny, so hat man mich seit meiner Jugend nicht mehr genannt.
- Wer bist du?
- Erinnerst du dich nicht mehr? Wir waren noch jung als wir uns kannten.
Plötzlich bin auch ich wieder jung und in diesem Moment fällt mir alles wieder ein. Es ist Fernando! Wie war ich damals in ihn verliebt.
- Fernando, was tust du hier? Ich wusste nicht dass du tot bist. Wie? Ich meine, ich verstehe nicht.
- Du wirst es verstehen, aber zuerst müssen wir durch den Tunnel. Komm!
Was hat das bloss alles zu bedeuten? Fernando, meine erste grosse Liebe hier, wieso? Aber ich folge ihm, denn auch wenn ich ihn seit unserer Trennung damals nie mehr gesehen habe, so vertraue ich ihm immer noch, wie früher. Wir tauchen in das grelle Licht ein und plöltzlich sind wir wieder zurück in der Vergangenheit. Es ist der Tag an dem ich damals das Flugzeug nach Hause verpasste und überglücklich war, noch einen Tag mit Fernando verbringen zu können. Alles läuft nochmals genau gleich ab. Nochmals eine Rückblende?
Ich fahre an den Flughafen, bin total übermüedet, weil wir die ganze Nacht meinen Abschied gefeiert hatten. Ich weiss ich bin schon ein bisschen spät dran für meinen Flug und als ich endlich am Flughafen ankomme, ist da kaum jemand. Als ich frage, sagt man mir, dass mein Flugzeug schon gestartet sei. Also buche ich für den nächsten Flug zurück um und fahre zum Hotel.
Der ganze Tag verläuft genau gleich wie beim ersten Mal und obwohl ich genau spühre, dass ich das hier wirklich erlebe und nicht nur Zuschauer bin, so getraue ich mich trotzdem nicht in das Geschehen einzugreifen.
Doch dann kommt der Zeitpunkt indem ich alleine mit Fernando bin, es sind noch wenige Stunden bis zum Abschied. Abschied für immer, denn ich weiss nun, dass ich ihn nie wieder sehen werde. Nach meiner Rückkehr kam das Studium, die Arbeit im Kinderspital, meine Ehe und alles andere, doch Fernando habe ich nie wieder gesehen. Nein! Ich will das nicht nochmal erleben. Ich liebe Fernando und ich will sehen wo das alles hinführen wird mit ihm und mir.
- Fernando, was sagst du wenn ich bleibe? Wenn ich hier studieren würde und nicht zu hause? Würdest du das wollen?
Mein ganzes Leben zieht in Bildern an mir vorbei: wie ich damals von zu hause wegging, wie ich Fernando kennenlernte, wie ich das Flugzeug verpasste und danach die Entscheidung traf bei Fernando zu bleiben, unsere Hochzeit, unsere Ehe, Fernandos Tod und dann ist alles um mich herum schwarz. Doch weit hinten ist dieses helle Licht zu sehen, also schreite ich darauf zu. Ich sehe wie mir eine Person entgegen kommt, es ist Fernando. Komisch, es kommt mir irgendwie vertraut vor. Nun ja, eigentlich ist es logisch, dass man von dieser Person abgeholt wird, die man am meisten geliebt hat.