Die Zuflucht
Leise trällert das Klavier im Hintergrund, ein „Klavier“, hat mir meine Mutter beigebracht, die Menschen von früher scheinen auf diesen seltsamen, kastenförmigen Dingern mal Musik gemacht zu haben.
Ich weiß nicht genau, was ich davon halten soll, es klingt irgendwie, gewöhnungsbedürftig.
Ich kann den Klang nicht genau zuordnen, er strömt in meine Ohren, jede Note drängt sich herein, jeder Tastendruck, ja, ein Klavier besitzt Tasten, erzeugt einen Klang, je weiter rechts die Taste liegt, desto höher scheint der Ton zu sein.
Ich weiß nicht warum, aber irgendwie faszinieren mich die Klänge, sie sind so, so geschlossen in sich, so vollkommen.
Schaue ich aus dem Fenster vor mir, so sehe ich den Wandel, ich sehe die Welt an mir vorbeirauschen, ich sehe die Menschen, sie sind die Wesen, die sich am stärksten verändern, aber trotzdem gleich bleiben.
Meine Mutter meinte, dass unsere Vorfahren auf „der Erde“ gelebt haben, irgendein Planet im ersten Sektor, von hunderten von Jahren zerstört, natürlich von Menschenhand!
Erstaunlich, dass dort alles begann, die Menschheitsgeschichte hat sich über die Jahrtausende dort abgespielt, die Menschen sind dort entstanden, alles hat dort begonnen, für viele endete es auch wieder dort, aber die Geschichte der Menschen sollte anscheinend nicht dort enden.
Es soll dort ein richtiges Leben möglich gewesen sein, fast so, wie wir es heute tun, nur ohne den ganzen technischen Fortschritt, zumindest für eine lange Zeit.
Sie haben wohl irgendwann angefangen mit Technologien herum zu experimentieren, aber genaueres weiß ich nicht.
Ich weiß nur, dass sie Klaviere hatten, so eins wie das vor mir, wenn sie solche Dinger bauen konnten, dann müssen sie auf zu mehr im Stande gewesen sein.
Warum haben sie sich in den Untergang geführt, Kreaturen, die solche wundervollen Dinge schaffen können, können nicht so zerstörerisch sein, das passt einfach nicht zusammen!
Aber es muss so sein, sonst wäre ich jetzt nicht hier, sonst könnte ich nicht hier sitzen und zuschauen, wie wir leben, wie wir fühlen, wie wir vergessen.
Eine Träne bahnt sich ihren Weg über meine Wangen hinunter auf mein weißes T-Shirt, eine zweite folgt ihr.
Auf dir Frage, was uns von ihnen unterscheidet fällt mir keine Antwort ein, auf die Frage, was uns ausmacht aber schon.
Unsere Gesellschaft ist verkommen, sie merken es nicht, aber sie wissen es, wir wandern von Planet zu Planet, nur um unsere Gelüste zu stillen, wir beuten sie aus, ohne den Blick von ihnen abzuwenden, und irgendwo inmitten dieses Vorgangs stehe ich, in Erinnerung an das, was längst vergangen ist.
Wir hätten, wie die Menschen auf der Erde, schon längst aussterben müssen!
Wir sind nicht dafür geschaffen zu leben, aber wir haben uns dem natürlichen Lauf einfach entzogen, haben uns selbstständig gemacht.
Wir sind zu viele, eine Rasse die mehr als ein Sonnensystem bevölkert?
Aber wer soll uns stoppen, wer hat überhaupt die stärke uns aufzuhalten?
Eine dritte Träne kullert mein Gesicht herunter.
Sie zieht eine nasse Spur salzigen Wassers hinter sich her und landet auf meine Lippe, wo sie von meiner trockenen Zunge dankbar aufgenommen wird.
Ich stehe auf, schließlich kann ich nicht den ganzen Tag hier verbringen und mir Gedanken über das Unvermeidliche machen.
In der Küche mache ich mir einen Kaffee, damit ich nicht vollkommen verausgabt losgehen muss, die Nacht, wenn man es überhaupt so nennen darf, war ziemlich kurz, ich konnte nicht viel schlafen.
Hier auf Tectum sind die Nächte nicht lang, der Planet braucht für eine Umdrehung 16 Stunden, unsere Tage haben also nur 16 Stunden, da ist es nichts Außergewöhnliches, wenn man mal lange arbeitet und wenig schläft, und schon gar nicht hat man Zeit, um sich mit den Instrumenten unserer Vorfahren zu beschäftigen!
Ich bin Schmeißer, tagein tagaus kümmere ich mich darum, unseren Schrott zu entfernen, ich glaube bei den Erdbewohnern hieß dieser Beruf „Müllabfuhr“.
Sie hatten wohl riesige Autos und sind durch die bewohnten Teile der Länder gefahren um dann den Müll einzusammeln und letztendlich zu verbrennen.
Ich wundere mich, wie es sein kann, dass sie all ihren Müll auf der Erde sammeln konnten, haben sie denn so wenig verbraucht?
Wir Schmeißer haben einen ziemlich anspruchsvollen Job, wir müssen den Müll kompakt in riesige Container verpacken und diese dann mit Raketen in einen toten Sektor schießen.
Nicht sehr elegant, ich weiß, aber es gibt einfach keine andere Möglichkeit, außerdem sind die alten Sektor ehe schon tot, da macht ein bisschen menschlicher Abfall (schon wieder) auch keinen Unterschied mehr.
So gehe ich jeden Tag zur Arbeit, mit immer derselben Routine, meine Kollegen und ich suchen uns einen geeigneten Platz (gerade beschießen wir Sektor 3), wenn es geht einen, in dem es noch einen funktionsfähigen Stern gibt, damit der Müll dann zerstört werden kann, um Platz zu sparen, berechnen, wieviel Treibstoff die Raketen brauchen, um den Sektor zu erreichen und schauen, wann und wo wir die Raketen losschicken können.
Und wir sind nur ein paar von vielen Schmeißern!
Überall verteilt auf Tectum gibt es Schmeißer, wir sprechen uns nicht wirklich miteinander ab, wir schießen den Müll einfach dahin, wo Platz ist.
Das ist mein Beruf, ich bin ein Schmeißer….was mache ich eigentlich hier?
Ich kümmere mich einfach um den Abfall anderer Menschen, ich habe noch nie gemerkt, wie bedeutungslos meine Existenz eigentlich ist, Tag für Tag stehe ich auf, kümmere mich um die Scheiße anderer Leute und gehe wieder schlafen?!
Warum?
Warum mache ich das, warum fällt mir das erst jetzt ein?
Ich möchte doch eigentlich gar nichts, bin doch eigentlich gar nicht glücklich, ich tue einfach, weil ich soll, aber soll denn sonst noch?
Ist es eine Möglichkeit, ist es eine Chance, ist es ein Dasein, oder nur ein Existieren?
Ich weiß nicht, was ich tun soll, all die Jahre friste ich einfach, im Halbwissen, mein Dasein, lebe vor mir hin und denke gar nicht an das, was einmal möglich war, vielleicht gibt es auch einfach gar nichts, was ich tun könnte.
Ich bin ein alter Mann, mein Leben ist gelebt, meine Augen sind schwach, mein Gehör noch schwächer, mein Fühlen aber war nie stärker.
Ich bin ein alter Mann, den die Musik einer längst vergangenen Zeit noch immer bewegt.
So sind es die Töne, die harmonischen, in mein Ohr einfließenden Töne, die mein altes Dasein infrage stellen, die mein Feuer vielleicht noch einmal entfachen.
Bei meiner Mutter hat es längst nicht mehr gereicht, das Alter hat sie vor vielen Jahren eingeholt, sie konnte nicht mehr flüchten, aber sie hat immer versucht meinen Funken noch einmal zu einem lodernden Feuer zu machen, ihr Glaube ist niemals erloschen.
Danke!